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Völkerrechtliche Praxis der Bundesrepublik Deutschland im Jahre 1994


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Peter-Tobias Stoll

XVII. Friedenssicherung und Kriegsrecht

c. Kollektive militärische und nicht-militärische Maßnahmen

    326. Mehrfach bekräftigte der NATO-Rat im Berichtszeitraum seine Entschlossenheit, mit militärischen Aktionen in den Krieg in Bosnien-Herzegowina einzugreifen, und ermächtigte seine militärischen Kommandostrukturen entsprechend. Er beschloß NATO-Schläge aus der Luft gegen schwere Waffen, aber auch militärische Einrichtungen innerhalb814 und außerhalb der Sperrzone Sarajewos815, zur Abwendung von Übergriffen auf die Schutzzone Gorazde816, Bihac, Srebrenica, Tuzla und Cepa.817

    327. In seiner Erklärung zu dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 12. Juli 1994818 erklärte der Bundesaußenminister, daß nun kein erkennbarer Grund mehr bestehe, an den seinerzeit beschlossenen Einsatzbeschränkungen bei den Adria- und AWACS-Operationen festzuhalten. Er führte aus:

    "Das heißt: In Zukunft sollten sich die deutschen Schiffe auch an der Aufbringung von Embargobrechern beteiligen und die dafür vorgesehenen Einsatzregeln anwenden können. Zur Durchsetzung des Flugverbotes sollten deutsche Soldaten im Rahmen des NATO-AWACS-Verbandes auch bei Flügen außerhalb des NATO-Territoriums mitfliegen können."819
    Am 19. Juli 1994 stellte die Bundesregierung entsprechend dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts im Bundestag einen Antrag im Hinblick auf die deutsche Beteiligung an Maßnahmen von NATO und WEU zur Durchsetzung von Beschlüssen des Sicherheitsrates der Vereinten Nationen zum Adria-Embargo und Flugverbot über Bosnien-Herzegowina.820 In dem Antrag führte die Bundesregierung aus, sie habe am 15. Juli 1994 beschlossen, den Deutschen Bundestag um möglichst baldige Zustimmung zur deutschen Beteiligung an den beiden Operationen entsprechend des Kabinettsbeschlusses zu bitten. Der Kabinettsbeschluß sieht vor, daß sich deutsche Schiffseinheiten und Flugzeuge an der Durchsetzung des Adria-Embargos einschließlich der Zwangsmaßnahmen ("Stop and Search") und mit den deutschen Anteilen an der Durchsetzung des Flugverbotes über Bosnien-Herzegowina im Rahmen des NATO-AWACS-Verbandes beteiligen. Damit erteile die Bundesregierung den deutschen Streitkräften die Erlaubnis, an den Maßnahmen von NATO und WEU zur Durchsetzung des Adria-Embargos und des Flugverbotes über Bosnien-Herzegowina unter Nutzung der gesamten Gebiete der NATO/WEU-Operationsplanung teilzunehmen. Weiterhin heißt es in dem Antrag:
    "Durch den Kabinettsbeschluß vom 15. Juli 1994 hat die Bundesregierung beschlossen, die bisherige Teilnahme an den beiden Operationen bis zur Erteilung der konstitutiven parlamentarischen Zustimmung im bisherigen Rahmen vorläufig fortzuführen. Gleichzeitig hat das Bundeskabinett beschlossen, die deutsche Beteiligung an den beiden Operationen ab Zustimmung des Deutschen Bundestages an die für die übrigen Bündnispartner gültigen Einsatzpläne der NATO und WEU anzupassen."
    Auf einer Sondersitzung am 22. Juli 1994 stimmte der Bundestag dem Antrag der Bundesregierung zu.821

    328. Zu nicht-militärischen kollektiven Maßnahmen, u.a. gegen Haiti und den Sudan, s.o. Ziff. 234, 268.


    814 Beschluß des NATO-Rates vom 9.2.1994, Ziff. 10, Bull. Nr. 16 vom 22.2.1994, 152.
    815 Ibid., Ziff. 11.
    816 Entscheidung des NATO-Rates vom 22.4.1994 zu Gorazde, Bull. Nr. 39 vom 2.5.1994, 346.
    817 Beschluß des NATO-Rates vom 22.4.1994 zum Schutz der VN-Schutzzonen in Bosnien-Herzegowina, Bull. Nr. 39 vom 2.5.1994, 347.
    818 Siehe soeben oben, Ziff. 323 f.
    819 Bull. Nr. 70 vom 26.7.1994, 657.
    820 BT-Drs. 12/8303.
    821 Woche im Bundestag 15/94 vom 14.12.1994, 74.