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Völkerrechtliche Praxis der Bundesrepublik Deutschland im Jahre 1997


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Roland Bank


IX. Menschenrechte und Minderheiten

4. Menschenrechte in einzelnen Staaten

     84. Die Menschenrechtssituation in der Türkei war im Berichtszeitraum mehrfach Gegenstand von Stellungnahmen der Bundesregierung. In ihrer Antwort auf eine Kleine Anfrage weist die Bundesregierung darauf hin, sie nutze alle sich bietenden Gelegenheiten, um bilateral oder gemeinsam mit verbündeten Staaten auf die Türkei im Sinne der Wahrung der Menschenrechte einzuwirken, wie es zuletzt auch durch Bundesaußenminister Kinkel bei seinem Besuch in der Türkei vom 25. bis 27. März 1997 geschehen sei. Die Bundesregierung führt weiter aus:

"Erkenntnisse der Bundesregierung legen den Schluß nahe, daß die Menschenrechtspraxis in der Türkei vor allem unter einer unzureichenden Beachtung geltenden Rechts durch Sicherheitskräfte leide. Die Bundesregierung drängt deshalb die türkische Regierung, die Menschenrechtspraxis mit dem in der Türkei geltenden Recht in Einklang zu bringen."146

     Keine Mehrheit fand am 15. Januar 1997 im Auswärtigen Ausschuß ein Antrag von Bündnis 90/Die Grünen, in dem eine aktive Außenpolitik der Bundesregierung zum Schutz der Menschenrechte in der Türkei verlangt wurde. Die Abgeordneten hatten gefordert, auf bilateraler Ebene Druck auf die Regierung in Ankara auszuüben, die Empfehlungen des Ausschusses zur Verhütung von Folter und unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung oder Strafe umzusetzen. Mit der Mehrheit der Koalition wurde abgelehnt, sich dafür auszusprechen, daß Beobachter der Vereinten Nationen die türkische Politik in Menschenrechtsfragen vor Ort überprüfen sollten.147

     In ihrem 4. Bericht über ihre Menschenrechtspolitik betont die Bundesregierung, sie habe neben dem Einsatz in konkreten Einzelfällen sich für eine generelle Verbesserung der Menschenrechtslage in der Türkei eingesetzt und dabei auch auf entsprechende Reformen von Verfassung und Gesetzgebung gedrängt. Sie habe sich insbesondere auch für das Recht auf freie Meinungsäußerung eingesetzt und die Forderung nach gesichertem Anwaltszugang auch in den ersten vier Tagen der Polizeihaft unterstützt. Die Bundesregierung habe die Türkei aufgefordert, den Sonderberichterstatter der Vereinten Nationen zur Folter sowie einen persönlichen Beauftragten des OSZE-Vorsitzenden einzuladen und die ungehinderte Arbeit von Nichtregierungsorganisationen zu ermöglichen.

     Der Einsatz der Bundesregierung in Einzelfällen habe vor allem Foltervorwürfe, Fälle von Verschwindenlassen und Strafverfahren aufgrund von Meinungsäußerungen betroffen. In diesem Zusammenhang habe die Bundesregierung die Türkei immer wieder auf die Einhaltung der Verpflichtungen hingewiesen, die sie in internationalen Abkommen eingegangen sei, und hat sich für die konsequente Aufklärung von nach türkischem Recht strafbaren Menschenrechtsverletzungen eingesetzt. Insgesamt betonte die Bundesregierung, daß viele Menschenrechtsverletzungen auch nach türkischem Recht strafbar seien, d.h. es bestehe vor allem ein Problem der Rechtspraxis.148

     85. Wie die Bundesregierung in einer Unterrichtung über die Entwicklung in Nigeria seit März 1996 mitteilt, ist ohne ein "substantielles Entgegenkommen" des nigerianischen Regimes im Menschenrechtsbereich für die Bundesregierung nach eigenen Angaben eine positive Entwicklung der Beziehung zu Nigeria nicht denkbar. Sie werde weiterhin zusammen mit ihren europäischen Partnern, den Vereinten Nationen, dem Commonwealth und den afrikanischen Staaten nichts unversucht lassen, eine solche Verbesserung der Situation zu erreichen.149 Insbesondere weist die Bundesregierung darauf hin, daß im EU-Rahmen die Sanktionen in enger Koordination mit den Vereinten Nationen, den USA und dem Commonwealth aufrechterhalten wurden. Die Bundesregierung lehnt es ab, einseitige Aktionen durchzuführen, etwa durch Sperrung der Auslandskonten von Angehörigen des nigerianischen Regimes:

"Artikel 73 Abs. 2 des EG-Vertrages sieht zwar ausnahmsweise auch die Möglichkeit einseitiger zusätzlicher Sanktionen vor, wenn schwerwiegende politische Umstände aus nationalen Gründen der Dringlichkeit dies erfordern. Solche Umstände liegen hier nach Ansicht der Bundesregierung nicht vor. Entscheidend ist aber darüber hinaus die gemeinsame Haltung der EU gegenüber dem Land; ein deutscher Alleingang würde dem in dem Entschließungsantrag des Deutschen Bundestages geforderten Hinwirken auf eine enge Koordination zwischen der Euopäischen Union und ihren Mitgliedstaaten sowie den VN, den USA und dem Commonwealth widersprechen."150

     Besonderen Anlaß zur Sorge gebe die Situation an den Universitäten in Nigeria. Der innere und äußere Verfall der einst angesehenen Universitäten Nigerias gehe unaufhaltsam mit Störungen mißliebiger Seminare durch "Elemente in Zivil", Gewalt gegen Studentenführer, vorauseilenden Gehorsam der Institutsleitung, massive Einflußnahme bei Wahlen und Besetzung von Posten im Universitätsbereich mit regimetreuen traditionellen Führern weiter. Die Bundesregierung werde sich weiterhin zusammen mit ihren europäischen Partnern um eine Verbesserung der Situation in diesem Bereich bemühen, u.a. durch Unterstützung von Einladungen kritischer Hochschulprofessoren zu Konferenzen in Deutschland.151

     86. Der Vertreter Luxemburgs äußerte vor der Generalversammlung der Vereinten Nationen im Namen der Europäischen Union die Besorgnis über die Entwicklung von Demokratie und Menschenrechten in Haiti:

"... we note with concern that the Secretary-General's report states that the political situation in Haiti has deteriorated, that the economy is stagnating and that this situation is engendering a profound sense of insecurity in the country.

The European Union has also taken note of the postponement sine die of the second round of partial elections, announced on 12 June 1997, and of the resignation of the prime minister, Mr. Rosny Smarth, on 9 June 1997. ...

Concerned by the climate in which the electoral process has taken place, the European Union expresses its firm hope that the Haitian People will be able as soon as possible to express its will in free, honest and transparent elections, held in accordance with roots and procedures accepted by all, in which citizens have the widest possible range of options and choices."152

     Der Vertreter Luxemburgs betont, daß in diesem kritischen Moment der Internationalen Zivilmission in Haiti (MICIVIH) weiterhin eine zentrale Rolle für die Konsolidierung der Demokratie im Land zukomme, nachdem sie bereits im großen Maßstab zu der Etablierung von Rechtsstaatlichkeit in Haiti durch Beobachtung der Menschenrechtssituation, technische Hilfe an die Regierung, sowie Unterstützung für die Konsolidierung ziviler Institutionen in Haiti beigetragen hat. Weiterhin weist er darauf hin, daß die Situation im Hinblick auf die Beachtung der Menschenrechte fragil bleibe. Insbesondere hätten die Polizeikräfte bisher nicht alles Erforderliche getan, um ihre menschenrechtliche Bilanz zu verbessern. Hoffnungen setze die Europäische Union insbesondere in die neue Kommission zur Rechts- und Justizreform, die von der Europäischen Union finanziert werde.153

     87. In der VN-Generalversammlung äußerte sich der Vertreter der Niederlande im Namen der Europäischen Union zu Fragen der "United Nations Mission for the Verification of Human Rights and of Compliance with the Commitments of the Comprehensive Agreement on Human Rights in Guatemala" (MINUGUA). Die Europäische Union heißt den Beginn der Überprüfung des Waffenstillstands im März 1997 willkommen und ermutigt die beteiligten Parteien, weiterhin voll mit MINUGUA zu kooperieren und ihre Verpflichtungen nach Treu und Glauben zu erfüllen. Die Europäische Union unterstütze die Ansicht, daß weiterhin internationale Überprüfungsmaßnahmen notwendig seien, um die Konsolidierung des Friedens und der Demokratie in Guatemala zu gewährleisten. Dabei wird betont, daß die alleinige Verantwortlichkeit für die erfolgreiche Umsetzung des Friedensprozesses bei den beteiligten Parteien selbst liege, insbesondere im Hinblick auf die Gewährleistung einer fairen Beteiligung der Bürger, insbesondere der indigenen Bevölkerung. Die Bemühungen der Regierung von Präsident Arzu zum Schutz und zur Förderung der Menschenrechte wird begrüßt. Die Europäische Union gehe im übrigen davon aus, daß die in dem "Comprehensive Agreement on Human Rights" vorgesehenen Maßnahmen zur Entschädigung von Opfern von Menschenrechtsverletzungen bis zu dem in der Friedensvereinbarung vom 29. Dezember 1996 vorgesehenen Zeitpunkt (15. April 1997) festgelegt würden.154

     88. Im zweiten Halbjahr des Berichtszeitraums nahm der Vertreter Luxemburgs im Namen der Europäischen Union Stellung zu der Situation in Guatemala. Vor der VN-Generalversammlung äußerte er die Besorgnis über die weiterhin zu häufig vorkommenden Menschenrechtsverletzungen und begrüßte in diesem Kontext nachdrücklich die bevorstehende Aufnahme der Tätigkeit der "Commission to Clarify Past Human Rights Violations and Acts of Violence that Have Caused the Guatemalan Population to Suffer", die durch die Osloer Vereinbarung von 1994 eingerichtet worden sei:

"It is only by facing up to its past that the country will be able to begin the necessary process of reconciliation and national reconstruction."155

     Ein weiterer Aspekt, der Anlaß zur Sorge gebe sei die Schwäche der Institutionen in Guatemala. Die Europäische Union unterstütze daher ohne Vorbehalte die Aktivitäten von MINUGUA im Bereich des Rechtssystems, der öffentlichen Sicherheit, der Förderung eines multikulturellen Staates, der Unterrichtung der Bevölkerung über das Friedensabkommen sowie der Schaffung eines Klimas der Beachtung von Menschenrechten.156

     89. Die Situation in El Salvador wird vom Vertreter Luxemburgs im Namen der Europäischen Union vor der Generalversammlung der Vereinten Nationen dahin gehend kommentiert, daß es wichtige Fortschritte im Friedensprozeß gegeben habe, die Umsetzung des Friedensabkommens in manchen Bereichen jedoch noch unvollständig sei. Weitere Reformen seien nötig im Bereich der öffentlichen Sicherheit; insbesondere in der institutionellen Entwicklung der Polizei und der nationalen Akademie für öffentliche Sicherheit, die von der Europäischen Union mit technischen und finanziellen Mitteln unterstützt würden. Besonders betont wird, daß weitere Anstrengungen nötig seien, um das Wahlsystem zu reformieren. In diesem Zusammenhang wird bedauert, daß Vorschläge zu einer Reform nicht rechtzeitig umgesetzt wurden, um für die Parlaments- und Kommunalwahlen im März 1997 angewendet zu werden. Die Umsetzung der Wahlreform sei nun zwingend, insbesondere während der Vorbereitungen für die Präsidentschaftswahlen im Jahre 1999.157

     90. Zur Menschenrechtssituation im Irak führte die Vertreterin Luxemburgs im Namen der Europäischen Union im 3. Ausschuß der Generalversammlung der Vereinten Nationen folgendes aus:

"The situation of human rights in Iraq remained a source of great concern since repression, torture and summary and arbitrary executions persisted. Iraq must abide by all its obligations under the international instruments to which it was a party and put an end to human rights violations. It must allow a Special Rapporteur to visit the country, put an end to the forced displacement of persons, co-operate with the tripartite commission to determine the fate of missing persons, co-operate in the implementation of Security Council resolutions 986 (1995) and 1111 (1997), and continue to facilitate the work of United Nations humanitarian personnel."158

     91. Ähnlich kritisch äußerte sich die Vertreterin Luxemburgs im Namen der Europäischen Union im 3. Ausschuß der Generalversammlung der Vereinten Nationen zur Menschenrechtssituation im Iran:

"The human rights situation in the Islamic Republic of Iran continued to give rise to serious concern because violations of human rights such as torture, cruel inhuman and degrading treatment or punishment, including stoning, amputation and public executions, continued to occur in spite of international norms. Religious minorities were still subjected to serious human rights violations; severe restrictions had been placed on the freedom to assemble peacefully and the freedom of expression. Cases of violence against Iranian citizens living abroad were particularly disturbing, and her delegation invited the Iranian Government to refrain from committing such acts, to co-operate fully with the authorities of other countries to investigate any offences brought to its attention, and to prosecute those responsible. The delegation also invited the Iranian Government to take effective measures to eliminate violations of the fundamental rights of women and all forms of discrimination against them."159

     92. Anläßlich einer Kleinen Parlamentarische Anfrage ging auch die Bundesregierung auf Einzelfragen der Menschenrechtssituation im Iran ein. Sie weist darauf hin, daß die Deutsche Botschaft in Teheran regelmäßig über Entwicklungen und Vorgänge im Iran an die Bundesregierung berichte. Im Hinblick auf das Schicksal des verschwundenen Schriftstellers Faradj Sarkuhi hebt die Bundesregierung hervor, daß die deutsche Botschaft in Teheran wie die anderen Botschaften von EU-Mitgliedstaaten das Schicksal des Schriftstellers mit größter Aufmerksamkeit verfolgten und bei dem erwarteten Prozeß alle Möglichkeiten der Beobachtung wahrnehmen würden. Über Ort und Zeit des Verfahrens habe sie keine genauen Kenntnisse. Der Generalsekretär der islamischen Menschenrechtskommission habe am 15. Juli 1997 erklärt, daß der Prozeß demnächst öffentlich und mit einem Rechtsbeistand für den Schriftsteller stattfinden werde. Nach öffentlichen Aussagen des iranischen Justizchefs Yazdi von Ende Juni 1997 soll die Anklage auf Spionage zugunsten des Auslandes und auf Versuch der illegalen Ausreise aus dem Iran lauten. Die Bundesregierung weist allerdings darauf hin, daß der Generalsekretär der islamischen Menschenrechtskommission in der oben genannten Erklärung vom 15. Juli 1997 diese Anklagepunkte nicht mehr wiederholt habe.160

     Die Bundesregierung betont, daß der deutsche Botschafter lediglich zur Berichterstattung zurückgerufen worden sei, ohne daß die diplomatischen Beziehungen zum Iran unterbrochen worden seien. Insofern könne es auch keine Überlegungen zur Wiederaufnahme von Beziehungen geben. Im übrigen setze sich die Bundesregierung gemeinsam mit ihren europäischen Partnern weiterhin für Salman Rushdie ein. Sie betrachte jedoch die Frage der Rückkehr der Botschafter als davon unabhängig.161

     93. In ihrer Antwort auf eine schriftliche Anfrage beurteilte die Bundesregierung die Menschenrechtslage in Mauretanien. Nach Ansicht der Bundesregierung seien in Mauretanien in den letzten Jahren beträchtliche Verbesserungen in der Menschenrechtslage erreicht worden. Die grundlegenden Menschenrechte seien in der Verfassung verankert worden, es gebe keine politischen Gefangenen, die private Presse genieße trotz gelegentlicher Eingriffe eine beträchtliche Freiheit, die Verfassung von 1991 erwähne weder Scharia noch Todesstrafe und Hinrichtungen oder Amputationen seien seit 1984 nicht mehr erfolgt. Ebenfalls positiv gewürdigt wird das Sonderprogramm der nationalen Aussöhnung zugunsten der Opfer der Unruhen von 1990. Defizite sieht die Bundesregierung dagegen etwa im Bereich des Rechtsschutzes: Die Unabhängigkeit der Gerichte sei trotz eines "konstitutionellen Rates" bei Streitfällen mit ethnischen Bezügen nicht gewährleistet. Die Lage der mauretanischen Flüchtlinge im Senegal und in Mali wird von der Bundesregierung als erträglich bewertet. Sie würden vom UNHCR angemessen betreut und seien keinen Diskriminierungen ausgesetzt.162

     94. In ihrer Antwort auf eine schriftliche parlamentarische Anfrage skizziert die Bundesregierung ihr Verhalten in Reaktion auf ein in Rußland geplantes Religionsgesetz, demzufolge der Katholizismus von den traditionellen Religionen ausgenommen werden sollte, die unter dem Schutz des Staates stehen:

"Die Bundesregierung hat unmittelbar nach Verabschiedung des Entwurfs des 'Gesetzes über Gewissensfreiheit und religiöse Vereinigung' durch Duma und Föderationsrat und bevor Staatspräsident Boris Jelzin sein Veto am 22. Juli 1997 gegen den Gesetzentwurf einlegte, gemeinsam mit den Partnern der EU durch die Troika der EU-Botschafter vor Ort demarchiert. Sie hat ferner bei den Feststellungen des Europarats, daß der Gesetzentwurf nicht mit der Europäischen Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (EMRK) vereinbar ist, mitgewirkt.

Außerdem nutzt die Botschaft ihre Gesprächskontakte, um auf eine Änderung des Gesetzestextes im Sinne des Anliegens der katholischen sowie auch der evangelischen Kirche hinzuwirken.

Staatspräsident Boris Jelzin hat inzwischen einen Vermittlungsausschuß, bestehend aus Mitgliedern des Parlaments und der Regierung sowie Angehörigen des Präsidialamts, eingesetzt, der den Gesetzentwurf überarbeiten soll unter Berücksichtigung der Anliegen auch unserer Kirchen und um den Vorschriften der Europäischen Menschenrechtskommission gerecht zu werden."163

     95. In ihrem 4. Bericht über ihre Menschenrechtspolitik in den auswärtigen Beziehungen gibt die Bundesregierung eine Einschätzung der Menschenrechtssituation in Bosnien und Herzegowina ab. Die Verpflichtungen im Menschenrechtsbereich seien auch fast zwei Jahre nach Inkrafttreten des Dayton Abkommens noch weit von der Umsetzung entfernt. Zwar gebe es keine Hinweise mehr auf Massenerschießungen oder systematische Vergewaltigungen. Es komme jedoch weiterhin aus ethnischen Gründen insbesondere zu Diskriminierungen von Minderheiten, zu Zerstörungen von Häusern und zu Vertreibungen.

     Die Bundesregierung habe sich bilateral und gemeinsam mit ihren Partnern in der EU, in der Bosnien-Kontaktgruppe und im Friedensimplementierungsrat intensiv für die Umsetzung der Friedensvereinbarungen von Dayton und insbesondere die Beachtung der Menschenrechte eingesetzt. Sie knüpfe die Vergabe von Wiederaufbaugeldern konsequent an die Bereitschaft der Verantwortlichen, ihren Verpflichtungen aus dem Dayton Abkommen nachzukommen.

     Das von der Bundesregierung beschlossene vorübergehende Einfrieren von Hilfsgeldern für den Ort Jajce habe im August 1997 dazu beigetragen, daß vertriebene Rückkehrer wieder in ihre Häuser zurückkehren konnten. Von den ursprünglich rund 345 000 Kriegsflüchtlingen (einschließlich Asylbewerbern) hätten rund 65 000 Deutschland bis Juli 1997 wieder verlassen. Zur Unterstützung und Koordinierung der Flüchtlingsrückkehr habe die Bundesregierung Minister a.D. Dietmar Schlee zum Beauftragten für Flüchtlingsrückkehr und rückkehrbegleitenden Wiederaufbau ernannt.164

     96. Auch bei der 53. Sitzung der VN-Menschenrechtskommission 1997 habe die Bundesregierung eine Resolution zur Lage der Menschenrechte im früheren Jugoslawien mit eingebracht. Demnach sei das Mandat der Sonderberichterstatterin Elisabeth Rehn (Finnland) erneuert worden und alle Parteien aufgefordert worden, die Bedingungen für eine gesicherte Flüchtlingsrückkehr zu schaffen und die Rechte von Minderheiten zu wahren. Besonders hervorgehoben wird von der Bundesregierung auch die in der Resolution enthaltene Aufforderung an die Parteien, mit dem Internationalen Strafgerichtshof in Den Haag zusammenzuarbeiten, mutmaßliche Kriegsverbrecher festzunehmen und auszuliefern.

     Weiterhin weist die Bundesregierung darauf hin, daß sich unter den 12 internationalen Menschenrechtsbeobachtern, aus denen sich die Feldoperation des VN-Hochkommissars für Menschenrechte (HKMR) im ehemaligen Jugoslawien zusammensetze, auch ein von der Bundesregierung mitfinanzierter deutscher Richter befinde.165

     97. In demselben Bericht geht die Bundesregierung auch auf die Menschenrechtssituation im Kosovo ein. Sie weist darauf hin, daß die nicht-serbischen Bevölkerungsgruppen faktisch in allen Lebensbereichen diskriminiert seien und unter dem Vorwurf sezessionistischer Bestrebungen unterdrückt würden. Menschenrechtsverletzungen seien dabei an der Tagesordnung. Die serbische Staatsmacht bleibe dort bemüht, die Lage durch eine Mischung aus ebenso willkürlicher wie subtiler Repression und Diskriminierung unter Kontrolle zu halten. Hierdurch werde ein so hoher Grad an Unsicherheit und Vertreibungsdruck aufrechterhalten, daß zahlreiche Angehörige von Minderheiten in den letzten Jahren das Land verlassen hätten. Der Bundesrepublik Jugoslawien sei von der Europäischen Union und der internationalen Staatengemeinschaft immer wieder klar gemacht worden, daß die internationale Integration Jugoslawiens und die Bereitschaft zur Zusammenarbeit seitens der Europäischen Union auch von einer Lösung der Minderheitenprobleme abhängen würden.166

     98. Die von Präsident Lukaschenko nach dem umstrittenen Verfassungsreferendum vom November 1996 und im Widerspruch zu den auch Weißrußland bindenden OSZE-Prinzipien durchgesetzte Umstrukturierung des politischen Systems in eine autoritäre Präsidialherrschaft und die damit verbundene Beeinträchtigung der Menschenrechtssituation in Weißrußland habe die Bundesregierung gemeinsam mit ihren Partnern in der EU zum Anlaß für eine kritische Bestandsaufnahme der Beziehungen zu Weißrußland genommen. Auf Initiative der Bundesregierung habe der Rat der Europäischen Union am 24. Februar 1997 einen Beschluß gefaßt, in dem von Weißrußland konkrete Schritte zur Wiederherstellung von parlamentarischer Demokratie, Gewaltenteilung und Medienfreiheit gefordert und aktive Hilfestellung der EU bei der Rückkehr zu demokratischen Verhältnissen angeboten werde. Gleichzeitig sei bis zur Umsetzung der Forderungen eine Einschränkung der Beziehungen einschließlich der bisherigen Unterstützungsmaßnahmen angekündigt worden.167

     99. Die kritische Einschätzung der Menschenrechtssituation in China durch alle EU-Mitgliedstaaten sei in der Erklärung der EU-Präsidentschaft zur 53. MRK 1997 ('Menschenrechtssituationen weltweit') deutlich zum Ausdruck gekommen. Der Bundesregierung bereite vor allem Sorge die Beschränkung friedlicher Meinungsäußerung, die unzureichende Verankerung und Durchsetzung rechtsstaatlicher Grundsätze, das nach wie vor praktizierte System der "Umerziehung durch Arbeit", die Menschenrechtslage in Tibet sowie die exzessive Verhängung und Vollstreckung der Todesstrafe. Anders als in den Vorjahren sei 1997 kein EU-Beschluß, einen Resolutionsentwurf zur Menschenrechtssituation in China im Rahmen der VN-Menschenrechtskommission einzubringen, mehr zustande gekommen. Grund hierfür sei die Tatsache, daß China die Behandlung eines entsprechenden Resolutionsentwurfs in den Vorjahren zumeist durch das prozedurale Mittel eines sogenannten Nichtbefassungsantrags habe abwenden können.168

     100. Eine Untersuchung der Menschenrechtssituation in Myanmar, die im Oktober 1986 zu einem gemeinsamen Standpunkt der Europäischen Union geführt hatte, hat nach Einschätzung der Bundesregierung keine Verbesserung der Lage erkennen lassen. Dies habe im April 1997 dazu geführt, daß die im gemeinsamen Standpunkt festgelegten Maßnahmen um weitere sechs Monate verlängert worden seien. Die Bundesregierung habe sich schließlich dafür eingesetzt, daß Myanmar im März 1997 wegen des systematischen und organisierten Einsatzes von Zwangsarbeit die Präferenzen im Rahmen des allgemeinen Zollpräferenzsystems der EU entzogen wurden.169

     101. Nach eigener Einschätzung hat die Bundesregierung dazu beigetragen, daß die G8-Gipfelerklärung der Außenminister von Denver (21. Juni 1997) wie auch der Europäische Rat von Amsterdam (16./17. Juni 1997) klare Forderungen an die Regierung in der Demokratischen Republik Kongo (Ex-Zaire) enthalten. Demnach werde die Bereitschaft der westlichen Regierungen, beim Wiederaufbau des Landes zu helfen, davon abhängig gemacht, daß die neuen Funktionsträger ihre Ernsthaftigkeit hinsichtlich demokratischer und wirtschaftlicher Reformen, der Achtung der Menschenrechte und dem Schutz von Flüchtlingen unter Beweis stellten. Die EU hatte bereits mit Erklärung vom 22. Mai 1997 den Machtwechsel begrüßt sowie Demokratisierung, Achtung der Menschenrechte und den Schutz der Flüchtlinge gefordert. In einer gemeinsamen Démarche der EU, der USA und Kanadas bei Kabila am 5. Juni 1997 und am Rande des OAE-Gipfels in Harare vom 2. bis 4. Juni 1997 bei den Präsidenten von Burundi, Äthiopien und Kenia, sowie den Außenministern von Angola, Südafrika, Tansania und Simbabwe sei die Besorgnis über andauernde Menschenrechtsverletzungen geäußert sowie freier Zugang der Hilfsorganisationen zu den Flüchtlingen und Sicherheit für die Helfer gefordert worden. Die EU habe im Juni 1997 den Sonderbeauftragten für Flüchtlingsfragen, Körner, nach Kongo entsandt und das Mandat für den Sonderbeauftragten der EU für die Region der Großen Seen Afrikas, Ajello, um ein Jahr verlängert. Die Bundesregierung sei an einem raschen Aufbau tragfähiger Beziehungen zu Kongo interessiert, die ihr auch die Möglichkeit geben sollten, auf die Schaffung demokratischer Grundvoraussetzungen und die Achtung der Menschenrechte hinzuwirken.170



    146 BT-Drs. 13/7525 vom 23.4.1997, 4.
    147 WIB 1/97, 63.
    148 4. Bericht der Bundesregierung über die Menschenrechtspolitik (Anm. 124), 63.
    149 BT-Drs. 13/7322 vom 21.3.1997, 4.
    150 Ibid., 3.
    151 Ibid., 4.
    152 UN Doc. A/51/PV.105, 3.
    153 Ibid.
    154 UN Doc. A/51/PV.94, 12.
    155 UN Doc. A/51/PV.105, 8.
    156 Ibid.
    157 Ibid.
    158 UN Doc. A/C.3/52/SR.46, 5.
    159 Ibid.
    160 BT-Drs. 13/8352 vom 6.8.1997, 3.
    161 Ibid.
    162 BT-Drs. 13/8409 vom 22.8.1997, 2 f.
    163 Ibid., 4.
    164 4. Bericht der Bundesregierung über ihre Menschenrechtspolitik (Anm. 124), 60 f.
    165 Ibid., 61 f.
    166 Ibid., 61 f.
    167 Ibid., 64.
    168 Ibid., 68.
    169 Ibid., 70.
    170 Ibid., 80.