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Völkerrechtliche Praxis der Bundesrepublik Deutschland im Jahre 1997


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Roland Bank


XV. Europäische Union und Europäische Gemeinschaften

1. Verträge

     196. Vertrag von Amsterdam

     Auf der Tagung des Europäischen Rates am 16. und 17. Juni 1997 in Amsterdam hat die Regierungskonferenz zur Revision des EU- und des EG-Vertrages mit einer vollständigen Einigung über einen Vertragsentwurf ihren erfolgreichen Abschluß gefunden. Im Verlauf der Verhandlungen nahm die Bundesregierung mehrfach Stellung zu den einzelnen von ihr vertretenen Positionen.

     Auf eine schriftliche parlamentarische Anfrage äußerte sich die Bundesregierung zu Vorschlägen der irischen Präsidentschaft im Dezember 96 zur Verankerung der Gleichstellung von Frauen und Männern im EG-Vertrag. Die Bundesregierung signalisierte ihre grundsätzliche Unterstützung für die Vorschläge der Präsidentschaft zur Gleichberechtigung von Frauen und Männern, wies aber darauf hin, daß sie zum Teil über diese hinausgehen wolle bzw. Anpassungen für wünschenswert halte. Die Bundesregierung stimme dem Vorschlag der Präsidentschaft zu, in den Artikeln 2 und 3 EGV Aufgaben und Zielbestimmungen betreffend die Gleichberechtigung von Frauen und Männern zu verankern. Sie halte es aber zusätzlich für notwendig, auch in der übergreifenden Zielbestimmung des Art. B EUV die Gleichberechtigung festzuschreiben. Die Bundesregierung trete dafür ein, daß sich der konkrete Text der genannten Bestimmung an der entsprechenden Formulierung von Art. 3 Abs. 2 Satz 2 des Grundgesetzes orientiert ("Förderung der tatsächlichen Durchsetzung der Gleichberechtigung"), werde sich aber anderen sachdienlichen Formulierungsvorschlägen nicht verschließen. Auch die vorgeschlagene Klarstellung, daß Männer und Frauen gleiches Entgelt für gleiche oder gleichwertige Arbeit erhalten sollen, unterstütze die Bundesregierung.

     Weiterhin setzte sich die Bundesregierung dafür ein, das Sozialabkommen in den EG-Vertrag zu überführen. Durch Anwendung von Art. 6 Abs. 3 des Sozialabkommens würde damit im EG-Vertrag festgeschrieben, daß die Mitgliedstaaten nicht daran gehindert seien, zur Erleichterung der Berufstätigkeit der Frauen oder zur Verhinderung bzw. zum Ausgleich von Benachteiligungen in ihrer beruflichen Laufbahn spezifische Begünstigungen beizubehalten oder zu beschließen. Insofern sollte zumindest der Inhalt dieses Artikels in den EG-Vertrag übernommen werden, sollte die Einbeziehung des Sozialabkommens auf der Regierungskonferenz nicht gelingen. Die Bundesregierung könne die vom Vorsitz vorgeschlagene Ergänzung von Art. 119 EGV ähnlichen Inhalts jedoch ebenfalls mittragen. Der Vorschlag, die Verwendung einer geschlechtsneutralen Sprache für das gesamte Vertragswerk einzuführen, sei von der Präsidentschaft inzwischen zurückgenommen worden, da er allgemein als kaum praktikabel angesehen worden sei.328

     Auf eine weitere schriftliche parlamentarische Anfrage nahm die Bundesregierung Stellung zu den Verhandlungen über eine Anti-Diskriminierungsklausel. Die Bundesregierung sei auf der Regierungskonferenz mit Nachdruck dafür eingetreten, im Anwendungsbereich des Vertrags ein allgemeines Diskriminierungsverbot mit Bindungswirkung für die EU-Organe festzuschreiben. Den Ansatz der niederländischen Präsidentschaft, eine Gemeinschaftskompetenz ohne Direktwirkung in den Mitgliedstaaten zu begründen, könne die Bundesregierung im Grundsatz ebenfalls mittragen. Sie gehe davon aus, daß die Vorschrift dazu beitragen werde, Benachteiligungen von Menschen mit Behinderungen entgegenzuwirken und daß besondere Leistungen und Hilfen zugunsten behinderter Menschen (sog. positive Diskriminierung) weiterhin möglich blieben.329

     In einer Anhörung des Europaausschusses des Bundestages wies Bundesaußenminister Kinkel Vorschläge zurück, die Regierungskonferenz zu verlängern, für den Fall, daß sich ein gravierender Konflikt zwischen der britischen Regierung und den anderen EU-Mitgliedstaaten abzeichnen sollte. Der Minister betonte, daß vor allem mit Blick auf die anstehende Erweiterung der EU um Staaten Mittel- und Osteuropas es wichtig sei, wie vereinbart im Juni 1997 in Amsterdam zu einem inhaltlich zufriedenstellenden Abschluß zu kommen. Daneben wies der Minister darauf hin, daß den kleineren und mittleren Mitgliedstaaten der EU im Zuge der anstehenden Entscheidungen das Gefühl gegeben werden müsse, einbezogen zu sein. Dies gelte vor allem für institutionelle Fragen wie etwa die künftige Zusammensetzung der EU-Kommission.330

     In einem Vortrag bei dem niedersächsischen Rat der Europäischen Bewegung am 28. Januar 1997 in Hannover skizzierte der Staatsminister im Auswärtigen Amt Heuer die deutschen Positionen in zahlreichen weiteren Aspekten, die Gegenstand der Beratungen der Regierungskonferenz waren. Im Rahmen der inneren europäischen Sicherheitspolitik strebe die Bundesregierung nach Angaben des Staatsministers an, EUROPOL Schritt für Schritt zu einer wirksamen Polizeibehörde mit operativen Befugnissen auszubauen. Außerdem solle die Schengen-Zusammenarbeit in den EU-Rahmen überführt werden und eine gemeinschaftliche Asyl- und Visapolitik, Zollzusammenarbeit, Außengrenzenregelungen und Einwanderungspolitik begründet werden. Im Bereich der Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik nennt der Staatsminister als wichtigstes Ziel, das Einstimmigkeitsprinzip aufzuheben. Weiterhin sollte die Stelle eines GASP-Generalsekretärs geschaffen werden und die Sicherheits- und Verteidigungsunion im Rahmen der Europäischen Union ausgebaut werden.331

     Daneben trete die Bundesregierung auf der Regierungskonferenz mit Nachdruck dafür ein, die Rechte des Einzelnen zu stärken. Dies heiße konkret: besserer Grundrechtsschutz gegenüber EU-Organen, Ausbau der Unionsbürgerschaft, mehr Transparenz, lesbare Verträge und verständlichere Entscheidungsverfahren. Auch das Bekenntnis zur Sozialunion und zum Schutz der natürlichen Lebensgrundlagen müsse klar erkennbar sein. Im Hinblick auf die institutionelle Effizienz träten Deutschland und Frankreich dafür ein, wo immer möglich mit qualifizierter Mehrheit abzustimmen, um aus der Sackgasse des Vetos herauszukommen. Damit Entscheidungen des Rates nicht ihre Legitimationsgrundlage verlören, könnte künftig hinter einer Ratsentscheidung die doppelte Mehrheit von gewichtigen Stimmen und Bevölkerungszahl stehen. Von dem Prinzip "ein Land/ein Kommissar" müsse Abschied genommen werden. Weiterhin drängten nach Angaben des Staatsministers Deutschland und Frankreich darauf, einen Rahmen für flexible Lösungen zu schaffen, wo ein gemeinsames Vorgehen aller Mitgliedstaaten nicht möglich ist. Flexible Lösungen seien aber nicht möglich bei bestehenden Regelungen des Binnenmarktes oder im binnenmarktnahen Bereich.332

     Zum Stand der Verhandlungen gab Bundesaußenminister Kinkel vor dem deutschen Bundestag am 1. Juni 1997 zur Tagung des Europäischen Rates in Amsterdam am 16./17. Juni 1997 eine Erklärung der Bundesregierung ab. Der Außenminister gibt in seiner Rede einen Überblick über die deutschen Positionen in den noch offenen Fragen. Zu Fragen der Außenpolitik weist er darauf hin, daß noch zwei Fragen offen seien:

"Erstens: Wir wollen, daß die Außenpolitik aus der Zwangsjacke der Einstimmigkeit herauskommt. Es darf nicht weiterhin so sein, vor allem, wenn wir in Zukunft eine vergrößerte Union haben, daß ein einzelner Mitgliedstaat eine Entscheidung praktisch verhindern kann. Zumindest muß die Hürde für eine solche Blockademöglichkeit möglichst hoch angesetzt werden. Das wird bis zum Schluß ein nicht ganz einfacher Punkt sein. Aber die Einsicht wächst, auch bei den Partnern: Wer stur an der Einstimmigkeit festhält, nimmt die außenpolitische Ohnmacht der Europäischen Union dadurch praktisch in Kauf. Das kann nicht richtig sein.

Zweitens: Deutschland und 10 weitere Staaten wollen einen deutlichen Schritt auch in Richtung gemeinsame Verteidigungspolitik machen. Der Weg dorthin führt über eine Leitlinienkompetenz des Europäischen Rates auch für die WEU und über die schrittweise Integration der WEU in die Europäische Union. Hier geht es um die Weichenstellung für eine künftige europäische Verteidigungsidentität. Deshalb brauchen wir in diesem Punkt in Amsterdam eine klare Aussage."333

     Als zentrales Element im Bauplan der Union und als besonderes Anliegen der Bundesländer hebt der Bundesaußenminister das Prinzip der Subsidiarität hervor. Die Bundesregierung habe sich bei den Verhandlungen bereits massiv für die Verwirklichung dieses Prinzips eingesetzt und werde sich auch bei den abschließenden Verhandlungen weiterhin massiv dafür einsetzen. Es gehe dabei nicht um Re-Nationalisierung, sondern um die Funktionsfähigkeit und die Bürgernähe der Europäischen Union. Es werde um so mehr auf das Prinzip der Arbeitsteilung ankommen, je größer die Union werde.334

     Im Hinblick auf die institutionelle Reform betont Kinkel, daß die heutigen Entscheidungsverfahren und -organe nicht für 15 und schon gar nicht für 20 oder mehr Mitglieder ausgelegt seien. Die Bundesregierung sei unter gewissen Voraussetzungen bereit, künftig auf einen der beiden deutschen Kommissare zu verzichten. Die deutschen Vorschläge zur Stärkung des Kommissionspräsidenten fänden viel Unterstützung. Insbesondere werde die Bestätigung des Kommissionspräsidenten durch das Europäische Parlament ihm zusätzliche Legitimation verschaffen. Als weitere Eckpunkte für die deutsche Position in institutionellen Fragen nennt der Außenminister die künftige Begrenzung der Kommission auf 20 Kommissare und die Gewährleistung, daß auch künftig bei Entscheidungen des Rates die demokratischen Verhältnisse in der Europäischen Union angemessen berücksichtigt würden. Das heiße, daß auch weiterhin hinter einer Entscheidung mit qualifizierter Mehrheit etwa 60 % der Bevölkerung stehen müßten.335

     Offen war weiterhin vor der Tagung des Europäischen Rates in Amsterdam die Frage des Auslösemechanismus für eine flexible Zusammenarbeit. Nach Ansicht der Bundesregierung würde Einstimmigkeit bei diesem Auslösemechanismus im Zweifelsfall nicht über den Status quo hinausführen. Der Einstieg in die flexible Zusammenarbeit müsse deshalb mit qualifizierter Mehrheit erfolgen.336

     Auf der Tagung des Europäischen Rates am 16. und 17. Juni 1997 in Amsterdam hat die Regierungskonferenz, die auf der Ebene der Staats- und Regierungschefs zusammengetreten ist, Einvernehmen über den Entwurf des Vertrags von Amsterdam erzielt. Die notwendige endgültige rechtliche Überarbeitung und Harmonisierung der Texte wurde rechtzeitig abgeschlossen, so daß der Vertrag am 2. Oktober 1997 im Amsterdam endgültig unterzeichnet werden konnte. Am 3. Dezember 1997 leitete die Bundesregierung das Gesetzgebungsverfahren für ein Vertragsgesetz ein, um die von Deutschland erforderlichen Voraussetzungen des Inkrafttreten des Amsterdamer Vertrages zu schaffen. In der Begründung zum Vertragsgesetz werden die einzelnen Anforderungen an das Gesetzgebungsverfahren dargelegt:

"Der Vertrag von Amsterdam einschließlich der ihm beigefügten 13 Protokolle bedarf nach Art. 59 Abs. 2 Satz 1 GG der Zustimmung der für die Bundesgesetzgebung zuständigen Körperschaften in der Form eines Bundesgesetzes, da er die politischen Beziehungen des Bundes regelt und sich auf Gegenstände der Bundesgesetzgebung bezieht.

Das Vertragsgesetz bedarf nach Art. 23 Abs. 1 Satz 3 i.V.m. Art. 79 Abs. 2 GG der Zustimmung von 2/3 der Mitglieder des Bundestages und 2/3 der Stimmen des Bundesrates, da der Vertrag von Amsterdam in einzelnen Regelungen auch eine Übertragung von Hoheitsrechten vorsieht, die als verfassungsrelevante Änderung der vertraglichen Grundlagen der Europäischen Union im Sinne dieser Vorschrift anzusehen ist. Dies gilt jedenfalls für das neue Instrument des RahmenBeschlußes in den Bereichen der polizeilichen Zusammenarbeit und der justitiellen Zusammenarbeit in Strafsachen.

Die der Schlußakte beigefügten, von der Konferenz der Vertreter der Regierungen der Mitgliedstaaten angenommenen Erklärungen entfalten rechtliche Wirkungen und stehen in unmittelbarem Zusammenhang mit dem Vertrag von Amsterdam, so daß sie in das Zustimmungsverfahren einzubeziehen sind."337

     Ferner wird in der Begründung zum Vertragsgesetz betont, daß das in Amsterdam beschlossene Vertragswerk auch Fortschritte in umweltpolitischer und frauenpolitischer Hinsicht gebracht habe.

     In der Denkschrift zum Vertrag von Amsterdam zieht die Bundesregierung eine positive Bilanz der Regierungskonferenz:

"Der Vertrag von Amsterdam schließt sich an die durch die einheitliche europäische Akte 1986 und den Vertrag von Maastricht 1992 vorgenommene Fortentwicklung der Gründungsverträge der Europäischen Gemeinschaften an. In enger Abstimmung insbesondere mit Frankreich hat die Bundesregierung wesentliche Verhandlungsziele durchsetzen können. Mit dem Vertrag von Amsterdam stärkt die Europäische Union die innere und äußere Handlungsfähigkeit und macht den Weg frei für einen pünktlichen Beginn von Beitrittsverhandlungen Anfang 1998."338

     Weiter betont die Bundesregierung in der Denkschrift, daß sie die Länder an der Erarbeitung der deutschen Verhandlungsposition und unmittelbar an den Beratungen der Regierungskonferenz beteiligt habe. Bundestag und Bundesrat seien laufend unterrichtet worden, ihre Entschließungen haben der deutschen Delegation als wichtige Verhandlungsgrundlage gedient.339

     Der Bundesrat begrüßt in seiner Stellungnahme vom 28. November 1997 den Vertrag. Wesentliche Forderungen der deutschen Länder hätten durchgesetzt werden können. Die Länderkammer bezieht sich dabei auch auf die in einem Protokoll zum EG-Vertrag grundsätzlich als zulässig bezeichnete Finanzierung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks durch die Mitgliedstaaten und Kenntnisnahme einer Würdigung der Rolle der Sparkassen bei der "kreditwirtschaftlichen Versorgung bei breiter Bevölkerungskreise" durch die Europäische Kommission. Der Bundesrat stellt in der Stellungnahme seine Zustimmung zum Vertragsgesetz in Aussicht, macht diese jedoch u. a. davon abhängig, daß seine Mitwirkung an Rahmenbeschlüssen der EU zur Angleichung von Rechts- und Verwaltungsvorschriften auf EU-Ebene explizit gesetzlich geregelt werde. Die Bundesregierung teilt in ihrer Gegenäußerung diese Auffassung nicht. Die Mitwirkung des Bundesrates in solchen Fragen sei bereits jetzt abschließend im Grundgesetz (Art. 23) geregelt.340

     Der Bundestag hat am 8. April 1998 mit Zustimmung des Bundesrates das Gesetz zum Vertrag von Amsterdam vom 2. Oktober 1997 beschlossen.341

    

     197. Erweiterung der Union

     Im Vorfeld des Europäischen Rates in Luxemburg am 12./13. Dezember 1997 stellte Bundesaußenminister Kinkel in einer Regierungserklärung vor dem deutschen Bundestag Kriterien für ein Beitrittsszenario auf:

"Erstens: Es muß klar sein, daß es sich um einen Erweiterungsprozeß handelt, an dessen Ende für alle Teilnehmer der Beitritt steht, wenn sie die - für jeden gleichen - Kriterien erfüllen. Damit ist klar festgelegt: es wird keiner abgehängt.

Zweitens: Die Aufnahme von Beitrittsverhandlungen im juristischen Sinne erfolgt zunächst nur mit den am weitesten fortgeschrittenen Ländern, gemäß den Empfehlungen der Kommission.

Drittens: Die Verhandlungsreife der übrigen Kandidaten wird regelmäßig überprüft. Beitrittsverhandlungen werden aufgenommen, sobald ein Land die für alle gleichen Maßstäbe und Kriterien erfüllt, wobei es sicher ist, daß die Latte nicht im nachhinein angehoben oder abgesenkt wird.

Viertens: Es gilt also der Grundsatz individueller bilateraler Verhandlungen, die zu unterschiedlichen Terminen beginnen und anschließen können.

Fünftens: Es muß für alle, die später beginnen, klar sein, daß es eine Überholspur gibt, und auf diese Überholspur muß freie Durchfahrt möglich sein."342

     Im Hinblick auf eine mögliche Beitrittsperspektive der Türkei weist der Außenminister darauf hin, daß die Bundesregierung das Ziel einer späteren Mitgliedschaft der Türkei unterstütze. Deshalb wirke man daran mit, die für die Europäische Union und die Türkei so wichtigen Beziehungen intensiv weiterzuentwickeln und in Form einer Annäherungsstrategie mit Substanz zu füllen. Gleichzeitig wird darauf hingewiesen, daß weder das Freizügigkeitsproblem verschwiegen werden dürfe noch die großen Probleme, wie die Menschenrechtslage oder die Kurdenfrage, zu deren Überwindung vor allem die Türkei selber aufgerufen sei, damit sie die hierfür notwendigen Voraussetzungen schaffe.343

     Weiter weist Kinkel darauf hin, daß die Reform der Gemeinschaftspolitiken und des Finanzrahmens 2000 bis 2006 noch nicht abschließend zu regeln seien. Vielmehr werde zunächst die Kommission detaillierte Vorschläge und Berichte zur Agrarpolitik und zur strikten Strukturreform im Laufe des Jahres 1998 vorlegen. Bei den danach zu erwartenden intensiven Beratungen müssen die Grundsätze von Solidarität und fairer Lastenverteilung berücksichtigt werden, worauf die Bundesregierung drängen werde.344

     In ihrer Antwort auf eine Kleine Anfrage geht die Bundesregierung auf ihre Haltung zum Beitritt Zyperns in die Europäische Union ein:

"Die Bundesregierung wirkt mit Blick auf die zyprische EU-Beitrittsperspektive im Rahmen der Europäischen Union daran mit, die Bemühungen des Generalsekretärs der Vereinten Nationen um eine friedliche Lösung des Zypernproblems zu unterstützen. Die Europäische Union beschäftigt sich im Rahmen der gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik mit der Zypernfrage, auf Ebene der Außenminister zuletzt bei den allgemeinen Räten vom 20. Januar und 24./25. Februar 1997 und beim informellen Außenministertreffen in Appeldorn am 15./16. März 1997. Auf der Ebene der politischen Direktoren im politischen Komitee und auf Expertenebene in den Arbeitsgruppen werden die aktuellen Entwicklungen auf Zypern, die Beziehungen EU-Zypern und die Möglichkeiten für eine friedliche Lösung des Zypernkonflikts behandelt. Das verstärkte Engagement der Europäischen Union zur Unterstützung der VN-Vermittlungsbemühungen findet seinen Ausdruck auch in der Benennung von Zypernbeauftragten der jeweiligen Präsidentschaft seit Anfang 1996."345

     Weiter führt die Bundesregierung aus, sie setze sich in der Europäischen Union dafür ein, daß die EU-Beitrittsperspektive Zyperns als Anreiz für beide Seiten genutzt werde, in der Zypernfrage Fortschritte zu erzielen. Sie unterstütze Bemühungen der Kommission, die türkisch-zyprische Seite über die Chancen einer EU-Mitgliedschaft ganz Zyperns zu informieren und diesbezügliche Besorgnisse abzubauen.346 Die Regierung weist auf das Dilemma hin, daß einerseits ein Beitritt Zyperns nach dem gegenwärtigen Stand der Dinge nicht wünschenswert sei, jedoch verhindert werden müsse, daß die Türkei durch eine Blockierung der Zypernlösung den Beitritt verhindere:

"Es besteht prinzipiell Übereinstimmung zwischen den EU-Mitgliedstaaten, daß ein EU-Beitritt Zyperns in seiner gegenwärtigen Lage nicht wünschenswert wäre. Dies würde bedeuten, daß der EU-Vertrag praktisch nur in einem Teil der Insel angewendet werden könnte und die EU mit dem aus der faktischen Teilung der Insel resultierenden Problemen belastet würde. Die Bundesregierung will in Übereinstimmung mit der überwiegenden Mehrheit ihrer Partner in der EU erreichen, daß durch die Beitrittsperspektive beide Seiten im Zypernkonflikt ermuntert werden, ihre Anstrengungen für eine Lösung zu verstärken. Sie vertritt deshalb die Auffassung, daß der Erfolg von Beitrittsverhandlungen mit Zypern ohne eine Lösung des Zypernproblems nicht gewährleistet werden kann. Gleichzeitig kann der türkischen Seite doch auch nicht zugestanden werden, daß sie durch Blockierung einer Zypernlösung den Beitritt verhindert. Die Bundesregierung nutzt deshalb alle Gespräche mit den Parteien in der Zypernfrage, um sie zu einer konstruktiven Haltung zu bewegen."347

     In ihrer Antwort auf eine parlamentarische Große Anfrage zur Osterweiterung der Europäischen Union weist die Bundesregierung darauf hin, daß der Beitritt zur Europäischen Union die Bereitschaft zur Übernahme des umfangreichen gemeinschaftlichen Besitzstandes in allen seinen Teilen voraussetze. Anders als bei der letzten Beitrittsrunde (Österreich, Schweden, Finnland und Norwegen waren bereits EWR-Mitglieder) dürften nach Einschätzung der Bundesregierung diesmal die Regelungen zum Binnenmarkt sehr viel intensivere Verhandlungen erforderlich machen. Weiter betont die Bundesregierung, daß von einem Verhandlungsprozeß auszugehen sei, bei dem die individuelle Situation und Möglichkeiten jedes einzelnen Kandidaten berücksichtigt würde, um den in der kommenden Erweiterungsrunde besonders unterschiedlichen Ausgangsbedingungen der Kandidaten gerecht zu werden und den Beitritt der besser vorbereiteten Länder zu früheren Zeitpunkten zu ermöglichen. Es komme darauf an, daß bei Aufnahme konkreter Verhandlungen sämtliche Voraussetzungen für sichtbare und kontinuierliche Fortschritte erfüllt seien und innerhalb eines überschaubaren Zeitraums ein erfolgreicher Verhandlungsabschluß, d. h. ein Beitrittsabkommen zu realistischen Bedingungen möglich und absehbar werde.348

     Im Hinblick auf die Freizügigkeit für Personen im Zuge der Osterweiterung weist die Bundesregierung darauf hin, daß eine vollständige Freizügigkeit der Arbeitnehmer der osteuropäischen Länder erst nach Ablauf von Übergangsfristen hergestellt werden könnte. Die Dauer dieser Übergangsfristen werde wichtiges Element der Beitrittsverhandlungen sein und vor allem von der wirtschaftlichen und sozialen Situation sowie der Lage auf dem Arbeitsmarkt sowohl in den Beitrittsstaaten als auch in den EU-Mitgliedstaaten abhängen. Die Bundesregierung weist weiter darauf hin, daß die mit den mittel- und osteuropäischen Ländern bestehenden Assoziationsverträge alle Mitgliedstaaten aufforderten, den Zugang von Arbeitnehmern aus den Beitrittsstaaten auch über Vertragsarbeitnehmer- und Gastarbeitnehmer Vereinbarungen zu ermöglichen. Im nennenswerten Umfang habe dies bislang allerdings nur Deutschland getan.349 Die Bundesregierung habe im Rat der Europäischen Union den verstärkten Abschluß ähnlicher bilateraler Regelungen anderer Mitgliedstaaten mit den mittel- und osteuropäischen Staaten angeregt.

     Im Hinblick auf die Sozialpolitik betont die Bundesregierung, daß das seit Jahren in der europäischen Sozialpolitik verfolgte Konzept des Ausbaus eines Sockels verbindlicher und einklagbarer sozialer Mindeststandards, das auf die unterschiedliche Wirtschaftskraft der Mitgliedstaaten Rücksicht nehme, durch die geplante Erweiterung nicht in Frage gestellt werden dürfe.350

     Die Heranführungsstrategie der Europäischen Union und die bilateralen Hilfen der Mitgliedstaaten sind nach Auskunft der Bundesregierung darauf ausgerichtet, die jeweiligen Beitrittskandidaten ebenso wie den Prozeß insgesamt zu unterstützen. Regionale Prioritäten verfolge die Europäische Union nicht. Dies entspreche auch der Politik der Bundesregierung. Die assoziierten Staaten in Mittel- und Osteuropa werden der Europäischen Union beitreten können, sobald sie objektiv nachvollziehbare Kriterien der Beitrittsfähigkeit erfüllten. Bei der Fortentwicklung der Heranführungsstrategie sei darauf zu achten, daß eventuelle zeitliche Unterschiede zwischen den Fortschritten der einzelnen Beitrittskandidaten im Integrationsprozeß die Glaubwürdigkeit der Beitrittsperspektive für jedes der assoziierten mittel- und osteuropäischen Länder nicht beeinträchtige.351

     Die Bundesregierung betont die Wichtigkeit institutioneller Reformen und hebt die Rolle des Europäischen Parlaments, das im gesamten Verlauf der Beitrittsverfahren intensiv zu beteiligen sei, im Sinne einer "Brückenfunktion" hervor.352

     Zusammenfassend betont die Bundesregierung, daß eine Teilmitgliedschaft in der Europäischen Union nicht vertraglich zulässig sei und für die Bundesregierung politisch nicht akzeptabel sei. Ausnahmen von der vollen Übernahme des gemeinschaftlichen Besitzstandes der Europäischen Union kämen daher nur in Form befristeter Übergangsregelungen in eng begrenzten und klar spezifizierten Bereichen in Frage.353

    

     198. Währungsunion

     Im Hinblick auf die erforderlichen Maßnahmen beim Übergang zur dritten Stufe der Währungsunion haben Bundesfinanzminister Waigel und der Präsident der Deutschen Bundesbank Tietmeyer am 19. Juni 1997 eine gemeinsame Erklärung abgegeben. Sie fordern darin den Bundesgesetzgeber zu folgenden Maßnahmen auf:

"Erstens: Die Kapitalstruktur der Deutschen Bundesbank wird mit dem Übergang in die Drittstufe der Währungsunion auf eine neue gesetzliche Grundlage gestellt. Das Grundkapital wird substantiell erhöht und die gesetzliche Rücklage auf einen gleich hohen Betrag festgelegt.

Zweitens: Ebenfalls mit dem Übergang in die dritte Stufe der Währungsunion wird der für die Bilanzierung der deutschen Bundesbank bestehende gesetzliche Rahmen umgestaltet. Er wird es der Deutschen Bundesbank ermöglichen, ihre Bilanzierung an die Rechnungslegungsgrundsätze anzupassen, die für die Europäische Zentralbank gelten werden. Die Deutsche Bundesbank hat die Absicht, von dieser Möglichkeit Gebrauch zu machen.

Die Anpassung ermöglicht nach dem Grundsatzbeschluß des Europäischen Währungsinstituts eine marktnahe Bewertung der Währungsreserven und die Einstellung der aufgedeckten stillen Reserven in eine Neubewertungsrücklage, die dem Ausgleich von Währungsrisiken und Bewertungsschwankungen dient.

Drittens: Im Hinblick auf den vorgesehen Übergang in die dritte Stufe der Währungsunion beabsichtigt die Deutsche Bundesbank in der Bilanz für das Geschäftsjahr 1997 Bewertungsspielräume zu nutzen, die sich aus den geltenden Rechnungslegungsvorschriften ergeben. Diese ermöglichen unter Beibehaltung des Niederstwertprinzips eine marktnähere Bewertung der Devisenreserven."354

     Zum Thema "Einführung des Euro in Gesetzgebung und öffentliche Verwaltung" hat der Arbeitsstab Europäische Wirtschafts- und Währungsunion des Bundesministeriums der Finanzen am 28. April 1997 einen Zwischenbericht vorgelegt.355

    

     199. Europol

     Der Bundestag hat mit Gesetz vom 16. Dezember 1997 dem Übereinkommen vom 26. Juli 1995 aufgrund von Art. K. 3 des Vertrages über die Europäische Union über die Errichtung eines Europäischen Polizeiamts zugestimmt (Europol-Gesetz).356 Mit Gesetz vom 17. Dezember 1997 hat er auch dem Protokoll vom 24. Juli 1996 aufgrund von Art. K. 3 des Vertrags über die Europäische Union betreffend die Auslegung des Übereinkommens über die Errichtung eines europäischen Polizeiamts durch den Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften im Wege der Vorabentscheidung zugestimmt (Europol-Auslegungsprotokollgesetz).357

     Die Bundesregierung sieht in dem Europol-Übereinkommen vom 26. Juli 1995 nach dem Schengener Übereinkommen vom 19. Juni 1990 einen weiteren bedeutsamen Baustein auf dem Weg zur Europäischen Einheit bei gleichzeitiger Gewährleistung der inneren Sicherheit.358

     In der Begründung zum Gesetzentwurf wird ausgeführt, Europol habe zur Aufgabe, die polizeiliche Zusammenarbeit zwischen den Mitgliedstaaten der Europäischen Union und die Leistungsfähigkeit ihrer Behörden zu verbessern. Wesentliche Elemente dieser Zusammenarbeit seien die Erleichterung des Informationsaustausches zwischen den Mitgliedstaaten sowie die Zusammenführung polizeilicher Informationen und Erkenntnisse aus den Mitgliedstaaten zu einem einheitlichen Datenbestand zwecks gemeinschaftlicher Analyse, die sich sowohl auf allgemeine Verbrechensphänomene als auch auf konkrete Straftaten erstrecke. Da Europol hoheitliche Befugnisse nicht eingeräumt würden, sei der innerstaatliche Regelungsbedarf zur Umsetzung der völkerrechtlichen Vereinbarungen des Übereinkommens gering. Der Entwurf lasse offen, ob neben dem Übereinkommen auch einzelne Durchführungsbestimmungen zum Übereinkommen, deren Annahme durch den Rat Voraussetzung für die Tätigkeitsaufnahme von Europol sei, gesetzlichen Regelungsbedarf auslösten, da die Verhandlungen insoweit auf europäischer Ebene noch nicht abgeschlossen seien. Das Inkrafttreten des Übereinkommens werde hiervon nicht berührt.359

     Mit dem Übereinkommen werden die Rechtsgrundlagen für die Errichtung von Europol geschaffen. Es regelt die Ziele und Aufgaben von Europol (Art. 2 und 3 sowie Anhang), die Stellung und Aufgaben der nationalen Stellen einschließlich der zu entsendenden nationalen Verbindungsbeamten (Art. 4 und 5), die Ausgestaltung des bei Europol einzurichtenden Datenverarbeitungssystems und der Zugriffsmöglichkeiten auf dieses System durch die Behörden der Mitgliedstaaten und durch die nationalen Verbindungsbeamten (Art. 6 bis 12), die datenschutzrechtlichen Anforderungen an den Umgang mit den von Europol zu sammelnden und weiterzuleitenden Daten (Art. 14 bis 25), Haftung und gerichtliche Kontrolle der Handlungen von Europol (Art. 38 bis 40) sowie institutionelle Fragen der Errichtung einer gemeinsamen Behörde aller EU-Mitgliedstaaten ( Art. 26 bis 37, 41 bis 47). Wie die Bundesregierung in ihrer Denkschrift zum Abkommen betont, entspricht ihrer Ansicht nach der im Übereinkommen enthaltene Datenschutzstandard in wesentlichen Teilen dem deutschen Datenschutzrecht. So seien als allgemeine Grundsätze des deutschen Datenschutzrechts im Übereinkommen enthalten: die Sicherung eines allgemeinen Mindeststandards, wie die strikte Ausrichtung am Erforderlichkeitsgrundsatz bei der Datenverarbeitung und Nutzung, eine generelle Bestimmung der zu speichernden Datenarten, eine Eingrenzung des zum Zugriff auf die Daten befugten Personenkreises, präzise Verwendungsregeln, Vorkehrungen zur physischen Datensicherheit, Auskunfts-, Berichtigungs- und Löschungsansprüche für den einzelnen Bürger, die Einrichtung einer gemeinsamen Datenschutzkontrollinstanz sowie effektiver Rechtsschutz.360

     Zu der Frage, inwieweit der Bundesrat am Gesetzgebungsverfahren zu beteiligen war, vergleiche oben II. Ziff. 8.

     Der Bundesrat hat in seiner Stellungnahme zum Vertragsgesetz Nachbesserungen im Bereich des Datenschutzes gefordert. Soweit in Europol Daten aus anhängigen Ermittlungs- oder Strafverfahren gespeichert sind, sollten nach Ansicht des Bundesrates Auskünfte innerstaatlich daran gebunden werden, daß die zuständige Staatsanwaltschaft bzw. das zuständige Gericht die Zustimmung erteilt (und nicht nur das LKA). Dies sollte auch dann gelten, wenn die Daten nicht von der Staatsanwaltschaft bzw. dem Gericht übermittelt wurden.361 Die Bundesregierung verwirft diesen Vorschlag in ihrer Gegenäußerung. Der hier einschlägige Art. 19 des Übereinkommens finde, so die Bundesregierung, soweit es um die Verweigerung von Anträgen auf Auskunftserteilung gehe, seine Entsprechung im innerstaatlichen Recht (vgl. § 19 Abs. 4 des Bundesdatenschutzgesetzes). Ansprechpartner für das Bundeskriminalamt im Rahmen der Mitwirkung bei der Entscheidung über die Auskunftserteilung könne nur die Stelle sein, die innerstaatlich gemäß Art. 2 § 2 Abs. 2 des Europol-Gesetzes die datenschutzrechtliche Verantwortung trage. Eine gesetzliche Regelung, die generell vorschreibe, daß die eingebende oder übermittelnde Stelle sich stets mit der Staatsanwaltschaft in Verbindung zu setzen habe, sei nicht erforderlich.362

     Weiterhin fordert der Bundesrat die Bundesregierung in seiner Stellungnahme dazu auf, in den Verhandlungen mit den anderen EU-Mitgliedstaaten darauf hinzuwirken, daß in den "Durchführungsbestimmungen für die Arbeitsdateien zu Analysezwecken" der Umfang der Datenverarbeitung unter sorgfältiger Abwägung zwischen den Belangen des Datenschutzes und den berechtigten Interessen der Öffentlichkeit an einem Schutz vor Verbrechen soweit wie möglich beschränkt werde. Insbesondere sei sicherzustellen, daß besonders sensible Daten wie etwa Rasse oder Sexualverhalten nur dann aufgenommen würden, wenn dies für die polizeiliche Fahndung unbedingt erforderlich sei. Der Erlaß von Durchführungsbestimmungen zu den Analysedateien sei für das Recht auf informationelle Selbstbestimmung von entscheidender Bedeutung. Im übrigen sei die Auffassung der Länder durch die Bundesregierung bei der Beratung über die Durchführungsbestimmungen maßgeblich zu berücksichtigen, da die Masse der in das Informationssystem von Europol einzustellenden Daten von den Länderpolizeien erhoben werde.363 Die Bundesregierung teilt die Bewertung des Bundesrates hinsichtlich der besonderen Schutzbedürftigkeit sensibler Daten. Nach Ansicht der Bundesregierung werde bereits durch Art. 10 Abs. 1 Satz 2 und 3 des Übereinkommens dieser Schutzbedürftigkeit Rechnung getragen.364

     Das Protokoll vom 24. Juli 1996 aufgrund von Art. K.3 des Vertrages über die Europäische Union betreffend die Auslegung des Übereinkommens über die Errichtung eines Europäischen Polizeiamts durch den Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften (Europol-Auslegungsprotokollgesetz) ergänzt das Übereinkommen vom 26. Juli 1995 aufgrund von Art. K.3 des Vertrags über die Europäische Union über die Errichtung eines Europäischen Polizeiamts. Nach dem Europol-Übereinkommen können der Europäische Gerichtshof (EuGH) bei der Beilegung von Streitigkeiten zwischen den Mitgliedstaaten und das Gericht 1. Instanz der Europäischen Gemeinschaften von Europol-Bediensteten bei Personalstreitigkeiten angerufen werden (Art. 40). Zur Entscheidung über Ansprüche des Bürgers gegen den jeweiligen Mitgliedsstaat nach Art. 38 des Übereinkommens und über die Ansprüche gegen Europol nach Art. 39 sind die nationalen Gerichte berufen. Um eine einheitliche Auslegung des Übereinkommens durch die nationalen Gerichte in diesen und anderen Fällen sicherzustellen, ergänzt das Protokoll insoweit die Regelungen des Europol-Übereinkommens, wie es in der Denkschrift zum Protokoll heißt. Das Protokoll enthält hierzu unter Zugrundelegung der Rechtsgedanken des Art. 177 EGV und in Verbindung mit den jeweiligen Erklärungen der Mitgliedstaaten eine differenzierte Regelung der Vorabentscheidungskompetenz des Europäischen Gerichtshofs. Die Zustimmung des Bundesrates war nach Art. 23 Abs. 1 Satz 2 GG erforderlich, da dem Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften die Befugnis übertragen wird, Fragen der Auslegung des Europol-Übereinkommens für die deutschen Gerichte verbindlich zu entscheiden.365

     In ihrer Antwort auf eine schriftliche parlamentarische Anfrage nach möglicherweise notwendigen Verbesserungen der parlamentarischen, justiziellen und verwaltungstechnischen Kontrolle insbesondere bei einer Erweiterung der Befugnisse von Europol weist die Bundesregierung darauf hin, daß nach ihrer Ansicht das Europol-Übereinkommen vom 26. Juli 1995 umfangreiche Bestimmungen zur Fach- und Dienstaufsicht, zur Datenschutzkontrolle sowie zum gerichtlichen Rechtsschutz enthalte. Die parlamentarische Verantwortung werde über die Vertreter der Mitgliedstaaten im Ministerrat gegenüber den nationalen Parlamenten wahrgenommen. Darüber hinaus übermittle der jeweilige Ratsvorsitzende dem Europäischen Parlament jährlich einen Sonderbericht über die von Europol durchgeführten Arbeiten. Bei einer Erweiterung der Europol-Befugnisse werde die Notwendigkeit von Anpassungen der genannten Regelungen neu zu prüfen sein. Welche Änderungen notwendig werden könnten sei jedoch derzeit noch nicht absehbar.366 Im Hinblick auf die erforderlichen Ausführungsbestimmungen weist die Bundesregierung darauf hin, daß das Ratifikationsverfahren in bezug auf die Europol-Konvention formal nicht verknüpft sei mit dem Fortgang der Arbeiten an derartigen Ausfuhrbestimmungen. Allerdings könne Europol seine Tätigkeit erst dann aufnehmen, wenn alle nach Art. 45 Abs. 4 des Europol-Übereinkommens notwendigen Rechtsakte in Kraft getreten seien.367

     Weiterhin leitete die Bundesregierung im Berichtszeitraum das Gesetzgebungsverfahren für ein Zustimmungsgesetz zu dem Protokoll vom 19. Juni 1997 aufgrund von Art. K.3 des Vertrages über die Europäische Union und von Art. 41 Abs. 3 des Europol-Übereinkommens über die Vorrechte und Immunitäten für Europol, die Mitglieder der Organe, die stellvertretenden Direktoren und die Bediensteten von Europol (Europol-Immunitätenprotokollgesetz) ein.368

     Die Bundesregierung weist in ihrer Denkschrift zum Protokoll darauf hin, daß die Gewährung von Immunität für internationale Organisationen und deren Bedienstete allgemeine völkerrechtliche Praxis sei. Der Sinn der Gewährung von Immunität sei es, die Unabhängigkeit und Funktionsfähigkeit der internationalen Organisationen, ihrer Mitglieder und ihrer Organe zu gewährleisten. Es gelte der Grundsatz, daß die Vorrechte und Immunitäten nicht zum persönlichen Vorteil, sondern zur Sicherung der Funktionen der Organisationen eingeräumt seien. Es seien deshalb keine bedeutenden internationalen Organisationen bekannt, die keine Immunität besäßen. Weiter führt die Bundesregierung aus:

"Europol und alle Personen, die diese Vorrechte und Immunitäten genießen, sind verpflichtet, die Gesetze und Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten einzuhalten. Mit den gewährten Vorrechten und Immunitäten sollen die Organisationen und ihre Mitarbeiter nicht der Anwendung des geltenden Rechts entzogen werden. Deshalb wird ein geordnetes Verfahren vorgesehen, an dessen Ende die Entscheidung über die Aufhebung der Immunität steht (vgl. im einzelnen Art. 12). Für den Streitfall sieht Art. 13 ein Streitbeilegungsverfahren vor.

Da Europol sich gegenwärtig im wesentlichen auf die Informationsverarbeitung beschränkt und keine exekutiven Funktionen erfüllt, sind seine Aufgaben nicht mit denen der Polizeien des Bundes und der Länder identisch, die derartige Vorrechte und Immunitäten nicht besitzen. Im Hinblick auf künftige erweiterte Befugnisse ist in Art. 17 Abs. 2 eine ausdrückliche Regelung aufgenommen worden, die die Immunität der Bediensteten für Amtshandlungen von der Gerichtsbarkeit auf die im Europol-Übereinkommen in der am 26. Juli 1995 unterzeichneten Fassung enthaltenen Befugnisse beschränkt. Vor jeder Änderung oder Ergänzung der Aufgaben von Europol hat eine Überprüfung der im Protokoll gewährten Immunität zu erfolgen."369

     Die Bestimmung zur Überprüfung des Protokolls (Art. 17) sei auf ausdrücklichen Wunsch Deutschlands aufgenommen worden.370



    328 BT-Drs. 13/7582 vom 2.5.97, 3 f.
    329 BT-Drs. 13/8005 vom 20.6.97, 1.
    330 WIB 5/97, 59.
    331 Bull. Nr. 9 vom 30.1.1997, 90.
    332 Ibid., 91 f.
    333 Bull. Nr. 50 vom 16.6.1997, 574.
    334 Ibid., 577.
    335 Ibid.
    336 Ibid.
    337 BT-Drs. 13/9339 vom 3.12.1997, 6.
    338 Ibid., 140.
    339 Ibid., 142.
    340 WIB 21/97, 55. Vgl. im einzelnen oben unter II.
    341 BGBl. 1998 II, 386.
    342 Bull. Nr. 100 vom 15.12.1997, 1291.
    343 Ibid.
    344 Ibid.
    345 BT-Drs. 13/7461 vom 17.4.97, 4.
    346 Ibid., 8.
    347 Ibid., 9.
    348 BT-Drs. 13/7293 vom 20.3.97, 3.
    349 Ibid. ,6.
    350 Ibid., 7.
    351 Ibid., 10.
    352 Ibid., 17.
    353 Ibid., 38.
    354 Bull. Nr. 53 vom 23.6.1997, 615.
    355 BT-Drs. 13/7727 vom 6.5.97.
    356 BGBl. 1997 II, 2150.
    357 BGBl. 1997 II, 2170.
    358 BT-Drs. 13/7391 vom 10.4.97, 1.
    359 Ibid., 7.
    360 Ibid., 44.
    361 Ibid., 54.
    362 Ibid., 58.
    363 Ibid., 57.
    364 Ibid., 59.
    365 BT-Drs. 13/7555 vom 28.4.1997, 6, 10.
    366 BT-Drs. 13/7690 vom 16.5.1997, 8.
    367 Ibid., 9.
    368 BT-Drs. 13/9084 vom 17.11.1997. Das Gesetz erging am 19.5.1998, BGBl. 1998 II, 974.
    369 Ibid., 10.
    370 Ibid., 12.