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Völkerrechtliche Praxis der Bundesrepublik Deutschland im Jahre 1998


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Karen Raible


VIII. Ausländer

1. Ausländerrecht

    32. Der Bundesrat brachte im Berichtszeitraum einen Gesetzentwurf ein, nach dem durch eine Änderung des Grundgesetzes alle Ausländer, auch solche, die nicht die Staatsangehörigkeit eines Mitgliedsstaates der Europäischen Gemeinschaften besitzen, bei Kommunalwahlen wahlberechtigt und wählbar sein sollten. Die Bundesregierung lehnte in ihrer Stellungnahme zum Gesetzentwurf das allgemeine Wahlrecht auf Kreis- und Gemeindeebene für alle in Deutschland lebenden Ausländer weiterhin ab. Als Grund hierfür gab sie an, daß das kommunale Wahlrecht für Bürger der Europäischen Union zur Stärkung des Zusammengehörigkeitsgefühls auf dem Wege zur europäischen Einigung notwendig sei und damit nicht als Diskriminierung Dritter ausgelegt werden könne.74

    33. Auf die Kleine Anfrage zu Diskriminierungen von Migrantinnen und Migranten gab die Bundesregierung am 2. Februar 1998 Auskunft über verschiedene Fragen ihrer Ausländerpolitik. Zunächst wies sie auf ihre langfristig angelegte Integrations- und Antidiskriminierungspolitik hin, die das Ziel habe, den ausländischen Arbeitnehmern und ihren Familienangehörigen ein gleichberechtigtes Leben in Deutschland zu ermöglichen. Dabei werde angestrebt, Benachteiligungen auszugleichen, die Chancengleichheit zu verbessern und das Selbstwertgefühl der Ausländer zu stärken. Die sprachliche, berufliche und soziale Integration der ausländischen Arbeitnehmer und ihrer Familienangehörigen sei eine entscheidende Voraussetzung für eine bessere Akzeptanz durch die deutsche Bevölkerung und wichtige Prävention gegen Diskriminierung im Alltag. Die Bundesregierung gehe nicht nur gegen rassistisch motivierte Gewalttaten, sondern auch gegen alltägliche Diskriminierung vor. Im Anschluß daran wendete sich die Bundesregierung gegen die allgemeine Behauptung, daß "die bestehenden Vorschriften den Gastarbeitern zu wenig Schutz vor den alltäglichen Diskriminierungen auf dem Arbeitsmarkt gewähren". Diese These werde durch die ausschließlich türkische Staatsangehörige behandelnde Studie "Arbeitsmarkt/Diskriminierung gegenüber ausländischen Arbeitnehmern in Deutschland" des Internationalen Arbeitsamtes von 1995 nicht belegt. Die Bundesregierung sehe keinen gesetzgeberischen Handlungsbedarf für eine inhaltliche Überprüfung aller geltenden Vorschriften des privaten und öffentlichen Rechts auf diskriminierende Regelungen und wende sich ebenso wie der Bundestagsinnenausschuß gegen die Einberufung einer Expertenkommission. Im Hinblick auf die von ihr unterzeichneten völkerrechtlichen Verträge gab die Bundesregierung an, sie habe ihren Verpflichtungen aus dem internationalen Übereinkommen zur Beseitigung von jeder Form von Rassendiskriminierung vom 7. März 1966 durch eine große Zahl gesetzlicher Regelungen und praktischer Maßnahmen Rechnung getragen und wolle auch neuen Konfliktfeldern mit geeigneten Instrumenten begegnen.75

    34. Das Hessische Ministerium des Innern und für Landwirtschaft, Forsten und Naturschutz bat mit Erlaß vom 28. Mai 199876 unter Hinweis auf das Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 27. Februar 199677 darum, das ausländerbehördliche Ermessen nach � 15 AuslG künftig so auszuüben, daß in Fällen einer gefestigten, auf Dauer angelegten gleichgeschlechtlichen Lebensgemeinschaft die Aufenthaltserlaubnis erteilt oder einem Visumsantrag zu diesem Zweck nach � 11 Abs. 1 Durchführungsverordnung des Ausländergesetzes (DV-AuslG) zugestimmt wird, sofern gesetzliche Versagungsgründe, etwa des � 7 Abs. 2 Nr. 1 und 2 oder nach � 8 AuslG nicht vorliegen. Insbesondere in den Fällen, in denen einer der Partner der gleichgeschlechtlichen Lebensgemeinschaft deutscher Staatsangehöriger ist, sollen der Erteilung der Aufenthaltsgenehmigung keine einwanderungspolitischen Gesichtspunkte entgegengehalten werden. Während einer Testphase sollen die Regierungspräsidien die fällige Entscheidung treffen, nicht die Ausländerbehörden.

    Dem Erlaß sind "Eckwerte für die Erteilung von Aufenthaltserlaubnissen nach � 15 AuslG zum Führen gleichgeschlechtlicher Lebensgemeinschaften" beigefügt, die Anhaltspunkte für die künftige Erteilungspraxis geben sollen. Nach diesen ist für die gefestigte, auf Dauer angelegte Lebensgemeinschaft keine zwingende Mindestzeit vorgesehen. Allerdings ist bei nur sporadischen, kurzzeitigen Besuchsaufenthalten im Regelfall eine mehrjährige Beziehung erforderlich. Bei der Lebensgemeinschaft mit deutschen Staatsangehörigen werden Alternativen im Ausland anders als bei der Lebensgemeinschaft ausländischer Staatsangehöriger nicht geprüft. Die Lebensgemeinschaft ausländischer Staatsangehöriger soll grundsätzlich im Heimatstaat oder in einem Drittland geführt werden. Für sie sind Ausnahmen nur bei besonderer Verfestigung in Deutschland zugelassen.

    In einem Schreiben vom 22. Juli 1998 forderte der Bundesminister des Innern Kanther den Hessischen Staatsminister des Innern und für Landwirtschaft, Forsten und Naturschutz auf, den Erlaß vom 28. Mai 1998 aufzuheben und zur bundeseinheitlichen Anwendung des Ausländerrechts zurückzukehren.78 Der Erlaß, der weit über die bisherige Praxis in allen Ländern hinausreiche, verstoße gegen die rechtlich und politisch begründete Regelung, die auf der Ausländerreferentenbesprechung des Bundes und der Länder vom 14. bis 16. Januar 1997 in Schwerin getroffen wurde. Diese Regelung habe zum Inhalt, daß Aufenthaltsgenehmigungen zur Führung einer gleichgeschlechtlichen Lebensgemeinschaft nur auf extreme Einzelfälle beschränkt bleiben sollen, die z.B. dann vorliegen können, wenn Homosexualität im Herkunftsland des ausländischen Partners tatsächlich strafrechtlich verfolgt werde. Ferner enthalte der Erlaß eine unverständliche ausländerrechtliche Besserstellung homosexueller Lebensgemeinschaften und reduziere das bei der Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis im Ermessenswege gemäß den �� 15 und 7 AuslG zwingend auszuübende Ermessen so, daß im Regelfall nur noch eine Erteilung der Aufenthaltsgenehmigung in Betracht komme. Letztlich eröffne der Erlaß zusätzliche Mißbrauchsmöglichkeiten.

    35. Am 24. Juni 1998 brachte der Freistaat Bayern im Bundesrat einen Gesetzentwurf zur Änderung des Ausländergesetzes ein.79 Die darin enthaltenen Änderungen sahen vor allem eine Beschränkung des Nachzugs von Kindern und Ehegatten und eine gänzliche Streichung des Wiederkehrrechts vor. Im übrigen sollte künftig über die Ausweisung eines Minderjährigen nach Ermessen entschieden und die Ausweisung einer Person ermöglicht werden, die ihre Fürsorge oder Erziehungspflicht gegenüber einem unter 16 Jahre alten Kind gröblich verletze. Es sei unverzichtbar, bereits erheblich straffällig gewordene Kinder und Jugendliche auch mit ihren Eltern aus Deutschland auszuweisen. Der Bundesrat brachte den Gesetzentwurf beim Bundestag nicht ein.80

    36. Im Berichtszeitraum brachte die FDP-Fraktion den Entwurf eines Zuwanderungsbegrenzungsgesetzes (ZuwBegrG) in den Bundestag ein.81

    In der Begründung zum Gesetzentwurf werden zunächst die Kerngedanken genannt, auf denen das Konzept des Zuwanderungsgesetzes beruhen soll. Vorrangiges Ziel sei die Berechenbarkeit des Zuzugs in die Bundesrepublik Deutschland. Zu diesem Zweck sollen alle zwei Jahre jeweils für ein Jahr geltende Gesamthöchstzahlen zuzulassender Zuwanderer festgelegt werden; innerhalb dieses Rahmens sollen Teilquoten für die verschiedenen Zuwanderergruppen festgesetzt werden. Eine weitere gezielte Steuerung über die rein zahlenmäßige Festlegung hinaus sollen qualitative Kriterien ermöglichen. Ziel des Zuwanderungsbegrenzungsgesetzes sei es außerdem, alle Gruppen von Zuwanderern - auch Asylberechtigte und Spätaussiedler - in die gesetzliche Regelung einzubeziehen. Als weiteres Ziel wird genannt, die Zuwanderung stärker am wirtschaftlichen Immigrationsbedarf der Bundesrepublik Deutschland auszurichten. Der Gesetzentwurf beinhalte daher die Schaffung erweiterter Zuwanderungsmöglichkeiten zum Zwecke der Ausübung einer Erwerbstätigkeit, die im geltenden Recht stark eingeschränkt sind. Zum Zwecke der Auswahl der "Arbeitszuwanderer" solle ein neues Zuwanderungsverfahren geschaffen werden. Über die deutschen Auslandsvertretungen und Konsulate sollen Bewerber Zuwanderungsanträge einreichen können, die zentral von einem neu einzurichtenden Bundesamt für die Regulierung der Zuwanderer beschieden werden. Erforderlich seien des weiteren Bestimmungen, die den Status der zugewanderten Ausländer im Sinne einer schrittweisen, aber umfassenden Integration in die deutsche Gesellschaft betreffen.

    Der Gesetzentwurf gliedert sich in zwei Teile. Der erste allgemeine Teil stellt das System der Quotierung dar, dem sämtliche Zuwanderergruppen unterliegen, und regelt, wie die Quoten zustande kommen. Darüber hinaus enthält er einen Kriterienkatalog für die einzelnen Gruppen von Zuwanderern, anhand dessen die Teilquoten und Höchstzahlen ausgefüllt werden. Der zweite Teil des Gesetzentwurfs regelt das Zuwanderungsverfahren einschließlich der Errichtung des Bundesamtes für die Regulierung der Zuwanderung und die Rechtsstellung der Zuwanderer.

    In der Begründung des Gesetzentwurfs wird betont, daß die humanitären Verpflichtungen Deutschlands vor allem im Hinblick auf die Aufnahme von Asylsuchenden ebenso wie der Familiennachzug zu bereits in der Bundesrepublik Deutschland lebenden Ausländern unberührt bleibe. Allerdings finde eine Verrechnung dieses Zuzugs mit den sonstigen Quoten statt.



    74 WIB 1/98, 13.
    75 BT-Drs. 13/9739 vom 3.2.1998, 1 f.
    76 Informationsbrief Ausländerrecht 10/98, 465 f.
    77 BVerwGE 100, 187.
    78 Informationsbrief Ausländerrecht 10/98, 466 f.v
    79 BR-Drs. 620/98 vom 25.6.1998.
    80 BR-Drs. 620/1/98 vom 7.12.1998.
    81 BT-Drs. 14/48.