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Völkerrechtliche Praxis der Bundesrepublik Deutschland im Jahre 1995


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Rainer Grote

XIII. Umwelt- und Naturschutz

1. Allgemeiner Umweltschutz

    203. In seiner Rede auf der ersten Vertragsstaatenkonferenz der Klimarahmenkonvention der Vereinten Nationen am 5. April 1995 in Berlin zog Bundeskanzler Kohl eine kritische Zwischenbilanz der Umsetzung des Konzepts der nachhaltigen Entwicklung seit der Konferenz für Umwelt und Entwicklung 1992 in Rio de Janeiro:

    "Von Rio ist ein entscheidender Impuls, ja ein deutliches Signal der Hoffnung ausgegangen. Im Zuge der weltweiten Rezession der zurückliegenden Jahre hat sich dieser erfreuliche Prozeß jedoch nicht so dynamisch entwickelt, wie wir dies erwartet haben. Nationale Egoismen drängten stärker in den Vordergrund. Eine wirtschaftliche Erholung wurde vielfach unter Vernachlässigung der Umwelterfordernisse angestrebt. Gemeinsame Anstrengungen für zukunftsweisende und zukunftssichernde Entwicklungen wurden zurückgestellt.
    Dies zeigt, daß der Gedanke der nachhaltigen Entwicklung � Kernbotschaft von Rio � noch nicht in ausreichendem Maße das Denken und Handeln der Staaten bestimmt. Es ist aber ein gefährlicher Irrtum anzunehmen, eine positive wirtschaftliche Entwicklung ließe sich auf Dauer auf Kosten von Umwelt und Natur erreichen."440
    Angesichts dieser Entwicklung setzte sich der Bundeskanzler für eine Intensivierung der umweltpolitischen Zusammenarbeit zwischen den Staaten und für eine institutionelle Stärkung des Umweltschutzes im Bereich der internationalen Organisationen ein:
    "Wir dürfen nicht die Augen davor verschließen, daß die weltweiten Umweltprobleme weiter rapide wachsen. Kein Staat der Erde ist in der Lage, die aus globalen Klimaänderungen erwachsenden Gefährdungen seines Landes und seiner Bevölkerung jetzt oder in Zukunft allein zu bewältigen. Wir müssen begreifen: Diese eine Welt fordert von uns gemeinsames Handeln.
    Auch im Konzert der internationalen Organisationen sollte die Stimme des weltweiten Umweltschutzes stärker Gehör finden. Ich meine, wir sollten innerhalb der UN-Organisationen den internationalen Umweltschutz institutionell so straffen und verstärken, daß diese Aufgabe künftig effektiver wahrgenommen werden kann."441

    204. Die Rolle der internationalen Institutionen bei der Bewältigung der globalen Umweltprobleme war 1995 mehrfach Gegenstand von Stellungnahmen der Regierungschefs und Umweltminister der sieben führenden Industriestaaten ("G 7").442 In dem Abschlußkommuniqu� des Weltwirtschaftsgipfels 1995 in Halifax heißt es hierzu:

    "Wir befürworten eine klarere Abgrenzung der Mandate von CSD und UNEP (Umweltprogramm der Vereinten Nationen). Die CSD sollte das globale Forum zur Bestimmung und Vereinbarung langfristiger strategischer Ziele für eine nachhaltige Entwicklung sein. UNEP sollte als internationales Sprachrohr und Schaltstelle im Umweltbereich fungieren. Sie sollte sich auf die Überwachung, Bewertung und Entwicklung des internationalen Umweltrechts konzentrieren."443

    205. Auf der 3. Sitzung der Kommission der Vereinten Nationen für nachhaltige Entwicklung (CSD) stand das Thema Wälder im Mittelpunkt der Diskussionen. Wichtigstes Ergebnis war die Einsetzung eines Zwischenstaatlichen Waldpanels (Intergovernmental Panel on Forests � IPF), das bis 1997 eine Bestandsaufnahme der laufenden Arbeiten zur Umsetzung des Waldkapitels der Agenda 21 und der Waldgrundsatzerklärung von Rio sowie Vorschläge zum weiteren Vorgehen erarbeiten soll. Darüber hinaus wurden für die Bereiche "Veränderung von Konsum- und Produktionsmustern", "Indikatoren" und "Technologietransfer" Arbeitsprogramme verabschiedet.444

    206. Im Rahmen einer Kleinen Anfrage zu Umweltschutzstandards im freien Welthandel nahm die Bundesregierung im Berichtszeitraum grundsätzlich zu der Problematik der Verankerung ökologischer Mindeststandards in multilateralen Übereinkommen Stellung. Sie wies darauf hin, daß die Vereinbarung solcher Mindeststandards mit erheblichen Schwierigkeiten verbunden und daher bisher nicht in nennenswertem Umfang erfolgt sei:

    "Die Bundesregierung verfolgt mit Nachdruck die Zielsetzung, daß freier Handel und Wirtschaftswachstum sowie die Umwelt- und Gesundheitspolitik so ausgerichtet werden, daß diese Politikbereiche sich gegenseitig unterstützen und eine nachhaltige Entwicklung fördern, wie es auch in Kapitel 2, Abschnitt B der Agenda 21 niedergelegt ist. [...]
    Die Bundesregierung befürwortet grundsätzlich die Einführung ökologischer Mindeststandards in entsprechenden multilateralen Konventionen, wobei jedoch die unterschiedlichen Umweltbedingungen berücksichtigt werden sollten. Sie setzt sich in internationalen Organisationen wie CSD, UNEP und UNCTAD, WTO und OECD für dieses Ziel ein. [...]
    Viele Entwicklungsländer, aber auch Industrieländer, lehnen ökologische Mindeststandards jedoch strikt ab. Sie befürchten einen zu weitgehenden Eingriff in ihre Souveränität und eine unzureichende Berücksichtigung ihrer besonderen Umweltbedingungen und wirtschaftlichen Interessen. Infolgedessen ist auch die Frage, welche Umweltschutzanforderungen als 'verantwortlich' zu bezeichnen sind, naturgemäß in der internationalen Umweltpolitik sehr umstritten. Erfolge bei der Entwicklung und Durchsetzung ökologischer Mindeststandards sind daher nur längerfristig zu erwarten. Hierbei kommt dem Nachfolgeprozeß der UN-Konferenz für Umwelt und Entwicklung in Rio 1992 eine wesentliche Rolle zu."445
    In diesem Zusammenhang setzte sich die Bundesregierung auch mit der Implementierungskontrolle bei internationalen Umweltschutzstandards auseinander:
    "Soweit es bei der Vereinbarung von internationalen Umweltschutzstandards zu Fortschritten kommen sollte, sollte nach Ansicht der Bundesregierung auch erwogen werden, Verfahren zur Kontrolle der Einhaltung dieser Standards, wie z.B. Schlichtungsverfahren, die bei Nichteinhaltung von Verpflichtungen aktiviert werden können, einzubeziehen. Berichtspflichten, Zertifizierungs- und Akkreditierungsverfahren wären weitere denkbare Instrumente, die auf dem Gebiet der Qualitätssicherung bereits angewandt werden."446

    207. Breiten Raum nahm im Berichtszeitraum ferner die bilaterale Zusammenarbeit mit anderen Staaten, insbesondere mit den Ländern Mittel- und Osteuropas im Bereich des Umweltschutzes ein. Die Zusammenarbeit mit Polen im Rahmen des Deutsch-Polnischen Umweltrates wurde weiter vertieft. Die Arbeiten an dem Projekt einer gemeinsamen Kläranlage in Swinemünde447 wurden planmäßig vorangetrieben und weitere Projekte derselben Art in Guben/Gubin448, Piensk und Zgorzelec vorbereitet.449 Darüber hinaus wurde eine stärkere Zusammenarbeit auf internationaler Ebene verabredet, so durch die Prüfung der Möglichkeit für die Durchführung von Pilotprojekten für die "Joint Implementation" im Rahmen der Klimarahmenkonvention der Vereinten Nationen.450 Ferner unterzeichnete die Bundesregierung im Berichtszeitraum das Abkommen mit der Tschechischen Republik über die Zusammenarbeit auf dem Gebiet der Wasserwirtschaft an den Grenzgewässern, das auch Maßnahmen zum Schutz und zur Verbesserung der Wasserqualität vorsieht.451 Mit der Ukraine wurde in Ausfüllung des deutsch-ukrainischen Rahmenabkommens über die umweltpolitische Zusammenarbeit beider Staaten vom 10. Juni 1993 eine gemeinsame Arbeitsgruppe zu den Fragen des Klimaschutzes im Bereich von Umwelt und Energie eingerichtet.452 Die Bundesregierung begrüßte die Entscheidung der ukrainischen Regierung, das Kernkraftwerk Tschernobyl bis zum Jahr 2000 stillzulegen, und sicherte zu, im internationalen Rahmen ihren Beitrag zur technischen und finanziellen Hilfe zu leisten, damit das Kernkraftwerk wie geplant geschlossen werden kann.453


    440 Bull. Nr. 30 vom 12.4.1995, 249.
    441 Ibid.
    442 Treffen der G 7-Umweltminister in Hamilton (Kanada) vom 28.4. bis 2.5.1995, Umwelt Nr. 7-8/1995, 263; Erklärung der Staats- und Regierungschefs der G 7-Staaten in Halifax (Kanada) vom 17.6.1995, Umwelt Nr. 7-8/1995, 262.
    443 Umwelt Nr. 7-8/1995, 262.
    444 Umwelt Nr. 6/1995, 222 f.
    445 BT-Drs. 13/926, 2 f.
    446 Ibid., 8.
    447 Dazu bereits ausführlich Walter (Anm. 10), Ziff. 162 und Stoll (Anm. 10), Ziff. 192.
    448 Zu dem Abkommen vom 11.4.1995 über die Durchführung des gemeinsamen Umweltschutzpilotprojekts "Abwasserbehandlungsanlage Gubin-Guben" s. oben XII.7., Ziff. 202.
    449 Umwelt Nr. 9/1995, 312.
    450 Ibid.
    451 Dazu eingehend oben XII.7., Ziff. 197.
    452 Gemeinsame Erklärung der Bundesministerin für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit und des Ministers für Umweltschutz und atomare Sicherheit der Ukraine vom 4.7.1995 über die Zusammenarbeit auf dem Gebiet des Klimaschutzes im Bereich "Umwelt und Energie", Umwelt Nr. 9/1995, 311.
    453 Ibid.