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Völkerrechtliche Praxis der Bundesrepublik Deutschland im Jahre 1997


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Roland Bank


XVIII. Kriegs-, Besatzungs- und Teilungsfolgen

1. Kriegs- und Besatzungsfolgen

     273. Anläßlich einer parlamentarischen Kleinen Anfrage zur Verurteilung der Bundesregierung zu Entschädigungsleistungen zugunsten griechischer NS-Opfer durch das Landgericht Lefadia (Griechenland) weist die Bundesregierung auf bereits geleistete Entschädigungszahlungen sowie den Grundsatz der Staatenimmuniät hin:

"Zur abschließenden Regelung von Ansprüchen Griechenlands infolge von national-sozialistischen Verfolgungsmaßnahmen gegen griechische Staatsangehörige, die Freiheits- oder Gesundheitsschäden erlitten hatten, zahlte die Bundesrepublik Deutschland aufgrund des Vertrages vom 18. März 1960 'über die Leistungen zugunsten griechischer Staatsangehöriger, die von national-sozialistischen Verfolgungsmaßnahmen betroffen worden sind' an Griechenland 115 Mio. DM."485

     Die griechische Regierung sei darauf hingewiesen worden, daß Verfahren dieser Art vor griechischen Gerichten dem Grundsatz der Staatenimmunität widersprächen und daher nicht zulässig seien.486

     274. In ihrer Antwort auf eine parlamentarische Kleine Anfrage zu Entschädigungsleistungen für Opfer des Nationalsozialismus in Mittel- und Osteuropa teilt die Bundesregierung Informationen mit über die Zahl der Personen, die möglicherweise für Entschädigungsleistungen in Frage kommen. Der Bundesregierung sind demnach die Gesamtzahl der NS-Verfolgten in den mittel- und osteuropäischen Staaten nicht bekannt. Bei den Verhandlungen über die Einrichtung von Stiftungen in Polen, Rußland, Weißrußland und der Ukraine seien die Verhandlungspartner davon ausgegangen, daß es sich in Polen und den neuen unabhängigen Staaten auf dem Gebiet der ehemaligen Sowjetunion um bis zu 1,5 Mio. Menschen handle, die eine Hilfeleistung erhalten sollten. Für die sonstigen mittel- und osteuropäischen Staaten würden rund 60.000 Verfolgte, davon 15.000 jüdische Verfolgte, angenommen.487

     Auf die Frage, welches Gesamtkonzept die Bundesregierung verfolge, der Verantwortung gerecht zu werden, führt die Bundesregierung aus:

"Anliegen der Bundesregierung ist es, die Not der Überlebenden der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft auch in den mittel- und osteuropäischen Ländern zu lindern. Dabei ist sich die Bundesregierung bewußt, daß keine Form der Entschädigung, das durch die national-sozialistische Verfolgung zugefügte Leid ausgleichen kann."488

     Die Bundesregierung weist weiter darauf hin, daß in den Satzungen der in Polen, Rußland, Weißrußland und der Ukraine gegründeten Stiftungen, die mit der Bundesregierung vor Inkrafttreten abgestimmt worden seien, die Grundlage für regelmäßige Zusammenarbeit der Stiftungen mit Organisationen von NS-Verfolgten geschaffen worden seien.

"Die Einrichtung der Stiftungen gestattet eine vergleichsweise ortsnahe und von Vorbehalten gegenüber unmittelbaren deutschem Einfluß weitgehend freie Gestaltung der Unterstützungsleistungen in enger Abstimmung mit den örtlichen Organisationen der Verfolgten. Um diese Ziele zu erreichen, wurden die Stiftungen als rechtlich selbständige und allein den Rechtsvorschriften des jeweiligen Staates unterliegende juristische Personen ausgestaltet. Sie legen die notwendigen Voraussetzungen für Leistungen an besonders geschädigte NS-Verfolgte selbst fest. Die Bundesrepublik Deutschland hat keine unmittelbaren Einwirkungsmöglichkeiten.

Die Stifungsbeträge sind so bemessen, daß Zahlungen von durchschnittlich 1000 DM pro Person möglich sind. Die Aufteilung der Mittel zwischen Rußland, Weißrußland und der Ukraine wurde von den genannten Staaten selbst vorgenommen."489

     275. Im Hinblick auf die in den baltischen Staaten lebenden NS-Opfer nimmt die Bundesregierung wie folgt Stellung:

"In der Plenardebatte vom 30. Januar 1997 hat die parlamentarische Staatssekretärin Irmgard Karwatzky u. a. auf die Vereinbarungen hingewiesen, die im Zusammenhang mit der deutschen Einigung mit der Republik Polen sowie Rußland, Weißrußland und der Ukraine zugunsten NS-Verfolgter geschlossen wurden. Die infolgedessen eingerichteten Stiftungen in Moskau und Minsk leisten - wie vereinbart - Entschädigungszahlungen auch an NS-Opfer in den baltischen Staaten Estland, Litauen und Lettland, die ehemals sowjetische Staatsbürger waren.

Zusätzlich hat die Bundesregierung den drei baltischen Staaten eine eigenständige Regelung für NS-Opfer in Form einer humanitären Geste angeboten. Hierfür hat die Bundesregierung Beträge in Höhe von je 2 Mio. DM zur Verfügung gestellt. Entsprechende Regierungsvereinbarungen wurden mit Estland und Litauen bereits abgeschlossen (...). In den Vereinbarungen ist ausdrücklich geregelt, daß die Förderung gezielt Opfern national-sozialistischer Unrechtsmaßnahmen zukommen soll."490

     Weiterhin weist die Bundesregierung darauf hin, daß mit Lettland eine entsprechende Vereinbarung vorbereitet werde, wofür die erforderlichen Mittel bereit stünden.491

     276. Nach Auskunft der Bundesregierung sollen die bereitgestellten 80 Mio. DM für die künftigen Stiftungen "Verständigung und Aussöhnung" in südosteuropäischen Staaten Einmalleistungen gestatten, die den von den bestehenden Stiftungen geleisteten Zahlungen entsprechen. Im übrigen weist die Bundesregierung auf Arbeiten an einer Alternative zum Stiftungsmodell hin, die berücksichtigen soll, daß die zu unterstützenden NS-Verfolgten in einer größeren Anzahl von Staaten leben. Dabei sei eine angemessene Beteiligung der verfolgten Organisationen vorgesehen.492

     277. Angesichts von Mutmaßungen über laufende Zahlungen für in Westeuropa lebende NS-Opfer betont die Bundesregierung, daß auch nach dem Bundesentschädigungsgesetz und allen darauf aufbauenden Härteregelungen die Entschädigung für NS-Verfolgte im Grundsatz in einer Einmalleistung mit Ausnahme besonders schwerer Verfolgungsschicksale bestehe. Weiter führt die Bundesregierung zum System der Entschädigung folgendes aus:

"Infolge des Ost-West-Konflikts in der Nachkriegszeit haben die Entschädigungsregelungen der Bundesrepublik Deutschland eine eigenständige Entwicklung genommen, die nicht zuletzt im Territorialitätsprinzip des Bundesentschädigungsgesetzes ihren Ausdruck gefunden hat. Bei der Schaffung von Härteregelungen nach der deutschen Einigung konnte nicht unberücksichtigt bleiben, daß Polen und die Sowjetunion im großen Umfang Reparationen entnommen und auf weiteren Ausgleich von Kriegs- und Verfolgungsschäden bereits in den 50er Jahren verzichtet haben. Solche Verzichtserklärungen liegen auch hinsichtlich weiterer mittel- und osteuropäischer Staaten vor (so Bulgarien, Rumänien, Ungarn, das damalige Jugoslawien)."493

     278. Mehrfach nahm die Bundesregierung im Berichtszeitraum Stellung zu Fragen der Leistungen nach dem Bundesversorgungsgesetz (BVG) für Kriegsverbrecher und Mitglieder der Waffen-SS. Anläßlich einer parlamentarischen Kleinen Anfrage nahm die Bundesregierung Stellung zu Maßnahmen, mit den überprüft wird, ob ein Antragsteller Kriegsverbrechen begangen habe:

"Zur Überprüfung einer Beteiligung an Verbrechen gegen die Menschlichkeit hat die Versorgungsverwaltung der Länder seit jeher, insbesondere bei Neuanträgen mit SS-Bezug, von Beginn an das (US) Berlin-Document-Center eingeschaltet. Nachdem 1992 - nach Jahrzehnten ohne nennenswerte Zahlen von Neuanträgen Geschädigter - mit dem Zusammenbruch des kommunistischen Regimes im Ostblock eine Flut von Neuanträgen auf Auslandsversorgung insbesondere aus dem Baltikum eingingen, hat die Bundesregierung mit Rundschreiben des Bundesministeriums für Arbeit und Sozialordnung (BMA) zum 18. Mai 1993 nochmals auf den Ausschlußtatbestand des BVG hingewiesen und zur Ausschöpfung aller Beweismöglichkeiten Hinweise für die Verfahrensgestaltung gegeben, u. a. in jedem Fall eine Anfrage an das Berlin-Document-Center und an die Zentralstelle der Landesjustizverwaltung zur Aufklärung nationalsozialistischer Verbrechen zu richten. Eine Beteiligung an Verbrechen gegen die Menschlichkeit konnte auch danach in keinem Fall festgestellt werden."494

     Auf die Frage nach konkreten Fällen, in denen seitens der Länder Leistungen verwehrt worden seien, weist die Bundesregierung darauf hin, daß aufgrund einer Unterrichtung durch eine Sonderermittlungsgruppe des US-Justizministeriums im Januar 1997 die Versorgungsleistungen an zwei Leistungsempfänger in den Vereinigten Staaten entzogen werden konnten, da hinreichende Anhaltspunkte für Kriegsverbrechen danach vorgelegen haben. Im übrigen seien der Bundesregierung keine Fälle einer Verwehrung seitens der Länder bekannt geworden.495

     Soweit im übrigen Namenslisten mit möglichen Kriegsverbrechern bekannt geworden seien, seien diese seitens der zuständigen Versorgungsverwaltung sofort auf Leistungsempfänger nach dem BVG und eventueller Beteiligung an Kriegsverbrechen überprüft worden. Im Hinblick auf in Deutschland lebende Antragsteller führt die Bundesregierung folgendes aus.

"Einen Ausschlußtatbestand für Kriegsverbrecher oder anderweitig belastete Personen sah und sieht das BVG aufgrund der Entscheidung des Gesetzgebers aus dem Jahre 1950 nicht vor. Diese Entscheidung ist damals bewußt getroffen worden, da der Regierungsentwurf für das BVG in seinem § 8 ausdrücklich einen Ausschlußtatbestand für 'politisch vorbelastete Personen' enthielt, der es ermöglicht hätte, Nazi-Größen oder Kriegsverbrechern die Versorgung zu versagen. Der Ausschlußtatbestand wurde nach eingehenden parlamentarischen Beratungen gestrichen.

Bei dieser Sachlage haben Überprüfungen von im Inland lebenden Antragstellern oder Beziehern von Leistungen mit dem Ziel, sie von Leistungen auszuschließen, sicher in der Regel nicht stattgefunden. Sehr genau zu überprüfen war allerdings nach dem BVG, ob die geltend gemachte Gesundheitsschädigung kausal auf ein Kriegsgeschehen zurückzuführen war."496

     Weiter führt die Bundesregierung aus, daß in Abweichung von der Entscheidung des Gesetzgebers von 1950 beim BVG der Gesetzgeber beim Bundesentschädigungsgesetz, Entschädigungsrentengesetz sowie bei den Rehabilitierungsgesetzen von vornherein ausdrücklich Ausschlußtatbestände vorgesehen habe. Gegenstand dieser Gesetze seien Leistungen, die Opfer staatlicher Unrechtsakte, insbesondere Opfer politischer Verfolgung, erhalten sollen. Grundgedanke dieser Ausschlußklauseln sei, daß Ausgleichsleistungen für erlittene staatliche Unrechtsmaßnahmen nicht erhalten solle, wer seinerseits einem Unrechtsregime staatstragend gedient und Unrechtshandlungen verschuldet oder mitverschuldet habe. Auf die Frage, inwieweit im Hinblick auf die im Inland lebenden aufgrund BVG berechtigten Personen ein gesetzgeberischer Handlungsbedarf bestehe, stellt die Bundesregierung das Ergebnis einer erneuten verfassungsrechtlichen Überprüfung wie folgt dar:

"Der heutige Gesetzgeber ist frei, über eine Aufnahme einer Unwürdigkeitsklausel in das BVG für die Zukunft zu entscheiden, ähnlich wie es der Gesetzgeber bereits in § 64 BVG für solche Deutsche und Ausländer vorgesehen hat, die keinen Wohnsitz in Deutschland haben. Verfassungsrechtlich ist er insbesondere nicht gehalten, es bei der Bewertung des Gesetzgebers von 1950 zu belassen, der von der Aufnahme einer solchen Klausel letztlich Abstand genommen hat; ein allgemeines Vertrauen in den Fortbestand einer dahin gehenden Gesetzeslage ist verfassungsrechtlich nicht geschützt.

Der Aufnahme einer Unwürdigkeitsklausel steht auch nicht das Recht staatlicher Rückwirkungsverbote entgegen, soweit die Klausel sich auf den Ausschluß oder eine Reduzierung künftiger Ansprüche beschränkt. Die Gründe, die für eine solche Entziehung der Rente pro futuro sprechen, sind - je nach dem für eine Neuregelung maßgebenden Gesichtspunkten - fallbezogen zu gewichten und mit dem Vertrauen des Leistungsempfängers abzuwägen, sofern und soweit es schutzwürdig ist. Es ist allein Sache des Gesetzgebers, hier eine politische Entscheidung darüber zu treffen, ob und in welchem Umfang er eine Änderung der Gesetzeslage vornehmen will. Weder das Rechtsstaatsprinzip, noch das Sozialstaatsprinzip, noch Art. 3 Abs. 1 GG oder andere Bestimmungen des Grundgesetzes würden einer modifizierenden Regelung von vornherein entgegenstehen.

Allerdings ist hierbei in Fällen, in denen auf der Grundlage des geltenden Rechts zum Teil seit bereits Jahrzehnten Leistungen gewährt werden, in jedem Einzelfall zu prüfen, ob u. U. individuelles schützwürdiges Vertrauen einer Entziehung der Leistung entgegenstehen kann."497

     Einen entsprechenden Gesetzentwurf zur Einführung eines allgemeinen Ausschlußtat-bestandes in das BVG, der es ermöglicht, künftig im In- und Ausland Versorgungsleistungen auszuschließen, wenn der Berechtigte oder derjenige, von dem sich seine Berechtigung ableitet, gegen die Grundsätze der Menschlichkeit oder Rechtsstaatlichkeit verstoßen hat, hat der Bundesrat eingebracht.498

     In ihrer Stellungnahme begrüßt die Bundesregierung die Zielrichtung des Gesetzentwurfes. Allerdings trage die Initiative nicht in allen Teilen den komplexen verfassungsrechtlichen Anforderungen Rechnung, die an einen Ausschlußtatbestand bei den sog. Altfällen gestellt werden müßten. Der Gesetzentwurf bedürfe insoweit der Präzisierung, um den Erfordernissen des rechtsstaatlichen Vertrauensschutzgrundsatzes zu entsprechen.499

     279. In ihrer Antwort auf eine parlamentarische Kleine Anfrage zur Beutekunst informierte die Bundesregierung über die Rückführung von Kulturgütern, die im Laufe des Zweiten Weltkrieges aus dem Ausland nach Deutschland verbracht worden waren. Nach Ansicht der Bundesregierung ist davon auszugehen, daß sich heute allenfalls noch in Einzelfällen in begrenzter Zahl kriegsbedingt verbrachte Kulturgüter in Deutschland befinden könnten. Die im Zusammenhang der Verhandlungen über die Rückführung von Kulturgütern von der Bundesregierung durchgeführten Suchappelle hätten nur geringen Erfolg gehabt. U. a. seien Hinweise auf Kulturgüter eingegangen, die möglicherweise aus Frankreich stammten und der Rückführung unterliegen könnten. Diese Fälle seien von der deutschen Seite in der 1992 eingerichteten deutsch-französischen Arbeitsgruppe zur beiderseitigen Rückführung von Kulturgütern zur Sprache gebracht worden und seien zur Zeit Gegenstand der Prüfung. Von der italienischen Regierung sei 1995 ein umfangreicher Suchkatalog vermißter Kunstwerke veröffentlicht worden. Sollten Hinweise eingehen, daß sich im Katalog aufgeführte Kulturgüter in Deutschland befinden, werde in jedem konkreten Fall die Rechtslage zu prüfen sein.

     Auf die Frage nach der Verbindung von der Regelung von Entschädigung und Wiedergutmachung mit einer eventuellen Herausgabe von Beutekunst führt die Bundesregierung folgendes aus:

"Bei der Rückführung der Kulturgüter und in den bilateralen Verhandlungen darüber geht es nicht um die materiellen Werte der Kulturgüter oder um die Aufrechnungen von Kriegsverlusten. Vielmehr geht es darum, daß bedeutende Bestandteile des nationalen Kulturerbes Deutschlands wie anderer Staaten, die durch die Ereignisse und Folgen des Zweiten Weltkriegs von ihren angestammten Plätzen und aus ihren originären Sammlungszusammenhängen weggeführt worden sind, dorthin zurückkehren müssen. Gleichfalls geht es aber auch darum, daß Achtung des etablierten Völkerrechts, Schutz der kulturellen Identität von Menschen und Völkern, Vertragstreue und Vertragsfähigkeit unverzichtbare Grundlagen in den internationalen und bilateralen Beziehungen sind."500



    485 BT-Drs. 13/9472 vom 15.12.97, 2.
    486 Ibid., 3.
    487 BT-Drs. 13/8454 vom 4.9.97, 2.
    488 Ibid., 3.
    489 Ibid., 4.
    490 Ibid., 5 f.
    491 Ibid., 6.
    492 Ibid.
    493 Ibid., 7.
    494 BT-Drs. 13/7055 vom 25.2.97, 3.
    495 Ibid., 4.
    496 Ibid., 5 f.
    497 Ibid., 7 f.
    498 BT-Drs. 13/8246 vom 17.7.97.
    499 Ibid., 6.
    500 BT-Drs. 13/8111 vom 27.6.97, 11.