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3. Kollektive militärische Maßnahmen
188. Bundesaußenminister Kinkel stellte in der Generaldebatte der VN-Vollversammlung zur Lage in Bosnien-Herzegowina fest:
"Germany is willing to provide a military contribution. By admitting more than 320.000 war refugees from Bosnia and Hercegovina, Germany has practised human solidarity. We also have more than 130.000 Yugoslav nationals, most of them from Kosovo, who have to return to their native regions. This is a heavy burden for us, including in financial terms. But we gave temporary protection and shelter to these people on humanitarian grounds, and we will not be found wanting in this respect now that their repatriation is becoming possible." |
189. Die Außenminister der Kontaktgruppenstaaten und die drei Mitglieder des neu gewählten Präsidiums von Bosnien und Herzegowina trafen sich am 14. November 1996 zu einer Konferenz in Paris, bei der sie sich auf Grundsätze für die zivilen Aspekte des Konsolidierungsplanes einigten und eine entsprechende Übereinkunft unterzeichneten. Dabei wird die weitere wirtschaftliche Hilfe des Auslands für den Wiederaufbau Bosniens von der Erfüllung der Verpflichtungen durch die drei Konfliktparteien abhängig gemacht, die zusammen die Präsidentschaft von Bosnien-Herzegowina bilden. "Die Verantwortung für die Ausführung der Friedensabkommen (von Dayton) liegt in erster Linien bei den verschiedenen Behörden von Bosnien-Herzegowina." Ohne Einhaltung der Abkommen und ohne aktive Beteiligung am Wiederaufbau einer zivilen Gesellschaft können sie von der internationalen Gemeinschaft nicht erwarten, daß diese weiterhin die Last für die Sicherung der Abkommen und für den Wiederaufbau trage. "Die Behörden von Bosnien-Herzegowina verstehen, daß die Fortsetzung der internationalen Hilfe für den Friedensprozeß von der Intensität ihrer eigenen Anstrengungen abhängt." Die Präsidentschaft von Bosnien-Herzegowina, die von dem bosniakisch-muslimischen Vorsitzenden Izedbegovic, dem Serben Karjisnik und dem Kroaten Zubak gebildet wird, verpflichtet sich aufs Neue, die in der Verfassung vorgesehenen gemeinsamen staatlichen Institutionen einzurichten und sie "sobald wie möglich" funktionsfähig zu machen. Für die zweijährige Konsolidierungsperiode haben sich die Kontaktgruppe und die Präsidentschaft Bosnien-Herzegowina auf eine Reihe von Prioritäten geeinigt: Versuch einer Begrenzung der Bewaffnung; Herstellung der öffentlichen Ordnung mit einer unabhängigen Justiz und demokratischen Polizeikräften; Beachtung der Menschenrechte; Einrichtung einer wirklichen Demokratie mit Presse- und Meinungsfreiheit; Abhaltung von Gemeindewahlen 1997 und allgemeinen Wahlen 1998; Herstellung der Bewegungsfreiheit im gesamten Staatsgebiet; Erleichterung der Rückkehr und Wiederansiedlung der Flüchtlinge und Vertriebenen mit Hilfe von Programmen, die auch den örtlichen Sicherheitsbedürfnissen Rechnung tragen; volle Zusammenarbeit mit dem Jugoslawien-Tribunal ("die Angeklagten müssen unverzüglich dem Gerichtshof ausgeliefert werden"); Einführung der Marktwirtschaft; Bemühungen um eine langfristige Versöhnung in der Bevölkerung, wobei die Fälle verschwundener Personen tatkräftiger gelöst werden sollen; Wiederherstellung des Schul- und Hochschulsystems; Beseitigung der Minen. Bundesaußenminister Kinkel plädierte bei der Pariser Konferenz für ein "gehärtetes Mandat", einen fest umrissenen Auftrag für die ausländische Sicherheitstruppe und Polizei. Die Verfolgung der Kriegsverbrecher dürfe nach Kinkels Auffassung auch vor den beiden Hauptschuldigen Karacic und Mladic nicht Halt machen.401
83 deutsche Polizeibeamte sind am 22. Januar 1996 zur Teilnahme an der Polizeimission der Vereinten Nationen nach Bosnien aufgebrochen. "Ein bißchen spät" findet nach Ansicht des deutschen Generalleutnants Eisele, der bei den Vereinten Nationen für Blauhelmeinsätze zuständig ist, die Entsendung der Polizisten statt.402
Bundesaußenminister Kinkel bestellte am 18. Mai den kroatischen Botschafter in Bonn ein und protestierte scharf gegen die "Provokationen" während des Besuchs von Entwicklungshilfeminister Spranger in Mostar. Spranger hatte zuvor die Übergabe einer von zwei Eisenbahnbrücken über den Fluß Neretva abgesagt, weil die Baustelle im souveränen Staat Bosnien-Herzegowina mit einer kroatischen Fahne geschmückt war. Daraufhin hatte die kroatische Polizei versucht, die bosnische Sekretärin des deutschen Entwicklungshilfeprojektes bei einem von Spranger gegebenen Empfang zu verhaften. Kinkel sagte das Verhalten der bosnischen Kroaten sei unannehmbar. Neben der Einbestellung des Botschafters in Bonn sei die Deutsche Botschaft in Zagreb angewiesen worden, "in derselben Sache unverzüglich bei der kroatischen Regierung vorstellig zu werden".403
Auf eine schriftliche Parlamentarische Anfrage bekräftigte die Bundesregierung, gemäß dem Abkommen von Dayton/Paris liege die Verantwortung für die Schaffung von Voraussetzungen für faire und freie Wahlen in Bosnien und Herzegowina bei den ehemaligen Konfliktparteien. Die OSZE sei beauftragt, die Vorbereitung und Durchführung der Wahlen in Bosnien und Herzegowina zu überwachen. Ob die Wahlen in fairer Weise durchgeführt würden, lasse sich zusammenfassend erst nach Beendigung des Wahlvorgangs beurteilen.404 Die Bundesregierung fördert die Wahlbeteiligung der in Deutschland lebenden wahlberechtigten bosnischen Staatsangehörigen bei der ersten allgemeinen Wahl in Bosnien-Herzegowina am 14. September 1996 durch finanzielle Unterstützung des von der OSZE in Bonn eingerichteten Wahlbüros und die Zulassung von Wahlreisen für Flüchtlinge unter Erhalt ihres Status.405
Die Verteidigungsminister der NATO-Staaten übertrugen bei ihrer Herbsttagung in Brüssel die "activation order" also die Kommandoübertragung für die SFOR-Operation an den NATO-Oberbefehlshaber in Europa, General Joulwan.406
Mit großer Mehrheit beschloß der Bundestag am 13. Dezember 1996 in namentlicher Abstimmung, dem Einsatz von Bundeswehrtruppen im Rahmen der von der NATO geplanten Operation zur weiteren militärischen Absicherung des Friedensprozesses im früheren Jugoslawien zuzustimmen:407
"Der Deutsche Bundestag stimmt dem Einsatz bewaffneter Streitkräfte entsprechend dem von der Bundesregierung am 11. Dezember 1996 beschlossenen deutschen Beitrag zur weiteren Absicherung des Friedensprozesses im früheren Jugoslawien zu. Die Kräfte können eingesetzt werden, sobald ein Mandat des Sicherheitsrates der Vereinten Nationen und ein entsprechender Beschluß des NATO-Rates vorliegen. Der Deutsche Bundestag nimmt zur Kenntnis, daß die Bundesregierung einen Einsatz erst anordnen wird, wenn der Auswärtige Ausschuß im Einvernehmen mit dem Verteidigungsausschuß den Eintritt dieser Bedingung festgestellt hat. Sollte der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen bis zum 20. Dezember 1996 keine Resolution zu einem neuen Mandat angenommen haben, ist die Bundesregierung ermächtigt, die unter IFOR-Mandat entsendeten Kräfte im Einsatzgebiet zu belassen, wenn und soweit der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen das bisherige Mandat verlängert."408 |
190. Die Unterrichtung durch die Wehrbeauftragte "Jahresbericht 1995 (37. Bericht)" erreichte den Bundestag.418
191. Der Bericht des Generalsekretärs der VN zur Verbesserung der Fähigkeiten zur Konfliktverhütung und Friedenserhaltung in Afrika enthält aus der Sicht der Bundesregierung eine Reihe von interessanten und diskussionswerten Vorschlägen zur Verbesserung der Konfliktmanagement-Kapazitäten afrikanischer Staaten und der OAU. Die Bundesregierung wird sich an der Diskussion über die Umsetzung dieser Vorschläge auch weiterhin beteiligen und wird in dem Maße, an dem ihre Realisierung konkrete Formen annimmt, prüfen, inwieweit projektgebundene Unterstützung geleistet werden kann.419
192. Bei seinem Treffen in der namibischen Hauptstadt Windhoek mit mehreren Außenministern des südlichen Afrika unterstützte Bundesaußenminister Kinkel die skeptische Haltung Mandelas zu den amerikanischen Plänen einer afrikanischen Friedenstruppe. Der amerikanische Außenminister Christopher habe bei einigen Regierungen - in Mali, Tansania und Äthiopien - Zustimmung für eine solche Eingreiftruppe erfahren. Zugleich gebe es aber in Afrika die Sorge, daß der Vorschlag kurz vor den amerikanischen Wahlen eher amerikanischen politischen Gründen diene. Washington habe seinen Plan nicht mit den Europäern abgestimmt. Auch der Entwicklungskommissar der Europäischen Union de Pinheiro zeigte sich in Windhoek skeptisch gegenüber diesen Plänen. Kinkel sagte, afrikanische Konflikte müßten zunächst afrikanische Lösungsversuche erhalten. Eine afrikanische regionale Streitmacht müsse unter dem Mandat der UN stehen. In Afrika müsse man nach Ansicht von Kinkel mehr auf regionale Zusammenarbeit setzen, darin habe das südliche Afrika eine Vorbildfunktion. Europa würde, so Bundesaußenminister Kinkel, mit Ausrüstung, Ausbildung und Transport helfen. Wichtig sei nicht nur, das habe sich jetzt wieder in Bosnien gezeigt, die Prävention von Konflikten, sondern auch deren "Nachbereitung".420
Deutschland wird sich an einer Schutztruppe für das Afrikanische Krisengebiet an den Großen Seen nicht mit Soldaten beteiligen. Außenminister Kinkel sagte nach einem Gespräch mit dem ruandischen Außenminister Gazana, nach seiner Kenntnis des Standpunktes der Regierung von Ruanda "sollte es eine Eingreiftruppe sein, die im wesentlichen aus Afrikanern bestünde". Wenn die Beteiligung an einer solchen Truppe über die Staaten der Organisation für afrikanische Einheit (OAE) hinausginge, könne eine breiter zusammengesetzte Truppe nur mit Zustimmung der Vereinten Nationen und der beteiligten Länder in Afrika dorthin entsendet werden.421
Zur Situation in Afrika sagte Bundesaußenminister Kinkel in seine Rede vor der VN-Generalversammlung, die Schrecknisse von Ruanda dürften sich nicht wiederholen. Weil die Vereinten Nationen nicht für alles zuständig sein könnten, müßten die Regionalorganisationen - in Afrika die Organisation für afrikanische Einheit (OAU) - einen "größeren Teil" der Verantwortung übernehmen.422
193. Der Bundesgrenzschutz (BGS) beteiligte sich nach Angaben der Bundesregierung in den vergangen fünf Jahren an folgenden friedenserhaltenden Maßnahmen der Vereinten Nationen:
a) Im Rahmen der VN-Mission (United Nations Transitorial Authority in Cambodia) in Kambodscha von Mai 1992 bis August 1993 wurden bis zu 76 Polizeivollzugsbeamte des BGS eingesetzt. Auslandsbezogene Mehrkosten sind in Höhe von 3.651.688 DM entstanden.
b) An der VN-Mission MINUORSO (Mission des Nations Unies pour l'Organisation du Sahara de l'Ouest) in der Westsahara von Juni 1993 bis Juni 1996 waren bis zu 5 Polizeivollzugsbeamte des BGS beteiligt. Auslandsbedingte Mehrkosten sind in Höhe von 465.359 DM entstanden.
c) An der VN-Mission IPTF (International Police Task Force) in Bosnien-Herzegowina seit April 1996 beteiligt sich Deutschland mit 150 Polizeivollzugsbeamten des Bundes und der Länder (davon 49 Polizeivollzugsbeamte des BGS). Hierfür sind bereits auslandsbedingte Mehrkosten in Höhe von 5,4 Mio. DM entstanden. Eine Verlängerung des Mandats durch die Vereinten Nationen über das Jahresende 1996 hinaus ist als sicher anzunehmen. Es ist vorgesehen, daß sich die Bundesrepublik Deutschland darin mit insgesamt 150 Polizeivollzugsbeamten des Bundes und der Länder wie im bisherigen Verhältnis beteiligt. Nach vorläufigen Kostenschätzungen ist diese Beteiligung voraussichtlich mit 8,4 Mio. DM zu veranschlagen. Darüber hinaus waren von April bis Dezember 1995 bis zu 9 Polizeivollzugsbeamte aus Rheinland-Pfalz bei der VN-Operation UNAMIR (Ruanda) eingesetzt. Dabei sind von der Bundesregierung für das zweite Kontingent ab August auslandsbedingte Mehrkosten von 159.000 DM entstanden. Seit Dezember 1995 wird die Sanitätskomponente der VN-Mission UNICOM (Irak/Kuwait) vom Malteser Hilfsdienst gestellt. Der Personalumfang belaufe sich auf 15 Personen. Kosten bisher insgesamt: 3 Mio. DM. Ferner werden die Einsätze des THW in einer Anlage zu der Antwort aufgelistet.423