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Völkerrechtliche Praxis der Bundesrepublik Deutschland im Jahre 1996


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Volker Röben


XIV. Außenwirtschaftsverkehr und Welthandelsordnung

1. GATT und WTO

    135. In ihrer Antwort auf die Kleine Anfrage zur wirksamen Bekämpfung der Kinderarbeit auf der Ebene von OECD und WTO/GATT sowie IAO nahm die Bundesregierung umfassend zu ihrer Sicht der hierdurch aufgeworfenen konzeptionellen wie praktischen Fragen Stellung.260 Es bestehe eine umfassende Analyse des OECD-Sekretariats zur Problematik Sozialklauseln/handelspolitische Maßnahmen. Diese sei mittels empirischer Untersuchungen zu zwei grundlegenden Arbeitnehmerrechten (Koalitionsfreiheit und Recht auf Tarifverhandlungen) zu dem Ergebnis gekommen, es gebe keine Belege dafür, daß Länder mit niedrigen Arbeits- und Sozialstandards eine bessere Exportleistung aufzuweisen hätten als Länder mit hohen Standards. Zusammengefaßte Daten über Direktinvestitionen von OECD-Investoren in Nicht-OECD-Ländern legten nahe, daß wesentliche Arbeitsstandards in der Mehrzahl der Fälle für die Investitionsentscheidung nicht ausschlaggebend seien. Hinsichtlich der Mechanismen zur weltweiten Förderung grundlegender Arbeitsstandards nenne die Studie: die Stärkung der Rolle der internationalen Arbeitsorganisation (IAO), Entwicklungszusammenarbeit und Aktionen im Rahmen anderer internationaler Organisationen, andere Mechanismen auf nationaler oder regionaler Ebene, insbesondere die allgemeinen Präferenzsysteme der USA und der EU, internationale Verhaltenskodizes für Firmen, private Mechanismen, die die Respektierung grundlegender Arbeitsstandards durch wirtschaftliche Anreize förderten, wie z.B. Kennzeichnung von Produkten, die unter Beachtung grundlegender Standards hergestellt worden seien. Hinsichtlich einer Instrumentalisierung der Disziplin der Welthandelsorganisation (WTO) zur Förderung grundlegender Arbeitsstandards weise die Studie darauf hin, daß die derzeitigen WTO-Vorschriften nicht zu diesem Zweck geschaffen worden seien. Die OECD habe fünf soziale Kernstandards ausgewählt, bei denen es sich im wesentlichen auch um wichtige, bereits in der allgemeinen Erklärung der Menschenrechte angelegte Rechte handele: Verbot der Kinderarbeit, Verbot der Zwangsarbeit, Recht auf Koalitionsfreiheit, Recht auf Tarifverhandlungen und Verbot der Diskriminierung bei der Arbeit. Die OECD untersuche dann die verschiedenen Mechanismen zur weltweiten Durchsetzung von sozialen Kernstandards, wie z.B. IAO-Übereinkommen oder Verhaltenskodizes, und kommt zu der Schlußfolgerung, daß die einzelnen Mechanismen einen Grund für die Nichtanwendung der sozialen Kernarbeitsstandards beseitigen können. Die Zusammenfassung der Studie, die dem OECD-Ministerrat im Mai 1996 vorgelegt werde, gehe davon aus, daß die internationale Debatte über das Thema sowie die damit verbundenen konzeptionellen und praktischen Schwierigkeiten andauern würden. Es gebe bisher noch keine gemeinsame Haltung auf EU-Ebene zu dem Thema. Für die Bundesregierung stehe außer Frage, daß die im Rahmen der Vereinten Nationen getroffenen Konventionen über fundamentale Menschen- und Arbeitnehmerrechte einzuhalten seien und eine Mißachtung dieser Rechte nicht hingenommen werden könne. Im Interesse der Betroffenen müßten Lösungen für die Abschaffung ausbeuterischer Kinder- und Gefangenenarbeit sowie Zwangsarbeit gefunden werden. Über die Einhaltung der Konventionen zu wachen, obliege in erster Linie den VN-Spezialorganisationen, insbesondere der IAO. Diese Haltung vertrete die Bundesregierung sowohl auf EU-Ebene als auch in anderen internationalen Gremien. Die Bundesregierung orientiere sich im übrigen an der Kopenhagener Erklärung des Weltgipfels für soziale Entwicklung von 1995. In der Erklärung verpflichteten sich die Staaten, bei den multilateralen Entwicklungsbanken und anderen Gebern darauf hinzuwirken, soziale Ziele bei der Planung von Strukturanpassungsprogrammen einzubeziehen. Die dieser Erklärung zugrunde gelegten Beschlüsse enthielten unter anderem einen Maßnahmenkatalog zum Schutz von Kindern und Jugendlichen. Die Bundesregierung habe wiederholt an die Kopenhagener Beschlüsse in den relevanten Gremien erinnert und dazu aufgefordert, sich bei den Strukturanpassungsprogrammen von ihnen leiten zu lassen. Dies sei auch geschehen im Rahmen der Herbsttagung von IWF und Weltbank im Jahre 1995 durch Bundesminister Spranger. Die Mitglieder der WTO hätten noch keine Entscheidung über die Beschäftigung mit dem Thema Sozialstandards getroffen. Eine Befassung mit dem Thema sei im übrigen im Arbeitsprogramm des Vorbereitungsausschusses der WTO noch nicht vorgesehen. Die Bundesregierung stehe einer Behandlung des Themas in der WTO offen gegenüber. Sie halte sie für wünschenswert, da so alle Argumente offen dargelegt und diskutiert werden könnten. Die Entwicklungsländer befürchteten, daß ihnen aufgrund protektionistischer Bestrebungen der Industrieländer der häufig einzige kooperative Kostenvorteil, das relativ niedrige Lohnniveau, durch Auflagen zur Einhaltung von sozialen Normen genommen werden solle. Aus der Sicht der Bundesregierung dürfe die Verbindung von Handel und Arbeitsstandards und Sozialklauseln nicht zu verstecktem Protektionismus führen. Dagegen schaffe weitere Marktöffnung Möglichkeiten für zunehmenden Handel und wachsenden Wohlstand, der die Einhaltung von Sozialstandards erleichtere. Die Überwachung der Einhaltung von Sozialstandards falle vorrangig in die Zuständigkeit der IAO. Die 1994 vom Verwaltungsrat des Internationalen Arbeitsamtes eingesetzte Arbeitsgruppe für die soziale Dimension der Liberalisierung des Welthandels habe seine Arbeit noch nicht beendet. Auf der 262. Verwaltungsratstagung (im März/April 1995) hatte die Arbeitsgruppe sich darauf verständigt, die Diskussion über Handelssanktionen als Mittel zur Durchsetzung sozialer Standards auszusetzen. Auf der 265. Verwaltungsratstagung (März 1996) habe die Arbeitsgruppe sich ein konkretes Arbeitsprogramm zum Ziel gesetzt, als dessen Ergebnis die IAO in die Lage versetzt werden solle, ihr Gewicht in die in anderen internationalen Organisationen über dieses Thema geführte Diskussion einzubringen. Die Bundesregierung habe in der Arbeitsgruppe von Anfang an aktiv mitgearbeitet. In der schwierigen Anfangsphase habe die deutsche Regierungsdelegation zu denen gehört, die mit Nachdruck gegen den von einer starken Minderheit vorgebrachten Gedanken eingetreten seien, die Tätigkeit der Arbeitsgruppe möglichst bald und ohne Ergebnis abzuschließen. Der Begriff Sozialklauseln sei von Anfang an weder im Namen noch im Arbeitsauftrag der Arbeitsgruppe enthalten gewesen, weil sonst ein Konsens über die Einsetzung der Arbeitsgruppe nicht zustande gekommen wäre. Das Pilotvorhaben zur Verbesserung der Situation arbeitender Kinder in Indien - Child Labour Action and Support Programme (CLASP) - , sei im Frühjahr 1993 angelaufen und werde von der IAO mit einem Finanzierungsbeitrag der Bundesregierung durchgeführt.

    136. Zur Problematik bilateraler Freihandelsabkommen im Rahmen von WTO/GATT nahm die Bundesregierung bei ihrer Antwort auf die Kleine Anfrage zum Handelsabkommen der EG mit Südafrika Stellung. Unter deutscher EU-Präsidentschaft hätten sich die Außenminister der EU und der Staaten des südlichen Afrikas am 5./6. September 1994 in der "Berliner Erklärung" unter anderem mit der Förderung einer offenen, zunehmend produktiven Weltwirtschaft sowie die Zusammenarbeit auf dem Gebiet des Handels mit und in der Region südliches Afrika verpflichtet. Die Bundesregierung habe deshalb in ihrem Memorandum vom 28. April 1995 die Initiative der Kommission begrüßt, die politischen und wirtschaftlichen Beziehungen der EU mit Südafrika auf eine neue und verbesserte Grundlage zu stellen. Die Bundesregierung habe sich dafür ausgesprochen, daß zwischen der EU und Südafrika ein umfassendes bilaterales Abkommen über Handel und Zusammenarbeit, das Regelungen über Freihandel sowie wirtschaftliche und finanzielle Zusammenarbeit enthalte, abgeschlossen werden solle. Das Abkommen solle im Handelsteil als Freihandelsabkommen, das die Erfordernisse des Art. 24 GATT erfülle, gestaltet werden. Im gewerblichen Bereich solle das Abkommen einen Abbau der Zölle und mengenmäßigen Beschränkungen innerhalb bestimmter Fristen vorsehen. Im Mandat vom 19. Juni 1995 sei festgelegt worden, daß bei dem Ziel der Schaffung einer Freihandelszone die WTO-Regeln einzuhalten sowie bestimmte Interessen und bestimmte empfindliche Erzeugnisse zu berücksichtigen seien.261

    137. Die Bundesregierung brachte einen Gesetzesentwurf zur Revision des Übereinkommens vom 20. März 1958 über die Annahme einheitlicher Bedingungen für die Genehmigung der Ausrüstungsgegenstände und Teile von Kraftfahrzeugen und über die gegenseitige Anerkennung der Genehmigung in den Bundestag ein. Das Übereinkommen, welches die internationale technische Harmonisierung bezweckt, dient der Erweiterung des Anwendungsbereichs, der bisher auf Kraftfahrzeugteile und Ausrüstungsgegenstände bezogen war, auf Kraftfahrzeuge insgesamt.262



    260 BT-Drs. 13/4632.
    261 BT-Drs. 13/4037.
    262 Gesetzentwurf der Bundesregierung, Entwurf eines Gesetzes zur Revision des Übereinkommens vom 20. März 1958, BR-Drs. 599/96.