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Völkerrechtliche Praxis der Bundesrepublik Deutschland im Jahre 1995


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Rainer Grote

XIV. Außenwirtschaftsverkehr und Welthandelsordnung

2. Außenwirtschaftskontrollrecht

    232. Am 1. Juli 1995 trat die Verordnung (EG) Nr. 3381/94 des Rates vom 19. Dezember 1994518 über eine Gemeinschaftsregelung der Ausfuhrkontrolle von Gütern mit doppeltem Verwendungszweck in Kraft.519 Die Verordnung schafft erstmals gemeinschaftsweit einheitliche Standards für die Kontrolle des Exports von Gütern mit doppeltem Verwendungszweck, d.h. Gütern, die sowohl zivilen als auch militärischen Zwecken zugeführt werden können ("Dual use"). Die für die 15 Mitgliedstaaten der EU einheitlich geltenden Vorschriften betreffen fast alle Industriezweige, wie z.B. allgemeiner Werkzeugmaschinenbau, Feinmechanik/Optik, Elektrotechnik, Telekommunikation, Chemie, Fahrzeugbau und Luftfahrtindustrie. Die Verordnung bezieht sich hingegen nicht auf Waffen und Rüstungsgüter im Sinne des Kriegswaffenkontrollgesetzes und des Teils I Abschnitt A der Ausfuhrliste zur Außenwirtschaftsverordnung. Die Ausfuhrkontrolle für diese Güter bleibt weiterhin in der Zuständigkeit der einzelnen Mitgliedstaaten. Die EG-Verordnung sieht im übrigen vor, daß die Mitgliedstaaten eigene Regelungen einführen oder beibehalten dürfen, die über die Bestimmungen der EG-Verordnung hinausgehen (Art. 5).
    Durch die 36. Verordnung zur Änderung der Außenwirtschaftsverordnung und die 88. Verordnung zur Änderung der Ausfuhrliste � Anlage AL zur Außenwirtschaftsverordnung � die ebenfalls am 1. Juli in Kraft traten520, wurde das deutsche Außenwirtschaftsrecht an die EG-Verordnung angepaßt. Die Änderung der Außenwirtschaftsverordnung trägt ferner der Auflösung der COCOM Rechnung und hebt die bisher bestehenden Beschränkungen gegenüber sowjetischen Streitkräften auf; die Länderlisten E,H und I werden gestrichen, die Länderlisten K und L neu eingeführt.521 Nach der geänderten Außenwirtschaftsverordnung sind für die Ausfuhr von Dual-use-Gütern in Länder außerhalb der EU künftig in erster Linie die EG-Rechtsvorschriften maßgeblich (§ 5 der geänderten Außenwirtschaftsverordnung). Sie unterliegen einer weltweit geltenden Ausfuhrgenehmigungspflicht und werden von allen Mitgliedstaaten der EU nach einheitlichen Verfahren kontrolliert. Die gemeinsamen Vorschriften gelten für alle Waren, die in einer gemeinsamen Kontrolliste enthalten sind und für solche nicht gelisteten Waren, die für atomare, biologische oder chemische Waffen und hierfür geeignete Trägertechnologien bestimmt sind oder bestimmt sein können. Sie gelten hingegen nicht für Dual-use-Güter, die für konventionelle Rüstungsgüter bestimmt sind. Werden die Dual-use-Güter zunächst in einen anderen Mitgliedstaat der Union verbracht, ist dem Exporteur aber bereits bekannt, daß das endgültige Bestimmungsland außerhalb der EU liegt, bleibt es wie bisher schon bei der Genehmigungspflicht (§ 7 Abs. 3 und 4). Damit sollen Umgehungsausfuhren etwa durch das Ausnutzen eines unterschiedlichen Kontrollniveaus in der Gemeinschaft verhindert werden. Die EG-Verordnung befaßt sich nur mit dem Export von Dual-use-Gütern, nicht hingegen mit dem Wissenstransfer durch mündliche Kenntnisvermittlung, den technischen Dienstleistungen an Rüstungsgütern oder den Transithandelsgesellschaften, bei denen die Güter den Boden der Gemeinschaft überhaupt nicht berühren. Wegen der insoweit noch ausstehenden Harmonisierung werden die bisher schon geltenden nationalen Exportkontrollvorschriften für den sensitiven Wissenstransfer (§ 45), technische Dienstleistungen an Rüstungsgütern (§ 45 b) und Transithandelsgeschäfte (§ 40) beibehalten. Die Exportkontrollen werden hier aber in erster Linie auf den Kreis der besonders kritischen Länder der Länderliste K konzentriert.522 Über diesen Länderkreis hinausgehende Kontrollen sind bei Rüstungsgütern, für ABC-Waffen und ihre Trägerraketen geeignete Dual-use-Gütern sowie bei bestimmten Nukleargütern vorgesehen. Diese Kontrollen betreffen alle Länder außerhalb der neugeschaffenen Länderliste L, d.h. alle Staaten, die nicht Mitglied der OECD sind. Schließlich bleiben die Exportkontrollen von Dual-use-Waren für das libysche Giftgasprojekt Rabta (§§ 5b, 45a), für Anlagen für kerntechnische Zwecke in Algerien, Indien, Iran, Irak, Israel, Jordanien, Libyen, Nordkorea, Pakistan oder Syrien (§§ 5d, 7 Abs. 5, 45b Abs. 3) und für bestimmte syrische Forschungsinstitute (§§ 5e, 7 Abs. 6) ebenfalls bestehen.
    Neu gefaßt wurde in diesem Zusammenhang auch Teil I der Ausfuhrliste (Embargowaren).523 In die Neufassung ist die Gemeinsame Warenliste der EU für Güter mit doppeltem Verwendungszweck integriert. Die in der Liste genannten Waren unterliegen der einheitlichen Exportkontrolle nach der EG-Verordnung über die Ausfuhrkontrolle von Dual-use-Gütern.
    Die Anwendung der Grundsätze der Bundesregierung zur Prüfung der Zuverlässigkeit von Exporteuren von Kriegswaffen und rüstungsrelevanten Gütern wurden ebenfalls an die geänderte Rechtslage angepaßt.524
    Die EG-Verordnung sieht keine Kontrolle für Dual-use-Güter vor, die nicht in der gemeinsamen Kontrolliste enthalten und nicht für atomare, biologische oder chemische Waffen und hierfür geeignete Trägertechnologien, sondern für konventionelle Rüstungsprojekte bestimmt sind. Hier verbleibt es bei einer Kontrolle auf der Grundlage der Auffangklausel des § 5 c AWV, allerdings nur dann, wenn der Exporteur Kenntnis davon hat, daß die Güter für eines der besonders sensitiven Länder der neu eingeführten Länderliste K525 bestimmt sind. Die bisher geltende Länderliste H wurde aufgehoben. Hierzu führte die Bundesregierung auf eine Schriftliche Anfrage aus:

    "Die Bundesregierung hat sich in den Brüsseler Verhandlungen auch für die Einbeziehung des konventionellen Rüstungsbereichs eingesetzt. Die übrigen EU-Partner wollten aufgrund ihrer weniger stringenten Rüstungsexportkontrollpolitik einer derartigen Regelung nicht zustimmen. Die deutsche Auffangnorm beeinträchtigt daher insoweit die Chancengleichheit deutscher Unternehmen im Wettbewerb. Zur Verhinderung von deutschen Beiträgen zu konventionellen Rüstungsprogrammen in einer kleinen Gruppe besonders sensitiver Staaten war die Aufrechterhaltung der Auffangnorm jedoch geboten."526
    Im Hinblick auf das Inkrafttreten der Gemeinschaftsregelung für die Ausfuhrkontrolle von Gütern mit doppeltem Verwendungszweck erging ferner am 22. März 1995 die 6. Verordnung zur Änderung der Verordnung zur Regelung von Zuständigkeiten im Außenwirtschaftsverkehr.527 Durch die Änderung wurde die Zuständigkeit für die Erteilung von Genehmigungen im Bereich des Waren- und Dienstleistungsverkehrs aufgrund unmittelbar geltender außenwirtschaftsrechtlicher Rechtsakte des Rates der EU oder der Kommission der EG auf das Bundesausfuhramt übertragen. Ohne Verabschiedung dieser Regelung wäre die Zuständigkeit zur Erteilung von Genehmigungen nach der EG-Verordnung zu Dual-use-Gütern auf die Bundesländer übergegangen.528
    Am 1. Dezember 1995 wurde die 37. Verordnung zur Änderung der Außenwirtschaftsverordnung bekanntgemacht, die Anpassungen an verschiedene neue Bestimmungen des Außenwirtschaftsrechts der EG enthält, u.a. an das Einfuhrregime für bestimmte Drittlandstaaten, Vorschriften zur passiven Lohnveredelung auf dem Textilsektor und die EG-Verordnung zur Regelung der Exportpreisprüfung.529
    Die Einfuhrliste war im Berichtszeitraum ebenfalls Gegenstand mehrfacher Änderungen.530

    233. Zur Genehmigungspraxis bei Kriegswaffen und Dual-use-Gütern nahm die Bundesregierung im Berichtszeitraum vor dem Wirtschaftsausschuß des Deutschen Bundestages Stellung. Danach verfolgt die Bundesregierung gegenüber NATO- und NATO-gleichgestellten Partnern beim Export von Kriegswaffen und sonstigen Rüstungsgütern eine weitgehend "offene" Genehmigungspolitik. Gegenüber den übrigen Partnerländern halte sie an ihrer differenzierten Genehmigungspolitik fest. Jeder Einzelfall werde für sich bewertet und je nach politischer Bedeutung bis hinauf zur Ministerebene oder im Bundessicherheitsrat entschieden. Bei den Dual-use-Gütern werde je nach politischer Einschätzung des Abnehmerlandes und militärischer Relevanz des jeweiligen Produkts entschieden. Die Ermittlung des tatsächlichen Verwendungszwecks dieser Güter sei in den letzten Jahren zu einem immer größeren Problem geworden, da das Beschaffungsverhalten der "sensitiven" Länder sich verändert habe. Aufträge für militärische Zwecke würden häufig bis zur Unkenntlichkeit in einzelne Teilaufträge zerlegt und breit gefächert ausgeschrieben, um den eigentlichen Verwendungszweck zu verschleiern.531

    234. Die Bundesregierung äußerte sich darüber hinaus im Rahmen einer Kleinen Anfrage zur Lieferung "nicht-tödlicher Waffen" wie Elektro-Schlagstöcken, Hand- und Fußfesseln sowie anderen Gerätschaften unmittelbaren Zwanges. Sie wies darauf hin, daß internationale Absprachen und die international vereinbarten Listen im Bereich der Exportkontrollen keine Kontrolle bei der Herstellung und Ausfuhr derartiger Gerätschaften vorsehen. Die Bundesregierung habe aber die Möglichkeit, im konkreten Einzelfall gemäß § 2 Abs. 2 des Außenwirtschaftsgesetzes unter den dort genannten Voraussetzungen einzugreifen. Bei der Entscheidung hierüber berücksichtige sie die Menschenrechtslage im Empfängerland. Darüber hinaus prüfe sie derzeit Möglichkeiten zur Kontrolle des Transfers der mit der Anfrage angesprochenen Güter und habe zu diesem Zweck auch bereits erste Gespräche in breiterem internationalen Rahmen aufgenommen.532

    235. Mit der 38. Verordnung zur Änderung der Außenwirtschaftsverordnung vom 12. Dezember 1995533, in Kraft getreten zum 22. November 1995 (Art. 2)534, setzte die Bundesrepublik die vom Sicherheitsrat der Vereinten Nationen im Zusammenhang mit dem Friedensabkommen von Dayton durch Resolution 1022 beschlossene Suspendierung der Sanktionen gegen die Bundesrepublik Jugoslawien um. Im einzelnen handelt es sich um die mit den Resolutionen 757 (1992), 787 (1992), 820 (1993), 942 (1994), 943 (1994), 988 (1995), 992 (1995), 1003 (1995) und 1015 (1995) verhängten oder bestätigten Maßnahmen. Die gegen die bosnischen Serben verhängten Beschränkungen bleiben hingegen in Kraft. Werden die mit der Resolution 1022 festgelegten Pflichten zur Umsetzung des Friedensabkommens verletzt, zieht dies die automatische Wiedereinsetzung der Sanktionen nach sich. Mit der Neufassung der Außenwirtschaftsverordnung wird zugleich auf die durch die Verordnung (EG) Nr. 2815/95 des Rates vom 4. Dezember 1995535 angeordnete Suspendierung der von der Europäischen Gemeinschaft gegen die Bundesrepublik Jugoslawien beschlossenen Sanktionen hingewiesen, die als EG-Verordnung unmittelbar gilt.

    236. Die Bundesregierung vermochte sich mit ihren Bemühungen um ein Importverbot für Erdöl aus Nigeria und eine Sperrung nigerianischer Auslandskonten als Reaktion auf die Hinrichtung des Regimekritikers Ken Saro-Wiwa und weiterer nigerianischer Oppositioneller im Kreis der EU-Mitgliedstaaten nicht durchzusetzen. Der Deutsche Bundestag hatte die Bundesregierung mit der Annahme eines interfraktionellen Antrags zu entsprechenden Schritten aufgefordert.536 Dagegen verhängte die EU ein Embargo für Waffen, Munition und militärische Ausrüstung gegen den afrikanischen Staat.537

    237. Die Bundesregierung beantwortete im Berichtszeitraum darüber hinaus parlamentarische Anfragen zur Lieferung von Waffen und Militärtechnik an Kroatien538, Landminenexporten539 und zu den 1994 erteilten Exportgenehmigungen nach dem Außenwirtschafts- und dem Kriegskontrollwaffengesetz540.


    518 ABl. Nr. L 367 vom 31.12.1994, 1.
    519 Bekanntmachung des Bundesministeriums für Wirtschaft vom 13.6.1995, BAnz Nr. 122 vom 4.7.1995, 7153.
    520 Ibid.
    521 BAnz Nr. 104 vom 3.6.1995, 6195; BT-Drs. 13/1664, 13/2388.
    522 Zu diesen Ländern gehören (Stand: 1.7.1995): Afghanistan, Angola, das Gebiet Jugoslawiens nach dem Stand vom 22.12.1991, Kuba, Libanon, Libyen, Irak, Iran, Mosambik, Myanmar, Nordkorea, Somalia, Syrien.
    523 BAnz Nr. 110 vom 14.6.1995, 6453; BT-Drs. 13/1770, 13/2389.
    524 Bekanntmachung des Bundesministeriums für Wirtschaft vom 13.6.1995, BAnz Nr. 122 vom 4.7.1995, 7153.
    525 Dazu Anm. 522.
    526 BT-Drs. 13/1100, 23.
    527 BGBl. 1995 I, 399.
    528 Begründung der Bundesregierung zum Verordnungsentwurf, BT-Drs. 13/1140, 3. Der Bundestag hat von seinem Aufhebungsrecht keinen Gebrauch gemacht, vgl. Woche im Bundestag Nr. 13/95 vom 5.7.1995, 36.
    529 BAnz Nr. 230 vom 7.12.1995, 12253; BT-Drs. 13/3316.
    530 128. VO zur Änderung der Einfuhrliste, BAnz Nr. 104 vom 3.6.1995, 6167; BT-Drs. 13/1663, 13/2387; 129. VO zur Änderung der Einfuhrliste, BAnz Nr. 230 vom 7.12.1995, 12253; BT-Drs. 13/3317.
    531 Woche im Bundestag 10/95 vom 24.5.1995, 38.
    532 BT-Drs. 13/748.
    533 BAnz Nr. 241 vom 22.12.1995, 12797.
    534 Die Verordnung trat rückwirkend in Kraft, weil die Suspendierung der Sanktionen gegen die Bundesregierung Jugoslawien durch die Resolution 1022 des VN-Sicherheitsrates vom 22.11.1995 mit sofortiger Wirkung erfolgt war.
    535 ABl. Nr. L 297 vom 9.12.1995, 1.
    536 BT-Drs. 13/3178; BT-PlPr., 75. Sitzung, 6626.
    537 Gemeinsamer Standpunkt vom 20.11.1995 zu Nigeria, vom Rat aufgrund von Artikel J.2 des Vertrages über die Europäische Union festgelegt, ABl. Nr. L 298 vom 11.12.1995, 1.
    538 BT-Drs. 13/934, 13/1688.
    539 BT-Drs. 13/2432.
    540 BT-Drs. 13/1477.