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Völkerrechtliche Praxis der Bundesrepublik Deutschland im Jahre 1997


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Roland Bank


I. Völkerrechtsquellen, Grundlagen der völkerrechtlichen Beziehungen

     1. Auch im Jahre 1997 waren Fragen der Souveränität und der Nichteinmischung wiederholt Gegenstand von Stellungnahmen.1 Zu dem vom Kammergericht Berlin am 10. April 1997 verkündeten sogenannten Mykonos-Urteil äußerte sich Außenminister Kinkel in einer Debatte des Bundestages zur Iran-Politik der Bundesregierung:

"Ausgehend von den Feststellungen des Kammergerichts Berlin erkläre ich für die Bundesregierung, daß die Beteiligung staatlicher iranischer Stellen an dem Anschlag einen inakzeptablen, eklatanten Verstoß gegen das Völkerrecht darstellt. Die Bundesregierung kann und wird ein derartiges Vorgehen im Bereich der internationalen Beziehungen nicht hinnehmen. Als Konsequenz daraus haben wir gegenüber unseren Partnern nachdrücklich darauf gedrungen und auch durchgesetzt, den 'kritischen Dialog' auszusetzen, den die Staats- und Regierungschefs der Europäischen Union 1992 unter britischer Präsidentschaft in Edinburgh beschlossen haben.

... Die Bundesregierung hat ihre Haltung wenige Stunden nach der Urteilsverkündung der iranischen Seite auch auf diplomatischer Ebene zur Kenntnis gebracht und deutlich gemacht, daß wir nach einem so elementaren Verstoß gegen das Völkerrecht nicht einfach zur Tagesordnung übergehen."2

     Mit der türkischen Regierung kam es zu außenpolitischen Verstimmungen, nachdem ein Richter des Landgerichts Frankfurt der türkischen Außenministerin Tansu Ciller eine Verwicklung in den internationalen Heroinhandel vorgeworfen hatte. Auf eine parlamentarische Anfrage führte die Bundesregierung hierzu aus:

"Das türkische Außenministerium hat mit einer an die deutsche Botschaft Ankara adressierten Verbalnote vom 22. Januar 1997 sein Mißfallen über die Äußerungen des vorsitzenden Richters der 17. Strafkammer des Landgerichts Frankfurt/Main, die in der Presse wiedergegeben worden waren, ausgedrückt und um Übermittlung der Informationen gebeten, auf denen die Äußerungen des vorsitzenden Richters beruhen. Gleiche Petita waren auch Gegenstand von Briefen des türkischen Botschafters sowie einer Verbalnote der türkischen Botschaft in Bonn.

Die Bundesregierung hat darauf in mehreren Gesprächen mit türkischen Amtsträgern in Bonn und Ankara auf die in Deutschland verfassungsrechtlich garantierte richterliche Unabhängigkeit hingewiesen. Gleichzeitig hat sie ihre volle Unterstützung bei der Erfüllung des verständlichen Wunsches nach möglichst rascher und umfassender Information zugesichert."3

     2. Im Berichtszeitraum forderte die Bundesregierung erneut nachdrücklich die Schaffung eines Ständigen Internationalen Strafgerichtshofs zur Verfolgung von völkerrechtlichen Verbrechen. Der Bundesaußenminister führte dazu in seiner Rede vor der Generalversammlung der Vereinten Nationen aus:

"Wir brauchen einen internationalen Strafgerichtshof. Im Sommer 1998 wollen wir in Rom eine Satzung ausarbeiten. Bei Völkermord, Verbrechen gegen die Menschlichkeit, Kriegsverbrechen und Verbrechen des Angriffskrieges muß der Gerichtshof tätig werden können. Und zwar immer, wenn nationale Gerichte nicht vorhanden oder nicht fähig bzw. nicht bereit sind, eine dieser Straftaten zu verfolgen. Ruanda und Srbrenica sind Mahnung: Solche Kardinalverbrechen dürfen nicht ungesühnt bleiben!"4

     Zu den Diskussionen über die Schaffung eines internationalen Strafgerichtshofes führte der deutsche Vertreter im 6. Ausschuß der Generalversammlung aus:

"For the court to be effective, there were four requirements: the principle of complementarity, which meant that the court would be able to act only when national courts were unable or unwilling to prosecute; limitation of the court's jurisdiction to four universally punishable core crimes, namely, genocide, crimes against humanity, war crimes and the crime of aggression; the power of the court's prosecutor to initiate investigations ex officio; and protection of the court's independence against political influence, by states or by the Security Council, while fully respecting the Security Council's responsibilities under the Charter."5

     Weiterhin wies der deutsche Vertreter auf die Initiative Deutschlands zur Aufnahme des Verbrechens der Aggression in das Statut über den internationalen Strafgerichtshof hin:

"Germany was encouraged by the broad support for its initiative for the inclusion of the crime of aggression in the statute, and would pursue its efforts in that direction. It recognized the Preparatory Committee's concerns about achieving a balance between the need for the court to be unimpaired by political influence and the responsibilities of the Security Council."6

     3. In der Aussprache über den Bericht des Internationalen Gerichts zur Verfolgung der Verantwortlichen für die seit 1991 im Hoheitsgebiet des ehemaligen Jugoslawien begangenen Verstöße gegen das humanitäre Völkerrecht hob der deutsche Botschafter Gerhard Henze in der Generalversammlung der Vereinten Nationen die Bedeutung der Arbeit des Gerichts für den Frieden in der Region hervor:

"In my government's view, a stable and lasting peace on the Balkans can only come about if justice is done and war criminals, of whatever nationality or ethnic identity, are duly prosecuted. At the end of our century, which has seen the most frightful atrocities, it cannot be tolerated that systematic killings for the purpose of 'ethnic cleansing' go unpunished. Germany is extremely grateful to the Tribunal for the pioneer role it has assumed in this important context."7

     4. Im Rahmen der Neuregelung der Beziehungen zur Tschechischen Republik setzte sich die Bundesregierung auch im Jahre 1997 mit den Grundlagen der völkerrechtlichen Beziehungen zwischen benachbarten Staaten auseinander.8 Am 21. Januar 1997 unterzeichneten Bundeskanzler Kohl und der tschechische Ministerpräsident Klaus die 'Deutsch-tschechische Erklärung über die gegenseitigen Beziehungen und deren künftige Entwicklung'.9 Bundeskanzler Kohl hebt in seiner Regierungserklärung hierzu insbesondere hervor, daß der Text der Erklärung in einigen wichtigen Fragen weiterführe als etwa der Nachbarschaftsvertrag von 1992:

"Die tschechische Seite bezeichnet erstmals Vertreibung, Enteignungen und Ausbürgerung als Unrecht. Der kollektive Charakter der Schuldzuweisung an die Sudetendeutschen wird ebenso bedauert wie das Gesetz Nr. 115 vom 8. Mai 1946, das bei uns in Deutschland als 'Amnestiegesetz' bekannt ist."10

     Weiter hebt Kohl die Bedeutung der Erklärung für den Frieden in Europa hervor:

"Unsere gemeinsame Erklärung dient deshalb nicht nur dem bilateralen Verhältnis. Sie ebnet zugleich den Weg für unsere gemeinsame europäische Zukunft. Ein vereintes Europa wird es nur geben, wenn dieses Europa von den Menschen getragen wird. Nationale Institutionen - Regierung und Parlamente - und zwischenstaatliche Einrichtungen können ihren Beitrag leisten, um den Frieden zu sichern."11

     Der deutsche Bundestag hat am 30. Januar der deutsch-tschechischen Erklärung mit breiter Mehrheit zugestimmt.12

     5. Zur Frage der Vorbehalte zu Menschenrechtsverträgen und ihrer Untersuchung durch die Völkerrechtskommission im Rahmen des Beratungsgegenstandes "reservations to treaties" nahm der deutsche Vertreter im 6. Ausschuß der Generalversammlung Stellung. Er betonte, daß das System der Wiener Vertragsrechtskonvention im wesentlichen unverändert anwendbar bleiben müsse, räumte jedoch ein, daß den zur Überwachung der Umsetzung von Menschenrechtsverträgen eingesetzten Ausschüssen in der Beurteilung von Vorbehalten eine besondere Rolle zukomme:

"... The Vienna regime should remain basically unchanged, since it had been designed to be applied to all treaties. ...

While it was true, where human rights treaties were concerned, that the Vienna regime had not envisaged the extensive role currently assigned to some monitoring bodies, such as the Human Rights Committee, his delegation believed that such bodies had the competence to examine the significance of reservations in so far as that was necessary for them to carry out the functions assigned to them under the respective treaties."13

     Im Hinblick auf die Konsequenzen der Unzulässigkeit eines Vorbehalts führt der deutsche Vertreter folgendes aus:

"... the incompatibility of a reservation with the object and purpose of a multilateral treaty and the consequences resulting therefrom must be objective. However clearly that principle had been stated, its application in practice created difficulties. The absence of a body or system that would objectively decide on the compatibility of a reservation with the object and purpose of a treaty left the matter in the hands of state parties. However, practice in that field differed considerably from state to state, ranging from the formulation of objections to complete indifference, even in the presence of far-reaching reservations."14

     Er fordert daher die Völkerrechtskommission auf, diese Lücke und Ungewißheit in dem gegenwärtigen System zu schließen.



    1 Vgl. hierzu Rainer Grote, VRPr. 1995, ZaöRV 57 (1997), 923-1163, Ziff. 3; Volker Röben, VRPr. 1996, ZaöRV 58 (1998), 907-1083, Ziff. 3.
    2 BT-PlPr., 169. Sitzung, 15275.
    3 BT-Drs. 13/7770 vom 30.5.1997, 2.
    4 Ibid., 908.
    5 UN Doc. A/C.6/52/SR.14, 9.
    6 Ibid.
    7 Statements and speeches: Statement by Ambassador Gerhard Henze the acting permanent representative of Germany, United Nations General Assembly 52nd session, Permanent Mission of Germany to the United Nations, 4.11.1997.
    8 Vgl. hierzu Röben (Anm. 1), Ziff. 2.
    9 Im Wortlaut abgedruckt in Bull. Nr. 7 vom 24.1.1997, 61 ff.; Röben (Anm. 1), Ziff. 2.
    10 Bull. Nr. 11 vom 4.2.1997, 102.
    11 Ibid.
    12 WIB 2/97, 51.
    13 UN Doc. A/C.6/52/SR.21, 42, 44.
    14 Ibid., 46.