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Völkerrechtliche Praxis der Bundesrepublik Deutschland im Jahre 1996


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Volker Röben


III. Staaten und Regierungen

    15. Zur deutschen Politik in bezug auf die Tibet-Frage führte die Bundesregierung auf eine Abgeordnetenfrage hin aus, daß sie den Anspruch der Tibeter auf kulturelle und religiöse Autonomie unterstütze und von der chinesischen Regierung die Beachtung der Menschenrechte fordere. Sie sei davon überzeugt, daß eine Lösung der Probleme Tibets nur im Dialog Pekings mit dem Dalai Lama gefunden werden könne. Die Bundesregierung dränge die chinesische Führung daher beharrlich, das Gespräch mit ihm wieder aufzunehmen. Sie betrachte Tibet allerdings - wie die Gesamtheit der Staatengemeinschaft - als Teil des chinesischen Staatsverbandes. Da Tibet für die Bundesregierung, wie nach allgemeiner Auffassung der Staatengemeinschaft, ein Teil des chinesischen Staatsverbandes sei, könne eine "tibetische Exilregierung" von ihr nicht anerkannt werden.45 Dies bedeute unter anderem, daß das Auswärtige Amt sein Veto wegen erheblicher Gefährdung der außenpolitischen Interessen gegen die Vergabe einer Unterstützung von 300.000 DM durch das Bundesministerium für Wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung an die Friedrich Naumann-Stiftung zur Veranstaltung einer Weltkonferenz tibetischer Exilgruppen eingelegt habe, da die Konferenz von der Stiftung explizit gemeinsam mit der sich selbst so nennenden "Regierung Tibets im Exil" veranstaltet werde.46

    16. Im Berichtszeitraum nahm die Bundesregierung zu Fragen der Staatensukzession im mittel-, südost- und osteuropäischen Raum Stellung. Bundesaußenminister Kinkel erläuterte am 17. April 1996 den Beschluß des Bundeskabinetts zur völkerrechtlichen Anerkennung der Bundesrepublik Jugoslawien und der Entsendung eines deutschen Botschafters nach Belgrad wie folgt:47

    "Das Bundeskabinett hat heute die völkerrechtliche Anerkennung der Bundesrepublik Jugoslawien als einer der Nachfolgestaaten der Sozialistischen Föderativen Republik Jugoslawien beschlossen und entschieden, einen Botschafter nach Belgrad zu entsenden. Mit der Anerkennung durch Deutschland und andere Staaten der Europäischen Union ist die Bundesrepublik Jugoslawien ihrer Annäherung an die internationale Staatengemeinschaft einen Schritt näher gekommen. Die weitere Annäherung Belgrads an die internationale Staatengemeinschaft, insbesondere der Zugang zu internationalen Finanzhilfen und die Zusammenarbeit mit der Europäischen Union ist abhängig von der Erfüllung der von der Bundesrepublik Jugoslawien eingegangenen Verpflichtungen: insbesondere im Bereich der Menschen- und Minderheitenrechte, des Rechts aller Flüchtlinge und Vertriebenen auf Rückkehr, der Gewährung eines Autonomiestatutes für den Kosovo sowie einer konstruktiven Haltung bei der Frage der Staatennachfolge des ehemaligen Jugoslawiens und bei der Umsetzung des Friedensabkommens von Dayton. Die Bundesregierung erwartet insbesondere von Belgrad, daß es seiner internationalen Verantwortung insbesondere im Bereich der Menschen- und Minderheitenrechte, des Rechts aller Flüchtlinge und Vertriebenen auf Rückkehr, der Gewährung eines Autonomiestatutes für den Kosovo sowie einer konstruktiven Haltung bei der Frage der Staatennachfolge des ehemaligen Jugoslawiens und bei der Umsetzung des Friedensabkommens von Dayton entspricht. Die Bundesregierung erwartet insbesondere von Belgrad, daß es seiner internationalen Völkerrechtsverpflichtung nachkommt und eigene Staatsangehörige, die sich im Ausland ausreisepflichtig aufhalten, unverzüglich und ohne Bedingungen zurücknimmt. Die Belgrader Regierung muß in dieser Frage einen konstruktiven Beitrag leisten. Bei der heutigen Erörterung im Bundeskabinett hat insbesondere die Frage einer Lösung für den Kosovo eine bedeutende Rolle gespielt. Grundlage für die Lösung der Kosovofrage muß die Gewährung eines hohen Maßes an Autonomie innerhalb der Bundesrepublik Jugoslawiens sein. Die heute beschlossene Anerkennung würde eine konsequente Fortsetzung der Politik der Bundesregierung sein, die darauf gerichtet war und ist, sich für gleiche Rechte und Pflichten aller Nachfolgestaaten im ehemaligen Jugoslawien einzusetzen. Der heutige Anerkennungsbeschluß dokumentiert ebenfalls: Deutschland hat nie eine antiserbische Politik betrieben. Ich habe stets die Auffassung vertreten, daß das serbische Volk seinen Platz in Europa haben muß. Mit dem Anerkennungsbeschluß ist nunmehr auch die Voraussetzung geschaffen, die politischen Kontakte auszubauen."
    Bereits am 8. April hatte Bundesaußenminister Kinkel die Normalisierung der Beziehungen zwischen der ehemaligen jugoslawischen Republik Mazedonien und der Bundesrepublik Jugoslawien als wichtigen Beitrag zur Stabilisierung der Lage in Südosteuropa bezeichnet und betont, daß damit das letzte Hindernis zur Anerkennung der Bundesrepublik Jugoslawien durch die Mitgliedstaaten der Europäischen Union entfallen sei.48 Zur Frage der Staatennachfolge im früheren Jugoslawien äußerte sich der deutsche Botschafter bei den Vereinten Nationen in einem Brief gegenüber dem Generalsekretär wie folgt:49
    "The Federal Republic of Germany would like to express its disagreement with any interpretation that the Federal Republic of Yugoslavia (Serbia and Montenegro) remains the predecessor state upon separation of parts of the territory of the former Yugoslavia. Such an interpretation is contrary, in particular, to Security Council Resolution 777 (1992), in which the Council stated that the state formerly known as Socialist Federal Republic of Yugoslavia has ceased to exist and that the Federal Republic of Yugoslavia (Serbia and Montenegro) cannot continue automatically the membership of the former Socialist Federal Republic of Yugoslavia in the United Nations. The General Assembly in its Resolution 47/1 supported the decision of the Security Council. Recently in Security Council Resolution 1022 (1995) of 22 November 1995, the Council confirmed with regard to the state formerly known as the Socialist Federal Republic of Yugoslavia that that state has ceased to exist. Moreover the interpretation in question is contrary to the opinions of the Arbitration Commission of the Conference for Peace in Yugoslavia. The Arbitration Commission concluded that the former Socialist Federal Republic of Yugoslavia has dissolved and ceased to exist as a subject of international law, and that none of the successor states (including the Federal Republic of Yugoslavia (Serbia and Montenegro)), could claim to be the sole successor state of the former Socialist Federal Republic of Yugoslavia. The fundamental principles of equality of rights and duties in respect of international law would deal with the succession of states with respect to treaties, state property, archives and debts, were to be applied to all successor states. As the interpretation contained in the said document has given rise to serious concerns also from my government, I would welcome if the legal situation laid out in the resolution cited above could be reflected in the corrigendum reportedly under consideration in the United Nations Secretariat. I should be grateful for your kind assistance in circulating the present letter as a document of the General Assembly under agenda item 19 and as a document of the Security Council."
    Die EU hatte am 9. April 1996 erklärt, daß mit der gegenseitigen Anerkennung der Bundesrepublik Jugoslawien und Mazedonien der Weg für eine Anerkennung der Bundesrepublik Jugoslawien als ein Nachfolgestaat der Sozialistischen Föderativen Republik Jugoslawien entsprechend den jeweiligen nationalen Prozeduren offen ist. Die Außenminister der Europäischen Union hatten am 4. Dezember 1995 beschlossen, die Anerkennung der Bundesrepublik Jugoslawien durch die Mitgliedstaaten der Europäischen Union unter anderem von der gegenseitigen Anerkennung zwischen Belgrad und Skopje abhängig zu machen.50
    Bei seinem Besuch in Lubljana, Slowenien, stimmten Bundesaußenminister Kinkel und der slowenische Außenminister Drnovsek darin überein, daß Belgrad nicht die alleinige Rechtsnachfolge für das zerfallene Jugoslawien für sich beanspruchen könne, weil auf dessen Territorium fünf Nachfolgestaaten entstanden seien.51
    Auf eine Kleine Anfrage legte die Bundesregierung ihren Standpunkt dar, 52 daß die Sowjetunion durch eine Regierungserklärung vom 22. August 1953 gegenüber ganz Deutschland ausschließlich auf weitere Reparationen verzichtet habe. Nach Völkerrecht gelte dieser Verzicht auch für die Russische Föderation, die die frühere Sowjetunion fortsetze, sowie für die Nachfolgestaaten der Sowjetunion und alle Staatsangehörigen dieser Staaten.
    Im Zusammenhang mit der sogenannten kleinen Privatisierung durch die Tschechische Republik antwortete die Bundesregierung auf eine Kleine Anfrage wie folgt:53 Die Bundesregierung habe die Vertreibung der Deutschen und die entschädigungslose Entziehung deutschen Vermögens immer als völkerrechtswidrig verurteilt. Sie habe diesen Standpunkt auch gegenüber der CSFR stets mit Nachdruck vertreten. Insbesondere bei den Verhandlungen mit der damaligen CSFR zum Vertrag über gute Nachbarschaft und freundschaftliche Zusammenarbeit vom 27. Februar 1992 habe die Bundesregierung ihre Auffassung deutlich gemacht. Die tschechoslowakische Regierung sei aber nicht bereit gewesen, Rückgewährung und Entschädigungsansprüche Deutscher anzuerkennen. Die Bundesregierung sei deshalb bestrebt gewesen, die diesbezüglichen Ansprüche offenzuhalten. Dies sei in einem Briefwechsel der Außenminister zum Nachbarschaftsvertrag geschehen. Dieser Vertrag gelte auch gegenüber der Tschechischen Republik als einem der beiden Nachfolgestaaten der CSFR fort.

    17. Zur Beachtlichkeit von Urteilen der Gerichte eines anderen Staates nahm die Bundesregierung hinsichtlich der Rehabilitierung der von einem sowjetischen Militärtribunal Verurteilten auf eine entsprechende Anfrage hin folgende Stellung:54

    "Nach den Grundsätzen des allgemeinen Völkerrechts ist die Bundesrepublik Deutschland daran gehindert, Urteile von Gerichten eines anderen Staates - also auch solche der ehemaligen UdSSR - einseitig aufzuheben. Dies ergibt sich aus dem völkerrechtlichen Prinzip der souveränen Gleichheit der Staaten. Eine gesetzliche Regelung, die die generelle Rechtsstaatswidrigkeit der Urteile der sowjetischen Militärtribunale und anderer Hoheitsakte der Sowjetunion - ohne Aufhebung der jeweiligen Entscheidung - festgestellt hätte, kam nicht in Betracht, da die Sowjetunion schon gegenüber der letzten Regierung der DDR wie auch nach dem Beitritt in Verhandlungen mit der Bundesregierung deutlich gemacht hatte, daß sie über die Rehabilitierung wegen Maßnahmen sowjetischer Stellen in eigener Kompetenz und im Einzelfall entscheiden wollte."
    Vor diesem Hintergrund erkläre sich, daß der Regierungsentwurf zum 1. SED-Unrechtsbereinigungsgesetz keine entsprechenden Regelungen hinsichtlich der SMT-Urteile enthalten habe. Vielmehr bemühe sich die Bundesregierung, in intensiven Gesprächen mit Regierungsstellen der Russischen Föderation um Mittel und Wege zur Erreichung einer Rehabilitierung der zu Unrecht Verfolgten zu finden. Die gemeinsame Erklärung des Bundeskanzlers und des Präsidenten der Russischen Föderation "Über die Rehabilitierung unschuldig Verfolgter" vom Dezember 1992 beinhaltet die Feststellung, "daß die zu Unrecht Verurteilten und unschuldig Verfolgten moralisch rehabilitiert sind". Eine individuelle Rehabilitierung habe die russische Seite jedoch weiterhin von der Durchführung eines individuellen Verfahrens abhängig gemacht. Die innerstaatlichen Voraussetzungen für die Rehabilitierung von Ausländern - also auch von deutschen Staatsangehörigen, die durch sowjetische Militärtribunale verurteilt worden seien - habe die Russische Föderation durch die Novellierung des russischen Rehabilitierungsgesetzes geschaffen. In ihrer Antwort auf eine Anfrage zur Behandlung des in der damaligen DDR in den Jahren 1945 bis 1949 enteigneten Eigentums bestätigt die Bundesregierung ihre Haltung:55
    "Auf der Grundlage der gemeinsamen Erklärung beider deutschen Regierungen zur Regelung offener Vermögensfragen vom 15. Juni 1990, nach deren Nr. 1 die Enteignungen auf besatzungsrechtlicher, bzw. besatzungshoheitlicher Grundlage (1945-1949) nicht mehr rückgängig zu machen sind, sondern eine Wiedergutmachung in Form staatlicher Ausgleichsleistungen erfolgen kann, hat der Gesetzgeber das am 1. Dezember 1994 in Kraft getretene Entschädigungs- und Ausgleichsleistungsgesetz beschlossen."

    18. Im Zusammenhang mit dem Beschluß des Bundesverfassungsgerichtes über Individualansprüche ehemaliger Zwangsarbeiter und der Frage der Reparationsforderungen dritter Staaten ist es in den Jahren 1995/96 zu einem Notenwechsel zwischen der deutschen und der griechischen bzw. der slowenischen Botschaft gekommen. Das Auswärtige Amt teilte der griechischen Botschaft mit Verbalnote folgendes mit:

    "Verfahren vor griechischen Gerichten, in denen über Ansprüche griechischer Privatpersonen gegen die Bundesrepublik Deutschland wegen Ereignissen während des Zweiten Weltkriegs verhandelt wird, sind nicht mit dem Völkerrecht vereinbar und entsprechende Klagen gegen die Bundesrepublik Deutschland vor griechischen Gerichten daher unzulässig. Der im Völkerrecht allgemein gültige Grundsatz der Staatenimmunität steht der Prozeßführung vor Gerichten eines Staates entgegen, soweit sie sich gegen einen fremden Staat richtet und sich auf dessen hoheitliches Handeln (acta iure imperii) bezieht. Die Vorkommnisse, die den geltend gemachten Forderungen zugrunde gelegt werden, fallen zweifellos in diesen Bereich. Im übrigen können materielle und immaterielle Schäden, die durch eine kriegführende Macht verursacht worden sind, nach geltendem Völkerrecht nicht als Einzelansprüche der Geschädigten gegen den verantwortlichen Staat erhoben werden."
    Eine entsprechende Verbalnote erging an die Botschaft der Republik Slowenien.



    45 S. bereits Grote (Anm. 18), Ziff. 12.
    46 BT-PlPr., 112. Sitzung, 10 000.
    47 Pressereferat Auswärtiges Amt, 17.4.1996; s. SZ vom 18.4.1996, 1.
    48 Pressereferat Auswärtiges Amt, 17.4.1996.
    49 UN-Doc. A/50/928 S/1996/263.
    50 Pressereferat Auswärtiges Amt, 17.4.1996.
    51 FAZ vom 30.10.1996, 8.
    52 Unterrichtung durch die Bundesregierung, Bericht über bisherige Wiedergutmachungsleistungen deutscher Unternehmen, BT-Drs. 13/4787.
    53 BT-Drs. 13/4909, 3.
    54 Antwort der Bundesregierung auf eine schriftliche Parlamentarische Anfrage, BT-Drs. 13/4286.
    55 Antwort der Bundesregierung auf eine schriftliche Parlamentarische Anfrage, BT-Drs. 13/5927, 3.