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Völkerrechtliche Praxis der Bundesrepublik Deutschland im Jahre 1995


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Rainer Grote

XIII. Umwelt- und Naturschutz

2. Gewässerschutz


    208. Die Bundesregierung leitete am 29. Juni 1995 das Ratifikationsverfahren zu dem Übereinkommen vom 29. Juni 1994 zum Schutz und zur verträglichen Nutzung der Donau (Donauschutzübereinkommen) ein.454 Das Übereinkommen stellt die erste völkerrechtlich verbindliche Grundlage für Maßnahmen zum Umweltschutz im Einzugsgebiet der Donau dar. Es ist als konkretisierendes Abkommen zur Umsetzung des Übereinkommens zum Schutz grenzüberschreitender Wasserläufe455 für das Einzugsgebiet der Donau ausgestaltet.456 Zur Verwirklichung der Ziele und Bestimmungen des Übereinkommens ist die Errichtung einer Internationalen Kommission zum Schutz der Donau (Donauschutzkommission) vorgesehen (Art. 18). Die Zusammenarbeit der Vertragsparteien vollzieht sich durch Beratungen und gemeinsame Aktivitäten im Rahmen der Kommission sowie durch Informationsaustausch über bi- und multilaterale Übereinkommen, gesetzliche Regelungen und Maßnahmen auf dem Gebiet der Wasserwirtschaft (Art. 4). Im Rahmen der multilateralen Zusammenarbeit werden die Vertragsparteien rechtliche, administrative und technische Maßnahmen ergreifen, um einen wirksamen Gewässerschutz und eine verträgliche Wassernutzung zu gewährleisten (Art. 5). In Art. 7 des Übereinkommens ist vorgesehen, daß die Vertragsparteien unter Berücksichtigung der Vorschläge der Internationalen Kommission Emissionsbegrenzungen für individuelle Branchen und Betriebe festsetzen, die auf Schmutzfrachten und Konzentrationen ausgerichtet sind, wobei möglichst abfallarme und abfallfreie Technologien an der Anfallstelle zugrunde gelegt werden. Wo gefährliche Stoffe eingeleitet werden, beruhen die Emissionsbegrenzungen auf dem Stand der Technik für die Bekämpfung an der Anfallstelle und/oder die Abwasserreinigung. Ergänzende Bestimmungen zur Vermeidung oder Verringerung des Eintrages von gefährlichen Stoffen werden von den Vertragsparteien für diffuse Quellen unter Berücksichtigung der besten Umweltpraxis entwickelt. Die Vertragsparteien erstellen periodische Inventare über die maßgeblichen Punktquellen und diffusen Quellen der Verschmutzung im Einzugsgebiet der Donau einschließlich der Vermeidungs- und Bekämpfungsmaßnahmen, die für die betreffenden Einleitungen bereits ergriffen worden sind. Auf der Grundlage dieser Inventare stellen sie eine Liste weiterer, schrittweise zu verwirklichender Vermeidungs- und Bekämpfungsmaßnahmen auf, soweit dies zur Erreichung der Ziele des Übereinkommens erforderlich ist (Art. 8).
    Anlage I zu dem Übereinkommen enthält eine Definition der Begriffe "Stand der Technik" und "Beste Umweltpraxis", Anlage IV das Statut der Kommission, deren Ständiges Sekretariat seinen Sitz in Wien nehmen wird. Anlage V regelt die Einzelheiten des Schiedsverfahrens für die Beilegung von Streitigkeiten aus dem Übereinkommen. Nach Art. 24 des Übereinkommens sollen die Vertragsparteien die Streitigkeit entweder dem Schiedsgericht oder dem Internationalen Gerichtshof zu bindender Entscheidung vorlegen, wenn sie ihre Meinungsverschiedenheit nicht innerhalb eines Zeitraums von zwölf Monaten nach Benachrichtigung der Donauschutzkommission beilegen können (Art. 24).

    209. Die Bundesregierung nahm im Berichtszeitraum ferner zu parlamentarischen Fragen zu der geplanten Versenkung der ausgedienten Ölplattform "Brent Spar" im Atlantik Stellung. Für die seit 1976 als Zwischenlager betriebene und 1991 stillgelegte Anlage lief 1995 die Betriebsgenehmigung aus. Die britische Regierung hatte der britischen Shell die Genehmigung zur Versenkung der Plattform im Meer erteilt. Zur völkerrechtlichen Bewertung dieses Vorgangs führte die Bundesregierung aus:

    "Die britische Regierung hat die Vertragsparteien des Übereinkommens über den Schutz der Meeresumwelt des Nordostatlantiks (OSPAR-Übereinkommen) durch das OSPAR-Sekretariat über die Genehmigung der Versenkung der Brent-Spar-Offshore-Anlage in der Tiefsee des Nordostatlantiks informiert. [...]
    Nach dem auch für das Vereinigte Königreich geltenden Übereinkommen zur Verhütung der Meeresverschmutzung durch Schiffe und Luftfahrzeuge vom 15. Februar 1972 (Oslo-Übereinkommen, BGBl. II 1977 S. 165) und auch nach dem neuen OSPAR-Übereinkommen vom 22. September 1992 (BGBl. II S. 1355), das international noch nicht in Kraft getreten ist, aber durch politische Erklärung der Zeichnerstaaten bereits Anwendung findet, kann in besonders begründeten Einzelfällen die Versenkung von Plattformen genehmigt werden. Dabei sind alle nur möglichen Maßnahmen zu unternehmen, um eine Verschmutzung der Meeresumwelt zu verhüten.
    Die übrigen Vertragsstaaten sind von der Genehmigung zu informieren, und es ist Gelegenheit zu Konsultationen zu geben.
    Die von der britischen Regierung zur Verfügung gestellten gutachterlichen Unterlagen sehen die mit der Einbringung der Anlage verbundene Meeresverschmutzung mit dem Hinweis auf die starke Verdünnung durch das Meerwasser als vernachlässigbar an.
    Nach den vorliegenden Unterlagen entspricht die Versenkung der Anlage "Brent Spar" nach Einschätzung der Bundesregierung nicht dem in dem genannten Meeresschutz-Übereinkommen verankerten Vorsorgeprinzip.
    Das Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit hat sich deshalb in einem Schreiben vom 9. Mai 1995 an das für die Genehmigung verantwortliche britische Ministerium für Landwirtschaft, Fischerei und Ernährung nachdrücklich gegen das Vorhaben ausgesprochen."457

    210. Die Bundesregierung setzte sich auf der 4. Internationalen Nordseeschutz-Konferenz am 8./9. Juni 1995 in Esbjerg (Dänemark) nachdrücklich für die landseitige Entsorgung von Offshore-Anlagen ein.458 Die Umweltminister der Nordsee-Anrainerstaaten kamen dabei überein, daß solche Anlagen grundsätzlich an Land zu entsorgen seien. Die beiden Hauptbetreiberländer Norwegen und Großbritannien behielten sich allerdings Ausnahmen für besondere Fälle vor.459 Im Rahmen des OSPAR-Übereinkommens wurde ein Moratorium bei der Versenkung von Offshore-Anlagen bis zu einem verbindlichen Beschluß zur Landentsorgung vereinbart.460

    211. Auf der 18. Konsultativsitzung der Vertragsstaaten des Londoner Übereinkommens von 1972 über die Verhütung der Meeresverschmutzung durch das Einbringen von Abfällen und anderen Stoffen vom 4. bis 8. Dezember 1995 wurde vereinbart, Ende 1996 auf einer diplomatischen Konferenz ein Änderungsprotokoll zu unterzeichnen. Durch das Änderungsprotokoll soll die Systematik des Übereinkommens grundlegend umgestaltet werden. Während das Londoner Übereinkommen von 1972 Einbringungsverbote für bestimmte Stoffe und Abfälle vorsieht, zu denen ab 1996 auch radioaktive Stoffe und Industrieabfälle gehören, soll im neuen Übereinkommen dem Vorsorgeprinzip entsprechend ein generelles Verbot für das Einbringen von Abfällen verankert werden, von dem nur eng begrenzte Ausnahmen zugelassen werden.461 Die Umsetzung dieser neuen Regelung erfordert insbesondere von den Entwicklungsländern, die heute noch die Entsorgung im Meer praktizieren, den Aufbau entsprechender Entsorgungsstrukturen an Land. Um diesen Staaten den Beitritt zum neuen Übereinkommen zu erleichtern, soll dieser Umweltbereich im Rahmen der bestehenden bilateralen und internationalen technischen Zusammenarbeit stärker berücksichtigt werden. In der Folge der Ereignisse um die "Brent Spar" wurde ferner von Dänemark, das darin von der Bundesrepublik unterstützt wurde, die Forderung nach einem weltweiten Moratorium für das Versenken von Plattformen eingebracht. Über zwei Drittel der teilnehmenden Staaten lehnten das Moratorium strikt ab. Die "Scientific Group" wurde aber mit der Bewertung der bestehenden Richtlinien und Regeln beauftragt.462 Die Bundesregierung bewertete die Beschlüsse zur neuen Konvention trotz aller Schwächen als eine deutliche Verbesserung gegenüber dem bestehenden Übereinkommen. Obwohl abzusehen sei, daß eine Reihe der deutschen Vorschläge nicht akzeptiert werde, werde Deutschland weiterhin aktiv mitarbeiten und bei der diplomatischen Konferenz, bei der über alle noch offenen Fragen entschieden werden soll, weitere Verbesserungsvorschläge einbringen.463

    212. Am 15. Mai 1995 trat für die Bundesrepublik Deutschland das Internationale Übereinkommen von 1990 über die Vorsorge, Bekämpfung und Zusammenarbeit auf dem Gebiet der Ölverschmutzung in Kraft.464

    213. Zur bilateralen Zusammenarbeit im Bereich des Gewässerschutzes mit der Tschechischen Republik und Polen s. oben XII.7., Ziff. 197, 202.


    454 BT-Drs. 13/1884. Das Zustimmungsgesetz zu dem Übereinkommen ist am 3.6.1996 ergangen, BGBl. 1996 II, 874.
    455 BGBl. 1994 II, 2334.
    456 Denkschrift zu dem Übereinkommen, BT-Drs. 13/1884, 35.
    457 BT-Drs. 13/1605, 55 f.; BT-Drs. 13/1786, 25.
    458 BT-Drs. 13/1605, 56.
    459 Umwelt Nr. 9/1995, 323.
    460 Umwelt Nr. 2/1996, 71.
    461 Umwelt Nr. 2/1996, 70 f.
    462 Ibid., 71.
    463 Ibid., 72.
    464 BGBl. 1995 II, 570.