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Völkerrechtliche Praxis der Bundesrepublik Deutschland im Jahre 1995


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Rainer Grote

II. Auswärtige Gewalt und Bundesländer

    8. Im Zusammenhang mit der Verabschiedung des Gesetzes über die Rechtsstellung ausländischer Streitkräfte bei vorübergehenden Aufenthalten in der Bundesrepublik Deutschland vom 20. Juli 199518 war die Zusammenarbeit von Bund und Ländern in außen- und sicherheitspolitischen Fragen Gegenstand einer Kontroverse zwischen Bundesrat und Bundesregierung. Art. 1 Abs. 1 des Gesetzes ermächtigt die Bundesregierung, Vereinbarungen mit ausländischen Streitkräften über Einreise und vorübergehenden Aufenthalt ihrer Streitkräfte in der Bundesrepublik für Übungen, Durchreise auf dem Landwege und Ausbildung von Einheiten durch Rechtsverordnung ohne Zustimmung des Bundesrates in Kraft zu setzen. Nach Art. 1 Abs. 3 werden die betroffenen Bundesländer beteiligt. In seiner Stellungnahme zu dem Gesetzentwurf kritisierte der Bundesrat, daß mit dieser Bestimmung eine tatsächliche Mitwirkung der Länder nicht sichergestellt sei. Auch unter Beachtung der verteidigungspolitischen Vereinbarungs-Abschlußkompetenz des Bundes müßten innerstaatliche Interessen bei der Durchführung der Vereinbarungen ausreichend berücksichtigt werden. Die jeweiligen Durchführungen könnten z.B. die Menschen in Übungsgebieten der ausländischen Streitkräfte in unterschiedlichem Maß belasten. Der Bundesrat schlug daher eine Fassung der Vorschrift vor, die vorsah, daß mit den jeweils von den Vereinbarungen betroffenen Ländern vor der Durchführung "Einvernehmen" herzustellen ist.19 Die Bundesregierung wies den Änderungsvorschlag zurück und führte zur Begründung aus:

    "Die Mitwirkung der betroffenen Länder an den Vereinbarungen mit ausländischen Staaten wird durch die im Gesetzentwurf vorgesehene Beteiligung sichergestellt. Dies schließt eine frühzeitige Kontaktaufnahme und eine umfassende Berücksichtigung möglicher Bedenken eines betroffenen Landes ein."20
    Die Ausgestaltung der Beteiligung im einzelnen wurde im Lauf des Gesetzgebungsverfahrens dargelegt. Dabei wurde deutlich gemacht, daß Art und Umfang der Übungen deutlich begrenzt und alle Übungen in das NATO-Übungsprogramm bzw. in das nationale Übungsgeschehen integriert sind. Das Bundesministerium der Verteidigung hat darüber hinaus angeboten, den Ländern Vereinbarungsentwürfe zuzuleiten und gegebenenfalls Bedenken und Einwendungen mit ihnen zu erörtern, bevor die Verhandlungen mit dem ausländischen Staat abgeschlossen werden. Die betroffenen Länder werden auch in die Übungsplanung frühzeitig miteinbezogen, wobei die bisherige Praxis, auf die Interessen der Länder Rücksicht zu nehmen, fortgesetzt wird.21

    9. Im Berichtszeitraum wurde der Abschluß eines Deutsch-Französisch-Schweizerischen Abkommens über die grenzüberschreitende Zusammenarbeit von Gebietskörperschaften und anderen öffentlichen Stellen durch Meinungsverschiedenheiten zwischen Bund und Ländern über die Vertragsabschlußkompetenz verzögert. Auf eine Parlamentarische Anfrage erklärte die Bundesregierung hierzu:

    "Die Bundesregierung hat großes Interesse am Abschluß eines Abkommens mit Frankreich und der Schweiz zur grenzüberschreitenden Zusammenarbeit von Gebietskörperschaften und anderen öffentlichen Stellen. Sie hat dazu von der Deutsch-Französisch-Schweizerischen Regierungskommission zur Prüfung und Lösung von nachbarschaftlichen Fragen am 15. September 1993 den Auftrag bekommen. Auf dieser Grundlage hat die Bundesregierung in enger Abstimmung mit den Ländern Baden-Württemberg und Rheinland-Pfalz einen deutschen Abkommensentwurf erarbeitet. Aus verfassungsrechtlichen Gründen fällt der Abschluß eines solchen Abkommens in die Zuständigkeit des Bundes. Durch die Forderung der Länder nach Abschluß gemischter Abkommen (d.h. Bund und Länder als Vertragsparteien auf deutscher Seite) sieht sich die Bundesregierung zur Zeit daran gehindert, Vertragsverhandlungen mit den genannten Nachbarstaaten aufzunehmen. Sie bemüht sich derzeit intensiv, die Zustimmung der Länder zur Verhandlungsaufnahme durch den Bund herbeizuführen, um möglichst umgehend in Verhandlungen einzutreten".22

    10. Im Gesetzgebungsverfahren zu dem von der Bundesregierung am 15. Februar 1995 unterzeichneten Übereinkommen über die Sicherheit von Personal der Vereinten Nationen und beigeordnetem Personal (dazu noch unten XVII. 5., Ziff. 307) wies der Bundesrat darauf hin, daß nach der "Lindauer Absprache" die Ratifikation des Übereinkommens das Einverständnis sämtlicher Länder voraussetze:

    "2. Der Bundesrat stellt ... in Übereinstimmung mit dem entsprechenden Beschluß der Ständigen Vertragskommission der Länder vom 13. September 1995 fest, daß das Übereinkommen in den Anwendungsbereich von Nummer 3 der 'Lindauer Absprache' fällt, da ausschließliche Kompetenzen der Länder im Bereich der polizeilichen Gefahrenabwehr (Artikel 7 Abs. 2 und Artikel 11) berührt sind. Das Übereinkommen kann daher erst ratifiziert werden, wenn sämtliche Länder ihr Einverständnis erklärt haben.
    3. In der Denkschrift zu dem Übereinkommen wird in den Ausführungen zu Artikel 12 hinsichtlich der Weitergabe polizeidienstlicher Informationen zur strafrechtlichen Verfolgung die Abgabe einer erläuternden Erklärung bei der Hinterlegung der Ratifikationsurkunde angekündigt. Die Bundesregierung wird gebeten, den Ländern den beabsichtigten Inhalt dieser Erklärung möglichst frühzeitig zu übermitteln, um es den Ländern zu ermöglichen, diesen Aspekt bei den nach der 'Lindauer Absprache' erforderlichen Zustimmungen der Länder in den Entscheidungsprozeß einbeziehen zu können."23
    In ihrer Gegenäußerung versicherte die Bundesregierung:
    "Die Bundesregierung wird im Zusammenhang mit dem o.a. Übereinkommen die 'Lindauer Absprache' beachten.
    Die Bundesregierung wird den Ländern möglichst frühzeitig den beabsichtigten Inhalt der erläuternden Erklärung zu Artikel 12 des Übereinkommens zur Kenntnis geben."24

    11. Im Gesetzgebungsverfahren zu dem Geheimschutzübereinkommen der WEU vom 28. März 1995, das die Schaffung einheitlicher Sicherheitsgrundsätze und -mindeststandards für den Umgang mit geheimhaltungsbedürftigen Informationen und Unterlagen in den WEU-Mitgliedstaaten zum Gegenstand hat25, forderte der Bundesrat die Bundesregierung auf, im Ratifizierungsverfahren durch eine Protokollerklärung sicherzustellen, daß nicht unmittelbar von der WEU-Ebene Einfluß auf die Tätigkeit der Verfassungsschutzbehörden der Länder genommen werden kann. Zur Begründung wurde ausgeführt:

    "Die in Artikel 2 des Übereinkommens gewählte Formulierung ist ungenau und könnte beinhalten, daß die Vertragsstaaten der WEU unmittelbar Einfluß auf die nationalen Aufgaben der Verfassungsschutzbehörden des Bundes und der Länder nehmen könnten, indem in die dort angesprochenen Sicherheitsgrundsätze und -mindeststandards Aufgaben und Ziele übernommen würden, die in den Verfassungsschutzgesetzen des Bundes und der Länder nicht normiert sind. Dies würde den Interessen der Länder entgegenstehen, die in eigener Kompetenz ihre Aufgaben festlegen. Ein internationales Übereinkommen, das der Festlegung von Sicherheitsstandards dient, darf nicht die von den nationalen Sicherheitsbehörden wahrzunehmenden Aufgaben regeln."26
    In ihrer Gegenäußerung erklärte die Bundesregierung:
    "Die Bundesregierung teilt nicht die Besorgnis des Bundesrates, durch das WEU-Geheimschutzübereinkommen könnte Einfluß auf die nationalen Aufgaben des Verfassungsschutzes der Länder ausgeübt werden. Gleichwohl ist die Bundesregierung bereit, der Forderung des Bundesrates zu entsprechen und anläßlich der Überreichung der Ratifikationsurkunde folgende Protokollerklärung abzugeben:
    'Die Bundesrepublik Deutschland möchte diese Gelegenheit zum Anlaß nehmen, zum Ausdruck zu bringen, daß sie die in Artikel 2 des Geheimschutzübereinkommens der WEU vom 28. März 1995 enthaltenen Verpflichtungen dahin gehend versteht, daß diese ausschließlich darauf gerichtet sind, den Schutz von Verschlußsachen der WEU in den WEU-Mitgliedstaaten zu gewährleisten. Die Bestimmungen des Artikels 2 bilden aus der Sicht der Bundesrepublik Deutschland keine völkerrechtliche Grundlage für eine Einflußnahme der WEU auf die in der Bundesrepublik Deutschland gesetzlich geregelten Aufgaben der Verfassungsschutzbehörden der Länder der Bundesrepublik Deutschland.' "27


    18 BGBl. 1995 II, 554. Siehe im einzelnen unten XVIII.1., Ziff. 311.
    19 Stellungnahme des Bundesrates, BT-Drs. 13/730, 17 (Anlage 2).
    20 Stellungnahme der Bundesregierung, BT-Drs. 13/730, 19 (Anlage 3).
    21 Dieter Fleck, Zur Neuordnung des Aufenthaltsrechts für ausländische Streitkräfte in Deutschland, ZaöRV 56 (1996), 400.
    22 BT-Drs. 13/344, 1. Das Übereinkommen ist am 23.1.1996 von der Bundesrepublik Deutschland, der Französischen Republik, dem Großherzogtum Luxemburg und dem Schweizerischen Bundesrat, letzterer handelnd im Namen der Kantone Solothurn, Basel-Stadt, Basel-Landschaft, Aargau und Jura, unterzeichnet worden, BGBl. 1997 II, 1159. Die Länder Baden-Württemberg, Rheinland-Pfalz und Saarland haben im Laufe des Jahres 1996 die entsprechenden Zustimmungsgesetze erlassen, GBl. Baden-Württemberg 1996, 173; GVBl. Rheinland-Pfalz 1997, 9; GBl. Saarland 1996, 802. Das Zustimmungsgesetz des Bundestages ist am 23.6.1997 ergangen, BGBl. 1997 II, 1158.
    23 BT-Drs. 12/2837, 21 (Anlage 2).
    24 Ibid. (Anlage 3).
    25 BGBl. 1997 II, 1381. Dazu unten XVI.2., Ziff. 280.
    26 BT-Drs. 13/5320, 12 (Anlage 2).
    27 Ibid. (Anlage 3).