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Völkerrechtliche Praxis der Bundesrepublik Deutschland im Jahre 1997


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Roland Bank


XVI. Internationale Organisationen

2. Militärbündnisse

     240. Zum Abschluß der NATO-Gipfelkonferenz in Madrid am 9. Juli 1997 strich Bundeskanzler Kohl die im Hinblick auf die Erweiterung der NATO getroffenen Entscheidungen - einerseits die Einladung an eine erste Gruppe von drei Staaten zu Beitrittsverhandlungen, nämlich Polen, Ungarn und die Tschechische Republik und andererseits die Verdeutlichung der Offenheit des Bündnisses für weitere Schritte darüber hinaus - als Ergebnis insbesondere des deutschen Engagements in den Verhandlungen - hervor. Außerdem weist der Bundeskanzler darauf hin, daß es bei der inneren Anpassung der NATO Fortschritte gegeben habe. Die Arbeiten an einer schlankeren, flexibleren und effizienteren Struktur der NATO müßten allerdings fortgeführt werden. In diesem Zusammenhang bestehe gerade auch aus deutscher Sicht ein großes Interesse daran, daß Frankreich in die integrierte Militärstruktur im Bündnis zurückkehre und daß Spanien die in Madrid getroffene Ankündigung einer vollen Mitarbeit wahrmache. Als weitere Ergebnisse der Gipfelkonferenz hebt Kohl die Charta über eine ausgeprägte Partnerschaft zwischen der NATO und der Ukraine sowie die gesonderte Erklärung zu der Lage in Bosnien hervor.430

     241. Zu Fragen im Zusammenhang mit einer NATO-Osterweiterung nahm die Bundesregierung mehrmals Stellung in Antworten auf parlamentarische Kleine Anfragen.431 Zur Fortentwicklung des KSE-Vertrages und dessen Bedeutung für die vorgesehen Osterweiterung der NATO führte die Bundesregierung folgendes aus:

"Gemäß dem Beschluß der 30 KSE-Vertragsstaaten von Lissabon vom 1. Dezember 1996 soll der KSE-Vertrag an das sich ändernde sicherheitspolitische Umfeld in Europa angepaßt und hierdurch die Sicherheit jedes einzelnen Vertragsstaates verbessert werden, unabhängig davon, ob ein Vertragsstaat einem Bündnis angehört.

Die Anpassung des KSE-Vertrags und die NATO-Öffnung sind parallele Prozesse, die jeder für sich, aber auch in ihrer gegenseitigen Wechselwirkung zu einem weiteren Stabilitätsgewinn in Europa führen sollen. In seinem Vorschlag zur Anpassung des KSE-Vorschlags vom 20. Februar 1997 hat das Bündnis über das Konzept territorialer Obergrenzen u.a. deutlich gemacht, daß es nicht die Absicht hat, mit dem Beitritt neuer Mitgliedstaaten substantielle konventionelle Streitkräfte nach Osten zu verschieben. Die bisherigen NATO-Mitglieder haben darüber hinaus angekündigt, ihre kollektiven nationalen Obergrenzen im Rahmen eines angepaßten KSE-Vertrages unter die derzeitigen Obergrenzen für bodengebundene Waffensysteme abzusenken."432

     Weiterhin weist die Bundesregierung darauf hin, daß im KSE-Anpassungsvorschlag der NATO vom 20. Februar 1997 Vorschläge des Bündnisses im Hinblick auf die Absenkung nationaler Obergrenzen bei bodengebundenen Waffensystemen niedergelegt seien, die sich auf die rechtlich verbindlichen kollektiven Anteilshöchstgrenzen beziehen. Damit bietet das Bündnis nach Auskunft der Bundesregierung einen rechtsverbindlichen Verzicht auf die Nutzung rechtlich zustehender kollektiver Anteilshöchstgrenzen an.433

     242. Am 16. Dezember 1997 wurden von der Bundesrepublik Deutschland in Brüssel die Protokolle zum Nordatlantikvertrag über den Beitritt der Republik Polen, der Tschechischen Republik und der Republik Ungarn unterzeichnet. Den Protokollen wurde mit Gesetz vom 6. April 1998 vom Bundestag zugestimmt.434

     243. Mit der Russischen Föderation wurde seitens der NATO und ihrer Mitgliedstaaten am 27. Mai in Paris eine Grundakte über gegenseitige Beziehungen, Zusammenarbeit und Sicherheit zwischen der Nordatlantikvertragsorganisation und der Russischen Föderation unterzeichnet. Es handelt sich dabei um eine "auf höchster politischer Ebene eingegangene dauerhafte politische Verpflichtung".435

     244. Am 30. Mai 1997 wurde in Sintra (Portugal) von den Außenministern der NATO-Mitgliedstaaten sowie der Partnerstaaten der Euro-Atlantische-Partnerschaftsrat (EAP) gegründet. Dieser neue Mechanismus der Zusammenarbeit soll es den Partnerländern ermöglichen, stärkere politische Beziehungen zum Bündnis aufzubauen und einen Rahmen für praktische Zusammenarbeit innerhalb der Partnerschaft für den Frieden schaffen.436

     245. Ein Schwerpunkt der deutschen Präsidentschaft in der Westeuropäischen Union (WEU) im zweiten Halbjahr 1997 war die Umsetzung der Ergebnisse der EU-Regierungskonferenz von Amsterdam im Bereich der Sicherheit und Verteidigung. Bundesaußenminister Kinkel faßte die für die Arbeit der WEU relevanten Neuerungen durch den Vertrag von Amsterdam wie folgt zusammen:

"Der Europäische Rat von Amsterdam hat bei der Entwicklung einer gemeinsamen Sicherheits- und Verteidigungspolitik der Europäischen Union entscheidende Fortschritte erzielt, die maßgeblich auf deutsche Initiativen zurück gehen:

- die 'Petersberg-Aufgaben' der WEU (humanitäre Einsätze, friedenserhaltende Aufgaben, Kampfeinsätze bei der Krisenbewältigung einschließlich Maßnahmen zur Herbeiführung des Friedens) wurden in den neuen EU-Vertrag und damit in die Handlungskompetenz der Europäischen Union aufgenommen;

- die Leitlinienkompetenz des Europäischen Rates wurde auf die WEU erstreckt;

- die Perspektive der Integration der WEU in die Europäische Union konnte, zumindest im Grundsatz, in den Vertrag aufgenommen werden;

- der Vertrag sieht die weitere Verzahnung der WEU mit der Europäischen Union vor."437

     Als weitere Ziele für die WEU-Präsidentschaft nannte Kinkel die Vertiefung der Zusammenarbeit zwischen WEU und NATO, die Stärkung der operationellen Handlungsfähigkeit der WEU, sowie die verbesserte Einbeziehung der assoziierten Partner aus Mittel- und Osteuropa in die Arbeit der WEU.438

     246. Auf der Tagung des Ministerrats der Westeuropäischen Union am 18. November 1997 in Erfurt wurden vor allem praktische Schritte zur Anpassung der Beziehungen zur Europäischen Union nach den Änderungen im Amsterdamer Vertrag begrüßt und verschiedene Entschlüsse in diesem Bereich gebilligt:

"Die Minister billigten den über die Entwicklung der Rolle der Beobachter in der WEU im Einklang mit Art. J.7 Abs. 3 des geänderten Vertrages über die Europäische Union gefaßten Beschluß. Sie bestätigten, daß diese Regelungen, die mit dem Inkrafttreten des Vertrages von Amsterdam und der Zustimmung des Rates der Europäischen Union wirksam werden, provisorisch auch auf von der WEU im Einklang mit Art. J.4 Abs. 2 des Vertrages über die Europäische Union durchgeführten Operationen anzuwenden sind. Die Minister betrachten diese Regelungen als einen wichtigen Schritt, der die enge Zusammenarbeit der Europäischen Union und der WEU bei Krisenbewältigungsaufgaben (Petersberg-Aufgaben) erleichtert.

Die Minister billigen den Beschluß, die Abfolge der Präsidentschaften von WEU und Europäischer Union zu harmonisieren. Sie brachten ihre Erwartung zum Ausdruck, daß die Umsetzung dieses Beschlußes ein wertvoller Schritt zur Stärkung der täglichen Arbeitsbeziehung zwischen beiden Organisationen darstellen wird, und luden künftige Präsidentschaften ein, insbesondere auf eine Koordinierung der Tagesordnungen abzuzielen, die größere Synergien in der Arbeit beider Organisationen erlaubt."439

     Bundesaußenminister Kinkel zog in seiner Rede bei der Herbsttagung der Versammlung der Westeuropäischen Union am 1. Dezember 1997 in Paris im Hinblick auf die Umsetzung der durch den Amsterdamer Vertrag notwendig gewordenen Veränderungen folgende Bilanz:

"Die Amsterdamer Beschlüsse zum Ausbau der WEU als verteidigungspolitischer Arm der Europäischen Union wurden mit wichtigen Schritten untermauert. Bereits im Juli wurde auf einer Sondersitzung des WEU-Ministerrats die Erklärung zur Schlußakte der Regierungskonferenz verabschiedet. Die WEU bekräftigt darin die institutionellen Richtungsentscheidungen von Amsterdam durch einen Katalog konkreter Arbeitsaufträge zur Verbesserung der praktischen Zusammenarbeit beider Organisationen. Dazu gehört die Verflechtung der Entscheidungsprozesse beider Organisationen im Krisenmanagement, die personelle Verzahnung der Sekretariate und die Zusammenarbeit in der Rüstungspolitik. Erfurt bestätigte auch einen von Deutschland initiierten Beschluß zur Harmonisierung der Präsidentschaften in Europäischer Union und WEU. Wir versprechen uns hiervon Synergieeffekte und eine verbesserte Koordination der Arbeit beider Organisationen, besonders beim Krisenmanagement. Diejenigen EU-Staaten, die in der WEU nur Beobachter sind, können künftig an allen Operationen der WEU für die Europäische Union gleichberechtigt teilnehmen. Das gilt für Mitentscheidungsrechte bei der Planung und Durchführung, die Stellung von Truppen und die finanzielle Beteiligung wie WEU-Vollmitglieder. Die Beobachter können sich künftig auch an der Arbeit der WEU-Gremien beteiligen, die sich mit Rüstungskooperationen befassen."440

     247. Mit Gesetz vom 17. Juli 1997 hat der Bundestag dem Geheimschutzabkommen der WEU vom 28. März 1995 zugestimmt.441 Demnach sollen Staatsangehörige von Mitgliedstaaten der WEU, die in Ausübung ihrer dienstlichen Tätigkeit Zugang zu Verschlußsachen des Geheimhaltungsgrades "vertraulich" haben, einer Sicherheitsprüfung unterzogen werden. Ziel des Abkommens ist es, jeden Vertragsstaat in seinem Vertrauen in die Geheimhaltung seiner die WEU betreffenden Geheimnisse auch innerhalb der Organisation zu schützen. Die Bundesrepublik verpflichtet sich in dem Abkommen, Beschäftigte deutscher Nationalität bei WEU-Organen und -Einrichtungen, die Zugang zu Informationen des Geheimhaltungsgrades "WEU-Confidential" und höher erhalten sollen, auf Antrag des WEU-Organs einer entsprechenden Sicherheitsprüfung zu unterziehen.



    430 Bull. Nr. 64 vom 31.7.1997, 774 f.
    431 BT-Drs. 13/7464 vom 18.4.1997, BT-Drs. 13/7731 vom 20.5.1997.
    432 BT-Drs. 13/7731 vom 20.5.1997, 4.
    433 Ibid., 6.
    434 BGBl. 1998 II, 362.
    435 Bull. Nr. 43 vom 3.6.1997, 449 ff.
    436 Bull. Nr. 50 vom 16.6.1997, 579.
    437 Bull. Nr. 55 vom 1.7.1997, 639.
    438 Ibid.
    439 Bull. Nr. 96 vom 3.12.1997, 1230.
    440 Ibid., 1256.
    441 BGBl. 1997 II, 1380.