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Völkerrechtliche Praxis der Bundesrepublik Deutschland im Jahre 1995


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Rainer Grote

XVII. Friedenssicherung und Kriegsrecht

2. Friedenstruppen Internationaler Organisationen

    295. Vor dem 4. Ausschuß der VN-Generalversammlung hob der spanische Vertreter die Bedeutung des Peace-keeping für die Wahrung des Weltfriedens hervor:

    "Peace-keeping remains one of the key instruments available to the United Nations to contribute to the maintenance of international peace and security. Further efforts are needed to strenghten the capability of the United Nations in this regard, as they are in preventive action and peace-making."751
    In demselben Sinne betonte Bundesaußenminister Kinkel in seiner Rede vor der Generalversammlung, die Friedenssicherung bleibe die Aufgabe der Vereinten Nationen, an der die Weltorganisation in der Öffentlichkeit vor allem gemessen werde. Um sie künftig erfolgreich bewältigen zu können, müßten jedoch die Lehren aus den Erfahrungen und Rückschlägen in Somalia, Ruanda und Bosnien gezogen werden:
    "Die Fähigkeit zur Friedenssicherung � daran werden die Vereinten Nationen in der Weltöffentlichkeit vor allem gemessen. Und hier sind wir an einem kritischen Punkt angelangt. Somalia, Ruanda und Bosnien � diese Länder stehen auch für Enttäuschungen und Rückschläge. [...]
    Welche Lehren können und müssen wir aus Somalia, Ruanda und Bosnien ziehen?
� Beschränkung auf das Machbare. Die Kräfte der Weltorganisation sind eindeutig überfordert. Sie kann nicht alles auf ihre Schultern nehmen.
� Größere Klarheit über Ausmaß und Dauer des Engagements, klare politische und militärische Zielsetzung, ein realistisches und kohärentes Mandat.
� Wenn Engagement, dann allerdings konsequentes und entschlossenes Vorgehen. Was in Ruanda oder in Zepa und Srebrenica passiert ist, darf sich nicht wiederholen.
� Das Zusammenwirken zwischen der UNO und anderen Organisationen wie der NATO muß von vornherein so geregelt sein, daß optimale Schnelligkeit und Effizienz gesichert sind.
� Die Regionalorganisationen müssen sich noch stärker engagieren. Es muß nicht alles sofort bei der UNO landen. In Europa beispielsweise kann die OSZE viel mehr tun."752

    296. Aus Anlaß einer Kleinen Anfrage äußerte sich die Bundesregierung zu der Notwendigkeit eines neuen Mandats des Sicherheitsrates für den Abzug der VN-Friedenstruppen (UNPROFOR) aus dem ehemaligen Jugoslawien:

    "Die Staaten, die für die VN Friedenstruppen zur Verfügung gestellt haben, sind in den Entscheidungen über den Verbleib oder Abzug ihrer Truppen frei."753
    Zu der rechtlichen Grundlage für die Unterstützung eines Abzugs der VN-Friedenstruppen durch die NATO-Staaten wird in demselben Zusammenhang ausgeführt:
    "Das Recht der NATO-Staaten zur Vorbereitung und Durchführung einer Unterstützungsoperation für einen etwaigen Abzug von VN-Friedenstruppen im ehemaligen Jugoslawien ergibt sich bereits aus allgemeinem Völkerrecht und aus bestehenden Resolutionen des VN-Sicherheitsrates, die u.a. zum Schutz der Sicherheit der Friedenstruppen aufrufen. Dies war auch die übereinstimmende Auffassung im Sicherheitsrat bei den jüngsten Beratungen über die Resolutionen vom 31. März 1995 zur Neuordnung und Bestätigung der Friedenstruppen-Mandate im ehemaligen Jugoslawien."754

    297. Zusammen mit den anderen Mitgliedstaaten der Europäischen Union verurteilte die Bundesrepublik Deutschland im Berichtszeitraum mehrfach die Beschießung von VN-Sicherheitszonen und die Geiselnahme von Soldaten und Beobachtern der Vereinten Nationen durch die Streitkräfte der bosnischen Serben in Bosnien-Herzegowina.755

    298. Am 30. Juni 1995 billigte der Deutsche Bundestag den Einsatz von bewaffneten Streitkräften der Bundeswehr im ehemaligen Jugoslawien als deutschen Beitrag zum schnellen Einsatzverband (Rapid Reaction Force), der die VN-Friedenstruppen im ehemaligen Jugoslawien bei der Erfüllung ihres Mandats unterstützen sollte. Durch die Zustimmung des Bundestages wurde es der Bundesregierung ermöglicht, Lufttransportstreitkräfte zur Unterstützung der Versorgung der VN-Friedenstruppen zur Verfügung zu stellen, Sanitätssoldaten zum Betrieb eines deutsch-französischen Feldlazaretts in Kroatien zu entsenden und Personal für die internationalen Hauptquartiere in Italien und Kroatien bereitzustellen.756 In ihrem Entschließungsantrag erläuterte die Bundesregierung die Ziele des schnellen Einsatzverbandes:

    "Die Initiative für den schnellen Einsatzverband ist das Resultat der Konferenz der Verteidigungsminister der Europäischen Union und Nordamerikas in Paris am 3. Juni 1995. Dort wurde Übereinstimmung erzielt, daß angesichts sich intensivierender Kämpfe und der zunehmenden persönlichen Gefährdung der Blauhelm-Soldaten in der Republik Bosnien-Herzegowina eine militärische Verstärkung notwendig ist, um das Bleiben der VN-Friedenstruppen zu ermöglichen und ihnen die Chance zu geben, ihr Mandat auszuführen. Die Initiatoren des schnellen Einsatzverbandes, Frankreich, Großbritannien und die Niederlande, haben auf der Konferenz ihre Erwartung zum Ausdruck gebracht, daß die übrigen Teilnehmerstaaten Beiträge zum Schutz und zur Unterstützung des schnellen Einsatzverbands leisten.
    Die Verteidigungsminister der NATO unterstützten in ihrer Frühjahrstagung am 8./9. Juni 1995 die Pariser Initiative und begrüßten die Aufstellung eines multinationalen Einsatzverbands. Sie machten ihre Entschlossenheit deutlich, Luftstreitkräfte zur Verfügung zu stellen, um im Rahmen bestehender Vereinbarungen zu helfen, die VN-Friedenstruppen zu schützen."757
    Zu der rechtlichen Grundlage für die Beteiligung der Bundeswehr an dem Einsatzverband heißt es in dem Antrag:
    "Mit Resolution 998 vom 16. Juni 1995 wird der Generalsekretär der Vereinten Nationen autorisiert, die Beschlüsse zur Aufstellung eines schnellen Einsatzverbandes zu implementieren. Mit Resolution 982 vom 31. März 1995 hatte der Sicherheitsrat die Mitgliedstaaten schon aufgefordert, auf Forderungen des Generalsekretärs zur Unterstützung der VN-Friedenstruppen bei der Erfüllung ihres Mandats positiv zu reagieren. Damit bilden beide Resolutionen den Rahmen, in den sich auch ein deutscher Beitrag zum Schutz und zur Unterstützung des schnellen Einsatzverbands einfügen wird.
    Die Bundesregierung mißt der Tätigkeit der VN-Friedenstruppen im früheren Jugoslawien hohe politische und humanitäre Bedeutung zu. Sie ist sich mit ihren internationalen Partnern einig, daß ein Abzug der VN-Friedenstruppen unbedingt vermieden werden muß, um dem Friedensprozeß eine Chance zu geben."758

    299. Zusammen mit anderen NATO- und Nicht-NATO-Staaten beteiligte sich die Bundesrepublik Deutschland an der Aufstellung einer multi-nationalen Friedenstruppe (IFOR) unter operativer Kontrolle der NATO zur Absicherung des Friedensvertrages für Bosnien-Herzegowina. Der Beschluß des Bundestages vom 5. Dezember 1995 erlaubt es der Bundesregierung, die bereits in Kroatien eingesetzte "Sanitätskomponente" zu verstärken, land- und luftgestützte Transportkapazitäten bereitzustellen sowie Pionierstreitkräfte zu entsenden. Vom Bundestagsbeschluß gedeckt ist ferner die Beteiligung an maritimen Operationen durch Schiffe und Seeaufklärer. Das deutsche Kontingent soll eine Größenordnung von rund 4000 Soldaten haben. Der Einsatz ist zunächst � entsprechend dem Vertragswerk von Dayton und der Beschlußlage des NATO-Rates � auf längstens zwölf Monate befristet.759 Zur Begründung für die Beteiligung der Bundesrepublik an der multinationalen Friedenstruppe wird in dem Entschließungsantrag der Bundesregierung ausgeführt:

    "Im Vertragswerk von Dayton haben die Parteien der Entsendung einer multinationalen Friedenstruppe von NATO und Nicht-NATO-Staaten zur Absicherung des Friedensvertrages für Bosnien-Herzegowina einvernehmlich zugestimmt. Die Parteien haben bekäftigt, daß sie die Regelungen zur Durchführung der militärischen Aufgaben der multinationalen Friedenstruppe uneingeschränkt anerkennen und voll unterstützen. Sie haben in Dayton in einer besonderen Vereinbarung bestätigt, schon mit Paraphierung an die Bestimmungen des Vertragswerks gebunden zu sein.
    Im Vertragswerk von Dayton wird der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen ersucht, eine Resolution mit dem entsprechenden Mandat für eine multinationale Friedenstruppe zu verabschieden. Es ist zu erwarten, daß diese Resolution unmittelbar nach Unterzeichnung des Vertragswerkes beschlossen wird. Der NATO-Rat wird entsprechende Beschlüsse zur Durchsetzung der Operation fassen. [...]
    Die Bundesregierung mißt der militärischen Absicherung des Friedensvertrages höchste politische Bedeutung bei, weil nur so die Voraussetzungen für dauerhafte Stabilität im früheren Jugoslawien gewährleistet sind. Das Engagement der NATO wird entscheidend dazu beitragen, die Bedingungen zu schaffen, die erforderlich sind, um den Schutz und die Menschenrechte der notleidenden Bevölkerung zu sichern, den Flüchtlingen die Rückkehr zu erleichtern und den Weg für ein friedliches Miteinander zu eröffnen. Die NATO ist zur erfolgreichen Durchführung ihres Auftrags im früheren Jugoslawien auch auf einen angemessenen deutschen Beitrag angewiesen."760
    Zu den Aufgaben der internationalen Friedenstruppe erklärte Bundeskanzler Kohl im Deutschen Bundestag:
    "... gemeinsam mit unseren Partnern verfolgen wir im wesentlichen vier große Ziele mit dem Einsatz der internationalen Friedenstruppe:
    Erstens: Wir müssen die kriegführenden Parteien voneinander trennen. Es muß versucht werden, das Wiederaufflammen militärischer Konflikte zuverlässig zu verhindern. Wichtig ist, schnell eine Lösung für die militärische Überwachung des in Dayton geschlossenen Abkommens zwischen Serbien und Kroatien zur Zukunft von Ostslawonien zu finden. Sonst würde der Friedensprozeß in Bosnien durch einen erneuten Konflikt zwischen Kroatien und Serbien aufs höchste gefährdet.
    Zweitens: Der so gesicherte Frieden wird die Grundlage dafür, daß die Menschen- und Minderheitenrechte wieder respektiert und Teil der dort herrschenden Rechtsordnung werden. Unser ganz besonderes Anliegen ist dabei die Rückkehr von Flüchtlingen, wie sie im Dayton-Abkommen vorgesehen ist. [...]
    Drittens: Die Anwesenheit der internationalen Friedenstruppe schafft ferner die Voraussetzungen für weiter notwendige humanitäre Hilfe und den Beginn des Wiederaufbaus. Der Friede kann nicht sicher werden, wenn die Menschen keine Nahrung, keine Wohnung und keine wirtschaftliche Zukunft haben.
    Viertens: Die internationale Friedenstruppe soll nicht nur Frieden und Stabilität in Bosnien, sondern darüber hinaus für die ganze Region garantieren. Die Gefahr, daß der bosnische Konflikt mit seinen ethnischen und religiösen Wurzeln auf die angrenzenden Länder übergreifen kann, wird nur dann abgewendet, wenn dieses Ziel erreicht wird."761


    751 Position of Germany (Anm. 3), 4. Ausschuß, 17.
    752 Rede vor der 50. Generalversammlung der Vereinten Nationen in New York am 27.9.1995, Bull. Nr. 76 vom 4.10.1995, 749.
    753 Antwort der Bundesregierung auf eine Kleine Anfrage zur drohenden Eskalation des Krieges im ehemaligen Jugoslawien, BT-Drs. 13/1175, 7.
    754 Ibid.
    755 Erklärung der Europäischen Union zur Lage in Bosnien-Herzegowina vom 29.5.1995, Bull. Nr. 46 vom 7.6.1995, 416; Erklärung der Europäischen Union zur Lage in Srebrenica vom 12.7.1995, Bull. Nr. 59 vom 17.7.1995, 584.
    756 BT-Drs. 13/1802, 3; Woche im Bundestag 13/95 vom 5.7.1995, 53.
    757 BT-Drs. 13/1802, 2.
    758 Ibid.
    759 Bull. Nr. 100 vom 4.12.1995, 984; Woche im Bundestag 23/95 vom 13.12.1995, 49.
    760 Bull. Nr. 100 vom 4.12.1995, 984.
    761 Regierungserklärung vom 6.12.1995, Bull. Nr. 103 vom 11.12.1995, 1011.