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Völkerrechtliche Praxis der Bundesrepublik Deutschland im Jahre 1997


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Roland Bank


XIV. Außenwirtschaftsverkehr und Welthandelsordnung

1. GATT und WTO

     182. Der Bundestag hat am 9. Oktober 1997 den Gesetzentwurf der Bundesregierung zu dem 4. Protokoll vom 15. April 1997 zu dem Allgemeinen Übereinkommen über den Handel mit Dienstleistungen angenommen. Dieses Protokoll enthält als Anhang die Listen der spezifischen Verpflichtungen der betreffenden WTO-Mitgliedstaaten zur Liberalisierung der Basis-Telekommunikationsdienstleistungen. Dazu gehört auch die Liste der spezifischen Verpflichtungen der Europäischen Gemeinschaften und ihrer Mitgliedstaaten. Diese Verpflichtungen werden durch die Annahme des Protokolls gem. dessen Absatz 1 völkerrechtlich verbindlich. Die Bundesregierung weist in ihrer Begründung zum Vertragsgesetz darauf hin, daß das innerstaatliche Recht bereits voll den Verhandlungsergebnissen entspreche.298

     Künftige Streitigkeiten werden dem Protokoll zufolge im Rahmen des multilateralen Streitbeilegungsverfahrens der WTO geregelt. Mit dem Protokoll haben sich die Europäischen Gemeinschaften und ihre Mitgliedstaaten (die 15 Mitgliedstaaten haben auf Basis des Art. 113 EGV eine gemeinschaftliche Verpflichtungsliste vorgelegt) gegenüber allen WTO-Mitgliedstaaten zur vollständigen Liberalisierung aller Telekommunikationsdienstleistungen verpflichtet. Wie es weiter in der Denkschrift zum Vertragsentwurf der Bundesregierung heißt, beträfen Ausnahmen eine zeitlich etwas verzögerte Öffnung des portugiesischen, irischen, griechischen und spanischen Telekommunikationsmarkts sowie bestimmte Investitionsbeschränkungen für Firmen aus Drittländern in Portugal und Frankreich. Vollständige Liberalisierung bedeute die Gewährung von Marktzugang und Inländerbehandlung bei Orts-, Fern- und grenzüberschreitenden Telekommunikationsdienstleistungen. Demnach können ausländische Anbieter künftig selbst entscheiden, ob sie Netzkapazitäten von anderen Betreibern anmieten oder eigene Netze aufbauen wollen. Zur vollständigen Liberalisierung gehöre auch die Verpflichtung der EG-Mitgliedstaaten, daß Telekommunikationsfirmen aus Ländern außerhalb der EG ihr Dienstleistungsangebot "technologieneutral", d. h. auf Kabel-, Funk- und Satelliten-Systemen erbringen können. Darüber hinaus verpflichten sich die beteiligten Länder zur Einhaltung regulatorischer Prinzipien, die die Verpflichtung zum Marktzugang untermauern. Gleichzeitig werden die Vertragsparteien verpflichtet, wettbewerbswidrige Praktiken marktbeherrschender Anbieter zu verhindern. Der marktbeherrschende Anbieter von öffentlichen Telekommunikationsnetzen oder -dienstleistungen muß die Zusammenschaltung mit seinem Netz an jedem technisch durchführbaren Punkt sicherstellen, und dies zu Bedingungen, die nicht diskriminierend und nicht ungünstiger sind als die Bedingungen, die er sich selbst einräumt. Im Hinblick auf die Wettbewerbssituation in Deutschland weist die Bundesregierung darauf hin, daß diese durch die Ergebnisse der WTO-Verhandlungen nicht zusätzlich beeinflußt werde. Deutschland habe bereits vor Abschluß der WTO-Verhandlungen im Rahmen der EG die Liberalisierung seiner Telekommunikationsmärkte ab 1. Januar 1998 beschlossen und sich mit der Verabschiedung des Telekommunikationsgesetzes verpflichtet, "jedermann" Zugang zum deutschen Markt zu gewähren.299

     183. Im Wirtschaftsausschuß des Bundestages erklärte die Bundesregierung, sie wolle sich in der EU dafür einsetzen, daß die EG-Bananenmarktordnung bald wieder mit den Regeln der WTO und des GATT übereinstimme.300

     184. Bundeswirtschaftsminister Rexroth berichtete im Wirtschaftsausschuß über die Ergebnisse der ersten Ministerkonferenz der WTO vom 9. bis 13. Dezember 1996 in Singapur. Der Minister räumte ein, daß beim Thema "Handel und Sozialstandard" keine Fortschritte erzielt werden konnten, betont jedoch, daß das Thema in der WTO bestehen bleibe. Der Minister betonte, die Bundesrepublik habe ein Interesse daran, daß die Sozialstandards in den Entwicklungs- und Schwellenländern verbessert werden. Dabei gehe es vor allem um das Verbot der Kinderarbeit und um die Verhinderung von Menschenrechtsverletzungen. Ob aus der Verletzung von Sozialstandards Handelssanktionen abgeleitet werden können, solle in erster Linie im Rahmen der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO) erörtert werden. Das Thema bleibe aber auch in der WTO auf der Tagesordnung. Die Entwicklungs- und Schwellenländer haben sich nach Angaben des Ministers bei der Erörterung dieser Thematik "massiv" gesperrt.

     Deutschland habe bei der Konferenz einen weiteren Zollabbau angestrebt, aber nicht durchsetzen können. Der Zollabbau solle aber spätestens vom Jahr 2000 an in Gang gesetzt werden, wobei vor allen Dingen in den Bereichen Investition, Wettbewerb und Umweltschutz für die folgenden Treffen Fortschritte erwartet würden. Bei den Sozialnormen werde es wohl längere Zeit erfordern, die Widerstände in den Entwicklungsländern zu überwinden, so der Minister.

     Wie der Minister berichtet, kam es in Singapur zu einem Abkommen über den Zollabbau bei Informationstechnik-Produkten. Die Teilnehmerstaaten an diesem Abkommen vereinigten 80 % des Welthandelsvolumens in diesem Bereich auf sich. Durch die Zollsenkungen werde das Welthandelsvolumen und damit auch die Beschäftigung gesteigert. Im Bereich "Welthandel und Investitionen" gehe es darum, Marktzugangsbedingungen zu schaffen, um investieren zu können. Die Schwellen- und Entwicklungsländer seien zwar an ausländischen Investitionen interessiert, wollten sich aber häufig vorbehalten, wer wo und worin investieren dürfe. Deutschland strebe dagegen einen freien Zugang bei den Auslandsinvestitionen in Drittländern an. Zu diesem Thema sei eine Arbeitsgruppe gegründet worden. Eine weitere Arbeitsgruppe werde sich mit dem Bereich "Handel und Wettbewerb" beschäftigen, um in der WTO feste Wettbewerbsregeln zu entwickeln.

     Erhebliche Widerstände habe es beim Themenkomplex "Handel und Umwelt" gegeben, wie der Minister weiter berichtet. Insbesondere sei weiterhin erörterungsbedürftig, ob bei der Verletzung von Umweltstandards Handelsbeschränkungen vorgenommen werden dürfen.301

     185. Auch in ihrer Antwort auf eine parlamentarische Kleine Anfrage zum Thema des internationalen Tourismus nahm die Bundesregierung zum Verhältnis von Handels- und Umweltpolitik Stellung. Die Bundesregierung betont, sich ausdrücklich dafür einzusetzen, daß beide Politikbereiche sich gegenseitig unterstützen und eine nachhaltige Entwicklung gemäß der Agenda 21 fördern, auch im Hinblick auf den Handel mit Dienstleistungen. Die Bundesregierung habe erfolgreich darauf hingewirkt, daß beim Abschluß der Uruguay-Runde die Bedeutung von Umweltbelangen in der WTO gestärkt worden und ein eigener "Ausschuß für Handel und Umwelt" eingerichtet wurde. Zur Arbeit dieses Ausschusses führt die Bundesregierung aus:

"In den Arbeiten dieses WTO-Ausschusses kommt der Frage der Kompatibilität von Handelsmaßnahmen aufgrund multilateraler Umweltabkommen (MEAs) mit den bestehenden Handelsregeln besondere Bedeutung zu. Die Bundesregierung setzt sich dabei (im Rahmen der EU) dafür ein, daß unter bestimmten Voraussetzungen Handelsmaßnahmen auf der Grundlage von MEAs eine gewisse präferenzielle handelspolitische Behandlung erfahren. Dabei ist jedoch sicherzustellen, daß derartige umweltpolitisch bedingte Maßnahmen nicht leichtfertig ergriffen und für protektionistische Zwecke mißbraucht werden."302

     186. Besondere Bedeutung und aktuelle Relevanz mißt die Bundesregierung dem Öko-Labeling zu. Zentrales Ziel der Arbeiten in der WTO müsse es sein, ökologische Aspekte weiter in das multilaterale Handelssystem zu integrieren, ohne die handelspolitischen Grundprinzipien des GATT zu untergraben (Offenheit, Nichtdiskriminierung, Unterlassung verdeckter Handelsbeschränkungen, geringstmöglicher handelspolitischer Eingriff, Proportionalität, Transparenz).303

     187. Im Rahmen der Antwort auf die genannte Anfrage geht die Bundesregierung ebenfalls auf das Verhältnis von handelspolitischen Maßnahmen und Sozialstandards ein:

"Negative handelspolitische Maßnahmen zur Durchsetzung von Sozialstandards, vor allem solche, die auf Importverbot hinauslaufen, hält die Bundesregierung grundsätzlich für ungeeignet. Sie tritt für eine Politik ein, die im Dialog mit den betroffenen Ländern auf eine breit angelegte Verbesserung der Rahmenbedingungen abzielt und die Umsetzung und die Einhaltung von Normen, die soziale Mindeststandards festlegen, gewährleistet.304

     188. Zum Verhältnis von EG-Agrarbereich und GATT- und WTO-Verhandlungen führt die Bundesregierung folgenden aus:

"Bei den WTO-Verhandlungen über die Fortsetzung der Schaffung eines fairen und marktorientierten Agrarhandelssystems, die im Jahr 1999/2000 beginnen sollen, sind zu berücksichtigen:

- die bis dahin gewonnen Erfahrungen bei der Durchführung der Agrarverpflichtungen,

- die Auswirkungen dieser Verpflichtungen auf den Welthandel,

- nicht handelsbezogene Anliegen; dies betrifft die besondere Behandlung der Entwicklungsländer, aber auch Fragen der Ernährungssicherung und des Umweltschutzes.

Vor diesem Hintergrund wird zu klären sein, ob und ggf. welche weiteren Abbauverpflichtungen notwendig sind. In diesem Zusammenhang wird sich die Bundesregierung weiterhin für einen ausreichenden Außenschutz für die europäische Landwirtschaft einsetzen."205



    298 BT-Drs. 13/8215 vom 14.7.97, 6.
    299 Ibid., 19 f.
    300 WIB 21/97, 36.
    301 WIB 1/97, 33.
    302 BT-Drs. 13/7321 vom 24.3.97, 21.
    303 Ibid., 22.
    304 Ibid., 21.
    305 BT-Drs. 13/6792 vom 20.1.97, 11.