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Völkerrechtliche Praxis der Bundesrepublik Deutschland im Jahre 1996


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Volker Röben


XII. Zusammenarbeit der Staaten

8. Grenznachbarliche Zusammenarbeit

    123. Nach der in ihrer Antwort auf die Große Anfrage betreffend die Situation an der deutsch-polnischen Grenze und Weiterentwicklung der guten Nachbarschaft zwischen der Republik Polen und der Bundesrepublik Deutschland im grenznahen Gebiet deutlich gemachten Ansicht, 247 waren die letzten fünf Jahre der grenzüberschreitenden deutsch-polnischen Zusammenarbeit in der Tat eine Erfolgsgeschichte. Gebietskörperschaften sowie staatliche und private Stellen auf beiden Seiten, besonders aber ungezählte deutsche und polnische Bürger hätten daran mitgewirkt. Tatsächlich sei es den zahlreichen Gremien und Institutionen, die sich mit Fragen der grenznahen und grenzüberschreitenden Zusammenarbeit befaßten, gelungen, die Situation auf beiden Seiten der Grenze deutlich zu verbessern. Viel bleibe allerdings noch zu tun. An den Grenzübergängen hätten die in enger Abstimmung mit den zuständigen polnischen Stellen unternommenen Schritte zwar nennenswerte Verbesserungen bewirkt, jedoch mit der starken Ausweitung des grenzüberschreitenden Verkehrs kaum Schritt halten können. Die Arbeit der deutsch-polnischen Regierungskommission für regionale und grenznahe Zusammenarbeit, die zwar keine eigenen operativen Kompetenzen habe, dafür aber eng mit den zuständigen Fachressorts, Regierungen und Kommunen kooperiere, sowie die Arbeit der anderen bilateralen Gremien (beispielhaft seien erwähnt der Umweltrat, die Raumordnungskommission, das Jugendwerk und die Expertengruppe für Grenzübergänge) zeigten jedoch, daß erhebliche Fortschritte möglich seien und auch weiter möglich sein würden. Nach dem deutsch-polnischen Regierungsabkommen über Grenzübergänge und Achten des grenzüberschreitenden Verkehrs vom 6. November 1992 sollten insgesamt 13 neue Übergangsstellen geöffnet werden. Davon seien bisher sieben in Betrieb genommen worden, so daß insgesamt 31 Übergänge an der Grenze zu Polen für den Personen- und teilweise für den Warenverkehr zur Verfügung stünden. Über die Zulassung der im vertraglichen Programm aufgeführten übrigen sechs Übergänge hätten bereits Fachgespräche zur Konkretisierung der Öffnungsmodalitäten stattgefunden, ohne daß schon konkrete Ergebnisse vorliegen würden. Die Bundesregierung habe sich darüber hinaus in mehreren Fällen für die Freigabe solcher Übergangsstellen eingesetzt, die im Abkommen von 1992 nicht genannt seien. Die polnische Seite habe jedoch geltend gemacht, daß die angespannte Finanzsituation zunächst nur die Realisierung der bislang vereinbarten Projekte gestatte. Die Bundesregierung werde ihre Bemühungen fortsetzen. Die Perspektive des erwähnten Abkommens über Grenzübergänge beziehe sich nicht auf Grenzübertrittsstellen für den kleinen Grenzverkehr. Insoweit bestehe kein vertraglich festgelegtes Programm. Auf nachdrückliches deutsches Drängen sei es erst zu Beginn des Jahres 1996 gelungen, drei Passierpunkte für die Bewohner von Grenzgemeinden einzurichten. Eine weitere Grenzübertrittsstelle sei an einer geplanten Altstadtbrücke in Görlitz vorgesehen. Grundsätzlich seien provisorische, später wieder entfallene Übergangsstellen als Vorläufer der endgültigen Übergänge nicht geplant. Möglich sei jedoch, Teilbereiche eines im Bau befindlichen Grenzübergangs vor der Fertigstellung des Gesamtobjekts bereits für bestimmte Arten des grenzüberschreitenden Verkehrs freizugeben, um für einen beschleunigten Abschluß des Verkehrsaufkommens zu sorgen. In diesem Sinne werde z.B. im Falle des Autobahnübergangs Ludwigsdorf verfahren. Die Bundesregierung werde eine solche Stufenlösung immer dann vorschlagen, wenn die örtlichen Gegebenheiten und die jeweiligen baulichen Bedingungen dies möglich machten. An der Verbesserung der Verkehrsinfrastruktur im deutsch-polnischen Grenzraum werde intensiv gearbeitet. Von Bedeutung sei auch, daß nicht einseitig Maßnahmen ergriffen würden. So würden vor dem Bereich der Bundesfernstraßen in bilateralen Gesprächen Abstimmungen vorgenommen, um den zeitgleichen Ausbau der Straßen beiderseits der Grenze, d.h. auf deutschem und auf polnischem Gebiet, sicherzustellen. Parallel zum Ausbau der Straßeninfrastruktur sollten die Eisenbahnverbindungen mit der Republik Polen verbessert werden, denn eine entsprechende grenzüberschreitende Infrastruktur bilde die Voraussetzung für die verkehrspolitisch gewünschte Verlagerung von Verkehr von der Straße auf die Schiene. Im Bundesverkehrswegeplan 1992 (BVWP 92) seien unter länderübergreifende Projekte zwei Maßnahmen aufgeführt, die den grenzüberschreitenden Eisenbahnverkehr zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Republik Polen beträfen, nämlich die Ausbaustrecke Dresden-Görlitz-Grenze-Breslau und die Ausbaustrecke Berlin-Frankfurt/Oder-Warschau. Voraussetzung zum Ausbau dieser Strecken sei eine Vereinbarung mit Polen sowie die Erfüllung der üblichen Wirtschaftlichkeitskriterien. Zur Prüfung und Erarbeitung dieser Voraussetzungen sei eine bilaterale Arbeitsgruppe eingesetzt worden, die den Auftrag erhalten habe, zu den beiden geplanten Schienenstrecken die notwendigen Untersuchungen durchzuführen. Der Schlußbericht zu diesen Untersuchungen liege vor. Um Möglichkeiten zur Verlagerung von Verkehr von der Straße auf einen der umweltfreundlicheren Verkehrsträger zu schaffen, sei im Rahmen der Aufstellung des BVWP 92 auch untersucht worden, welche Ausbauvorhaben im ostdeutschen Wasserstraßennetz durchgeführt werden sollten. Im Ergebnis seien folgende Vorhaben in den vordringlichen Bedarf des BVWP 92 eingestellt: Ausbau des Penestroms nördlich Wolgast, Ausbau der Havel-Oder-Wasserstraße sowie der Hohensaaten-Friedrichstaler-Wasserstraße. Die im Rahmen des Paneuropäischen Korridors II (Berlin-Warschau-Minsk-Moskau) insbesondere auf polnischer Seite vorgesehenen Verbesserungen der Verkehrsinfrastruktur würden vor allem die Qualität der Verkehrsverbindungen steigern. Der Ausbau der Grenzübergänge auf deutschem Gebiet sei nahezu abgeschlossen. Seit der deutschen Vereinigung sei das Volumen des Grenzverkehrs von und nach Polen dramatisch angestiegen. Erste vergleichsfähige Zahlen würden allerdings erst für das Jahr 1991/92 und die Folgejahre vorliegen. Das einschlägige deutsch-polnische Abkommen vom 16. November 1992 berechtige Bewohner grenznaher Gemeinden, die Grenze an regulären Übergängen oder an besonderen Übertrittsstellen mit dem Personalausweis zu überschreiten und sich in den Grenzgemeinden des jeweils anderen Staates bis zu 7 Tage aufzuhalten. Bewohner des deutschen Grenzgebietes hätten dadurch allerdings nur geringe Vorteile, da sie die Grenze ohnehin mit dem Personalausweis überqueren dürften. Die Vergünstigung beschränke sich also darauf, spezielle Übertrittspunkte benutzen zu können. Sie würden allerdings kaum frequentiert. Für die Errichtung zusätzlicher Grenzöffnungen dieser Art sei daher bisher lediglich im Falle der Altstadtbrücke in Görlitz ein Bedarf festgestellt worden. Von daher sei der angestrebte Nutzen in keinem vertretbaren Verhältnis zu dem Aufwand zu sehen, der sich durch den Bau von Brücken und Zufahrtswegen ergeben würde. Die Bundesregierung sehe deshalb zur Zeit keine dringende Notwendigkeit, den kleinen Grenzverkehr mit Polen auszubauen.

    124. In ihrer Antwort auf die Kleine Anfrage zum grenzüberschreitenden Verkehr zwischen Deutschland und der Tschechischen Republik, führt die Bundesregierung aus, hierfür sei eine enge Koordinierung zwischen den für Grenzschutz, Zoll, Straßenbau und Eisenbahnen zuständigen Stellen beider Staaten notwendig. Eine zentrale Rolle nehme die seit Februar 1990 auf Regierungsebene eingesetzte Verhandlungskommission ein. Die Delegationsleitung auf deutscher Seite liegt bei dem für Grenzöffnungen zuständigen Bundesministerium des Innern unter Beteiligung unter anderem der Freistaaten Bayern und Sachsen. Bei den bisherigen Verhandlungen sei die Öffnung von 17 zusätzlichen Grenzübergängen erreicht worden.248

    125. Am 26. Januar 1996 schlossen die Regierung der Bundesrepublik Deutschland, die Regierung der Französischen Republik, die Regierung des Großherzogtums Luxemburg und der Schweizerische Bundesrat, handelnd im Namen der Kantone Solothurn, Basel Stadt, Basel Landschaft, Aargau und Jura, das Übereinkommen über die grenzüberschreitende Zusammenarbeit zwischen Gebietskörperschaften und öffentlichen örtlichen Stellen.249

    126. Mit der Unterzeichnung eines Staatsvertrages über grenzüberschreitende Zusammenarbeit haben Deutschland, Frankreich, die Schweiz und Luxemburg kommunale Kooperation ermöglicht. Deutsche Gemeinden und Landkreise sowie Regionen, Departements und Kantone der Vertragspartner können nun direkte Vereinbarungen miteinander schließen, Aufgaben und Dienstleistungen gemeinsam übernehmen und in der Raumplanung, über den Straßenbau oder bei der Einrichtung bi-nationaler Schulen zusammenwirken.250 Der baden-württembergische Landtag stimmte am 8. Februar 1996 dem Übereinkommen zu:251 Gesetz zum Übereinkommen zwischen der Regierung der Bundesrepublik Deutschland, der Regierung der Französischen Republik, der Regierung des Großherzogtums Luxemburg und dem Schweizerischen Bundesrat, handelnd im Namen der Kantone Solothurn, Basel Stadt, Basel Landschaft, Aargau und Jura, über die grenzüberschreitende Zusammenarbeit zwischen Gebietskörperschaften und örtlichen öffentlichen Stellen.

    127. Vertrag vom 13. Juli 1995 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Tschechischen Republik über den Zusammenschluß der deutschen Autobahn A 6 und der tschechischen Autobahn D 5 an der gemeinsamen Staatsgrenze durch Errichtung einer Grenzbrücke. Mit diesem Vertrag wird im Sinne guter Nachbarschaft und freundschaftlicher Zusammenarbeit eine weitere Verbesserung der verkehrlichen Infrastruktur an der deutsch-tschechischen Grenze angestrebt. Durch den Bau der grenzüberschreitenden Autobahnbrücke sollen die deutsche Autobahn A 6 in Richtung Osten und die tschechische Autobahn D 5 in Richtung Westen im Raum Weithaus und Rosshaupt zusammengeschlossen werden. Art. 8 bestimmt, unter welchen Voraussetzungen die bei dem Bau der Grenzbrücke beteiligten Personen die Grenze im Bereich der Baustelle überschreiten dürfen und sich im Bereich der Baustelle aufhalten dürfen. Art. 8 gilt für Maßnahmen zur Erhaltung der fertiggestellten Brücke. Art. 9 beruht auf der Empfehlung und der praktischen Erfahrung, daß es für einen reibungslosen Ablauf des Baugeschehens am einfachsten und zweckmäßigsten ist, wenn das Besteuerungsrecht eines Vertragsstaates, mögliches Planen und Bauen für einen Vertragsstaat, im gesamten Baustellenbereich auf dem Hoheitsgebiet beider Vertragsstaaten zur Anwendung kommt..252

    128. Im Rahmen ihrer Antwort auf die Kleine Anfrage zur grenzüberschreitenden Zusammenarbeit und Zusammenleben in den Grenzregionen mit den EU-Nachbarn und der Schweiz, stellte die Bundesregierung fest, die medizinische Versorgung von Grenzgängern sowohl im Wohnstaat als im Beschäftigungsstaat sei ein typisch gemeinschaftsrechtliches Problem, das grundsätzlich auf Gemeinschaftsebene gelöst werden sollte253.



    247 BT-Drs. 13/6508.
    248 BT-Drs. 13/4324.
    249 Ratifizierungsgesetz, BGBl. II 1997, 1158.
    250 SZ vom 24.1.1996, 6; Gesetzentwurf der Bundesregierung, Entwurf eines Gesetzes zu dem Übereinkommen vom 23.1.1996, BR-Drs. 58/96.
    251 GBL Baden-Württemberg 1996, 157.
    252 Gesetzentwurf der Bundesregierung, Entwurf eines Gesetzes zu dem Vertrag vom 13. Juli 1995 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Tschechischen Republik über den Zusammenschluß der deutschen Autobahn A 6 und der tschechischen Autobahn D 5 an der gemeinsamen Staatsgrenze durch Errichtung einer Grenzbrücke, BT-Drs. 13/5049.
    253 BT-Drs. 13/4781.