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Völkerrechtliche Praxis der Bundesrepublik Deutschland im Jahre 1996


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Volker Röben


IX. Menschenrechte und Minderheiten

1. Menschenrechtsverträge

    57. Im 6. Ausschuß der Generalversammlung der Vereinten Nationen führte der deutsche Vertreter zum Bericht der Völkerrechtskommission über Vorbehalte zu Verträgen folgendes aus:

    "We are aware of the fact that in the view of some international lawyers the Vienna regime of reservations, which is of course based on the ICJ Advisory Opinion, should not apply to human rights instruments which by their very nature often do not lend themselves to the formulation of reservations. It is, however, doubtful whether other categories of normative treaties would not have to be considered of equal importance in view of their universal application. The regime of reservations has quite often to cope with two contradictory goals: on the one hand there is the interest in broadening the convention, in securing as many ratifications or accessions as possible, and on the other the interest in safeguarding the integer nature of the convention, the need to avoid too much of a delusion. A satisfactory regime of reservations to treaties must, according to the specific character of a treaty, balance the interest in broad participation and in the preservation of the treaty's essence. It is no coincidence that both the International Law Commission and the conferences on the Codification of the Law of Treaties, when grappling with this problem, opted for the establishment of a single regime applicable to all treaties regardless of their nature or object. We should not forget that the Vienna regime, especially its criterion on the object in purpose of the treaty, provides for a maximum of flexibility and adaptability thus allowing it to meet the needs of all types of treaties and their provisions. It is not only that the permissibility of reservations has to be evaluated in the light of the object and purpose of the treaty but also that the freedom of other contracting parties to agree to reservations is fully preserved through a mechanism of acceptances and objections. We share the Special Rapporteur's view that the right to formulate reservations is only of a residual nature, since each treaty could restrict such freedom and even prohibit any or certain reservations. We think it advisable that states, when negotiating multilateral treaties, should pay special attention to the question of admissibility of reservations and to the consequences of reservations where admissibility is doubtful or even clearly excluded. In principle the regime of reservations of the 1969 and 1986 Vienna Conventions can properly be applied to all treaties, with the exception of bilateral treaties and those concluded by a limited number of parties as well as constituent instruments of international organizations for which some exceptions are provided. In our opinion monitoring bodies have the competence to examine the significance of reservations insofar as this is necessary for their own work. Their competence is self-implied by the powers vested in them by the contracting states. Such verification of the permissibility of reservations on the basis of the criterion of the object and purpose of the treaty, both by human rights monitoring bodies and by the contracting states, is a positive element. States, however, remain free to form their own judgment and to decide on reactions to reservations they consider not admissible. An important problem dealt with by the Special Rapporteur concerns the effect of inadmissible reservations. The idea of leaving the consequences and of inadmissible reservations to competent bodies and to refer for the rest to a system of declarations and objections between individual members of a multilateral treaty, as provided for in Arts. 20 and 21 of the Vienna Convention, can of course not completely satisfy in the case of a reservation which is clearly excluded under Art. 19. To sever the prohibited reservation from the rest of the expression by a state of its consent to be bound, considering only the reservation as null and void, so that the state would be bound by the consent principle to the treaty would contradict the very essence of treaty law. We support the Special Rapporteur's conclusion that it is always the exclusive responsibility of the state itself to rectify the defect in the expression of its consent to be bound. The state has various options: it may choose the remedy of altogether withdrawing the inadmissible reservation, to amend it along the lines compatible with the object and purpose of the treaty or to refrain from becoming a party to the treaty in view of the impossibility of the reservation intended."152

    58. Zu den Konsequenzen aus der Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte in der Sache Dorothea Vogt führte die Bundesregierung auf eine Kleine Anfrage hin folgendes aus:

    "Das Urteil des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte vom 26. September 1995 im Fall Vogt ist eine Einzelfallentscheidung. Der Gerichtshof hat entschieden, daß die Entfernung aus dem Dienst unter Berücksichtigung der Umstände des konkreten Falles unverhältnismäßig war. Ob eine Maßnahme unverhältnismäßig ist, kann nur anhand aller Umstände des Einzelfalls beurteilt werden. Im übrigen hat der Gerichtshof ausdrücklich anerkannt, daß Deutschland aufgrund seiner historischen Erfahrungen das Recht hat, von seinen Beamten die Treue zu den den Staat begründenden Verfassungsgrundsätzen zu verlangen. Es besteht deshalb keine Veranlassung, allgemeine Konsequenzen aus der Entscheidung zu ziehen. Das Gebot der Einzelfallprüfung und der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit sind bereits aufgrund des Beschlusses des Bundesverfassungsgerichts vom 22. Mai 1975 (BVerfGE 39, 334) zu beachten. Bei der Einzelfallprüfung wird künftig auch das Urteil des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte im Fall Vogt zu beachten sein."
    Seit 1981 seien 14 förmliche Disziplinarverfahren wegen Funktionärstätigkeit oder sonstiger Aktivitäten für die DKP - nicht wegen bloßer Mitgliedschaft - anhängig geworden, die in fünf Fällen mit der Entfernung aus dem Dienst abgeschlossen worden seien.153 Auf der Grundlage des Urteils des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR) vom 26. September 1995 in der Rechtssache Vogt, erreichten die Bundesregierung und die Beschwerdeführerin sodann einen Vergleich hinsichtlich der von der Beschwerdeführerin beantragten Entschädigung. Dafür, daß die Beschwerdeführerin unter Verstoß gegen Art. 10 und 11 EMRK aus dem niedersächsischen Lehrdienst entfernt worden war, soll diese eine Entschädigung in Höhe von 117.000 DM erhalten.154

    59. Auf eine Kleine Anfrage nahm die Bundesregierung zum Europäischen Übereinkommen über die Ausübung von Kinderrechten Stellung.155 Das Ministerkomitee des Europarates habe entschieden, daß das Europäische Übereinkommen im Jahre 1996 zur Zeichnung aufgelegt werde. Das Übereinkommen gehe auf jahrelange Beratung des Familienrechtskomitees des Europarats zurück. Es solle das Übereinkommen der Vereinten Nationen vom 20. November 1989 über die Rechte des Kindes im europäischen Bereich ergänzen und zwar vorwiegend verfahrensrechtlich. Die Vertragsparteien seien zunächst nur verpflichtet, die Vorschriften des Übereinkommens auf drei von ihnen zu benennende Verfahrensarten zu erstrecken. Dabei sei etwa an Sorge-, Umgangs- oder Abstammungsverfahren gedacht. Die Rechte des Kindes, um die es hier vor allem gehe, seien das Auskunftsrecht, das Recht auf Anhörung und das Recht auf Unterrichtung des Kindes. Das Recht, die Bestellung eines besonderen Vertreters wegen eines Interessenkonfliktes mit den Eltern zu beantragen, bestehe nur, wenn die entsprechende Justizbehörde nicht schon einen besonderen Vertreter bestellt habe. Die Art. 6 bis 9 des Europäischen Übereinkommens behandelten die Verpflichtungen der Gerichte in bezug auf die Grundlagen ihrer Entscheidungen, vor allem zu zügigem Handeln und zum Tätigwerden von Amts wegen. Bestellte Vertreter des Kindes hätten die Verpflichtung, ihm Auskünfte zu erteilen, es zu unterrichten und seine Meinung dem Gericht mitzuteilen, sofern dies nicht mit dem Kindeswohl unvereinbar wäre. Die Bundesregierung habe sich noch kein abschließendes Urteil über das Europäische Übereinkommen gebildet. Das Übereinkommen enthalte eine Anzahl zu begrüßender Vorschriften, z. B. die Verpflichtung der Behörden zu zügigem Handeln und zum Tätigwerden von Amts wegen. Einzelne Bestimmungen, wie etwa Art. 3 zum Recht des Kindes, in Verfahren Auskunft zu erhalten und seine Meinung zu äußern, würden jedoch Probleme aufwerfen, soweit es um die Vereinbarkeit des geltenden/zukünftigen deutschen Rechts mit dem Übereinkommen gehe, insbesondere mit Rücksicht auf den Entwurf eines Gesetzes zur Reform des Kindschaftsrechts156, der dem deutschen Bundestag vorliege. Die sich in diesem Zusammenhang ergebenden Fragen bedürften noch eingehender Prüfung. Die Bundesregierung verwies ferner auf das weltweit ratifizierte Übereinkommen über die Rechte des Kindes. Sie halte über die Kindschaftsrechtsreform hinausgehende besondere Ansätze auf europäischer Ebene, das im Rahmen der Vereinten Nationen bestehende Übereinkommen in bezug auf eine eigenständige Rechtspersönlichkeit von Kindern zu ergänzen, nicht für vordringlich. So verpflichte Art. 11 der VN-Kinderkonvention dazu, das rechtswidrige Verbringen von Kindern ins Ausland und ihre rechtswidrige Nichtrückgabe zu bekämpfen und zu diesem Zweck Übereinkünfte zu schließen. In diesem Sinne habe die Bundesregierung die Ratifikation des Haager Übereinkommens vom 25. Oktober 1980 über die zivilrechtlichen Aspekte internationaler Kindesentführungen des Europäischen Übereinkommens vom 20. Mai 1980 über die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen über das Sorgerecht für Kinder und die Wiederherstellung des Sorgerechtsverhältnisses in die Wege geleitet; die Übereinkunft sei am 1. Dezember 1990 bzw. 1. Februar 1991 in Kraft getreten.157 Im Oktober 1996 habe die Haager Konferenz für Internationales Privatrecht auf ihrer 18. Tagung unter deutschem Vorsitz ein Übereinkommen über die Zuständigkeit, das anwendbare Recht, die Anerkennung und Vollstreckung sowie die Zusammenarbeit in bezug auf die elterliche Verantwortung und Maßnahmen zum Schutz von Kindern erarbeitet. Dieses Übereinkommen enthalte eine völlige Überarbeitung des Haager Übereinkommens vom 5. Oktober 1961 über die Zuständigkeit der Behörden und das anzuwendende Recht auf dem Gebiet des Schutzes von Minderjährigen und unter anderem in einem Art. 7 Vorschriften über die internationale Zuständigkeit in Fällen von Kindesentführung. Die Bundesregierung sei auch maßgeblich an der Ausarbeitung des Haager Übereinkommens über den Schutz von Kindern und die Zusammenarbeit auf dem Gebiet der internationalen Adoption vom 29. Mai 1993 beteiligt gewesen, ein Übereinkommen, daß sich auf Art. 21 e der VN-Kinderkonvention stütze. Die Bundesregierung sei ferner an Vorarbeiten im Rahmen einer Arbeitsgruppe des Familienrechtskomitees des Europarats beteiligt, die im Anschluß an Art. 9 VN-Kinderkonvention wirksame Vorschriften zur Verbesserung des grenzüberschreitenden Umgangsrechts, insbesondere auch in bezug auf die Berücksichtigung des Kindeswillens vorbereite. Die VN-Kinderkonvention wirke sich in internationalen Sorgerechts- und Adoptionssachen bereits seit längerem auf die Ausarbeitung von Übereinkünften über die internationale Zusammenarbeit aus. Das Europäische Übereinkommen habe demgegenüber eine weit bescheidenere Zielsetzung, strebe dafür aber konkretere Aussagen über die Rechte der Kinder in Verfahren an. Das Europäische Übereinkommen sei gemäß seinem Art. 1 Abs. 1 auf Kinder bis zu 18 Jahren anzuwenden. Die Präambel des Europäischen Übereinkommens nehme in ihrem zweiten Absatz ausdrücklich auf die VN-Kinderkonvention Bezug, auf deren Art. 12 besonders hinzuweisen sei. Vor allem seiner Ausführung dienten die Rechte des Kindes nach Art. 3 des Europäischen Übereinkommens, in Verfahren Auskunft zu erhalten und seine Meinung äußern zu können. Den Verpflichtungen der Justizbehörden nach Art. 6a des Europäischen Übereinkommens lägen unter anderem Erwägungen zugrunde, wie sie dem Art. 9 Abs. 2 und Art. 12 der VN-Kinderkonvention entsprächen. Schließlich führe auch das Europäische Übereinkommen nach dem Vorbild von Art. 43 der VN-Kinderkonvention einen ständigen Ausschuß ein.

    60. Die Ständige Vertretung der Bundesrepublik Deutschland bei den Vereinten Nationen nahm zu einem Vorbehalt der Regierung von Qatar anläßlich des Beitritts von Qatar zur Konvention über die Rechte des Kindes wie folgt Stellung:

    "Die Bundesrepublik Deutschland hat den in der Ratifikationsurkunde des Übereinkommens über die Rechte des Kindes enthaltenen Vorbehalt der Regierung Qatars geprüft. In dem besagten Vorbehalt legt die Regierung Qatars ihre grundsätzlichen Vorbehalte zu allen Bestimmungen des Übereinkommens ein, die im Widerspruch zur islamischen Sharia stehen. Die Regierung der Bundesrepublik Deutschland vertritt die Auffassung, daß dieser Vorbehalt, der darauf abzielt, die Verantwortlichkeiten Qatars aufgrund des Übereinkommens zu beschränken, indem er sich auf allgemeine Grundsätze des innerstaatlichen Rechts beruft, Zweifel an der Verpflichtung Qatars in bezug auf Ziel und Zweck des Übereinkommens weckt und überdies dazu beiträgt, die Grundlage des Völkervertragsrechts zu untergraben. Es liegt im gemeinsamen Interesse der Staaten, daß Verträge, deren Vertragspartei zu werden sie beschlossen haben, nach Ziel und Zweck auch von allen Vertragsparteien eingehalten werden. Die Regierung der Bundesrepublik Deutschland erhebt daher Einspruch gegen diesen Vorbehalt Qatars. Dieser Einspruch stellt kein Hindernis für das Inkrafttreten des Übereinkommens zwischen der Bundesrepublik Deutschland und Qatar dar."158


    152 Statement by the representative of Germany Reinhard Hilger, Permanent Mission of Germany to the United Nations, 13.11.1996.
    153 BT-Drs. 13/3853.
    154 Mitteilung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte vom 2.9.1996, Rechtssache Vogt gegen Deutschland.
    155 Antwort der Bundesregierung auf eine Kleine Anfrage, BT-Drs. 13/6370.
    156 BT-Drs. 13/4899.
    157 Im einzelnen verweist die Bundesregierung hierzu auf die Antwort der Bundesregierung zur Kleinen Anfrage "Kindesentführung durch Väter ins Ausland", BT-Drs. 13/2705.
    158 Ständige Vertretung Deutschlands bei den Vereinten Nationen, New York, 15.3.1996 (Note an das Sekretariat der Vereinten Nationen).