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Völkerrechtliche Praxis der Bundesrepublik Deutschland im Jahre 1994


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Peter-Tobias Stoll

III. Staaten und Regierungen

    9. Zur Frage der Behandlung der Bundesrepublik Jugoslawien (BRJ), die durch Zusammenschluß von Serbien und Montenegro � beides ehemalige Republiken der Sozialistischen Föderativen Republik Jugoslawien � am 27. April 1992 entstanden ist, nahm das Auswärtige Amt in einem Schreiben an die diplomatischen und berufskonsularischen Vertretungen und an alle Arbeitseinheiten im Hause am 10. Februar 1994 Stellung.25 Darin wird der Anspruch der BRJ auf "rechtliche Identität und Kontinuität mit der früheren Sozialistischen Föderativen Republik Jugoslawien" und die von der BRJ vertretene Position, "daß sie das frühere Jugoslawien � wenn auch territorial verkleinert � fortsetzt ...", zurückgewiesen. Es heißt dazu:

    "Wir können den Kontinuitätsanspruch der BRJ nicht anerkennen, da die SFRJ (Sozialistische Förderative Republik Jugoslawien) nach dem Gutachten der EG-Schiedskommission vom 6.7.1992 durch Dismembration untergegangen ist. Die BRJ ist somit nur einer der gleichberechtigten Rechtsnachfolger der SFRJ. Die BRJ wurde von uns und unseren Partnern in der EU völkerrechtlich nicht anerkannt. Voraussetzung wäre die Erfüllung der entsprechenden Anerkennungskriterien der EG vom 16.12.1991 (u.a. Achtung der Menschen- und Minderheitenrechte entsprechend der VN- und KSZE-Dokumente; Achtung der Unverletzlichkeit der Grenzen; Akzeptanz Kap. II des Carrington-Plans; Unterstützung der Friedensaktivitäten der VN und der Jugoslawienkonferenz)."
    Allerdings wird die Staatsqualität der BRJ bejaht:
    "Die Staatsqualität und die Völkerrechtssubjektivität der Bundesrepublik Jugoslawien bleiben hiervon unberührt, da die völkerrechtliche Anerkennung insoweit keine konstitutive Bedeutung hat. Die BRJ verfügt über die objektiven Voraussetzungen eines Staates (Staatsgebiet, Staatsvolk, Staatsgewalt)."
    Im Hinblick auf die Bezeichnung wird bemerkt:
    "Die Bezeichnung Bundesrepublik Jugoslawien ist von uns nicht bestritten. Da wir auch die Staatsqualität der BRJ nicht in Frage stellen, bedarf der Staatsname keiner Relativierung (also BRJ, nicht 'BRJ'). Bestritten wird von uns allerdings die von Belgrad auch mit dem Staatsnamen zum Ausdruck gebrachte Kontinuitätstheorie. ... Aus diesem Grunde, aber auch, weil wir die Bundesrepublik Jugoslawien völkerrechtlich nicht anerkennen und unterstreichen wollen, daß sie als Nachfolgestaat in der ehemaligen SFRJ nur das Gebiet der beiden ehemaligen jugoslawischen Republiken Serbien und Montenegro repräsentiert, sollte in Texten, wo es um eine Identifizierung des Staates geht, einstweilen von BUNDESREPUBLIK JUGOSLAWIEN (SERBIEN/MONTENEGRO) gesprochen werden."
    Es wird darauf hingewiesen, daß dies auch die Bezeichnung im offiziellen Sprachgebrauch der Vereinten Nationen sei. Weiterhin heißt es:
    "Die Bezeichnung 'Bundesrepublik Jugoslawien' ist jedoch bei Adressierung von Verbalnoten an Belgrader Regierungsstellen oder Auslandsvertretungen zu vermeiden, um keinen Zweifel daran aufkommen zu lassen, daß wir damit eine völkerrechtliche Anerkennung der BRJ nicht beabsichtigen. Es sollte vielmehr als Empfänger die Bezeichnung der Behörde verwendet werden: 'An das Außenministerium in Belgrad'; bzw.: 'An die Visumabteilung der Botschaft Jugoslawiens in Bonn'."
    Weiterhin wird zur Bezeichnung "Jugoslawien" angemerkt:
    "Die Übernahme dieser Bezeichnung für einen rein serbisch-montenegrinischen Staat (mit hohem albanischen Bevölkerungsanteil) ist aus historischer Sicht geradezu absurd und dient offenkundig nur dazu, den groß-serbischen Charakter der gegenwärtigen Staatsidee zu verschleiern. Der Begriff 'Jugoslawien' (Südslawien) galt traditionell einem Staat, der zumindest Serben und Kroaten vereinigte und mit dem serbischen und kroatischen Nationalismus überwölbte. Dieses Modell ist gescheitert und damit ist streng genommen auch der Staatsname obsolet geworden. Seine Beibehaltung stützt nur die Vermutung, daß es Belgrad um eine gewaltsame Veränderung international anerkannter Grenzen geht."
    Im Hinblick auf die durch die vormalige Sozialistische Föderative Republik Jugoslawien abgeschlossenen völkerrechtlichen Verträge wird ausgeführt, daß diese "für die BRJ im Wege der Rechtsnachfolge und im auf das Gebiet Serbien/Montenegros verkleinerten Wirkungsbereich fort[gelten]."
    Im Hinblick auf die Mitgliedschaft in internationalen Organisationen heißt es:
    "Die Generalversammlung der VN stellte zu Beginn der 47. GV (1992) auf Empfehlung des Sicherheitsrats fest, daß die BRJ die Mitgliedschaft der früheren SFRJ nicht automatisch fortsetzen könne. Mit derselben Resolution wurde die BRJ aufgefordert, die VN-Mitgliedschaft zu beantragen, und von der Arbeit in der Generalversammlung ausgeschlossen. Nach diesem Prinzip verfahren auch andere internationale Organisationen. Wir hätten im Hinblick auf den Untergang des ehemaligen Jugoslawien vorgezogen, wenn die Mitgliedschaft dieses Staates auch formell für erloschen erklärt worden wäre. Dies geschah nicht (trotz der Feststellung des VN-SR in Resolution 777 'the State formally known as the Socialist Federal Republic of Jugoslavia has ceased to exist' befindet sich das Schild 'Jugoslavia' nach wie vor in den Sitzungsräumen). Faktisch wird jedoch die neue BR Jugoslawien durch Beschluß der jeweiligen Konferenz regelmäßig von der Sitzungsteilnahme ausgeschlossen."
    Bei Abschluß des Donauschutzübereinkommens26 einigten sich die Europäische Union und die anderen beteiligten Donaustaaten darauf, Serbien und Montenegro an dem Übereinkommen so lange nicht zu beteiligen, wie diese nicht die volle Mitgliedschaft in den Vereinten Nationen genießen.27

    10. Mit einer gemeinsamen Erklärung vom 25. August 1994 kamen Deutschland und die Republik Belarus überein, Verträge zwischen Deuschland und der ehemaligen UdSSR im Verhältnis zwischen Deutschland und der Republik Belarus weiter anzuwenden, "... bis beide Seiten im Einklang mit ihrer Gesetzgebung etwas Abweichendes vereinbaren." In der Erklärung ist auch vorgesehen, daß insoweit Konsultationen aufgenommen werden sollen.28

    11. In der Diskussion des Entwurfs der Völkerrechtskommission zu einer Konvention über Staatenimmunität im 6. Ausschuß der Generalversammlung äußerte sich Deutschland kritisch.29 Informelle Konsultationen im 6. Ausschuß hätten nicht � wie erhofft � zum Abschluß geführt. Vielmehr bestünden die fundamentalen Meinungsunterschiede fort:

    "At present the convening of a codification conference holds no promise of success. Likewise, we do not think that a continuation of the discussion in the Sixth Committee would be useful. This year's discussion has exhausted existing possibilities for compromise. Rather, we think, that to take a new and fresh look at the draft articles in a few years may bring about a more positive outcome ... ."30
    Im Hinblick auf die Qualifizierung einer Transaktion als "commercial" bzw. "non-commercial" führte der deutsche Vertreter aus:
    "In the interest of legal certainty, my Government continues to maintain that only the objective nature of a transaction involving a foreign State and not its subjective purpose can determine whether the State is entitled to immunity. Legal transactions with foreign states would carry a risk impossible to calculate if the purpose of state action were to constitute a criterion."31
    Er nahm in dieser Hinsicht zu Vorschlägen in den informellen Konsultationen wie folgt Stellung:
    "... Some of these proposals admit a reference to the purpose of a transaction if the purpose is relevant to the invocation of immunity under the national law of the respective state. In our opinion this would make it too difficult for a party involved in a transaction with a foreign state to predict whether it will be able to pursue a claim in court. Furthermore, the question of reciprocity would arise since the granting of state immunity would necessarily differ according to the applicable law. As far as the idea of requiring a general declaration by a state to refer to the criterion of purpose is concerned this would solve none of the problems. It would not ensure a greater measure of certainty. Since such a general declaration would not be able to take into account that law and practice of a state might change, it would remain difficult for the private party to predict in which situations the contracting state could invoke immunity. A specific notification of the state about the potential relevance of the purpose criterion would be preferable to a general declaration. However, in the view of my delegation, this proposal still leaves too much uncertainty since it does not require the consent of the private party. If in addition to nature as the primary criterion, the parties could also expressly agree that a transaction be designated as non-commercial, the granting of immunity would not be left up to the discretion of a foreign state involved in a transaction. We see merit in this proposal which in cases of doubt would make the objective nature of the transaction the decisive criterion."32
    Zu den "enforcement measures" führte der deutsche Vertreter aus:
    "In the opinion of my Government the problem of state immunity and enforcement measures is an essential component of the draft convention without which it would be robbed of its justification. The provision in article 18 para. 1 (c) of the ILC draft, according to which enforcement measures would be restricted to property with some connection to the claim, constitutes a limitation of the liability of the foreign state that goes too far. It would amount to a limited exemption from financial consequences of commercial transactions engaged in by a state. In our view, the interest of a state party is already sufficiently protected by the remaining limitations contained in articles 18 and 19."33
    Die vorgesehenen "prejudgement measures" müßten der gleichen Regelung wie "postjudgement measures" unterliegen:
    "The exclusion of measures of constraint intended to afford temporary protection could endanger the implementation of judgements against a state party in cases where it does not enjoy immunity."34
    Zur Haftung von "state agencies or other legal entities connected with a state" führte der deutsche Vertreter aus, es sei wichtig, daß es möglich sei
    "... in certain cases to access the property of the parent state. To exclude the possibility of recourse to the state entirely would enable states to avoid financial liability for commerical transactions by setting up independent entities."35
    Im Hinblick auf Arbeitsverträge sprach sich der deutsche Vertreter für einen möglichst umfassenden Schutz des Arbeitnehmers aus. Kritik übte der deutsche Vertreter auch an der Vorschrift des Art. 22 Abs. 2, die Staaten bei Aktivprozessen von der Pflicht befreit, Vorschüsse für die Prozeßkosten zu leisten. Er führte aus:
    "Since this would constitute an unfair risk for the defendant as far as the cost of the proceedings is concerned my delegation would recommend a change of this provision."36
    Schließlich wies der deutsche Vertreter darauf hin, daß Deutschland es nach wie vor für wichtig und sinnvoll halte, ein Streitbeilegungsverfahren vorzusehen.37

    Auf eine Kleine Anfrage hin betonte die Bundesregierung, daß die Annexion Ost-Timors durch Indonesien völkerrechtswidrig gewesen sei.38 Für die Europäische Union begrüßte Deutschland im 4. Ausschuß die fortdauernden Bemühungen des Generalsekretärs für eine Lösung.39

    12. Deutliche Kritik übten Bundestag und Bundesregierung an dem Verhalten Griechenlands gegenüber Mazedonien. Die griechische Regierung hatte sich in der Befürchtung, daß Mazedonien Ansprüche auf die gleichnamige Region Nordgriechenlands erheben könnte, gegen die von der Europäischen Union ausgesprochene Anerkennung Mazedoniens gewandt und unter anderem beschlossen, keine Warenlieferungen für Mazedonien mehr über den griechischen Hafen Thessaloniki durchzulassen. Anläßlich des bevorstehenden Beitritts Griechenlands zur Westeuropäischen Union erklärte die Bundesregierung im EG-Ausschuß des Bundestages, das Verhalten der griechischen Ratspräsidentschaft sei unangemessen und könne nicht gebilligt werden.40

    13. Der Verlauf des Besuches des Bundespräsidenten in Israel am 6. und 7. Dezember 1994 gab Anlaß zu einer klarstellenden Verbalnote, die die deutsche Botschaft dem israelischen Außenministerium übermittelte.41 Darin wird ausgeführt, daß ein Helikopterflug von West-Jerusalem nach Jerocham und zurück so durchgeführt wurde, daß die Flugroute auf dem Hinflug über Ostjerusalem und auf dem Rückflug über den Mittelteil der Westbank führte. Damit sei eine zwischen der deutschen und der israelischen Seite vor dem Besuch getroffene Vereinbarung nicht eingehalten worden. In der Verbalnote wird festgestellt, daß es sich bei Ostjerusalem und der Westbank um "von Israel besetztes Gebiet [handelt], das nach internationalem Recht nicht zum Staatsgebiet des Staates Israel gehört." Es wird betont:

    "Die Bundesregierung legt Wert auf die Feststellung, daß dieser Überflug in keiner Weise eine Änderung der Haltung der Bundesregierung zum völkerrechtlichen Status der von Israel besetzten Gebiete (einschließlich Ost-Jerusalems) bedeutet, und hofft, daß in vergleichbaren Fällen in der Zukunft die gegebenen Zusagen von israelischer Seite auch eingehalten werden."
    Es wird weiterhin bekräftigt, daß die "Zustimmung zum Besuch in Jerocham ... ausdrücklich auch an Vermeidung ostentativer Überflüge über IBG (israelisch besetzte Gebiete) gebunden gewesen [war]."

    14. Zum Rückzug ehemals sowjetischer Truppen vom Territorium benachbarter Staaten der russischen Föderation, siehe oben, Ziff. 2; zu dem Übereinkommen vom 23. Oktober 1991 über Kambodscha, siehe unten, Ziff. 129.


    25 Zu den in dem Papier angesprochenen Fragen zur Art und Qualität der diplomatischen Beziehungen siehe unten, unter X, Ziff. 116.
    26 Siehe unten, Ziff. 206.
    27 Umwelt 9/1994, 342.
    28 BGBl. 1994 II, 2533.
    29 Deutschland 1994 (Anm. 1), 6. Ausschuß, 61; Siehe auch Christian Walter, VRPr. 1993, ZaöRV 55 (1995), 1095�1245, Ziff. 19.
    30 Deutschland 1994 (Anm. 1), 6. Ausschuß, 61.
    31 Ibid., 62.
    32 Ibid.
    33 Ibid., 63.
    34 Ibid.
    35 Ibid.
    36 Ibid., 64.
    37 Ibid.
    38 BT-Drs. 12/7393, Woche im Bundestag 10/94 vom 25.5.1994, 93.
    39 Deutschland 1994 (Anm. 1), 4. Ausschuß, 38.
    40 BT-Drs. 12/7385; Woche im Bundestag 5/94 vom 9.3.1994, 62, 9/94 vom 4.5.1994, 71.
    41 Vom 8.12.1994.