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Völkerrechtliche Praxis der Bundesrepublik Deutschland im Jahre 1996


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Volker Röben


VII. Personalhoheit und Staatsangehörigkeit

1. Staatsangehörigkeit

    29. In einer Bundestagsdebatte über die Reform des Staatsbürgerschaftsrechts85 gab es unterschiedliche Stellungnahmen zu einem Zusatzprotokoll vom November 1995 zum Übereinkommen des Europarats zur Verringerung der Mehrstaatigkeit von 1963.86 In diesem Zusatzprotokoll werden die Möglichkeiten doppelter Staatsangehörigkeiten für Ehegatten und Kinder gemischt-nationaler Ehen erweitert. Die Bundesregierung hat das zweite Änderungsprotokoll nicht gezeichnet.87 Auf die schriftliche Parlamentarische Anfrage, wieviele deutsche Staatsangehörige nach Kenntnis der Bundesregierung Doppel- bzw. Mehrstaater seien, antwortete die Bundesregierung, ihr sei nicht bekannt, wie viele deutsche Staatsangehörige wenigstens eine weitere Staatsangehörigkeit besäßen.88

    30. Die schriftliche Parlamentarische Anfrage zu den Anspruchseinbürgerungsvoraussetzungen nach den § 85 ff. AuslG veranlaßte die Bundesregierung klarzustellen, daß die Zustimmung des Bundesinnenministeriums zu Einbürgerungen im Einzelfall als erteilt gelte, wenn sowohl die gesetzlichen Voraussetzungen als auch die zwischen Bund und Ländern getroffenen Verfahrensregelungen (z. B. hinsichtlich des Grundsatzes der Vermeidung von Mehrstaatigkeit) erfüllt seien. Innerhalb dieses Rahmens würden die Landesbehörden ihre Entscheidungen selbst treffen.89

    31. Eine bedeutende Voraussetzung der Einbürgerung iranischer Staatsangehöriger in die Bundesrepublik regelt das deutsch-iranische Niederlassungsabkommen, zu dem die Bundesregierung folgendes erklärte:90 Iranische Bewerber würden von der völkerrechtlichen Vertragsbestimmung in Nr. II des Schlußprotokolls zum deutsch-iranischen Niederlassungsabkommen vom 17. Februar 1929 erfaßt, wonach Einbürgerungen von Angehörigen des anderen Staates der Zustimmung seiner Regierung bedürften. Mit Notenwechsel vom 28. März und 1. Mai 1995 sei die Vereinbarung getroffen worden, den Abschnitt 2 des Schlußprotokolls des deutsch-iranischen Niederlassungsabkommens aufzuheben. Abschnitt 2 des Schlußprotokolls des deutsch-iranischen Niederlassungsabkommens bestimme, daß die Regierungen der beiden Vertragsparteien verpflichtet seien, keinen Angehörigen des anderen Staates ohne vorherige Zustimmung seiner Bundesregierung einzubürgern. Dieses Zustimmungserfordernis habe man beseitigen wollen. Zwar gelte das Zustimmungserfordernis nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts nicht für Anspruchseinbürgerungen. Seit Einführung der Anspruchstatbestände des Ausländergesetzes zum 1. Juli 1993 seien demnach die seit längerer Zeit hier lebenden iranischen Einbürgerungsbewerber nicht von dem Zustimmungserfordernis betroffen. Im Bereich der Ermessenseinbürgerungen stelle das Zustimmungserfordernis in vielen Fällen ein Hindernis dar. Nach Aufhebung dieser Bestimmungen müßten iranische Einbürgerungsbewerber nur noch die für alle Einbürgerungsbewerber geltenden Voraussetzungen erfüllen.91 Die Feststellung eines (Nr. II des Schlußprotokolls nicht unterliegenden) Einbürgerungsanspruchs sei zum Beispiel unter den Voraussetzungen des § 85 Abs. 1 und des § 86 Abs. 1 Ausländergesetz möglich. Um ein nachhaltiges Bemühen im Sinne des § 87 Abs. 1 Nr. 3 Ausländergesetz als erfüllt anzusehen, müßten diese Bemühungen sowohl die grundsätzlichen Anforderungen des bisherigen Heimatstaates als auch die Besonderheiten des jeweiligen Einzelfalles berücksichtigen, da sie nur dann Aussicht auf Erfolg böten. In diesem Zusammenhang könne es auch erforderlich sein, sich wiederholt mit der zuständigen Auslandsvertretung oder direkt mit Dienststellen im bisherigen Heimatstaat in Verbindung zu setzen. Eine allgemeine Beschreibung sei im Hinblick auf die Vielzahl verschiedener Sachverhalte nicht möglich. Häufig werde aus dem vorgelegten Schriftverkehr mit den iranischen Auslandsvertretungen der Stand des Entlassungsverfahrens ersichtlich. Außerdem könnten zum Beispiel Zustellungsnachweise, Kopien der verwendeten Unterlagen oder Zeugenaussagen herangezogen werden. Bund und Länder gingen davon aus, daß ein Einbürgerungsvollzug unter Hinnahme von Mehrstaatigkeit nach zweijährigen formgerechten und nachhaltigen Entlassungsbemühungen in Betracht kommen könne, wenn ein Fortgang des Verfahrens nicht mehr zu erwarten sei. In diesem Zusammenhang seien sowohl die Besonderheiten des Einzelfalles als auch Erkenntnisse hinsichtlich der Entlassungspraxis des bisherigen Heimatstaates zu berücksichtigen. Das Bundesverwaltungsgericht sei in seinem Urteil vom 7. September 1988 auch auf die Frage einer Ermessensreduzierung bis hin zu einem der Nr. II des Schlußprotokolls nicht unterliegenden Einbürgerungsanspruch eingegangen. Der Bundesregierung sei bisher kein Fall bekannt geworden, in dem das Stellen eines Entlassungsantrages zu einer Gefährdung von im Iran lebenden Angehörigen geführt hätte. Sowohl der Gesetzgeber (§ 87 Abs. 1 Satz 2 Nr. 4 AuslG) als auch das Bundesverwaltungsgericht sähen das staatliche Interesse an der Vermeidung von Mehrstaatigkeit grundsätzlich auch in den Fällen asylberechtigter Einbürgerungsbewerber als gegeben an. Der Asylberechtigte unterstelle sich damit nicht etwa dem Heimatstaat, sondern er löse vielmehr nach Integration in die Lebensverhältnisse des Aufnahmestaates das rechtlich noch bestehende Band zum Verfolgerstaat. Die zuständigen Landes- und Bundesbehörden prüften gegebenenfalls in jedem Einzelfall, ob von der Forderung nach Entlassungsbemühungen abzusehen sei.92 Nach der vom Statistischen Bundesamt zusammengestellten Einbürgerungsstatistik seien im Jahre 1994 insgesamt 841 Personen und im Jahre 1995 insgesamt 874 Personen eingebürgert worden, für die als Herkunftsland Iran vermerkt worden sei. Die Zahl für das Jahr 1996 stünde noch nicht zur Verfügung. Die Angaben in der Einbürgerungsstatistik ließen keine Rückschlüsse darauf zu, welcher Sachverhalt für die Hinnahme von Mehrstaatigkeit maßgeblich gewesen sei. Bei der Bewertung von Entlassungsbemühungen im Sinne des § 87 Abs. 1 Nr. 3 Ausländergesetz seien sowohl die jeweilige Rechtslage als auch Erfahrungen hinsichtlich der Verwaltungspraxis des bisherigen Heimatstaates zu berücksichtigen. Ein Vergleich iranischer mit anderen Bewerbern sei deshalb nicht möglich.

    32. In Beantwortung der Kleinen Anfrage zum Wehrdienst von Doppelstaatern und Eingebürgerten im Herkunftsland führte die Bundesregierung aus:93 Ihr seien keine Staaten mit der generellen Praxis bekannt, deutsche Wehrpflichtige einer weiteren Staatsangehörigkeit zum Wehrdienst heranzuziehen, obwohl sie in der Bundesrepublik Deutschland ihre Wehrpflicht erfüllt hätten. Schwierigkeiten habe es in Einzelfällen lediglich mit der Türkei gegeben. Der Bundesregierung seien vereinzelt Fälle von deutsch-türkischen Doppelstaatern bekannt geworden, die nach Ableistung des Wehrdienstes in der Bundesrepublik Deutschland in der Türkei zur Ableistung des Wehrdienstes herangezogen werden sollten. In diesen Fällen hätten die Betroffenen von den in der Türkei gesetzlich geregelten Möglichkeiten der Zurückstellung nicht rechtzeitig oder keinen Gebrauch gemacht. Diese Fälle seien mit Hilfe der Bundesregierung gelöst worden. Strafrechtliche Konsequenzen für die Betroffenen seien der Bundesregierung nicht bekannt geworden. Seit dem 1. Juni 1992 bestehe für deutsch-türkische Doppelstaater die Möglichkeit, den in der Bundesrepublik Deutschland geleisteten Wehrdienst und gleichgestellten Ersatzdienst ohne eine in der Bundesrepublik Deutschland festgestellte Wehrdienstunfähigkeit in der Türkei anerkennen zu lassen. Fälle deutscher Staatsangehöriger, die aus der türkischen Staatsangehörigkeit entlassen und bei Einreise in die Türkei im Zusammenhang mit nicht abgeleistetem Wehrdienst belangt worden seien, seien der Bundesregierung nicht bekannt. In bezug auf andere Herkunftsländer seien der Bundesregierung keine Fälle bekannt geworden. Die Bundesregierung habe konkrete einzelne Problemfälle deutsch-türkischer Doppelstaater in der Vergangenheit in Zusammenarbeit mit den türkischen Behörden insoweit lösen können, als den Betroffenen die Erlaubnis zur Rückkehr in die Bundesrepublik Deutschland unter der Auflage gewährt worden sei, hier bei einer türkischen Auslandsvertretung ihren Wehrdienststatus zu regeln. Nach dem Europaratsübereinkommen vom 6. Mai 1963 über die Verringerung der Mehrstaatigkeit und über die Wehrpflicht von Mehrstaatern sei der Betreffende nur in dem Hoheitsgebiet, in dem er sich gewöhnlich aufhalte, auch wehrpflichtig. Die Bundesrepublik Deutschland sei dem Übereinkommen 1969 beigetreten. Vertragspartner seien 12 weitere Mitgliedstaaten des Europarats. Die Türkei sei dem Übereinkommen, obwohl Europaratsmitglied, bislang nicht beigetreten. Die Bundesregierung sehe zum Abschluß neuer zwischenstaatlicher Übereinkünfte über die Wehrpflicht von Doppelstaatern gegenwärtig keinen Anlaß, - nur in Einzelfällen auftretende - Schwierigkeiten bei der gegenseitigen Anerkennung könnten durch Einzelfallintervention gelöst werden.

    33. Auf die schriftliche Parlamentarische Anfrage, auf welcher Rechtsgrundlage Wehrpflichtige deutscher Volkszugehörigkeit, die bis zu ihrer Aussiedlung nach Deutschland in den Ländern Osteuropas oder der ehemaligen Sowjetunion lebten, vom Zivildienst befreit würden, wenn zwei ihrer Brüder dort Wehrdienst geleistet hätten, gab die Bundesregierung an,94 Rechtsgrundlage für die Befreiung deutscher Wehrpflichtiger vom Zivildienst, die bis zu ihrer Aussiedlung nach Deutschland in den Ländern Osteuropas oder der ehemaligen Sowjetunion gelebt hätten, sei § 10 Abs. 2 Nr. 3 ZivildienstG. Dieser Befreiungsgrund greife ein, wenn zwei Brüder Wehr- oder Zivildienst geleistet hätten. Bei der Berechnung, wieviele Brüder des Wehrpflichtigen Dienst geleistet hätten, würden im Zivildienst auch Brüder berücksichtigt, die vor ihrer Aussiedlung nach Deutschland in den Ländern Osteuropas oder der ehemaligen Sowjetunion als Deutsche gezwungen waren, dort Wehrdienst zu leisten. Die Bundeswehr berücksichtige dagegen bei der Berechnung, wieviele Brüder bereits Dienst geleistet hätten, diese Brüder nicht. Sie berücksichtige nur Dienst, der für die Bundesrepublik Deutschland geleistet worden sei. Sie habe aus diesem Grunde vor der Wiedervereinigung Deutschlands auch anders als jetzt Zivildienstbrüder, die in der nationalen Volksarmee, also in einer Fremdstreitmacht gedient hätten, nicht in die Berechnung miteinbezogen. Nach der Wiedervereinigung habe die Bundeswehr den Dienst in der nationalen Volksarmee wie Dienst für die Bundesrepublik Deutschland behandelt.



    85 S. bereits Grote (Anm. 19), Ziff. 44.
    86 BT-PlPr., 85. Sitzung, 7476.
    87 Das 2. Protokoll zur Änderung des Übereinkommens über die Verringerung der Mehrstaatigkeit hatten am Tage der Auflegung zur Unterzeichnung, dem 2.2.1993, Frankreich und Italien gezeichnet. In Art. 5 des Änderungsprotokolls ist vorgesehen, daß es einen Monat nach dem Tag der Zeichnung durch zwei Mitgliedstaaten des Europarates in Kraft tritt. Es ist danach am 2. März 1993 in Kraft getreten.
    88 BT-Drs. 13/4202, 11.
    89 BT-Drs. 13/5927, 2.
    90 BT-Drs. 13/5927, 3.
    91 BT-Drs. 13/3483.
    92 BT-Drs. 13/5848.
    93 BT-Drs. 13/3569.
    94 BT-PlPr., 94. Sitzung, 8361.