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Völkerrechtliche Praxis der Bundesrepublik Deutschland im Jahre 1994


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Peter-Tobias Stoll

IV. Staatsgebiet und Grenzen

    15. Wie bereits berichtet42, trat das Schengener Übereinkommen für die Bundesrepublik Deutschland am 1. September 1993 in Kraft. Nach der Bekanntmachung vom 20. April 199443 brachte die Bundesrepublik Deutschland im Hinblick auf Art. 54 � Verbot der Doppelbestrafung � einen Vorbehalt an. Danach fühlt sich Deutschland nicht an Art. 54 gebunden, wenn die Tat44, die dem ausländischen Urteil zugrundelag, entweder (Buchst. a) ganz oder teilweise in ihrem Hoheitsgebiet begangen wurde oder (Buchst. b) bestimmte, im einzelnen aufgezählte Strafvorschriften erfüllt hat.45

    16. Zum 1. Januar 1994 übernahm Deutschland den Vorsitz im Exekutivausschuß der Schengen-Staaten.46 Dabei führte die Bundesregierung aus, daß nach den Verfassungsänderungen in Deutschland und Frankreich alle rechtlichen und politischen Voraussetzungen für die Anwendung des Schengener Übereinkommens gegeben seien.47 Die Bundesregierung leitete das Ratifikationsverfahren für das Protokoll über den Beitritt Griechenlands zum Schengener Übereinkommen ein.48

    17. Am 26. April 1994 fand in Bonn eine Sitzung des Schengener Exekutivausschusses statt. In dem Abschlußkommuniqué49 wird erneut die Erklärung von Paris vom 14. Dezember 1993 bekräftigt, wonach "alle rechtlichen und politischen Voraussetzungen für die Anwendung des Schengener Übereinkommens gegeben sind und zum endgültigen Abbau der Personenkontrollen an den Binnengrenzen ein betriebsbereites Schengener Informationssystem die letzte noch verbleibende Voraussetzung ist."50 Es wird darauf hingewiesen, daß zur Herstellung der Betriebsbereitschaft des Informationssystems ein Krisenstab gebildet worden sei (Ziff. 4) und noch Testreihen abgeschlossen werden müßten (Ziff. 5). Zugleich wurde festgelegt, "... daß die Betriebsbereitschaft des Schengener Informationssytems als Startsignal für den Abbau der Personenkontrollen an den Binnengrenzen gegeben ist, wenn die wesentlichen Personendaten in das System geladen sind" (Ziff. 7). Es wird weiter darauf hingewiesen, daß die Vertragsstaaten sich verpflichtet hätten, ihre nationalen Informationssysteme dem zentralen System in Straßburg anzupassen (Ziff. 8) und daß die datenschutzrechtlichen Voraussetzungen für das Laden und den Betrieb des Systems in den Erstunterzeichnerstaaten Frankreich, Deutschland, Belgien, Luxemburg und den Niederlanden sowie in den Beitrittsstaaten Spanien und Portugal vorlägen (Ziff. 10).
    Anläßlich der Sitzung wurde ferner das Protokoll zu den Konsequenzen des Inkrafttretens des Dubliner Übereinkommens für einige Bestimmungen des Durchführungsübereinkommens zum Schengener Übereinkommen (Bonner Protokoll) unterzeichnet51, das bestimmt, daß die asylrechtlichen Bestimmungen des Schengener Übereinkommens durch die entsprechenden Regelungen des Dubliner Übereinkommens52 abgelöst werden, sobald dieses in Kraft tritt. Das entsprechende Ratifikationsverfahren leitete die Bundesregierung noch im Berichtszeitraum ein.53

    18. Die Bundesregierung führte weiterhin aus, daß es im Rahmen der Europäischen Union Überlegungen gebe, auf der Basis des Schengener Informationssystems (SIS) ein europäisches Fahndungssystem (EIS) zu schaffen. Der Fortgang der Beratungen zu einer entsprechenden Konvention hänge allerdings noch von den noch nicht unterzeichneten Abkommen zum Überschreiten der Außengrenzen ab.

    19. Am 22. Dember 1994 beschloß der Exekutivausschuß die unumkehrbare Anwendung des Schengener Durchführungsübereinkommens mit folgenden Maßgaben:54 Das Durchführungsübereinkommen solle mit all seinen Teilen für die Erstunterzeichnerstaaten55 sowie die Beitrittsstaaten Spanien und Portugal zum 26. März 1995 in Kraft gesetzt werden. Die Inkraftsetzung beziehe sich auf das Durchführungsübereinkommen selbst, sowie auf die entsprechenden Beschlüsse des Exekutivausschusses über den Abbau der Personenkontrollen an den Binnengrenzen, die Einführung und Anwendung des Schengener Regimes auf Verkehrsflughäfen und Landeplätzen, die Durchführung der Außengrenzkontrollen und der Maßnahmen zu einer weiteren Verbesserung der Außengrenzsicherung sowie auf die Beschlüsse zur gemeinsamen Sichtvermerkspolitik. Ferner beziehe sich die Inkraftsetzung auch auf die Regelungen über die Bekämpfung des Drogenmißbrauchs, die Asylzuständigkeiten sowie die internationale Rechtshilfe. Im Hinblick auf die übrigen, dem Durchführungsübereinkommen beigetretenen Staaten � Italien und Griechenland -, werde später ein Beschluß gefaßt, wenn sie die Voraussetzungen für das Inkrafttreten des Durchführungsabkommens erfüllen. Außerdem wurde beschlossen, die Betriebsbereitschaft des Schengener Informationssystems zum 26. März 1995 zu erklären und das System zu diesem Datum für die direkt abfrageberechtigten Behörden zu öffnen. Schließlich wurden noch Regelungen für die Vorbereitungszeit bis zum 26. März 1995 getroffen.

    20. Die Bundesregierung erklärte weiter, daß sie zur Realisierung des Kontrollstandards nach dem Schengener Durchführungsübereinkommen die Kontrollen an den Außengrenzen insbesondere im polnischen und tschechischen Grenzbereich entscheidend verstärkt habe. So seien u.a. zusätzlich 3.000 Kräfte mit der Grenzkontrolle und -überwachung beauftragt worden.56 Aufgrund der gegenwärtigen Bedingungen teile die Bundesregierung die Auffassung der Europäischen Kommission, daß die Kontrollen an den Schengener Binnengrenzen noch nicht vollständig aufgehoben werden könnten. Die eingetretenen Verzögerungen beruhten auf unterschiedlichen Ursachen, insbesondere aber auf ernsthaften Schwierigkeiten und Verzögerungen bei der Entwicklung der Software, mit der im Juni 1992 ein Konsortium beauftragt worden sei.57

    21. Im Hinblick auf den Anstieg illegaler Einwanderungen und Schleusungen an der schleswig-holsteinischen Ost- und Nordseeküste, insbesondere über den Seeweg, veranlaßte die Bundesregierung eine verstärkte Überwachung. Damit sei ein erheblicher Rückgang der illegalen Einreiseversuche erreicht worden. Darüber hinaus wurden alle Fährunternehmer, die Verkehr zwischen Skandinavien und Deutschland betreiben, veranlaßt, Passagiere bereits am Ausgangsort daraufhin zu überprüfen, ob sie die vorgeschriebenen Grenzübertrittsdokumente mitführen. Schließlich erreichte die Bundesregierung in Verhandlung mit Dänemark eine Intensivierung der dänischen Grenzkontrollen. Es ist darüber hinaus vorgesehen, mit Dänemark ein Abkommen zur Verbesserung der Bekämpfung der Schleuserkriminalität abzuschließen.58

    22. Mit der Regierung der Tschechischen Republik vereinbarte die Bundesregierung am 3. November 1994 ein Abkommen über den Kleinen Grenzverkehr auf Wanderwegen und in Touristenzonen sowie über den Grenzübertritt in besonderen Fällen. In dem Abkommen sind Erleichterungen für den Grenzübertritt und den Aufenthalt von Personen in Grenzzonen der Bundesrepublik Deutschland und der Tschechischen Republik vorgesehen. Diese Erleichterungen bestehen in der Berechtigung, die gemeinsame Staatsgrenze innerhalb von Touristenzonen und an besonders zugelassenen Stellen zu überschreiten und sich in der Grenzzone des anderen Staates für einen befristeten Zeitraum aufzuhalten. Nach Art. 7 verpflichten sich die zuständigen Behörden der Vertragsparteien, Personen, die aufgrund dieses Abkommens in das Hoheitsgebiet der anderen Vertragspartei eingereist sind, zurückzunehmen, sofern diese die Bestimmungen des Abkommens verletzt haben oder ihr Aufenthalt rechtswidrig ist. Von dem Abkommen werden die in den beiden Staaten geltenden Rechtsvorschriften beispielsweise über die Zurückweisung, Zurückschiebung, Ausweisung und Abschiebung, über Flüchtlinge und Asylgewährung und über die Ausübung einer Erwerbstätigkeit nicht berührt (Art. 9).59

    23. Zugleich wurde ein deutsch-tschechischer Vertrag über die gemeinsame Staatsgrenze abgeschlossen, der Grundsätze über die Feststellung des Verlaufs der Grenze in ihren beweglichen und unbeweglichen Teilen, über deren Vermessung und Vermarkung, ihren Schutz und die Sicherheit enthält. Außerdem wurde eine Grenzkommission eingesetzt, die periodisch Verlauf und Sichtbarkeit der Grenze gewährleisten soll.60
    Zu Fragen des grenzüberschreitenden Verkehrs und seiner Erleichterung, siehe unten XII.g., Ziff. 191, zu Fragen der Rückübernahme VIII.a., Ziff. 52 ff. und zur steuerlichen Behandlung von Grenzgängern XII.c., Ziff. 164 und XIV.c., Ziff. 239.


    42 Walter (Anm. 29), Ziff. 22.
    43 BGBl. 1994 II, 631.
    44 Dabei wird zum Begriff "Tat" ausgeführt: "Als Tat wird in Anwendung des Artikels 54 seitens der Bundesrepublik Deutschland derjenige geschichtliche Vorgang verstanden, wie er in dem anzuerkennenden Urteil aufgeführt ist."
    45 Es werden genannt: "aa) Vorbereitung eines Angriffskrieges (§ 80 StGB) und Aufstacheln zum Angriffskrieg (§ 80a StGB); bb) Hochverrat (§§ 81 bis 83 StGB); cc) Gefährdung des demokratischen Rechtsstaates (§§ 84 bis 90b StGB); dd) Landesverrat und Gefährdung der äußeren Sicherheit (§§ 94 bis 100a StGB); ee) Straftaten gegen die Landesverteidigung (§§ 109 bis 109k StGB); ff) Straftaten nach §§ 129, 129a StGB; gg) die in § 129a Abs. 1 Nr. 1-3 StGB aufgeführten Straftaten, sofern durch die Tat die innere Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland gefährdet worden ist; hh) Straftaten nach dem Außenwirtschaftsgesetz; ii) Straftaten nach dem Gesetz über die Kontrolle von Kriegswaffen", BGBl. 1994 II, 633.
    46 Bull. Nr. 2 vom 12.1.1994, 10.
    47 Ibid.
    48 BT-Drs. 12/8048, Woche im Bundestag 14/94, 9. Zu den unterschiedlichen Ansichten über die Beteiligungsrechte des Bundesrates, siehe oben unter II Ziff. 8.
    49 Bull. Nr. 38 vom 29.4.1994, 338.
    50 Ziff. 2 des Kommuniqués; siehe Walter (Anm. 29), Ziff. 22. Zu den Verzögerungen bei der Herstellung der Betriebsbereitschaft des Systems und ihren Ursachen hat die Bundesregierung wiederholt auf Anfragen im Bundestag Stellung genommen, siehe BT-Drs. 12/6856, 11, BT-Drs. 12/6692, 7; Woche im Bundestag 12/94 vom 22.6.1994, 15.
    51 Kommuniqué, Ziff. 12.
    52 Siehe unten, Ziff. 61 f.
    53 BT Drs. 13/24. Das Zustimmungsgesetz ist am 11.9.1995 beschlossen worden, BGBl. 1995 II, 738.
    54 Dok. SCH/Com-ex (94) 29 rev. 2 vom 22.12.1994.
    55 Belgien, Deutschland, Frankreich, Luxemburg, Niederlande.
    56 Antwort der Bundesregierung, BT-Drs. 12/6692, 8.
    57 Antwort der Bundesregierung, BT-Drs. 12/6856, 11.
    58 Antwort der Bundesregierung, BT-Drs. 12/6692, 4.
    59 Bull. Nr. 104 vom 10.11.1994, 955.
    60 Innenpolitik VI/94, 9.