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Völkerrechtliche Praxis der Bundesrepublik Deutschland im Jahre 1997


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Roland Bank


XI. Rechtshilfe und Auslieferung

2. Auslieferung

     113. Wie schon in Zusammenhang mit den Beratungen über das Jugoslawien-Strafgerichtshof-Gesetz wurde auch im Hinblick auf das Ruanda-Strafgerichtshof-Gesetz die Notwendigkeit einer Änderung des Auslieferungsverbots für deutsche Staatsangehörige in Art. 16 Abs. 2 GG erörtert, um die Auslieferung deutscher Staatsangehöriger an den Gerichtshof zu ermöglichen.193 In ihrer Begründung zum Gesetzentwurf führt die Bundesregierung aus:

"Insbesondere kann an der Pflicht, ggf. auch eigene Staatsangehörige an den Gerichtshof zu überstellen, angesichts der Entstehungsgeschichte der Resolution und des Wortlauts des Statuts kein Zweifel bestehen. Daher bedarf es eines verfassungsändernden Gesetzes, das Überstellungen Deutscher an den Gerichtshof von dem sich aus Art. 16 Abs. 2 GG ergebenden Verbot ausnimmt."194

     Diese Grundgesetzbestimmung steht auch einer Durchbeförderung von Deutschen zur Vollstreckung an das Ausland entgegen, wie die Bundesregierung einräumt. In ihrer Antwort auf eine schriftliche parlamentarische Anfrage führt die Bundesregierung hierzu aus:

"Die Bundesregierung ist sich der völkerrechtlichen Verpflichtungen gegenüber den beiden genannten internationalen Strafgerichtshöfen bewußt. Die Beratungen zur Frage der Einbringung eines Gesetzentwurfes zur Änderung des Grundgesetzes sind noch nicht abgeschlossen. Dabei wird auch geprüft, ob eine Verfassungsänderung auch die Überstellung Deutscher an den geplanten Ständigen Internationalen Gerichtshof und die Auslieferung an Mitgliedstaaten der Europäischen Union ermöglichen sollte."195

     114. Im Rahmen der Besprechung des Berichts des Internationalen Strafgerichtshofs für das ehemalige Jugoslawien vor der Generalversammlung der Vereinten Nationen führte Botschafter Henze folgendes zur Frage der Auslieferung aus:

"The co-operation of German authorities with the Tribunal is regulated in a statute passed by parliament in April 1995. My government extradited two men charged with war crimes to the Tribunal. The extradition of Dusko Tadic by Germany to The Hague was the very first extradition to the Tribunal by a member state. Germany has also declared its readiness to execute sentences handed down by the Tribunal."196

     115. In ihrer Antwort auf eine parlamentarische Kleine Anfrage zum Thema des "Abkommens über die Auslieferung zwischen den Mitgliedstaaten der Europäischen Union" betont die Bundesregierung, daß in einem Rechtsraum mit übereinstimmenden ethnischen Wertmaßstäben und demokratisch legitimierten, der Wahrung der Menschenrechte verpflichteten Regierungen aus deutscher Sicht kein Bedürfnis für die generelle Beibehaltung des Spezialitätsgrundsatzes zwischen den Mitgliedstaaten der Europäischen Union bestehe.197 Im Hinblick auf die in der Konvention vorgesehene Durchbrechung des Prinzips der gegenseitigen Strafbarkeit weist die Bundesregierung auf Schwierigkeiten hin, die sich in der Praxis ergeben hätten, wenn kontinentaleuropäische Staaten, die den Straftatbestand der "kriminellen Vereinigung" kennen, um die Auslieferung aus dem Vereinigten Königreich ersucht haben. Vergleichbare Schwierigkeiten in Deutschland sowohl als ersuchender als auch als ersuchter Staat seien der Bundesregierung bisher aber nicht bekannt geworden.198 Hinsichtlich des weiteren Reformbedarfs weist die Bundesregierung darauf hin, sie teile die Ansichten der Generalbundesanwaltschaft insoweit, als von dieser kritisiert werde, daß die Gerichte angelsächsischer Rechtstradition bei der Prüfung der Zulässigkeit der Auslieferung Anforderungen stellten, die über das geltende Auslieferungsübereinkommen hinausgingen.199

     116. Im Berichtszeitraum nahm die Bundesregierung Stellung zu Fragen von Auslieferungen in die Türkei. In ihrer Antwort auf eine parlamentarische Kleine Anfrage betont die Bundesregierung, sie prüfe vor der Bewilligung einer Auslieferung stets, ob nach den Umständen des Einzelfalls die Gefahr politischer Verfolgung naheliege oder ob eine derartige Gefahr auszuschließen sei.200



    193 Vgl. hierzu Grote (Anm. 1), Ziff. 139.
    194 BT-Drs. 13/7953 vom 12.6.1997, 8.
    195 BT-Drs. 13/9353 vom 5.12.1997, 5.
    196 United Nations General Assembly 52nd Session, Statement by Ambassador Gerhard Henze, the Acting Permanent Representative of Germany, Agenda Item 49, 4.11.1997.
    197 BT-Drs. 13/6676 vom 2.1.1997, 3.
    198 Ibid., 4.
    199 Ibid., 8.
    200 BT-Drs. 13/8421 vom 26.8.1997, 3.