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Völkerrechtliche Praxis der Bundesrepublik Deutschland im Jahre 1997


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Roland Bank


XVII. Friedenssicherung und Kriegsrecht

1. Abrüstung und Rüstungskontrolle

     251. Am 29. April 1997 gab Bundesaußenminister Kinkel zum Inkrafttreten des "Übereinkommens über das Verbot der Entwicklung, Herstellung, Lagerung und des Einsatzes chemischer Waffen und über die Vernichtung solcher Waffen" (Chemiewaffenübereinkommen) vom 13. Januar 1993 eine Erklärung ab, in der er das Inkrafttreten des Übereinkommens begrüßt, jedoch betont, daß nur ein universell gültiges Übereinkommen gleiche Sicherheit für alle schaffe. Weiter würdigt der Bundesaußenminister das Übereinkommen wie folgt:

"Mit dem Chemiewaffenabkommen wird ein besonders weitreichendes Verifikationsregime geschaffen, das auch den zivilen Bereich erfaßt. Insbesondere sind die Vertragsstaaten zur Abgabe von Meldungen über die Herstellung, Ein- und Ausfuhren bestimmter Chemikalien verpflichtet. Diese Meldungen werden anhand von Routineinspektionen durch die Organisation über das Verbot von chemischen Waffen mit Sitz in Den Haag verifiziert.

Mit dem Inkrafttreten des Chemiewaffenübereinkommens ist die Staatengemeinschaft auf dem Weg zur Beseitigung aller Arten von Massenvernichtungswaffen einen entscheidenden Schritt vorangekommen. Die Welt wird wieder ein Stück sicherer."446

     In ihrem Jahresabrüstungsbericht 1997 informiert die Bundesregierung darüber, daß mit dem Inkrafttreten des Chemiewaffenübereinkommens die Organisation für das Verbot chemischer Waffen (OPCW) mit Sitz in Den Haag 1997 ihre Tätigkeit aufnehmen konnte. Erste Inspektionen durch die OPCW wurden 1997 in zahlreichen Vertragsstaaten durchgeführt, darunter drei in Deutschland. Beanstandungen habe es bei den in Deutschland durchgeführten Inspektionen nicht gegeben. In Deutschland würden Inspektionen der OPCW im militärischen Bereich durch das Zentrum für Verifikationsaufgaben der Bundeswehr, im industriellen Bereich durch das Bundesausfuhramt begleitet. Die kontinuierliche Vernichtung alter chemischer Waffen aus den Jahren vor 1946, die sich noch im Besitz Deutschlands befinden, erfolge in der Verbrennungsanlage Münster, die ebenfalls inspiziert worden sei.447

     252. Im Berichtszeitraum nahm die Bundesregierung erneut Stellung zu dem Gutachten des Internationalen Gerichtshofes vom 8. Juli 1996 zur Legalität der Drohung mit oder dem Einsatz von Atomwaffen. In ihrer Antwort auf eine parlamentarische Kleine Anfrage führt die Bundesregierung folgendes aus:

"Die Bundesregierung teilt nicht nur die Auffassung des Gerichts, daß bei Androhung des Einsatzes oder Einsatz von Nuklearwaffen Art. 2 Abs. 4 und Art. 51 der VN-Charta, die Regeln der Verhältnismäßigkeit sowie die auf alle Waffen anwendbaren Regeln des humanitären Völkerrechts zu beachten sind. Sie hat diese Ansicht auch selbst in dem Verfahren vor dem Gerichtshof vorgetragen (...). Weiterhin wird darauf verwiesen, daß die Verhandlungen zum Zusatzprotokoll I von 1977 sich von Anfang an unwidersprochen ausschließlich mit Bestimmungen über den Einsatz von konventionellen Waffen befaßten. Auch das Internationale Komitee vom Roten Kreuz (IKRK) hatte bei der Vorlage des Entwurfs des Zusatzprotokolls I klargestellt, daß nicht beabsichtigt sei, die mit den Nuklearwaffen zusammenhängenden Fragen aufzugreifen. Die Erklärungen Belgiens, Italiens, der Niederlande, Spaniens und der Bundesrepublik Deutschland haben diesen Sachverhalt lediglich bestätigt.

(...) Die Bundesregierung sieht sich durch das Gutachten in ihrer Auffassung bestätigt, daß der Besitz von Nuklearwaffen durch die Kernwaffenstaaten und die zugrundeliegende Abschreckungsstrategie nicht völkerrechtswidrig sind."448

     Auf die Frage, ob die Bundesregierung das "non liquid" des IGH-Gutachtens - nämlich keine "definitive" Schlußfolgerung hinsichtlich der Reccfmäßigkeit oder Unreccfmäßigkeit von Atomwaffen - teile, führt die Bundesregierung aus:

"Die Bundesregierung entnimmt dem Gutachten, daß der IGH im gegenwärtigen Völkerrecht kein Verbot der Androhung oder des Einsatzes von Nuklearwaffen in einem extremen Fall der Selbstverteidigung, in dem die Existenz des Staates auf dem Spiel steht, hat feststellen können."449

     253. Am 3./4. Dezember 1997 wurde in Ottawa ein Übereinkommen über das Verbot des Einsatzes, der Lagerung, der Herstellung und der Weitergabe von Anti-Personen-Minen und über deren Vernichtung von 121 Staaten, darunter auch Deutschland unterzeichnet. Nach ihrer eigenen Einschätzung hat die Bundesregierung zu diesem Erfolg maßgeblich beigetragen. Sie habe sich auf internationaler Ebene frühzeitig für die Erarbeitung und den schnellstmöglichen Abschluß eines umfassenden und möglichst weltweiten Vertrages über ein vollständiges Verbot von Anti-Personen-Minen eingesetzt. Insbesondere habe sie besonderes Gewicht auf einen wirksamen Verifikationsmechanismus gelegt. Ein von ihr veranstaltetes, speziell dieser Frage gewidmetes internationales Expertentreffen mit Teilnehmern aus 120 Ländern habe im April 1997 in Königswinter den Grundstein für das heute im Übereinkommen verankerte Verifikationssystem gelegt. Nach Einschätzung der Bundesregierung setzt das Übereinkommen von Ottawa mit seinem umfassenden Verbotsansatz und den Vorschriften zu Minenräumung und Opferfürsorge sowohl aus abrüstungspolitischer als auch aus humanitär-völkerrechtlicher Sicht neue Maßstäbe. Diese Ansicht vertrat die Bundesregierung in ihrem Jahresabrüstungsbericht 1997, der in Form einer Unterrichtung des Bundestages durch die Bundesregierung erging.450

     254. Weiter weist die Bundesregierung in ihrem Jahresabrüstungsbericht darauf hin, daß die Umsetzung der Abrüstungsbestimmungen für Bosnien und Herzegowina (Abkommen nach Art. IV Annex I/B des Dayton-Abkommens) am 31. Oktober 1997 abgeschlossen werden konnten. Fast 6600 schwere Waffen seien fristgerecht zerstört worden. Auch die Implementierung des Abkommens über Vertrauensbildung (Art. II, Annex I/B des Dayton-Abkommens) sei zufriedenstellend verlaufen. Der OSZE-Außenministerrat von Kopenhagen habe im Dezember 1997 beschlossen, nunmehr Verhandlungen über regionale Stabilisierung gem. Art. V, Annex I/B des Dayton-Abkommens aufzunehmen.451

     255. Der Vertreter Luxemburgs nahm im ersten Ausschuß der VN-Generalversammlung im Namen der Europäischen Union Stellung zu verschiedenen Abrüstungsmaßnahmen. Im Bereich der Nuklearwaffen begrüßt er vor allem den Abschluß des umfassenden nuklearen Teststop-Vertrages und hebt daneben die besondere Bedeutung der Schaffung von nuklearwaffenfreien Zonen hervor:

"In the Union's view, the creation of nuclear-weapon-free zones, based on arrangements freely concluded between States and a given region, strengthens global and regional peace and stability. The Union welcomes the establishment of new zones by the treaties of Tlatelolco, Pelindaba and Rarotonga, as well as the current efforts to make the zone established by the treaty of Bangkok fully effective. This year the Union has again indicated its interest in the creation of a nuclear-weapon-free zone in South Asia. Similarly, the Union continues to support efforts to establish a zone free of nuclear weapons and of all weapons of mass destruction and their delivery systems in the Middle East. The Union notes that all the countries in the region but one are present parties to the Treaty on the Non-Proliferation of Nuclear Weapons (NPT). It would refer to the resolution of 1995 NPT-Conference requiring all Middle East States that had not yet done so, without exception, to accede to the NPT as soon as possible and to make progress towards the creation of such a zone."452

     Weiter fordert der Vertreter Luxemburgs im Namen der Europäischen Union, daß die bestehenden internationalen Verträge durch wirksame Exportkontrollen unterstützt werden müßten:

"The network of international conventions seeking to prevent the proliferation of weapons of mass destruction is backed up by the indispensable instrument of export controls. Several incidents in the recent past have underlined the importance of the very system of export control in the fight against the proliferation of weapons of mass destruction. Clearly, there is still a risk of certain goods and technologies being used illicitly. Any exporting state must therefore take measures to ensure that its exports of sensitive materials, equipment and technologies are subject to an appropriate system of surveillance and control. Export controls have no purpose other than to prevent to irresponsible spread of materials, equipment and technologies that might be used in breach of the aims of the non-proliferation. Far from being a bureaucratic obstacle to international trade and co-operation, controls of this kind are a precondition for such co-operation. These controls make it easier for the countries concerned to pursue technological developments on a joint basis.

In this context, the exporting states need to explain the value of export controls and to demonstrate clearly that far from obstructing trade for peaceful purposes, they actually make it possible for such trade to take place. An open dialogue should ensure that the relevant principles and practices are understood, and thereby facilitate co-operation."453

     256. Zur Situation in Rußland im Hinblick auf Befürchtungen über die Weiterverbreitung von nuklearen Waffentechnologien nahm die Bundesregierung in ihrer Antwort auf eine parlamentarische Anfrage Stellung. Die Bundesregierung geht davon aus, daß Rußland seine im Rahmen des Trägertechnologie-Kontrollregimes (Missile Technology Control Regime / MTCR) eingegangenen Verpflichtungen erfülle. Bislang lägen keine Hinweise darauf vor, daß Raketen der Nordmeerflotte oder Teilsysteme von ihnen an Dritte weitergegeben wurden. Dasselbe gilt nach Einschätzung der Bundesregierung für die Verpflichtungen Rußlands im Rahmen der Gruppe nuklearer Lieferländer (Nuclear Suppliers` Group). Weiter führt die Bundesregierung aus:

"Nach allen verfügbaren Informationen ist der militärische Nuklearbereich in Rußland ausreichend gegen illegale Aktivitäten von außen und von innen gesichert. Der Bundesregierung liegen bisher auch keinerlei Hinweise auf staatsterroristische Beschaffungsaktivitäten oder die Tätigkeit subnationaler Terrorgruppen in den erwähnten Bereichen vor. Rußland arbeitet im übrigen mit den G7-Ländern sowie zahlreichen weiteren Ländern bei der Umsetzung des Programms zur Bekämpfung des Nuklearschmuggels zusammen, das auf dem Moskauer Nukleargipfel vom April 1996 vereinbart wurde.

Die Bundesregierung betrachtet die Einbindung Rußlands in die internationalen Bemühungen zur Terrorismusbekämpfung sowie in den verschiedenen internationalen Exportkontrollgremien als wichtige und wirksame Maßnahmen, um der Gefahr der Proliferation von Kern- und Raketentechnik entgegenzuwirken."454



    446 Bull. Nr. 35 vom 7.5.1997, 373 f.
    447 BT-Drs. 13/10464 vom 22.4.98, 20.
    448 BT-Drs. 13/9098 vom 18.11.97, 3 f.
    449 Ibid., 5.
    450 BT-Drs. 13/10464 vom 22.4.98, 15.
    451 Ibid., 4.
    452 UN Doc. A/C.1/52/PV.3, 10.
    453 Ibid.,10 f.
    454 BT-Drs. 13/7301 vom 21.3.97, 11.