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2. Asyl- und Flüchtlingsrecht
45. In ihrer Antwort auf die Kleine Anfrage zu den Konsequenzen aus den Urteilen des Bundesverfassungsgerichts zum Asylrecht113 führte die Bundesregierung aus, daß die Drittstaatenregelung nach Art. 16a Abs. 2 GG immer dann eingreife, wenn feststehe, daß der Ausländer nur über irgendeinen sicheren Drittstaat in die Bundesrepublik Deutschland eingereist sein könne. Es müsse nicht geklärt werden, um welchen sicheren Drittstaat es sich dabei handele. Da nach der derzeit geltenden Rechtslage alle an die Bundesrepublik Deutschland angrenzenden Staaten sichere Drittstaaten seien, sei ein auf dem Landweg in die Bundesrepublik Deutschland einreisender Ausländer von der Berufung auf Art. 16a Abs. 1 GG ausgeschlossen, auch wenn sein Reiseweg nicht im einzelnen bekannt sei. Sei die Rückführung des Ausländers - aus welchen Gründen auch immer - in den sicheren Drittstaat nicht möglich, d. h. komme nur seine Verbringung in den Herkunftsstaat in Betracht, werde der Asylantrag des Ausländers unter Berücksichtigung des § 51 Abs. 1 und des § 53 AuslG geprüft. Um den vom Bundesverfassungsgericht geforderten Rahmenbedingungen für ein rechtsstaatliches Verfahren für Asylbewerber, die auf dem Luftweg einreisen wollten, zu genügen, seien keine Änderungen der Rahmenbedingungen in den Transitbereichen der deutschen internationalen Flughäfen erforderlich. Das Bundesverfassungsgericht habe in Abschnitt C II 2 c, S. 47-55, des Urteilsumdrucks seines Urteils zum Flughafenverfahren die aus Art. 16a Abs. 1 GG abgeleiteten Forderungen an die Rahmenbedingungen für ein rechtsstaatliches und im Hinblick auf Art. 16a Abs. 1 effektives Asylverfahren formuliert und festgestellt, daß die Ausgestaltung des Flughafenverfahrens diesen Anforderungen genüge. Soweit das Bundesverfassungsgericht festgestellt habe, daß bei der praktischen Anwendung einzelner Bestimmungen durch die Grenzbehörde und das Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge bestimmte Anforderungen zu beachten seien - und bisher auch schon beachtet wurden - (S. 51-55), habe das Bundesministerium des Innern dies zum Anlaß für einen entsprechenden Erlaß an das Bundesamt und die Grenzschutzdirektion114 genommen. Die Einzelentscheider des Bundesamtes erhielten bislang allgemeine Schulungen, in denen die rechtlichen Grundlagen und die praktische Arbeitsweise einschließlich einer psychologischen Unterweisung vertieft würden. Darüber hinaus würden herkunftsländerspezifische Schulungen, insbesondere zu asylproblematischen Herkunftsländern, durchgeführt. Zusätzlich würden zur Vermittlung kultureller Hintergründe auch Seminare durch ein Institut für Entwicklungsforschung, Wirtschafts- und Sozialplanung abgehalten. Die Entscheidungen des Bundesamtes würden auf der Grundlage vielfältiger Erkenntnisquellen getroffen. Zu den Erkenntnisquellen zählten neben Auskünften und Lageberichten des Auswärtigen Amtes auch Auskünfte und Berichte des UNHCR, von Amnesty International, Gutachten wissenschaftlicher Institute (z. B. Max-Planck-Institut, Orient-Institut), die Rechtsprechung zum Asylrecht, Monographien mit asylrechtlichem Bezug sowie einschlägige Presseartikel. Die Einzelentscheider wurden auch im Hinblick auf Probleme bei Folteropfern geschult. Wie bereits in dem Bericht des Bundesministeriums des Innern vom 14. Juni 1996 auf S. 7 dargelegt worden sei, sei die Prüfung über die Möglichkeiten der Umsetzung der vom Bundesverfassungsgericht geforderten kostenlosen Rechtsberatung für anwaltlich nicht vertretene Asylsuchende, deren Asylantrag als offensichtlich unbegründet abgelehnt worden sei, eingeleitet, aber noch nicht abgeschlossen.115
Zum Erlaß des Bundesministers des Inneren an die Innenminister der Länder, die Grenzschutzdirektion Koblenz und das Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge (BAFl) nahm die Bundesregierung im Hinblick auf die Asylurteile des Bundesverfassungsgerichts Stellung.116 Aufgrund der bestehenden Rechtspraxis und Rechtsüberzeugung könne in den sicheren Drittstaaten Belgien, Griechenland, Großbritannien und Polen die Gefahr des Vollzugs der Todesstrafe nicht ernstlich geltend gemacht werden. Für die Beurteilung, ob einem Ausländer in dem sog. Viertstaat die Weiterschiebung in den angeblichen Verfolgerstaat drohe, komme es nicht darauf an, ob zwischen dem Viertstaat und dem angeblichen Verfolgerstaat ein Rücknahmeabkommen bestehe. Es sei für die Beurteilung der Sicherheit in dem sog. Viertstaat entscheidend, daß der Viertstaat vor einer Weiterschiebung in den angeblichen Verfolgerstaat Art. 33 der Genfer Flüchtlingskonvention und Art. 3 EMRK beachte bzw. einen tatsächlichen Schutz gewährleiste. Die Bundesregierung verschaffe sich daher keinen vollständigen Überblick über Rücknahmeabkommen, die mögliche Viertstaaten abgeschlossen hätten. Diese begründeten keine Pflicht zur Rückführung, sondern allenfalls eine Pflicht zur Rücknahme. Sie hätten lediglich eine verfahrensmäßige Bedeutung, da jeder Staat nach dem allgemeinen Völkerrecht zur Rücknahme der eigenen Staatsangehörigen verpflichtet sei. Der Bundesgrenzschutz gehe im übrigen ohne gesonderte Prüfung davon aus, daß ein Lastkraftwagen in einem sicheren Drittstaat grundsätzlich halte, ein Flüchtling somit grundsätzlich die Möglichkeit habe, seine Flucht im Drittstaat zu beenden.
Zur Durchführung des Verfahrens nach § 18 AsylVfG erteilte das Bundesministerium des Innern - Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge - folgende Anweisung an die Grenzschutzdirektionen:
"1) Nach § 18, Abs. 1, Satz 2, AsylVfG ist das Flughafenverfahren auch auf Ausländer anzuwenden, die sich nicht mit einem gültigen Paß oder Paßersatz ausweisen. Läßt sich die Ungültigkeit eines Passes/Paßersatzes nicht bis zum Ablauf des zweiten auf die Asylnachsuche folgenden Tages feststellen, ist dem Asylbegehrenden die Einreise zu gestatten; er ist gemäß § 18, Abs. 1 AsylVfG an die zuständige oder, sofern diese nicht bekannt ist, an die nächstgelegene Aufnahmeeinrichtung zur Meldung weiterzuleiten. 2) Das Bundesverfassungsgericht hat die Notwendigkeit betont, daß der einzelne Asylantragsteller in einer seiner Person gemäßen Art und Weise darüber ins Bild gesetzt wird, worauf es bei der Anhörung durch das BAFl für ihn und die Entscheidung über sein Schutzersuchen ankommt. Hierzu bemerke ich a) Das anliegende Merkblatt ist in die notwendigen Sprachen zu übersetzen. b) Der BGS händigt dem Ausländer gegen Empfangsbekenntnis das Merkblatt aus, sobald feststeht, daß ein Asylbegehren vorliegt und der Ausländer der Außenstelle des BAFl auf dem Flughafen zur Durchführung des Asylverfahrens zuzuführen ist. Der Ausländer ist durch den BGS auf die Bedeutung des Merkblattes hinzuweisen. c) Vor Beginn der Anhörung durch das BAFl ist der Asylantragsteller durch den Einzelentscheider mündlich auf die wesentlichen Aspekte der Anhörung hinzuweisen. Dies ist in der Niederschrift zu vermerken. 3) Sowohl bei der Wahl des Zeitpunktes der Anhörung durch das BAFl als auch bei der erforderlichen Vorbereitung des Antragstellers auf die Anhörung und bei deren Durchführung ist auf die physische und psychische Verfassung des Ausländers Rücksicht zu nehmen. Läßt der Ausländer Anzeichen von Ermüdung und Erschöpfung erkennen, soll der BGS nach Kontaktaufnahme mit dem BAFl den Ausländern erst nach einer angemessenen Ruhepause dem BAFl zur Asylantragstellung und Anhörung überstellen. Der Einzelentscheider des BAFl hat sich zu Beginn der Anhörung zu vergewissern, daß der Ausländer in der Lage ist, der Anhörung zu folgen. Gegebenenfalls ist die Anhörung zu verschieben. 4) Der Einzelentscheider hat die Anhörung verständnisvoll zu führen. Bei Widersprüchen gegenüber seinen Angaben vor dem BGS ist auch zu berücksichtigen, daß der BGS den Ausländer gegebenenfalls ohne Rücksicht auf dessen physische oder psychische Verfassung anhören mußte. 5) Der ablehnende Bescheid des Bundesamtes und die Einreiseverweigerung des BGS sind dem Ausländer in geeigneter Weise zu eröffnen. Diese Maßnahmen sind darauf gerichtet, daß der Asylbewerber den Inhalt der Bescheide verstehen und dabei insbesondere erkennen kann, von welchen tatsächlichen Vorbringen das BAFl ausgegangen ist und warum es den Antrag abgelehnt hat. Ferner muß der Ausländer erkennen können, daß er dagegen gerichtlichen Rechtsschutz erlangen kann und welche Erfordernisse dafür unbedingt einzuhalten sind. Hierzu bemerke ich: a) Die Zustellung der Entscheidungen erfolgt gemäß § 18a Abs. 3 AsylVfG durch den BGS; dieser hat auch dem Ausländer die Entscheidung entsprechend zu eröffnen. b) Der Einzelentscheider des BAFl markiert auf einer Durchschrift des Bescheides die Stellen, die für die Unterrichtung des Ausländers im Sinne der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts von Bedeutung sind. c) Der BGS unterrichtet den Ausländer - gegebenenfalls unter Hinzuziehung eines Sprachmittlers - vom Inhalt des Bescheides des BAFl entsprechend den Markierungen des Einzelentscheiders. d) Die Tatsache der Unterrichtung des Ausländers ist schriftlich festzuhalten. 6) Dem Ausländer ist eine ablehnende Entscheidung des Verwaltungsgerichts beim Vollzug der Einreiseverweigerung in einer ihm verständlichen Weise durch den BGS mitzuteilen. Hierzu bemerke ich: a) die Einreiseverweigerung kann vollzogen werden, wenn die vollständig unterschriebene Entscheidungsformel der Entscheidung des Verwaltungsgerichts der Geschäftsstelle der Kammer vorliegt (§18a Abs. 4, Satz 6 AsylVfG). Es ist nicht erforderlich, die Zustellung der Entscheidungsformel oder die Begründung der Entscheidung abzuwarten. Unberührt bleibt der Erlaß vom 19.10.1965 (BGS II 2-645348/2). b) Dem Ausländer ist - gegebenenfalls unter Beiziehung eines Sprachmittlers - zu eröffnen, daß das Verwaltungsgericht seinen Antrag abgelehnt hat, weil es keine ernsthaften Zweifel an der Rechtmäßigkeit der Entscheidung des BAFl hatte. Es ist - wie bisher - auch weiterhin darauf zu achten, daß als Einzelentscheider im Rahmen des Flughafenverfahrens nur Personen des BAFl tätig werden, die zuvor hierfür eingehend geschult und auch fortgebildet wurden. 7) Im Rahmen der Fortbildung ist insbesondere auch der vom Bundesverfassungsgericht auf S. 52 des Urteilsumdrucks geforderte Inhalt zu vermitteln."117 |
46. Die zweite Verordnung zu § 29a AsylVfG vom 27. März 1996 bestimmt in Art. 1, daß Senegal nicht mehr als sicherer Herkunftsstaat nach § 29a Abs. 2 AsylVfG gilt.120
47. In einem Brief an das Home Office in Großbritannien stellte das Bundesministerium des Innern121 in Bezugnahme auf eine bereits früher abgeschlossene Vereinbarung über die Zurückschiebung von Flüchtlingen folgendes fest:
"Durch einen Austausch von Briefen wurde bis zum Inkrafttreten der Dublin-Konvention die folgende vorläufige Vereinbarung getroffen: Die Bundesrepublik Deutschland wird Ausländer zurücknehmen, die in das Vereinigte Königreich über das Territorium oder die internationalen Transitzonen der Bundesrepublik eingereist sind und die im Vereinigten Königreich Asyl beantragt haben. Das Vereinigte Königreich wird sich entsprechend in bezug auf Ausländer verhalten, die in die Bundesrepublik über das Territorium oder internationale Transitzonen des Vereinigten Königreichs eingereist sind und die in der Bundesrepublik Deutschland Asyl beantragt haben. Ich habe keine Einwendungen gegen Ihren Vorschlag im Schreiben vom 11. November 1993, dem Kapitän des Flugzeugs die Dokumente der Asylsuchenden anzuvertrauen, wenn sie von einem zum anderen Land gebracht werden." |
48. Im Rahmen ihrer Antwort auf die Kleine Anfrage zur strafrechtlichen Verfolgung der sogenannten Schlepperkriminalität legte die Bundesregierung ferner dar, daß gegen neun Polizeivollzugsbeamte des Bundesgrenzschutzes sowie gegen zwei grenzpolizeiliche Unterstützungskräfte seit 1990 wegen des Verdachts der Beihilfe zur unerlaubten Einreise bzw. zum illegalen Aufenthalt von Ausländern ermittelt werde. Zwei Fälle richteten sich gegen entsandte Bedienstete des Auswärtigen Amtes.124
49. Die Regierung brachte im Berichtszeitraum den Entwurf für ein Erstes Gesetz zur Änderung des Asylbewerberleistungsgesetzes und anderer Gesetze in den Bundestag ein.125 Mit diesem Gesetzesentwurf verfolgt die Bundesregierung unter anderem den Zweck, die Erfahrungen mit der Durchführung des Asylbewerberleistungsgesetzes umzusetzen. In Beantwortung der Kleinen Anfrage zur Mitwirkung von Fluggesellschaften bei Abschiebungen von Flüchtlingen, führte die Bundesregierung aus: Bei Rückführungen ausreisepflichtiger Ausländer auf dem Luftwege würden von den Länderbehörden und dem BGS grundsätzlich alle Deutschland anfliegenden Fluggesellschaften im Linien- und Charterverkehr in Anspruch genommen, wenn sie - aus polizeitaktischen Aspekten gesehen - zweckmäßige Angebote unterbreiteten. Die Offerten müßten auch den haushaltsrechtlichen Vorgaben gerecht werden. Der Bundesregierung seien Kosten in Höhe von 19,5 Mio. DM entstanden.126
Im Rahmen ihrer Antwort auf die Kleine Anfrage zu Kindergartenplätzen für Asylbewerber erläuterte die Bundesregierung: Nach § 6 Abs. 2 SGB VIII könnten Ausländer Leistungen nach diesem Buch nur beanspruchen, wenn sie rechtmäßig oder aufgrund einer ausländerrechtlichen Duldung ihren gewöhnlichen Aufenthalt im Inland hätten. Andererseits werde nicht vorausgesetzt, daß Ausländer im Besitz einer Aufenthaltsberechtigung oder Aufenthaltserlaubnis sein müßten. Daraus ergebe sich im Umkehrschluß, daß ein gewöhnlicher Aufenthalt nicht bereits deshalb ausgeschlossen werde, weil im Einzelfall nicht eine Aufenthaltserlaubnis oder -berechtigung, sondern - wie bei Asylbewerbern - nur eine Aufenthaltsgestattung erteilt werde. Dies bedeute, daß im Einzelfall auch Asylbewerber ihren gewöhnlichen Aufenthalt im Inland haben könnten und ihren Kindern der Rechtsanspruch auf einen Kindergartenplatz zustehen könne. Die Bundesregierung sieht keinen Anlaß, den Rechtsanspruch auf einen Kindergartenplatz auch Kindern solcher Asylbewerber zuzuerkennen, deren Aufenthalt im Inland nur ein vorübergehender sei.127
50. Intensive Bemühungen der Bundesregierungen galten der Rückführung jugoslawischer Staatsangehöriger sowie von bosnischen und serbischen Flüchtlingen.
In ihrer Antwort auf eine Kleine Anfrage zur Zurückführung von Staatsangehörigen der Bundesrepublik Jugoslawien informierte die Bundesregierung darüber, daß sie unmittelbar nach der völkerrechtlichen Anerkennung der Bundesrepublik Jugoslawien im April 1996 Verhandlungen über die Rücknahme ausreisepflichtiger jugoslawischer Staatsangehöriger durch die Bundesrepublik Jugoslawien aufgenommen habe. In der "abgestimmten Niederschrift" vom 12. Juni 1996 hätten sich die Bundesrepublik Deutschland und die Bundesrepublik Jugoslawien auch beim Rückführungsverfahren auf 1.500 bis 2.000 sog. unstrittige Fälle geeignet. Dabei seien Angaben zu Asylanträgen, wie sie in dem von der jugoslawischen Seite eingebrachten Antragsvordruck für Rückübernahmeersuchen ursprünglich vorgesehen gewesen seien, von der deutschen Seite stets abgelehnt worden. Demzufolge sei in der Neufassung des Vordrucks ein derartiges Angabenerfordernis nicht mehr enthalten. Mit Schreiben vom 1. Juli 1996 habe der Münchener Generalkonsul der Bundesrepublik Jugoslawien mitgeteilt, daß zusätzlich zu dem in der "abgestimmten Niederschrift" vereinbarten Antrag ein spezielles und umfangreiches Formular (Antrag auf Ausstellung eines Paßersatzes) für jede einzelne Person ausgefüllt werden müsse. Dieses Formular enthalte Angaben, die weit über die vereinbarten Informationen hinaus gegangen seien. Außerdem hätten die entsprechenden Papiere nur in serbisch vorgelegen. Mit der Einführung eines weiteren Formulars wäre das vereinbarte Verfahren so kompliziert geworden, daß es praktisch nicht mehr durchzuführen gewesen wäre. Die jugoslawische Seite habe die Forderung nach zusätzlichen Formularen wenige Tage später ausdrücklich zurückgenommen. Die jugoslawische Regierung habe im Rahmen der Verhandlungen über den Abschluß eines deutsch-jugoslawischen Rückübernahmeabkommens stets bekräftigt, daß Rückführungen unter voller Achtung der Menschenwürde und der Würde der rückkehrenden Personen erfolgten. Eine entsprechende Klarstellung sei auf deutschen Wunsch in den bereits paraphierten Abkommenstext aufgenommen worden. Es bestehe kein Anlaß, an der Einhaltung dieser Zusage zu zweifeln. Die Bundesregierung gehe davon aus, daß es nach den ihr vorliegenden Staatsangehörigkeitsgesetzen kaum zu Fällen der Staatenlosigkeit kommen dürfte. Jeder Staat sei im übrigen völkerrechtlich verpflichtet, seine eigenen Staatsangehörigen zurückzunehmen. Bundesinnenminister Kanther und der Innenminister der Bundesrepublik Jugoslawien Jukanoviæ haben am 9. Oktober 1996 in Bonn ein Rückführungsübereinkommen unterzeichnet. In dem Übereinkommen, das vom 1. Dezember an angewendet werden soll, wird die Übernahme von Staatsangehörigen aus dem Gebiet des Vertragspartners geregelt. Dabei geht es vor allem um die etwa 135.000 Staatsangehörigen der Bundesrepublik Jugoslawien, darunter ein größerer Teil von Kosovo-Albanern, die sich in Deutschland aufhalten. Die Bundesrepublik Jugoslawien verpflichtet sich, in dem Abkommen ebenso wie umgekehrt Deutschland, jugoslawische Staatsangehörige aus Deutschland zurückzunehmen. Dazu sollen auch die abgelehnten Asylbewerber gehören. Von dem Abkommen sind auch diejenigen betroffen, die nach dem entsprechenden Gesetz aus der jugoslawischen Staatsangehörigkeit entlassen worden sind, ohne die deutsche Staatsangehörigkeit erworben oder wenigstens eine Einbürgerungszusicherung erhalten zu haben. Freiwillige Rückkehrer werden zurückgenommen. Bei den Rückführungen dürften keine diskriminierenden Unterschiede gemacht werden. Die Bundesrepublik Jugoslawien hatte im Sommer durch ein Amnestiegesetz eine Grundlage für das jetzt unterzeichnete Abkommen geschaffen; darin wird Deserteuren Straffreiheit gewährt. Es wird damit gerechnet, daß für die Rückführungen insgesamt etwa drei Jahre benötigt werden. Ein Ausschuß von Fachleuten beider Staaten soll die Verwirklichung und Einhaltung des Abkommens verfolgen.128 Im Rahmen des RAIG-Programms (Reintegration and Immigration Programme for Asylum Seekers in Germany) sind nach Angaben der Bundesregierung im Jahre 1994 2574 Personen, 1995 687 und bis Juli 1996 679 Personen freiwillig ausgereist. Wie viele der Rückkehrer Albaner aus dem Kosovo seien, lasse sich nicht feststellen.129 Auf die schriftliche Parlamenatrische Anfrage, ob die Bundesregierung Erkenntnisse über menschenrechtswidrige Behandlungen über in ihre Heimat zurückgeführte Kosovo-Albaner habe, führte die Bundesregierung aus: Es lägen Kenntnisse über Zweifel menschenrechtswidriger Behandlungen von aus Deutschland in ihre Heimat zurückgekehrten Kosovo-Albanern vor. Die deutsche Botschaft in Belgrad sei ihnen unverzüglich nachgegangen. Die Bundesregierung sei über die beiden genannten Fälle sehr besorgt. Sie habe den Besuch des jugoslawischen Innenministers Jukanoviæ am 10. Oktober 1996 zum Anlaß genommen, das Thema ihm gegenüber, wie vorher gegenüber jugoslawischen Behörden in Belgrad, mit aller Deutlichkeit anzusprechen. Hierbei habe sie klar gemacht, daß Rückkehrer in die Bundesrepublik Jugoslawien keinerlei Übergriffen ausgesetzt sein dürften. Das deutsch-jugoslawische Abkommen über die Rückführung und Rückübernahme von ausreisepflichtigen Staatsangehörigen enthalte unter anderem die Verpflichtung, daß die Rückführung und Rücknahme unter voller Achtung der Menschenrechte und der Würde der rückkehrenden Personen erfolgen müsse. Im Gespräch mit Bundesaußenminister Kinkel habe Innenminister Jukanoviæ versichert, daß er sich für eine konsequente Umsetzung des Abkommens einsetzen und alles dafür tun werde, daß die Behandlung der Rückkehrer human, korrekt und unter Beachtung der Menschenrechte erfolge. Die Bundesregierung werde die Umsetzung dieses Aspektes der Rückführung mit größter Aufmerksamkeit beobachten. Die deutsche Botschaft in Belgrad sei angewiesen, über Zwischenfälle, die der genannten Verpflichtung der jugoslawischen Seite widersprechen würden, umgehend zu berichten.130
Entsprechend ihrer Antwort auf eine schriftliche Parlamentarische Anfrage war der Bundesregierung am 30. Oktober 1996 bekannt, daß der Rückkehr der "Krajina-Serben" nach Kroatien noch eine Reihe von Hindernissen im Wege standen. Über dieses Thema stehe die Bundesregierung mit der kroatischen Regierung in einem offen und kritisch geführten Gespräch. Kroatien habe zugesagt, allen rückkehrwilligen Serben die Rückkehr nach Kroatien zu ermöglichen. Entsprechende Bestimmungen seien auch in dem Abkommen von Erdut zu Ost-Slawonien vom 12. November 1995 und in dem "Normalisierungsabkommen" zwischen Kroatien und der Bundesrepublik Jugoslawien vom 23. August 1996 enthalten. Die Bundesregierung werde die weiteren Schritte der kroatischen Regierung mit besonderer Aufmerksamkeit verfolgen.131
Die Innenminister und Senatoren des Bundes und der Länder und der Bundesinnenminister haben sich auf ihrer Sondersitzung am 26. Januar 1996 ausführlich mit dem Fortgang des Friedensprozesses in Bosnien-Herzegowina beschäftigt und ihren Grundsatzbeschluß vom 15. Dezember 1995 in Erfurt entsprechend konkretisiert.132 Beim Hohen Flüchtlingskommissar in Genf, Frau Ogata, hatte zuvor eine Tagung aller betroffenen Länder zu den Bedingungen einer Rückführung bosnischer Kriegsflüchtlinge stattgefunden, an der Innenminister Kanther und der Hamburger Senator Wrocklage teilnahmen. Die Innenminister haben beschlossen:
"Die Innenminister werden die künftige Entwicklung des Friedensprozesses und die auf internationaler Ebene geführten Gespräche sehr sorgfältig beobachten und bei der Festlegung von Kriterien jeder Rückführung die enge Abstimmung mit UNHCR, der EU und anderen Gastländern anstreben. Die Innenminister sind entschlossen, die freiwillige Rückkehr von Flüchtlingen zu fördern." |
| Implementierung des militärischen Teils des Abkommens von Dayton; |
| Schaffung von Amnestieregelungen; |
| Funktionieren der Einrichtungen für den Schutz der Menschenrechte, |
51. Die Innenminister und -senatoren des Bundes und der Länder haben sich darauf verständigt, abgelehnten Asyl- und Vertriebenenbewerbern, die sich schon lange in Deutschland aufhalten und faktisch bereits integriert sind, unter bestimmten Voraussetzungen ein Bleiberecht zu gewähren.145
52. Nach der Angabe der Bundesregierung in ihrer Antwort auf eine Kleine Anfrage haben im Jahre 1995 25.514 türkische Staatsangehörige in der Bundesrepublik Deutschland Asyl beantragt. 7.426 türkische Staatsangehörige seien 1995 vom Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge als Asylberechtigte anerkannt worden. Dies entspreche bei 34.592 Entscheidungen über Asylanträge türkischer Staatsangehöriger einer Anerkennungsquote von 21.5 %.146 Auf die schriftliche Parlamentarische Anfrage, wieviele ausreisepflichtige türkische Staatsangehörige kurdischer Volkszugehörigkeit seit der Absprache am 10. März 1995 zwischen dem Bundesminister des Innern und dem türkischen Innenminister, nach der die türkischen Behörden auf Anfrage mitteilen sollen, ob nach ihren Erkenntnissen der betreffenden Person in der Türkei Strafverfolgung oder Strafvollstreckung droht, bis heute abgeschoben worden seien, antwortete die Bundesregierung wie folgt:147 Nach derzeit vorliegenden Informationen der Länder seien in Anwendung der deutsch-türkischen Absprache vom 10. März 1995 bisher sechs türkische Staatsangehörige in die Türkei abgeschoben worden. Der Bundesregierung lägen von den für die Abschiebung zuständigen Länder keine Angaben darüber vor, wieviele der abgeschobenen türkischen Staatsangehörigen in eine Nachfrage bei den türkischen Behörden eingewilligt hätten. Die Einholung der Zustimmung der Betroffenen zur Anfrage bei den türkischen Behörden sei in der deutsch-türkischen Absprache vom 10. März 1995 nicht vorgesehen. Ob eine Zustimmung einzuholen sei, regelten die Länder im Rahmen ihrer Kompetenz nach Art. 83 GG in eigener Zuständigkeit.
53. Auf die schriftliche Parlamentarische Anfrage, wie die Bundesregierung die mögliche Gefährdung von 22 nigerianischen Flüchtlingen bei einer Abschiebung nach Nigeria, die vom 28. Juli bis zum 15. August 1996 in der evangelisch-lutherischen Gerhard Uhlhorn-Gemeinde Hannover Kirchenasyl bekommen hätten, einschätze, antwortete die Bundesregierung, daß die Anfrage Fragen des Ausländerrechts berühre, die unter das Ausländergesetz fielen. Diesbezügliche Verwaltungskompetenz liege gemäß Art. 83 GG bei den Ländern. In dem in der Anfrage genannten Fall läge die Entscheidung über aufenthaltsbeendende Maßnahmen gegenüber ausreisepflichtigen Ausländern in der Zuständigkeit des Landes Niedersachsen. Der Bundesregierung seien die Einzelheiten der Entscheidung der niedersächsischen Innenbehörden nicht bekannt. Die Bundesregierung nehme zur Gefährdungssituation in Einzelfällen nur auf Anfrage von Behörden oder Gerichten im Wege der Amtshilfe Stellung. Das Auswärtige Amt habe seine aktuellen Erkenntnisse zur asyl- und abschiebungsrelevanten Situation in Nigeria in dem Lagebericht vom 19. November 1996 zusammengefaßt. Dieser Bericht sei auch dem Innenminister von Niedersachsen übersendet worden.148
54. In Beantwortung einer Kleinen Anfrage zum Schutz für Deserteure der ehemaligen Roten Armee, führte die Bundesregierung aus: Das Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge (BAFl) führe keine gesonderten Statistiken über Asylantragsteller, die Staatsangehörige der russischen Föderation bzw. der GUS-Staaten seien, und die ihren Antrag mit Desertion aus den ehemals sowjetischen bzw. russischen Streitkräften begründeten. Nach Einschätzung der Bundesregierung könne eine Befragung der Deserteure durch deutsche oder ausländische Geheimdienste der ehemaligen Westtruppe der sowjetischen Streitkräfte in Deutschland für eine eventuelle Strafverfolgung dieser Personen gemäß Art. 64 (Vaterlandsverrat) oder Art. 65 (Spionage des russischen Strafgesetzbuches) relevant sein. Konkret belegbare Hinweise auf Sanktionen gegen Deserteure in Rußland lägen der Bundesregierung nicht vor. Grundsätzlich würden Deserteure, wie im übrigen auch Asylsuchende, auf die Freiwilligkeit ihrer Aussagen hingewiesen. Entscheidungen über Asylanträge dieser Personengruppe waren bis zum Frühjahr 1996 zurückgestellt worden, weil es im Hinblick auf die sich ständig verändernde Lage und die unübersichtlichen Verhältnisse in den Nachfolgestaaten der ehemaligen Sowjetunion lange Zeit nicht möglich gewesen sei, zu einer zuverlässigen Bewertung der von den Deserteuren der BGT bei einer Rückkehr zu gewärtigen Behandlungen zu gelangen.149