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Peter-Tobias Stoll
a. Abrüstung und Rüstungskontrolle
307. Im Hinblick auf die Abrüstung im Bereich nuklearer Waffen begrüßte Deutschland für die Europäische Union das Übereinkommen zwischen den USA, der Russischen Föderation und der Ukraine vom 14. Januar 1994 über die Entfernung aller Kernwaffen aus dem ukrainischen Hoheitsgebiet780 und den Beitritt des Landes zum Nichtverbreitungs-Vertrag (NVV).781
308. Auf dem Europäischen Rat in Korfu bekräftigte die Europäische Union ihr Eintreten für die Universalität und die unbefristete und unkonditionierte Weitergeltung des NVV. Zur Vorbereitung der NVV-Konferenz im Jahre 1995 beschloß sie eine gemeinsame Aktion782, der sich die mittel- und osteuropäischen Staaten angeschlossen haben.783
309. Der innerhalb der VN-Abrüstungskonferenz eingesetzte ad hoc-Ausschuß für einen nuklearen Teststop hat im September 1994 einen ersten umfassenden Vertragsentwurf beschlossen, der zunächst im Plenum der Abrüstungskonferenz verabschiedet und dann von der Generalversammlung angenommen wurde.784 Für die Europäische Union erklärte dazu der deutsche Vertreter in der Generalversammlung:
"We welcome the progress being made in other important fields of arms control and non-proliferation, such as a 'Comprehensive Test Ban Treaty'. Furthermore, we hope that in the near future negotiations on a convention on a ban on the production of fissile material for nuclear weapons or other nuclear explosive devices, known as 'cut-off', will be initiated. ... Furthermore, the European Union welcomes the progress achieved towards the establishment of a nuclear-weapons-free zone in Africa as an encouraging sign of the increasing commitment in the region to non-proliferation principles."785 |
310. Für die EU kritisierte Deutschland mehrfach die Bestrebungen der Volksrepublik Korea, ihren Verpflichtungen aus dem NVV nicht mehr nachzukommen.786 Die NATO führte aus:
"Die Weigerung der Demokratischen Volksrepublik Korea, alle von ihr übernommenen Verpflichtungen des NVV und die Vereinbarung mit der Internationalen Atomenergie-Organisation (IAEO) über Sicherungsmaßnahmen zu erfüllen, ihre wiederholte Androhung, aus dem Vertrag ganz auszutreten und ihre nachweisliche Ausfuhr von ballistischen Flugkörpern und Waffentechnologien in Krisenregionen stellen eine ernsthafte Gefährdung für Frieden und Stabilität im Fernen Osten und der ganzen Welt dar. Dies stellt die gesamte Völkergemeinschaft vor ein ernstes und beispielloses Problem."787 |
311. Auch im Namen der EU wandte sich Deutschland vergeblich gegen das Ansinnen der Generalversammlung, den IGH nach Art. 96 Abs. 1 der Charta mit einem Gutachten zu der Frage zu befassen: "Is the threat or use of nuclear weapons in any circumstance permitted under international law?"789 Zur Begründung bezog sich Deutschland auf eine ähnliche Gutachtenanfrage der WHO an den IGH und führte aus:
"Progress with the WHA [World Health Assembly] request is such that the International Court of Justice is now examining submissions passed by at least 27 states. Any further initiative in the First Committee to ask a similar question of the Court could be viewed as an attempt to prejudice the view of the Court on the WHA request. A resolution at the UN would do nothing to help the ongoing consideration of the question by the ICJ, and might adversely affect both the standing of the First Committee and the Court itself. It could also have adverse implications on non-proliferation goals which we all share."790 |
312. Mit Gesetz vom 5. Juli 1994 stimmte der Bundestag dem Übereinkommen vom 13. Januar 1993 über das Verbot der Entwicklung, Herstellung, Lagerung und des Einsatzes chemischer Waffen und über die Vernichtung solcher Waffen (Chemiewaffen-Übereinkommen) zu.791
313. Auf der Ministertagung des Nordatlantik-Rates im Juni 1994 wurde ein "politischer Rahmen des Bündnisses zum Problem der Verbreitung von Massenvernichtungswaffen" verabschiedet. Darin heißt es:
"Die Staats- und Regierungschefs der NATO-Mitgliedstaaten betonten auf dem Gipfel in Brüssel 1994, daß die Verbreitung von MVW (Massenvernichtungswaffen) und ihrer Trägermittel eine Bedrohung der internationalen Sicherheit darstelle und für die Allianz ein Grund zur Sorge sei." |
314. Große Bedeutung hatte im Berichtszeitraum auch die Problematik der Landminen. In ihrem Jahresabrüstungsbericht 1994 führte die Bundesregierung aus, daß der Einsatz von Landminen nach dem Völkerrecht grundsätzlich zulässig sei, wobei das Minenprotokoll (Protokoll II) zum VN-Waffen-Übereinkommen jedoch Schutzbestimmungen für die Zivilbevölkerung vorsehe. Das Protokoll stelle eine Weiterentwicklung von Normen des in bewaffneten Konflikten anwendbaren humanitären Völkerrechts dar und habe rüstungskontrollpolitische Bedeutung. Doch sei der Geltungsbereich des Minenprotokolls stark eingeschränkt, da es nur 41 Vertragsstaaten zähle und auf innerstaatliche Konflikte bisher keine Anwendung fände, die aber den größten Teil des weltweiten Minenproblems ausmachten. Es fehlten überdies ein Verifikationsmechanismus und eine befriedigende Regelung der Minenräumung. Im Hinblick auf die von Frankreich bereits 1993 angestrebte Überprüfung des Übereinkommens strebt die Bundesregierung folgende Ergänzungen bzw. Verbesserungen an:
a) Verbot des Einsatzes von fernverlegten Minen ohne Selbstzerstörungsmechanismus und von metallosen Minen;
b) besondere Einsatzbeschränkungen und -verbote für Minen ohne Selbstzerstörungsmechanismus; c) Exportbeschränkungen für Minen; d) Geltung des Protokolls II auch bei innerstaatlichen Konflikten; e) Schaffung eines Verifikationsmechanismus."794 |
315. Erhebliche Anstrengungen unternahm Deutschland im Berichtszeitraum im Hinblick auf die Abrüstungshilfe, insbesondere gegenüber der Russischen Föderation in den Bereichen Nuklearwaffen und Chemiewaffen. Diese Hilfe beruht auf dem Deutsch-Russischen Regierungsabkommen vom 16. Dezember 1992 über Hilfeleistung für die Russische Föderation bei der Eliminierung der von ihr zu reduzierenden nuklearen und chemischen Waffen sowie auf dem am 22. Oktober 1993 unterzeichneten Projektabkommen über deutsch-russische Zusammenarbeit bei der Chemiewaffenabrüstung. Am 13. Oktober 1994 wurde in Kiew ein Projektabkommen zur gemeinsamen Erprobung von Technologien zur umweltverträglichen Zerstörung von Raketenstartvorrichtungen abgeschlossen.797
316. Zum Bau des Forschungsreaktors München II (FRM II) in Garching bei München, der mit hochangereichertem Uran betrieben werden soll, erklärte die Bundesregierung auf Anfrage im Hinblick auf die dagegen erhobenen außen- und sicherheitspolitischen Bedenken, daß Bau und Betrieb der Anlage in Einklang mit den Bestimmungen des NVV ständen. Das einzusetzende Spaltmaterial werde entsprechend der völkerrechtlichen Verpflichtungen den lückenlosen Sicherungsmaßnahmen der internationalen Atomenergie-Organisation und EURATOM unterliegen. Zwar unterstütze die Bundesregierung aus nichtverbreitungspolitischen Gründen das von den USA initiierte RERTR-Programm (Reduced Enrichment on Test Reactors) zur Umstellung von Forschungsreaktoren auf niedrig angereichertes Uran. In Deutschland sei entsprechend der Forschungsreaktor in Geesthacht umgestellt worden. Auch der alte Münchner Forschungsreaktor befinde sich in der Umstellung. Es sei jedoch in den Empfehlungen der INFCE (International Fuel Cycle Evaluation)-Konferenz anerkannt gewesen, daß trotz der wünschenswerten Reduzierung des Anreicherungsgrades bestimmte Verwendungen von Forschungsreaktoren gegeben sein könnten, die nur mit hochangereichertem Uran erreicht werden könnten.798
317. Im Hinblick auf die Rüstungslieferungen an die Türkei im Rahmen der militärischen Zusammenarbeit erklärte die Bundesregierung auf eine Kleine Anfrage, daß diese mit den Bestimmungen des Vertrages über konventionelle Streitkräfte in Europa (KSE-Vertrag) vereinbar seien.799