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Völkerrechtliche Praxis der Bundesrepublik Deutschland im Jahre 1994


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Peter-Tobias Stoll

XVII. Friedenssicherung und Kriegsrecht

b. Friedenstruppen Internationaler Organisationen

    318. Für die Europäische Union und Österreich erörterte der deutsche Vertreter im 4. Ausschuß unter Bezugnahme auf einen entsprechenden Bericht des Generalsekretärs800 ausführlich Fragen des "peace keeping".801 Er hob die Bedeutung der präventiven Stationierung von Truppen hervor und bemerkte: "We are encouraged by the successful work of the preventive deployment of UNPROFOR in the Former Yugoslavia Republic of Macedonia."802
    Zunehmende Bedeutung habe auch die "civilian police function".803

    319. Die Initiative zum Abschluß von "stand-by arrangements" zwischen den Vereinten Nationen und ihren Mitgliedstaaten sei zu unterstützen, weil sie den Zeitraum zwischen der Entscheidung für eine "peace-keeping operation" und ihrer Umsetzung verkürze.804

    320. Er hob weiter hervor:

    "Furthermore, it is essential that a clear, well-defined and unified command and control structure be established for peace-keeping operations. This structure should clearly define the responsibilities of the head quarters in New York and in the field. The European Union and Austria reiterate their view of that, as a leading principle, United Nations peace-keeping operations should be under the operational control of the United Nations."805

    321. Ausführlich ging der deutsche Vertreter auf Fragen der Ausbildung, Bewegungsfreiheit und Sicherheit der Truppen ein. In diesem Zusammenhang führte er aus:

    "We call upon receiving states to guarantee the freedom of movement of United Nations personnel and to conclude the relevant memorandum of understanding with the United Nations."806
    Er begrüßte den Entwurf zu einer "International Convention on the Safety and Security of the United Nations and Associated Personnel".807 Die Hauptverantwortung für die Sicherheit und den Schutz des Personals liege aber weiterhin bei dem Empfängerstaat:
    "Noting the increasing importance of humanitarian activities in support of United Nations peace-keeping operations, we urge member states receiving personnel involved in such activities to take necessary measures, including bilateral agreements between the member states concerned, to provide legal protection for such personnel."

    322. Abschließend wies er darauf hin, daß die Finanzkrise der Vereinten Nationen Auswirkungen auf die Operationen hätten. Langfristig würden Mitgliedstaaten bei der Entsendung von Truppen zurückhaltend werden, wenn die Vereinten Nationen nicht die von ihnen eingegangenen Kosten ersetzen könnten.808

    323. Am 12. Juli 1994 erging das Urteil des Bundesverfassungsgerichts zur Verwendung der Bundeswehr zu Einsätzen in Systemen kollektiver Sicherheit. Es betraf die Mitwirkungsrechte des deutschen Bundestages und von Bundestagsabgeordneten bei der Entscheidung über den Einsatz deutscher Streitkräfte im Rahmen von Aktionen der NATO und der Westeuropäischen Union zur Umsetzung von Beschlüssen des Sicherheitsrats der Vereinten Nationen, aber auch die Beteiligung deutscher Streitkräfte an von den Vereinten Nationen aufgestellten Friedenstruppen.809 Die Bundesjustizministerin begrüßte das Urteil, da damit für die Teilnahme der Bundeswehr an friedenserhaltenden und friedensschaffenden Maßnahmen im Rahmen der Vereinten Nationen zusammen mit anderen Ländern jetzt eine klare verfassungsrechtliche Grundlage bestehe. Die Feststellung des Bundesverfassungsgerichts, daß militärische Einsätze der Bundeswehr unter einem Parlamentsvorbehalt stünden, sei von großer Bedeutung, weil darin eine zu begrüßende Stärkung der Demokratie und des parlamentarischen Systems liege. Es sei nun wichtig, durch klare gesetzliche Regelungen die Einzelheiten von Entscheidungsprozessen über Einsätze festzulegen.810

    324. Im Anschluß an das Urteil erklärte der Bundesaußenminister im Bundestag, daß die Entscheidungen über den Einsatz der Bundeswehr nicht nach einem vorgegebenen Raster getroffen werden könnten, sondern nur nach Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls.811 Er fuhr fort:

    "Wie auch bei unseren Partnern gibt es eine Reihe von Parametern, die in einem bestimmten Fall für oder gegen eine deutsche Beteiligung sprechen können:
    � Eine Beteiligung an einer internationalen Friedensmission kommt für uns nur in Frage, wenn sie völkerrechtlich eindeutig zulässig ist.
    � Je höher das Risiko unserer Soldaten, um so höher muß die Meßlatte sein. Je mehr es in Richtung Kampfeinsätze geht, um so zwingender müssen die Gründe für eine deutsche Beteiligung sein.
    � Klares Mandat für den Einsatz, Erfüllbarkeit des militärischen Auftrages, Einbettung der militärischen Komponente in ein überzeugendes politisches Lösungskonzept.
    Auf all diese Erfordernisse wird es ankommen. Die Somalia-Mission war hier in mancher Hinsicht ein Fingerzeig."812

    325. Bei dem Einsatz deutscher Soldaten im Rahmen der VN-Mission in Somalia (UNOSOM II) kam es am 21. Januar 1994 zu einem Zwischenfall, bei dem Soldaten des deutschen Unterstützungsverbandes Somalia einen Eindringling somalischer Staatsangehörigkeit in unmittelbarer Nähe des Betriebsstoff- und Munitionslagers durch Schüsse tödlich verletzten. Nach Auskunft der Bundesregierung handelten die deutschen Wachsoldaten in Übereinstimmung zu den mit der VN abgestimmten Verhaltensregeln für den Waffengebrauch. Von dem Zwischenfall wurden sowohl somalische Stellen (District und Regional Council, Polizei Belet Uen und Clanchefs) als auch das Hauptquartier UNOSOM II in Mogadischu, die vorgesetzten deutschen militärischen Dienststellen sowie schließlich die Staatsanwaltschaft in Koblenz unterrichtet. Die Ermittlungen des Unterstützungsverbandes seien mit dem Ergebnis abgeschlossen worden, daß eine schuldhafte Dienstpflichtverletzung der beteiligten Soldaten nicht festzustellen sei. Die Bundesregierung hat den Tod des somalischen Bürgers bedauert, eine Schadensausgleichspflicht des Bundes in Anbetracht des Sachverhalts jedoch verneint. Als soziale Hilfeleistung gegenüber den Angehörigen wurde im gegenseitigen Einvernehmen eine einmalige finanzielle und materielle Zuwendung vereinbart.813


    800 UN Doc.A/48/403.
    801 Deutschland 1994 (Anm. 1), 4. Ausschuß, 25.
    802 Ibid., 26.
    803 Ibid.
    804 Ibid., 27.
    805 Ibid.
    806 Ibid., 28.
    807 Siehe oben, XVI.a., Ziff. 292.
    808 Deutschland 1994 (Anm. 1), 4. Ausschuß, 28.
    809 BVerfGE 90, 286.
    810 Recht, Informationen des Bundesministeriums der Justiz, 4/94, 66.
    811 Bull. Nr. 70 vom 26.7.1994, 657.
    812 Ibid., 658.
    813 Antwort der Bundesregierung auf eine Kleine Anfrage, BT-Drs. 12/6989.