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Völkerrechtliche Praxis der Bundesrepublik Deutschland im Jahre 1994


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Peter-Tobias Stoll

XIV. Außenwirtschaftsverkehr und Welthandelsordnung

b. Außenwirtschaftskontrollrecht

    230. Im Berichtszeitraum wurde das deutsche Außenwirtschaftskontrollrecht mehrfach geändert. Die zunächst für Ende 1994 befristete Ermächtigung im Außenwirtschaftsgesetz, zur Verhinderung schwerer Kriegswaffen- und Ausfuhrdelikte das Brief-, Post- und Fernmeldegeheimnis zu beschränken, wurde bis zum 31. Dezember 1996 verlängert.543 Außerdem wurden im Gesetz über die Kontrolle von Kriegswaffen insbesondere mit § 12 a neue besondere Meldepflichten geschaffen.544 Danach kann die Bundesregierung durch Rechtsverordnung anordnen, daß dem Bundesausfuhramt die Einfuhr und Ausfuhr von Kriegswaffen des Teils B der Kriegswaffenliste zu melden ist, soweit die Bundesregierung diese Daten benötigt, um internationale Vereinbarungen über die Übermittlung von Angaben über die Einfuhr und Ausfuhr von Kriegswaffen zu erfüllen. Es ist ausdrücklich vorgesehen, daß das Bundesausfuhramt diese Daten mit anderen bei ihm gespeicherten Daten abgleichen darf. Die erhobenen Daten können nach dieser neuen Vorschrift des § 12 a Abs. 2 zusammengefaßt und ohne Nennung von Empfängern und Lieferanten zu den genannten Zwecken an internationale Organisationen oder zur Unterrichtung des deutschen Bundestages übermittelt oder veröffentlicht werden. Ausdrücklich heißt es in der Vorschrift weiter: "Das gilt auch dann, wenn die Daten in Einzelfällen den betroffenen Unternehmen zugeordnet werden können, sofern das Interesse an der Übermittlung oder Veröffentlichung das Interesse des betroffenen Unternehmens an der Geheimhaltung erheblich überwiegt".
    Außerdem wurde die Verordnung zur Regelung von Zuständigkeiten im Außenwirtschaftsverkehr geändert.545 Im § 1 Abs. 1 wurde ein neuer Satz 3 eingeführt, demzufolge das Bundesausfuhramt im Bereich des Waren- und Dienstleistungsverkehrs auch für Erteilung von Genehmigungen aufgrund von Rechtsverordnungen nach § 5 des Außenwirtschaftsgesetzes zuständig ist, soweit diese der Umsetzung von Verpflichtungen aus Beschlüssen des Sicherheitsrats der Vereinten Nationen nach Kapitel VII der Charta der Vereinten Nationen bzw. gemeinsamen Standpunkten oder gemeinsamen Aktionen, die nach den Bestimmungen des Vertrages über die Europäische Union betreffend die Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik angenommen worden sind, oder Sofortmaßnahmen nach Art. 228 a des Vertrages zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft dienen. Insgesamt bezwecken die Änderungen auch, Voraussetzungen dafür zu schaffen, daß die in der Europäischen Union vorbereitete Harmonisierung der Exportkontrolle von zivil- und militärisch verwendbaren Gütern (dual use) umgesetzt werden kann. Insbesondere sehen die Änderungen vor, daß die Bundesregierung das Bundesausfuhramt zum Erteilen von Genehmigungen nach einer EU-Verordnung, über die im Berichtszeitraum verhandelt wurde, ermächtigt.546

    231. Im Hinblick auf die beabsichtigte gemeinschaftsweite Regelung des Exports von Dual-Use-Gütern heißt es:

    "The legislation will also help to ensure that the European Union and its Member States honor their international commitments, particularly with regard to non-proliferation. Provision is made for a Regulation which will in particular determine the authorization requirements, coordination procedures and mutual recognition of authorization decisions taken by national authorities. An essential component of an effective monitoring system will be common lists of dual-use-goods, intended destinations and guidelines for authorization decisions. Decisions on the content of these lists will be the subject of joint action within the meaning of Art. J 3 of the Treaty on European Union. This system will represent a first step towards a complete and consistent common system of export controls on dual-use-goods. The adoption of common control standards establishes a condition to ensure free movement of goods with the completion of the internal market. It will also simplify the administration of trade between the European Union, on the one hand, and countries outside the EU on the other."547

    232. Außerdem wurde Teil I der Ausfuhrliste (Embargowaren) geändert und damit an die Beschlüsse des COCOM, des Missile Technology Control Regime (MTCR), der Nuclear Suppliers Group (NSG) und die Australische Gruppe angepaßt.548 Mit der Verordnung wird auch der Tatsache Rechnung getragen, daß das Coordinating Committee for Multilateral Export Controls (COCOM) seine Auflösung zum 31. März 1994 beschlossen hat. Die aktuellen Kontrollisten werden von den Mitgliedstaaten bis zur Gründung eines Nachfolgeregimes beibehalten.549

    233. Im Berichtszeitraum paßte die Bundesregierung die Warnhinweise bezüglich unabsichtlicher Weitergabe von biologischen Agenzien, Materialien, biotechnischen Anlagen und Anlagenteilen oder Kenntnissen zur Herstellung biologischer Waffen550 an die Beschlüsse der "australischen Gruppe" an.551

    234. Im Hinblick auf die Außenwirtschaftskontrolle gegenüber einzelnen Staaten ergaben sich im Berichtszeitraum zahlreiche Änderungen. Entsprechend der Resolution 943 des Sicherheitsrats setzte Deutschland einige Beschränkungen des Handels mit Serbien und Montenegro aus.552 Durch Verordnung (EG) Nr. 2471/94 des Rates vom 10. Oktober 1994 wurden hingegen die Wirtschafts- und Finanzbeziehungen mit den von den bosnisch-serbischen Streitkräften kontrollierten Gebieten der Republik Bosnien-Herzegowina weiter eingeschränkt. Dem lag ein Beschluß des Rates im Rahmen der Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik nach Artikel J.2 des Maastrichter Vertrages zugrunde.553 Der Aufhebung des Waffenembargos gegen Südafrika durch den Sicherheitsrat554 und der handelsbeschränkenden Maßnahmen der EU555 entsprach Deutschland durch entsprechende Änderungen der Außenwirtschaftsverordnung556, der Ausfuhrliste557 und der Einfuhrliste558 zum Außenwirtschaftsgesetz.559 Brasilien wurde von der Länderliste H gestrichen, nachdem es Sicherungsmaßnahmen des IAEA akzeptiert und sich verpflichtet hat, im Bereich der Raketentechnik die Ausfuhrregeln des internationalen Trägertechnologie-Kontrollregimes (MTCR) anzuwenden.560 Die Haiti betreffenden Sicherheitsratsresolutionen 841 und 873 vom 14. April 1994 wurden umgesetzt und der Kapital- und Zahlungsverkehr beschränkt.561 Mit der Verordnung wurden Verfügungen über Konten und Depots bei Kreditinstituten in Deutschland und vermögenswerte Ansprüche der " de facto-Regierung" Haitis, ihrer Amtsträger und Behörden sowie der von ihnen beherrschten Stellen einer Genehmigungspflicht unterworfen. Die Genehmigung wird nur erteilt, wenn die Zwecke der Resolutionen nicht gefährdet werden. Genehmigungspflichtig sind nach der Verordnung darüber hinaus Zahlungen von in Deutschland Ansässigen an Stellen, Personen, Personenhandelsgesellschaften und Einrichtungen in Haiti. Das Einfrieren von Vermögenswerten der Regierung von Haiti sollte sicherstellen, daß diese weder direkt noch indirekt dem Land zur Verfügung stehen.562 Entsprechend der Resolution des Sicherheitsrates 944 vom 29. September 1994 wurden die Beschränkungen mit Wirkung zum 5. Oktober 1994 wieder aufgehoben.563 Im Hinblick auf Libyen wurden Sicherheitsratsresolutionen 748 (1992) und 883 (1993) umgesetzt sowie der in VO (EWG) 3274/93 vorgesehenen Strafbewehrung Rechnung getragen.564 Dabei handelt es sich vor allem um zusätzliche Beschränkungen für die libysche Luftverkehrsgesellschaft, die Warenausfuhr, Dienstleistungen, den Abschluß von Rechtsgeschäften und den Kapital- und Zahlungsverkehr.565 Gegen den Sudan wurde ein Waffenembargo verhängt.566

    235. Im Berichtszeitraum präzisierte die Bundesregierung ihre "Exportpolitischen Grundsätze" aus dem Jahre 1982567, um die Kooperationsfähigkeit deutscher Unternehmen des Rüstungssektors zu verbessern.568 Im Hinblick auf private Kooperationen seien Voraussetzungen festgelegt worden, unter denen die Zusammenarbeit regierungsamtlichen Kooperationen gleichgestellt werden könne. Notwendig sei, daß ein Bündnisinteresse an der Entwicklung oder Herstellung des betreffenden Produkts bestehe. Weitere Kriterien seien beispielsweise Arbeitsteilung im Rahmen der Produktion oder Lastenteilung bei Entwicklung und Vertrieb. Lägen die Voraussetzung vor, so gehe die Bundesregierung von der Genehmigungsfähigkeit aus. Diese Vermutung könne im Einzelfall nur durch eine anderslautende Entscheidung des Bundessicherheitsrates widerlegt werden. Die Genehmigungsfähigkeit werde ebenfalls bei Zulieferungen an ausländische Rüstungsproduzenten in Ländern der OECD vermutet, wenn der Wert der deutschen Zulieferung nicht etwa 20 Prozent des Wertes des Fertigproduktes übersteige. Nach Angaben der Bundesregierung beruhe dieser Grundsatz auf der Überlegung, daß der Export des Fertigproduktes in der politischen Verantwortung des Partnerstaates liege. Eine reine Zulieferung sei immer dann zu bejahen, wenn abgesehen von einem Kaufvertrag weitere Beziehungen nicht bestünden. Bei Dienstleistungen sei eine Genehmigungsfähigkeit zu unterstellen, wenn die Rüstungsgüter früher direkt aus Deutschland geliefert wurden und wenn das deutsche Unternehmen eine Verpflichtung zur Reparatur, zu Garantieleistungen oder ähnlichem eingegangen sei. Diese "Vermutungsgrundsätze" würden nicht für atomare, biologische und chemische Waffen und die Trägertechnologien sowie bei Lieferungen gelten, die selbst Kriegswaffen sind. Hier bleibe es bei Einzelfallentscheidungen. Außerdem setzten sie eine Einigung mit den Partnerländern über eine Liste generell nicht belieferungsfähiger Länder voraus.


    543 BGBl. 1994 I, 2068; Woche im Bundestag, 12/94 vom 22.6.1994, 63.
    544 BGBl. 1994 I, 2068.
    545 BGBl. 1994 I, 1090, BT Drs. 7987, 12/8491.
    546 Gesetzentwurf der Bundesregierung, BT-Drs. 12/6911; Gegenäußerung der Bundesregierung zur Stellungnahme des Bundesrates, BT-Drs. 12/7115, Beschlußempfehlung und Bericht des Ausschusses für Wirtschaft, BT-Drs. 12/7793; Woche im Bundestag 12/94 vom 22.6.1994, 63.
    547 EU-Bericht (Anm. 1) Ziff. 33, 53.
    548 86. VO zur Änderung der Ausfuhrliste � Anlage AL zur Außenwirtschaftsverordnung �, BAnz Nr. 143a vom 2.8.1994, BT Drs. 12/8364, 12/8493.
    549 Siehe BAnz Nr. 86 vom 6.5.1994, 4858.
    550 Runderlaß Außenwirtschaft Nr. 22/91 vom 19.11.1991, BAnz. Nr. 222 vom 30.11.1991, 7730.
    551 Runderlaß Außenwirtschaft Nr. 19/94 vom 29.8.1994, BAnz Nr. 179 vom 21.9.1994, 10249.
    552 VO (EG) 2472/94 des Rates vom 10.10.1994, ABl. EG Nr. L 266, 8; 35. VO zur Änderung der Außenwirtschaftsverordnung vom 27.10.1944, BAnz. Nr. 207 vom 3.11.1994, 11161. Die Erleichterungen betreffen hauptsächlich den Flug- und Fährverkehr.
    553 Beschluß 94/672/GASP vom 10.10.1994.
    554 UN Doc.S/Res/919 vom 25.5.1994.
    555 Aufhebung des EPZ-Ratsbeschlusses vom 10.9.1985 durch Erklärung des Vorsitzes des Rates vom 27.5.1994.
    556 34. VO zur Änderung der Außenwirtschaftsverordnung, BAnz Nr. 163 vom 30.8.1994, 9441; BT Drs. 12/8443, 12/8495.
    557 87. VO zur Änderung der Ausfuhrliste � Anlage AL zur Außenwirtschaftsverordnung �, BAnz Nr. 163 vom 30.8.1994, 9441, BT Drs. 12/8444.
    558 126. VO zur Änderung der Einfuhrliste � Anlage zum Außenwirtschaftsgesetz �, BAnz Nr. 163 vom 30.8.1994, 9441, BT Drs. 12/8442 und 12/8494.
    559 Woche im Bundestag 16/94 vom 28.9.1994, 30.
    560 Woche im Bundestag 16/94 vom 28.9.1994, 30; 34. VO zur Änderung der Außenwirtschaftsverordnung, s.o. Anm. 556.
    561 32. VO zur Änderung der Außenwirtschaftsverordnung vom 25.3.1994, BAnz. Nr. 62 vom 30.3.1994, 3593, BT-Drs. 12/7187, 12/7789, 12/7794; Woche im Bundestag 13/94 vom 29.6.1994, 60, siehe auch unten, XV.b., Ziff. 268.
    562 Woche im Bundestag 7/94 vom 20.4.1994, 78.
    563 35. VO zur Änderung der Außenwirtschaftsverordnung vom 27.10.1994, BAnz. Nr. 207 vom 3.7.1994, 11161.
    564 31. VO zur Änderung der Außenwirtschaftsverordnung, BAnz Nr. 239 vom 21.12.1993, 10937; BT-Drs. 12/6543.
    565 Woche im Bundestag 7/94 vom 20.4.1994, 68.
    566 BT Drs. 12/7392, Woche im Bundestag 10/94 vom 25.5.1994, 95.
    567 Abgedruckt bei Alexander Reuter, Außenwirtschafts- und Exportkontrollrecht Deutschland/EU, München 1995, 478.
    568 Woche im Bundestag 13/94 vom 29.6.1994, 59.