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Völkerrechtliche Praxis der Bundesrepublik Deutschland im Jahre 1996


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Volker Röben


XV. EG und EU

2. Europäische Union

    149. In Beantwortung einer schriftlichen Parlamentarischen Anfrage führte Staatsminister Hoyer aus, die Entwicklung einer gemeinsamen europäischen Verteidigung im Rahmen der EU sei derzeit eine nicht aktuelle, sondern hypothetische Frage.285

    150. Die Antwort der Bundesregierung auf eine Kleine Anfrage zur Verankerung von Frauenrechten im Rahmen der Regierungskonferenz lautete: Die Gleichberechtigung von Frauen und Männern sei in allen Politikfeldern der Europäischen Union zu berücksichtigen. In den Schlußfolgerungen der Tagungen der Europäischen Räte in Essen, Cannes und Madrid hätten die Staats- und Regierungschefs die von der EU eingeleiteten Maßnahmen zugunsten der Frauen, die Sicherstellung der rechtlichen Gleichstellung von Mann und Frau sowie die Schaffung von Chancengleichheit als Hauptaufgaben der Union anerkannt. Die Bundesregierung setze sich für die Berücksichtigung dieser Aufgabenstellung auch im Rahmen der Beratung zur Regierungskonferenz 1996 ein. Unabhängig von der Frage eines Grundrechtskatalogs halte die Bundesregierung die Aufnahme einzelner Grundrechte für denkbar, insbesondere eines die Gleichberechtigung betreffenden Grundrechts. Insoweit erscheine es verfrüht, jetzt schon eine abschließende Entscheidung zu treffen, ob eine Verankerung im thematischen Bereich der sogenannten Bürgerrechte oder aber auch im Bereich der Aufgaben und Zielbeschreibung im EG-Vertrag erfolgen solle. Die Bundesregierung orientiere sich bei ihren Vorschlägen an der Ausgestaltung des Art. 3 Abs. 2 GG. Bei der Einführung eines Grundrechts auf Gleichberechtigung oder Gleichstellung auf europäischer Ebene könne es sich nur um einen Grundrechtsschutz gegenüber den EU-Organen handeln. Im Rahmen der derzeitigen Beratungen der Regierungskonferenz 1996 werde von der Bundesregierung keine Neufassung des Art. 119 angestrebt. Dabei sei zu berücksichtigen, daß Art. 2 des Sozialabkommens bereits jetzt unterstützende und ergänzende Maßnahmen der Gemeinschaft unter anderem auf dem Gebiet der Chancengleichheit von Männern und Frauen auf dem Arbeitsmarkt und der Gleichbehandlung am Arbeitsplatz ermögliche und daß die Gemeinschaft bereits im Rahmen des früheren Rechts zur Regelung der Gleichbehandlung von Männern und Frauen eine Reihe von Richtlinien verabschiedet habe, die sich nicht allein auf den Grundsatz "gleiches Entgelt für gleichwertige Arbeit" beschränkten, nämlich - die Richtlinie Nr. 75/117 des Rates vom 10. Februar 1975 zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Anwendung des Grundsatzes des gleichen Entgelts für Männer und Frauen, die Richtlinie Nr. 76/207 des Rates vom 9. Februar 1976 zur Verwirklichung des Grundsatzes der Gleichbehandlung von Männern und Frauen hinsichtlich des Zugangs zur Beschäftigung, zur Berufsausbildung und zum beruflichen Aufstieg sowie in bezug auf die Arbeitsbedingungen, die Richtlinie Nr. 97/7 des Rates vom 19. Dezember 1978 zur schrittweisen Verwirklichung des Grundsatzes der Gleichbehandlung von Männern und Frauen im Bereich der sozialen Sicherheit, die Richtlinie Nr. 86/378 des Rates vom 24. Juli 1986 zur Verwirklichung des Grundsatzes der Gleichbehandlung von Männern und Frauen bei den betrieblichen Systemen der sozialen Sicherheit sowie die Richtlinie Nr. 86/613 des Rates vom 11. Dezember 1986 zur Verwirklichung des Grundsatzes der Gleichbehandlung von Männern und Frauen, die eine selbständige Erwerbstätigkeit - auch in der Landwirtschaft - ausüben, sowie über den Mutterschutz. Im übrigen sei die Übernahme des Abkommens über die Sozialpolitik in den EG-Vertrag eines der vorrangigen sozialpolitischen Anliegen der Bundesregierung bei der Regierungskonferenz 1996. Die Frage, inwieweit Quotenregelungen mit der derzeitigen Richtlinie Nr. 76/207 vereinbar seien, sei gegenwärtig und bereits früher Gegenstand der Überprüfung durch den Europäischen Gerichtshof gewesen. Darüber hinaus sei darauf hinzuweisen, daß die Richtlinie zwar grundsätzlich gemäß Art. 235 EGV auf Vorschlag der Kommission nach Anhörung des Parlaments einstimmig geändert werden könne. Dabei sei jedoch zu berücksichtigen, daß die Beseitigung der auf dem Geschlecht beruhenden Diskriminierung nach Auffassung des Europäischen Gerichtshofs zu den gemeinschaftsrechtlichen Grundrechten gehöre, so daß die Dispositionsfreiheit begrenzt sei. Die Bundesregierung trete nicht für die Ermöglichung und Verankerung der Quote in einer neu gestalteten Richtlinie ein. Sie werde auch den von der Kommission vorgelegten Änderungsvorschlag unter diesen Kriterien prüfen. Unter der deutschen Präsidentschaft sei unter 14 Mitgliedstaaten Einigung über den Inhalt des Richtlinienvorschlags zur Beweislast im Bereich des gleichen Entgelts und der Gleichbehandlung von Frauen und Männern erzielt worden. Die Verabschiedung sei jedoch an der ablehnenden Haltung Großbritanniens gescheitert. Das Vorhaben sei auf Vorschlag der deutschen Präsidentschaft von der EU-Kommission in das Konsultationsverfahren mit den Sozialpartnern nach dem Sozialabkommen gegeben worden.286

    151. Staatsminister Hoyer stellte im Rahmen der Regierungskonferenz Maastricht II die Vorschläge der Bundesregierung zur Stärkung der gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik (GASP) der Europäischen Union vor. In einer ersten Beratungsrunde der EU-Regierungskonferenz zur GASP skizzierte Hoyer das Modell einer Planungs- und Analyseeinheit, die eine kontinuierliche Arbeit gewährleisten und deren Leiter der GASP "Gesicht und Stimme" verleihen soll.287

    152. Die Bundesregierung teilte die Auffassung der britischen Regierung, wie sie unter anderem in einem Schreiben der ständigen Vertretung Großbritanniens bei der Europäischen Union vom 26. Januar 1996 dargelegt ist288, wonach der NVV für die Kernwaffenstaaten ein Weitergabeverbot enthalte. Im übrigen verweise die Bundesregierung auf die bei Hinterlegung der Ratifikationsurkunde zum NVV abgegebene Erklärung der Bundesrepublik, nach der "keine Bestimmung des Vertrages so ausgelegt werden kann, als behindere sie die weitere Entwicklung der europäischen Einigung, insbesondere die Schaffung einer Europäischen Union mit entsprechenden Kompetenzen". Die Entwicklung einer europäischen militärisch-nuklearen Zusammenarbeit im Rahmen der GASP stelle eine hypothetische Frage dar. Es könne deshalb offen bleiben, ob aus den Bestimmungen des NVV, aus eventuell von Frankreich und Großbritannien mit den USA getroffenen Vereinbarungen oder aus völkerrechtlichen und nationalen Pflichten europäischer nicht-nuklearer Staaten Schlußfolgerungen zu ziehen seien.289

    153. Auf die schriftliche Parlamentarische Anfrage, ob sich die Bundesregierung dafür einsetzen werde, im Rahmen der Europäischen Union eine vertragliche Grundlage zu schaffen, die es gemäß dem Gutachten des Europäischen Gerichtshofes vom 28. März 1996 (2/94) den Europäischen Gemeinschaften künftig ermöglichen würde, der Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (EMRK) beizutreten, antwortete die Bundesregierung wie folgt: Die Bundesregierung habe sich in Übereinstimmung mit dem Deutschen Bundestag schon bei der Regierungskonferenz 1990/91 für den Beitritt der EG zur EMRK eingesetzt. Die Bundesregierung sei unverändert der Auffassung, daß der Grundrechtsschutz auf europäischer Ebene weiter gestärkt werden solle. Das Gutachten des Europäischen Gerichtshofs vom 28. März 1996 stelle fest, daß die Gemeinschaft beim gegenwärtigen Stand des Gemeinschaftsrechts nicht über die Zuständigkeit verfüge, der EMRK beizutreten. Die Prüfung der mit einem Beitritt zur EMRK verbundenen rechtlichen Fragen sei noch nicht abgeschlossen.290

    154. Nach den Angaben der Bundesregierung in ihrer Antwort auf eine entsprechende schriftliche Parlamentarische Anfrage hat die Europol-Drogenstelle (EDS) in den Jahren 1994 und 1995 insgesamt 2.069 Auskunftsersuchen der Mitgliedstaaten bearbeitet. Die Zahl der sich hieraus ergebenden Informationserledigungen habe allerdings erheblich höher gelegen, da Auskunftsersuchen an die EDS oftmals an mehrere Mitgliedstaaten gleichzeitig gerichtet würden. Die Tätigkeit der EDS erschöpfe sich nicht in der Organisation des Informationsaustausches der EU-Mitgliedstaaten, sondern umfasse entsprechend dem Mandat der Ministervereinbarung vom 2. Juni 1993 und der gemeinsamen Maßnahme vom 10. März 1995 auch die Erarbeitung allgemeiner Lageberichte und Verbrechensanalysen. Hierzu hätten unter Mitarbeit der EDS-Verbindungsbeamten und nationaler Experten 1994 und 1995 zahlreiche Sitzungen in Den Haag stattgefunden. Auf eine entsprechende schriftliche Parlamentarische Anfrage teilte die Bundesregierung mit, sie habe dem Bericht an den Ministerrat über das Europol-Computersystem Europol 123291 zugestimmt. Dort heißt es unter Nr. 3:

    "Von entscheidender Bedeutung ist, den Anwendungsbereich des Europolsystems sehr genau festzulegen, um dem Übereinkommen im vollen Umfang Rechnung zu tragen. Es muß entschieden werden, wie die Beziehungen der einzelnen Bestandteile untereinander und zu den Systemen in den nationalen Stellen gestaltet werden sollen. Es müssen auch andere nationale und internationale Systeme wie das Schengener Informationssystem und dasjenige von Interpol berücksichtigt werden, damit Doppelarbeit vermieden wird und aus bei der Entwicklung der Systeme gemachten Erfahrungen Nutzen gezogen werden kann."
    Hieraus könne nicht gefolgert werden, daß es Aufgabe von Europol wäre, ein Fahndungssystem zu betreiben.292

    155. Eine Unterrichtung des Bundestages seitens der Bundesregierung fand durch den "Bericht der Bundesregierung über ihre Bemühungen zur Stärkung der gesetzgeberischen Befugnisse des Europäischen Parlaments" statt.293

    156. In Anwendung von Titel 6 des Vertrages über die Europäische Union nahm der Rat aufgrund von Art. K.3 eine gemeinsame Maßnahme betreffend die Bekämpfung von Rassismus und Fremdenfeindlichkeit an.294



    285 BT-Drs. 13/6056, 2.
    286 BT-Drs. 13/4960.
    287 FAZ vom 8.5.1996, 7.
    288 "The NPT prevents nuclear weapon states parties from transferring to any recipient whatsoever nuclear weapons or the control over them (unless the nuclear weapon states were to cease to exist). The establishment of the European nuclear force would therefore entail no breach of the Non- Proliferation Treaty."
    289 BT-Drs. 13/6356, 4.
    290 Antwort der Bundesregierung auf eine schriftliche Parlamentarische Anfrage, BT-Drs. 13/ 5272.
    291 Ratsdokument 12869/9.
    292 BT-Drs. 13/4516, 5.
    293 BT-Drs. 13/4212.
    294 ABl. EG Nr. L 185, 5 vom 24.7.1996.