Max-Planck-Institut für ausländisches öffentliches Recht und Völkerrecht Logo Max-Planck-Institut für ausländisches öffentliches Recht und Völkerrecht

Sie befinden sich hier: Publikationen Archiv Völkerrechtliche Praxis der Bundesrepublik Deutschland 1997

Völkerrechtliche Praxis der Bundesrepublik Deutschland im Jahre 1997


Inhalt | Zurück | Vor

Roland Bank


II. Auswärtige Gewalt und Bundesländer

     6. Zu gewissen Meinungsverschiedenheiten kam es zwischen der Bundesregierung und den Ländern im Rahmen des Gesetzgebungsverfahrens hinsichtlich des Ratifikationsgesetzes zum Amsterdamer Vertrag. Der Bundesrat begrüßte in seiner Stellungnahme den Vertrag grundsätzlich und stellte fest, daß wesentliche Forderungen der deutschen Länder durchgesetzt werden konnten. Moniert wird jedoch, daß die von den deutschen Ländern geforderte vertragliche Verankerung des kommunalen Selbstverwaltungsrechts, eine verbesserte Kompetenzabgrenzung und die Beschränkung der Bindungswirkung des für die dritte Säule vereinbarten Rahmenbeschlusses auf die Regierungen nicht erreicht werden konnten. Der Bundesrat bedauert diese Tatsache und fordert die Bundesregierung auf, bei den künftigen Regierungsverhandlungen zur Fortentwicklung des Vertrages über die Europäische Union deutliche Fortschritte zur Erreichung dieser Ziele herbeizuführen.15

     Der Bundesrat stellte die Zustimmung zum Vertragsgesetz in Aussicht, wenn in bestimmten Fragen zufriedenstellende Lösungen gefunden würden.

"Der Bundesrat weist darauf hin, daß durch das in Artikel 34 Abs. 2 Buchstabe b EU-Vertrag (revidierte Fassung) niedergelegte neue Rechtsinstrument des Rahmenbeschlusses zur Angleichung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften der Mitgliedstaaten in seine bestehenden Rechte eingegriffen wird. Obwohl die betroffenen Materien mit dem Amsterdamer Vertrag nicht in die Gemeinschaftszuständigkeit überführt worden sind, sind derartige Rahmenbeschlüsse für die Mitgliedstaaten hinsichtlich des zu erreichenden Ziels verbindlich, überlassen jedoch den innerstaatlichen Stellen die Wahl der Form und Mittel. Zur Wahrung seiner Mitwirkungsrechte ist eine innerstaatliche Regelung erforderlich, die eine Zustimmung des Bundesrates beim Zustandekommen derartiger Rahmenbeschlüsse vorsieht, wenn die Zustimmung auch innerstaatlich erforderlich wäre."

     Der Bundesrat fordert daher, einen Artikel in das Vertragsgesetz einzufügen, mit dem das Gesetz über die Zusammenarbeit von Bund und Ländern in Angelegenheiten der Europäischen Union (EuZBLG)16 entsprechend geändert wird. Außerdem stellt er folgende Forderungen:

"2. Weiterhin sollte in geeigneter Form klargestellt werden, daß das Verfahren für die Zustimmung im Rat gemäß § 5 Abs. 3 und 4 EuZBLG auch auf den Fall der Stimmenenthaltung dem Zustandekommen eines einstimmigen Beschlußes im Rat nicht entgegensteht.

3. Zwischen Bund und Läündern wird klargestellt, daß die Übertragung der Verhandlungsführung im Rat auf einen Länderminister auch die Mitwrikung in Vermittlungsverfahren mit dem Europäischen Parlament entsprechend Artikel 189 b Abs. 4 EG-Vertrag (zukünftiger Artikel 251 Abs. 4 EG-Vertrag) umfaßt.

4. Im Bereich der EU-Forschungspolitik, wo künftig Entscheidungen im EU-Ministerrat mit qualifizierter Mehrheit getroffen werden, sollten - entsprechend der innerstaatlichen Regelung von Artikel 91 b GG - Bund und Länder auch auf europäischer Ebene gemeinsam vorgehen.

5. Im Hinblick auf die rechtsstaatlich gebotene Mitwirkung der Parlamente verpflichtet sich die Bundesregierung, entsprechend den vertraglichen Vorgaben von Artikel 23 Abs. 2 GG den Bundesrat möglichst frühzeitig über die beabsichtigte Benennung von Richtern und Generalanwälten beim EuGH und beim Gericht erster Instanz zu informieren."17

     Die Bundesregierung vertritt in ihrer Gegenäußerung die Auffassung, daß im Hinblick auf das neue Rechtsinstrument des Rahmenbeschlusses die Mitwirkung des Bundestages und des Bundesrates abschließend in Art. 23 GG geregelt sei:

"Die vom Bundesrat vorgeschlagene Ergänzung des EuZLBG durch eine Regelung, die eine Zustimmung des Bundesrates beim Zustandekommen der Rahmenbeschlüsse vorsieht, wenn dessen Zustimmung auch innerstaatlich erforderlich wäre, geht über Artikel 23 GG hinaus. Nach Art. 23 Abs. 5 GG sind Stellungsnahmen des Bundesrates zu berücksichtigen oder - unter engen Voraussetzungen - maßgeblich zu berücksichtigen. Das Erfordernis einer Zustimmung des Bundesrates käme einer maßgeblichen Berücksichtigung seiner Stellungnahmen auch in solchen Fällen gleich, in denen die Gesetzgebungszuständigkeiten der Länder, die Einrichtung ihrer Behörden oder ihre Verwaltungsverfahren nicht 'im Schwerpunkt', sondern nur am Rande betroffen sind. Gemäß Artikel 23 Abs. 5 GG ist für solche Fälle nur eine Berücksichtigung der Stellungnahmen des Bundesrates vorgesehen."18

     Zu den übrigen Änderungswünschen des Bundesrates nimmt die Bundesregierung wie folgt Stellung:

"Insgeamt trägt der Vertrag aus Sicht der Bundesregierung den Länderbelangen Rechnung. Die Bundesregierung hat die Länder an der Erarbeitung der deutschen Verhandlungsposition und unmittelbar an den Beratungen der Regierungskonferenz beteiligt. Die Vorstellungen der Länder konnten weitgehend durchgesetzt werden."19

     7. Im Gesetzgebungsverfahren zum Zustimmungsgesetz zum Europaabkommen mit Slowenien brachte der Bundesrat erneut - gestützt auf seine Stellungnahme vom 17. Dezember 199320 - seine Ansicht zum Ausdruck, daß das Abkommen durch die Bundesrepublik Deutschland erst ratifiziert werden könne, wenn sämtliche Länder ihr Einverständnis erklärt haben.21

     Die Bundesregierung nahm hierzu wie folgt Stellung:

"Nach Auffassung der Bundesregierung findet bei Abkommen der Europäischen Gemeinschaft mit Drittstaaten die Beteiligung der Länder nach den Vorschriften des Art. 23 GG sowie des Gesetzes über die Zusammenarbeit zwischen Bund und Ländern in Angelegenheiten der Europäischen Union statt. Dies gilt ausdrücklich auch dann, wenn ausschließliche Gesetzgebungsbefugnisse der Länder betroffen sind. Für die Beachtung der Lindauer Absprache ist daneben kein Raum, sofern für die in dem Abkommen geregelten Materien eine Rechtsgrundlage im Vertrag über die Europäische Union besteht oder soweit sie als Gegenstände des gemeinsamen Interesses angesprochen oder als Gegenstände der Zusammenarbeit vorgesehen sind.

Die in den Europa-Abkommen enthaltenen Kooperationsklauseln, in denen sich die Europäische Union und ihre Mitgliedstaaten in allgemeiner Form und unter Berücksichtigung der Prinzipien von Subsidiarität und der Verhältnismäßigkeit zur Zusammenarbeit verpflichten, halten sich in dem vom Vertrag über die Europäische Union vorgezeichneten Rahmen. Die fraglichen Teile der Abkommen begründen im übrigen auch keine unmittelbar wirksamen völkerrechtlichen Verbindlichkeiten für die Mitgliedstaaten und damit für die Länder.

Die Voraussetzungen für eine Beachtung der Lindauer Absprache liegen somit nicht vor; die Bundesregierung verweist daher auf die in Art. 23 GG vorgesehenen Verfahren.

Das Europa-Abkommen mit Slowenien soll den Transformationsprozeß in Slowenien fördern und als Beitrag zur Vorbereitung des angestrebten Beitritts zur EU dienen. Nach Auffassung der Bundesregierung sollte eine zügige Durchführung der Ratifizierung dieses Abkommens erfolgen, damit Slowenien so schnell wie möglich den übrigen assoziierten mittel- und osteuropäischen Ländern vertraglich gleichgestellt wird."22

     8. Im Verfahren zum Erlaß eines Gesetzes zu dem Übereinkommen vom 26. Juli 1995 aufgrund von Art. K. 3 des Vertrages über die Europäische Union über die Errichtung eines europäischen Polizeiamtes (Europol-Gesetz) vertrat der Bundesrat in seiner Stellungnahme die Auffassung, daß das Gesetz der Zustimmung des Bundesrates bedürfe:

"Das Gesetz bedarf nach Art. 84 Abs. 1 GG der Zustimmung des Bundesrates, da es z. B. in Art. 2 und § 2 Abs. 1, 2, 4 Satz 2, § 3 Abs. 1 und 2 sowie § 5 Verwaltungszuständigkeiten und das Verwaltungsverfahren der Länder regelt und weil das Übereinkommen auch Regelungen des Verwaltungsverfahrens der Landeskriminalämter bei der Verarbeitung personenbezogener Daten enthält.

Der Bundesrat vermag der von der Bundesregierung vertretenen Ansicht, Art. 84 Abs. 1 GG sei in den Fällen, in denen Gesetze nach Art. 73 Abs. 10 GG zustande kommen, präkludiert, nicht zu folgen. (...)

Wegen der haftungsrechtlichen Vorschriften ergibt sich die Zustimmungsbedürftigkeit aus Art. 74 Abs. 2 und Art. 104a Abs. 5 Satz 2 GG."23

     Die Bundesregierung weist diese Ansicht zurück:

"Die dem Vertragsgesetz zugrunde gelegte Gesetzgebungskompetenz des Bundes aus Art. 73 Nr. 10 GG erstreckt sich auch auf Regelungen des Verwaltungsverfahrens, mit dem die Zusammenarbeit von Bund und Ländern im Sicherheitsbereich koordiniert werden soll, und schließt in ihrem Anwendungsbereich einen Rückgriff auf Art. 84 Abs. 1 GG aus (...). Nur soweit der Bund mit einer auf Art. 73 Nr. 10 GG gestützten Verfahrensvorschrift die thematische Ausrichtung seines Koordinierungsrechts mißachtet, indem er die Zuständigkeit von Behörden regelt, die nicht unmittelbar mit Aufgaben in den dort genannten Bereichen betraut sind, oder den Ländern Vorgaben für die Ausführung des auf anderer Kompetenzgrundlage verabschiedeten Bundesrechts erteilt, kann Art. 84 Abs. 1 GG im Einzelfall die Zustimmungsbedürftigkeit auslösen. Ein derartiger Regelungsansatz kann dem vorliegenden Gesetzentwurf indessen nicht entnommen werden.

Auch auf Art. 74 Abs. 2 i. v. m. Art. 74 Abs. 1 Nr. 25 GG kann die Zustimmungsbedürftigkeit nicht gestützt werden.

Art. 2 § 6 Abs. 5 Satz 2 stellt kein Ausführungsgesetz i.S.v. Art. 104 a Abs. 5 Satz 2 GG dar und löst deshalb nicht die Zustimmungsbedürftigkeit aus."24

     Daneben hatte der Bundesrat darauf gedrängt, das Übereinkommen erst zu ratifizieren, wenn nach Ziffer 3 der Lindauer Vereinbarung sämtliche Länder ihr Einverständnis mit dem Übereinkommen erklärt haben. Der Bundesrat habe bereits zu früherer Gelegenheit darauf hingewiesen, daß auch bei dem vorliegenden Übereinkommen als Angelegenheit von gemeinsamem Interesse gem. Art. K. 1 EUV bei der Ratifizierung die Lindauer Vereinbarung zu beachten sei. Da die Regelungsgegenstände der Europol-Konvention über den Bereich der ausschließlichen Zuständigkeit des Bundes für die internationale Verbrechensbekämpfung nach Art. 73 Nr. 10 GG hinausgingen und teilweise in die Kompetenz der Länder fielen, sei die Zustimmung sämtlicher Länder nach Ziffer 3 der Lindauer Vereinbarung erforderlich.25

     Auch dieser Einwand des Bundesrates wird von der Bundesregierung zurückgewiesen:

"Die Bundesregierung hält an ihrer Auffassung fest, daß in Angelegenheiten der Europäischen Union die Beteiligung der Länder nach den Vorschriften des Art. 23 GG erfolgt und daneben für die Beachtung der Lindauer Absprache kein Raum ist. Bereits deshalb liegen die Voraussetzungen für die Beachtung der Lindauer Absprache in Bezug auf das Europol-Übereinkommen nicht vor, das der Rat nach Art. K.3 Abs. 2, 2. Anstrich, Buchst. c EUV ausgearbeitet und den Mitgliedstaaten zur Annahme gemäß ihren verfassungsrechtlichen Vorschriften empfohlen hat. Im übrigen trifft das Übereinkommen auch keine Regelungen im Sinne der Ziff. 3 der Lindauer Absprache."26



    15 BT-Drs. 13/9339 vom 3.12.1997, 165 f.
    16 BGBl. 1993 I, 313.
    17 BT-Drs. 13/9339 vom 3.12.1997, 168.
    18 Ibid.
    19 Ibid.
    20 BR-Drs. 799/93 vom 18.12.1993.
    21 BT-Drs. 13/7447 vom 17.4.1997, 148.
    22 Ibid.
    23 BT-Drs. 13/7391 vom 10.4.97, 54.
    24 Ibid., 58.
    25 Ibid., 54.
    26 Ibid., 58.