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Völkerrechtliche Praxis der Bundesrepublik Deutschland im Jahre 1995


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Rainer Grote

V. See- und Flußrecht

1. Seerecht

    28. Am 6. Juni 1995 beschloß der Deutsche Bundestag das Gesetz zur Ausführung des Seerechtsübereinkommens der Vereinten Nationen vom 10. Dezember 1982 sowie des Übereinkommens vom 28. Juli 1994 zur Durchführung des Teiles XI des Seerechtsübereinkommens (Ausführungsgesetz Seerechtsübereinkommen 1982/1994)63. Zweck des Gesetzes ist es, die Verpflichtungen zu erfüllen, die das Seerechtsübereinkommen und das Durchführungsübereinkommen der Bundesrepublik als Vertragsstaat auferlegen, die Hoheitsrechte wahrzunehmen, die das Seerechtsübereinkommen den Vertragsstaaten zur Verbesserung des maritimen Umweltschutzes im Verhältnis zu ausländischen Schiffen zur Verfügung stellt, und die gesetzlichen Regelungen zu schaffen, die für die Errichtung einer deutschen ausschließlichen Wirtschaftszone erforderlich sind64. Zu diesem Zweck wurden die bestehenden gesetzlichen Regelungen im Seeaufgabengesetz, Flaggenrechtsgesetz, Seeunfalluntersuchungsgesetz, Bundeswasserstraßengesetz, in der Schiffsregisterordnung, im Gesetz zu dem Internationalen Übereinkommen von 1973 zur Verhütung der Meeresverschmutzung durch Schiffe (MARPOL), Hohe-See-Einbringungsgesetz, Bundesberggesetz und Strafgesetzbuch geändert bzw. ergänzt sowie neue Vorschriften in Gestalt der Gesetze zur Regelung des Meeresbodenbergbaus und über die Durchführung wissenschaftlicher Meeresforschung geschaffen. Das Meeresbodenbergbaugesetz überträgt die Aufgabe, gegenüber deutschen Prospektoren und Vertragsnehmern bei der Erforschung und Ausbeutung von Bodenschätzen des Meeresbodens die Einhaltung der Vorschriften des Seerechtsübereinkommens, des Durchführungsübereinkommens und der von der Internationalen Meeresbodenbehörde erlassenen Bestimmungen sicherzustellen, im Wege der Organleihe dem Oberbergamt Clausthal-Zellerfeld. Im Gesetzgebungsverfahren wurde eine Regelung über die Vollstreckung von Entscheidungen des Internationalen Seegerichtshofs eingefügt. Die unter Bezugnahme auf das Seerechtsübereinkommen bezeichneten Entscheidungen des Internationalen Seegerichtshofs sind danach unmittelbar Vollstreckungstitel. Zuständig für die Erteilung der Vollstreckungsklausel ist das Oberlandesgericht am Sitz des Seegerichtshofs65.

    29. Im Rahmen einer Großen Parlamentarischen Anfrage aus Anlaß der Auseinandersetzungen zwischen der Europäischen Union und Kanada um die Fangquoten für den schwarzen Heilbutt vor Neufundland nahm die Bundesregierung zu der Forderung nach erweiterten Kontrollrechten für Küstenstaaten auch außerhalb der 200-Meilen-Zone, einschließlich des Rechts auf Inspektion und Sicherstellung des Schiffes bei begründetem Verdacht eines Verstoßes gegen geltende Fischereiabkommen, Stellung:

    "Die Bundesrepublik Deutschland ist an die Regelungen des Internationalen Seerechts gebunden. Danach enden die Befugnisse der Küstenstaaten an den Grenzen ihrer Fischereizonen. Jenseits dieser Zonen schreibt das Internationale Seerecht eine Kooperation und Koordination zwischen Küsten- und Flaggenstaaten � möglichst innerhalb regionaler Fischereiorganisationen � vor. Eine einseitige Ausdehnung der Befugnisse der Küstenstaaten auf die Hohe See wird von der Bundesregierung strikt abgelehnt. Vorstellbar ist ein Recht der Küstenstaaten auf Kontrolle und Sanktionen gegenüber Schiffen anderer Nationen auf Hoher See nur mit Einverständnis der Flaggenstaaten."66

    30. In diesem Zusammenhang äußerte sich die Bundesregierung auch zu der Bedeutung der in Art. 193 Seerechtsübereinkommen normierten Pflicht zum Schutz und zur Bewahrung der Meeresumwelt für das souveräne Recht der Staaten zur Ausbeutung der Meeresressourcen. Sie wies darauf hin, daß in Teil XII des Seerechtsübereinkommens (SRÜ) die umfassende Verpflichtung aller Staaten zum Schutz und zur Bewahrung der Meeresumwelt einschließlich einer entsprechenden regionalen bzw. weltweiten Zusammenarbeit anerkannt wird. Von Bedeutung sei allerdings in diesem Zusammenhang die volle Souveränität der Küstenstaaten für den Bereich der Meeresumwelt im Rahmen des Küstenmeeres und ihre Souveränität zum Schutz und zur Bewahrung der Meeresumwelt sowie der Bewirtschaftung der lebenden und nichtlebenden natürlichen Ressourcen im Rahmen ihrer Meeresumweltpolitik. Nach Art. 297 Abs. 1 c) unterlägen Streitigkeiten über die Einhaltung der Verpflichtung zum Schutz und zur Bewahrung der Meeresumwelt nach dem Seerechtsübereinkommen durch einen Küstenstaat ohne jede Ausnahmeregelung dem obligatorischen Verfahren zur Streitbeilegung67.

    31. Zu dem Verhältnis der in Teil XV des Seerechtsübereinkommens vorgesehenen Streitbeilegungsmechanismen zu regionalen Streitschlichtungsverfahren und der Rolle des Internationalen Seegerichtshofes bei der Regelung von Fischereistreitigkeiten führte die Bundesregierung aus:

     "Teil XV des Seerechtsübereinkommens regelt die sog. 'Beilegung von Streitigkeiten' unter ausdrücklicher Hervorhebung des Vorrangs von Verpflichtungen aus regionalen Übereinkommen (vergleiche Artikel 283 SRÜ). Mit Rücksicht auf Artikel 130 r ff. des EG-Vertrages stellt der EG-Vertrag eine derartige 'regionale Übereinkunft' dar. Damit aber sind innergemeinschaftliche Streitigkeiten über die Durchführung der gemeinsamen Fischereipolitik ausschließlich durch den Europäischen Gerichtshof zu entscheiden.
    Außerhalb der Anwendbarkeit des EG-Vertrages steht den Streitparteien nach Artikel 287 SRÜ die Wahl des Gerichts bei internationalen Streitigkeiten über die Durchführung des SRÜ frei. Neben dem Internationalen Seegerichtshof sind auch der Internationale Gerichtshof in Den Haag sowie Schiedsgerichte für die Parteien wählbar.
    Vor diesem Hintergrund ist derzeit eine Aussage zu der zukünftigen Bedeutung des Internationalen Seegerichtshofes bei der Regelung von Fischereistreitigkeiten und der Bewahrung des Meeresökosystems noch nicht möglich. Entscheidend in diesem Zusammenhang wird sein, in welchem Ausmaß der Internationale Seegerichtshof das Vertrauen der Vertragsparteien in seine Objektivität und Sachkundigkeit wird begründen können."68

    32. Am 15. März 1995 wurde zwischen der Regierung der Bundesrepublik Deutschland und der Regierung der Republik Chile ein Abkommen über die Seeschiffahrt geschlossen69. Das Abkommen dient dem Zweck, die harmonische Entwicklung der Seeverkehrs zwischen beiden Ländern nach dem Prinzip der Gegenseitigkeit zu fördern. Sie verpflichten sich deshalb, sich jeglicher Maßnahmen zu enthalten, die dem ungehinderten internationalen Seeverkehr sowie der uneingeschränkten Beteiligung der Seeschiffahrtsunternehmen der beiden Vertragsparteien an der Beförderung der im Rahmen ihres bilateralen Außenhandels ausgetauschten Güter sowie am Seeverkehr zwischen ihrem jeweiligen Land und Drittländern abträglich sein könnten (Art. 2 Abs. 1). Die Verpflichtungen aus anderen internationalen Übereinkünften, welche die Vertragsparteien abgeschlossen haben, bleiben unberührt (Art. 3 Abs. 1). Jede Vertragspartei unterläßt im internationalen Seeverkehr diskriminierende Handlungen jeder Art, die zu einer Benachteiligung der anderen Vertragspartei führen oder die freie Auswahl des Seeschiffahrtsunternehmens entgegen den Grundsätzen des freien Wettbewerbs führen könnten (Art. 4). Nach Art. 5 Abs. 1 gewährt jede Vertragspartei auf der Grundlage der Gegenseitigkeit in ihren Häfen, Hoheitsgewässern und anderen ihrer Zuständigkeit unterliegenden Gewässern den Schiffen der anderen Vertragspartei die gleiche Behandlung wie ihren eigenen im internationalen Verkehr eingesetzten Schiffen beim Zugang zu und Aufenthalt in den Häfen, bei der Benutzung der Hafenanlagen sowie beim Zugang zu allen Dienstleistungen und anderen Einrichtungen. Gemäß Art. 13 Abs. 1 gewähren die Behörden einer Vertragspartei, wenn ein Schiff der anderen Vertragspartei in ihren Hoheitsgewässern Schiffbruch erleidet oder in sonstiger Weise in Seenot gerät, den Fahrgästen sowie dem Schiff und seiner Ladung den gleichen Schutz und Beistand wie Schiffen unter eigener Flagge. Das Abkommen enthält ferner Vorschriften über die Einreise, Durchreise und den Aufenthalt von Besatzungsmitgliedern eines Schiffes der anderen Vertragspartei (Art. 12) und die Anerkennung ihrer Reisedokumente (Art. 11). Die vom Anwendungsbereich des Abkommens ausgeschlossenen Bereiche sind in Art. 7 aufgeführt.

    33. Nach demselben Muster schloß die Regierung der Bundesrepublik Deutschland am 20. März 1995 mit der Regierung der Republik Polen ein Abkommen über die Seeschiffahrt ab70.

    34. Am 9. Mai 1995 schloß die Regierung der Bundesrepublik Deutschland mit der Regierung der Volksrepublik China ein Abkommen über den Seeverkehr ab71. Dieses Abkommen weist gegenüber den mit Chile und Polen abgeschlossenen Seeschiffahrtsabkommen eine Reihe von Abweichungen auf. So beschränkt sich die in Art. 2 Abs. 1 des Abkommens normierte Freiheit des Seeverkehrs auf die Berechtigung der Schiffe jeder Vertragspartei, zwischen den dem internationalen Handelsverkehr geöffneten Häfen der beiden Vertragsparteien zu fahren und Fahrgäste und Güter zwischen den beiden Vertragsparteien oder zwischen einer von ihnen und Drittstaaten zu befördern. Die Behandlungsstandards für die Schiffe der jeweils anderen Vertragspartei werden nicht durch Bezugnahme auf die Prinzipien der Nichtdiskriminierung und des freien Wettbewerbs, sondern durch die Normierung des Grundsatzes der Meistbegünstigung definiert. Danach gewährt jede Vertragspartei den Schiffen des jeweils anderen Staates, solange sie ihre Hoheitsgewässer befahren oder in ihren Häfen einlaufen, von dort auslaufen oder sich dort aufhalten, die Meistbegünstigung bei der Erhebung von Gebühren und Abgaben (ohne Steuern), bei der Zollabfertigung und bei einer Reihe anderer, im einzelnen bezeichneter Maßnahmen. Auch die Zurverfügungstellung von Hafeneinrichtungen erfolgt in Übereinstimmung mit dem Grundsatz der Meistbegünstigung (Art. 3 Abs. 1). Die Küstenschiffahrt ist von der Anwendung des Abkommens generell ausgenommen. Als Küstenschiffahrt gilt es dabei allerdings nicht, wenn ein Schiff einer Vertragspartei zwischen den Häfen der anderen Vertragspartei fährt, um aus dem Ausland beförderte Güter zu löschen und Fahrgäste auszuschiffen oder um Güter und Fahrgäste zur Beförderung ins Ausland an Bord zu nehmen (Art. 5). Bei Vorkommnissen auf See ist vorgesehen, daß jede Vertragspartei den in Seenot geratenen Schiffen der anderen Vertragspartei, ihrer Besatzung und den Fahrgästen und Gütern jede mögliche Unterstützung und Betreuung gewährt und die Behörden der betroffenen Vertragspartei auf schnellstem Wege unterrichtet (Art. 9).

    35. Am 5. Januar 1995 erging das Zustimmungsgesetz zu dem Abkommen vom 5. April 1993 zwischen der Regierung der Bundesrepublik Deutschland und der Regierung der Republik Lettland über die Seeschiffahrt72, das am 15. Februar 1995 in Kraft trat73. Ebenfalls während des Berichtszeitraums traten das Seeschiffahrtsabkommen mit der Ukraine74, das Zweite Zusatzprotokoll zum Protokoll über die Seeschiffahrtsbeziehungen zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Republik Elfenbeinküste75 und das Zweite Zusatzprotokoll zum Vertrag zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Föderativen Republik Brasilien über den Seeverkehr76 in Kraft.

    36. Das Ratifikationsverfahren zu dem Abkommen vom 20. Dezember 1994 zwischen der Regierung der Bundesrepublik Deutschland und der Regierung der Republik Estland über die Seeschiffahrt wurde von der Bundesregierung während des Berichtszeitraums eingeleitet77.

    37. Am 1. Januar 1995 trat eine weitere78 Änderung der Pariser Vereinbarung vom 26. Januar 1982 über die Hafenstaatskontrolle79 in Kraft80. Nach dem modifizierten Abschnitt 8.2 der Vereinbarung können eine Seeschiffahrtsbehörde eines europäischen Küstenstaates und ein Küstenstaat des sich zwischen Nordamerika und Europa erstreckenden Nordatlantischen Beckens mit Zustimmung aller an der Vereinbarung beteiligten Behörden der Vereinbarung beitreten, wenn sie bestimmte Voraussetzungen erfüllen. Diese Voraussetzungen werden in der neuen Anlage 5 zu der Vereinbarung präzisiert. Danach muß die betreffende Seeschiffahrtsbehörde sich ausdrücklich zu den in der Vereinbarung enthaltenen Verpflichtungen bekennen und alle in Kraft befindlichen einschlägigen Übereinkünfte ratifiziert haben. Ferner muß die Seeschiffahrtsbehörde über ausreichende logistische und tatsächliche Fähigkeiten verfügen, um die Einhaltung internationaler Seeschiffahrtsnormen bezüglich der Sicherheit der Seeschiffahrt, der Verschmutzung und der Lebens- und Arbeitsbedingungen an Bord der Schiffe, die ihre Flagge zu führen berechtigt sind, durchzusetzen und die in der Vereinbarung enthaltenen Bestimmungen zu befolgen. Eine Seeschiffahrtsbehörde, deren Flagge in einem der drei Jahre unmittelbar vor dem Antrag auf Vollmitgliedschaft in der im Jahresbericht veröffentlichten Liste der überdurchschnittlich häufig festgehaltenen Schiffe aufgeführt ist, kann nicht als Vollmitglied der Vereinbarung zugelassen werden. Ferner wurden die Bestimmungen in Anlage 1 zu der Vereinbarung über die Erstkontrolle von Schiffen geändert und ein neuer Abschnitt 6 eingefügt, der detaillierte Richtlinien für das Festhalten von Schiffen aller Größen enthält. Im Anschluß an den Beitritt der Seeschiffahrtsbehörde der Russischen Föderation am 10. November 1995 wurde eine entsprechende Ergänzung der Präambel der Vereinbarung angenommen, die zum 1. Januar 1996 in Kraft trat81.


    63 BGBl. 1995 I, 778.
    64 Begründung zum Regierungsentwurf, BT-Drs. 13/193, 13.
    65 §§ 1, 2 Abs. 1 des Gesetzes über die Vollstreckung von Entscheidungen internationaler Gerichte auf dem Gebiet des Seerechts (Seegerichtsvollstreckungsgesetz � SeeGVG, BGBl. 1995 I, 786.
    66 BT-Drs. 13/2582, 35.
    67 Ibid., 32.
    68 Ibid.
    69 BGBl. 1996 II, 939.
    70 BGBl. 1996 II, 2695. Dem Abkommen hat der Bundestag mit Gesetz vom 28.11.1996 zugestimmt, BGBl. 1996 II, 2694. In Kraft getreten ist das Abkommen am 1.5.1997, BGBl. 1997 II, 1360.
    71 BGBl. 1996 II, 1451. Das Zustimmungsgesetz erging am 20.8.1996, BGBl. 1996 II, 1450.
    72 BGBl. 1995 II, 2. Zum Inhalt des Abkommens s. Walter (Anm. 10), Ziff. 29.
    73 BGBl. 1995 II, 695.
    74 BGBl. 1995 II, 270.
    75 BGBl. 1995 II, 327.
    76 BGBl. 1995 II, 773.
    77 BT-Drs. 13/2478.
    78 Zu den Änderungen in den Vorjahren s. Stoll (Anm. 10), Ziff. 33, und Walter (Anm. 10), Ziff. 28.
    79 BGBl. 1982 II, 585.
    80 BGBl. 1995 II, 885.
    81 BGBl. 1996 II, 264.