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Völkerrechtliche Praxis der Bundesrepublik Deutschland im Jahre 1998


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Karen Raible


XI. Rechtshilfe und Auslieferung

2. Auslieferung

    101. Durch Gesetz vom 7. September 1998 wurde dem Übereinkommen vom 10. März 1995 über das vereinfachte Auslieferungsverfahren zwischen den Mitgliedstaaten der Europäischen Union zugestimmt.198 In ihrer Denkschrift zum Übereinkommen teilte die Bundesregierung am 20. März 1998 Einzelheiten zu seinem Inhalt mit. Anstelle des Verfahrens nach dem Europäischen Auslieferungsübereinkommen vom 13. Dezember 1957 solle, wenn die verfolgte Person der Auslieferung zustimme, ein vereinfachtes Verfahren zur Vermeidung einer unnötig langen Auslieferungshaft durchgeführt werden. Das Übereinkommen regele die Voraussetzungen und das von den Mitgliedstaaten einzuhaltende Verfahren bei vereinfachten Auslieferungen. Neben der Zustimmung der auszuliefernden Person sei stets die Genehmigung des ersuchten Staates entsprechend seinem innerstaatlichen Verfahren erforderlich. Verfahrensvereinfachend wirken sich für den ersuchenden Staat, bei rechtzeitiger Zustimmung des Auszuliefernden, vor allem die Entbehrlichkeit eines förmlichen Auslieferungsersuchens und gegebenenfalls der damit verbundene Wegfall entsprechender Übersetzungen aus. Das Übereinkommen erfordere keine innerstaatlichen Gesetzesänderungen, weil das deutsche Auslieferungsrecht die entsprechenden Rechtsgrundlagen bereits enthalte.199

    102. Gleichfalls am 7. September 1998 erging das Zustimmungsgesetz zum Übereinkommen vom 27. September 1996 über die Auslieferung zwischen den Mitgliedstaaten der Europäischen Union.200 In ihrer Denkschrift zum Übereinkommen vom 20. April 1998 faßte die Bundesregierung seinen wesentlichen Inhalt zusammen. Das Übereinkommen solle die strafrechtliche Zusammenarbeit der Europäischen Union auf dem Gebiet der Auslieferung angesichts der durch den Wegfall der Kontrollen an den Binnengrenzen gewährleisteten Freizügigkeit durch die Beseitigung von Auslieferungshindernissen verbessern.201 Folgende Regelungen sind hervorzuheben: Erweiterung des Kreises der auslieferungsfähigen Handlungen (Art. 2, 3), keine Ablehnung eines Auslieferungsersuchens wegen politischen Charakters der zugrundeliegenden Straftat (Art. 5), Auslieferung auch wegen Fiskalstrafsachen (Art. 6), Auslieferung eigener Staatsangehöriger (Art. 7), Beseitigung des Auslieferungshindernisses der Verjährung im ersuchten Staat (Art. 8) und Befreiung vom Spezialitätsgrundsatz in bestimmten Fällen (Art. 10). Darüber hinaus enthält das Übereinkommen einige Verfahrenserleichterungen. Innerstaatliche Gesetzesänderungen sind zur Umsetzung des Übereinkommens nicht erforderlich.

    103. Die mögliche Beantragung einer Auslieferung von General Pinochet in die Bundesrepublik Deutschland war Gegenstand mehrerer Stellungnahmen der Bundesregierung. Auf die Schriftliche Parlamentarische Anfrage, wie viele Deutsche im Sinne des Grundgesetzes während der Dauer des Pinochet-Regimes in Chile mißhandelt und gefoltert wurden, verschwunden oder gar getötet worden seien, antwortete die Bundesregierung am 9. November 1998, daß nach Pressemeldungen mindestens drei Deutsche Opfer des Pinochet-Regimes geworden seien. Auf die weitere Schriftliche Parlamentarische Anfrage, ob die Bundesregierung ähnlich wie Spanien, die Schweiz und Frankreich bei den zuständigen britischen Behörden einen Auslieferungsantrag zwecks Strafverfolgung von General Pinochet stellen werde, erwiderte die Bundesregierung, daß ein Antrag auf Auslieferung ein vom zuständigen Bundesland beschlossenes Auslieferungsersuchen voraussetze. Die Bundesregierung werde ein Auslieferungsersuchen an Großbritannien stellen, sofern die Voraussetzungen dafür vorliegen.202

    Ausführlichere Auskünfte erteilte die Bundesregierung am 11. Dezember 1998 auf eine Kleine Anfrage der Fraktion der PDS. Bei nochmaliger Durchsicht sämtlicher vorhandener Archivakten habe diesen entnommen werden können, daß die Botschaft Santiago in den ersten Wochen nach dem Putsch in insgesamt 6 Fällen die Freilassung und Ausreise inhaftierter deutscher Staatsangehöriger erreicht habe. Die Namen dieser Personen bzw. die während der Inhaftierung möglicherweise an ihnen begangenen Straftaten seien jedoch aufgrund der vorhandenen Archivakten nicht mehr nachvollziehbar. Die Bundesregierung wiederholte außerdem, daß sie Auslieferungsersuchen an Großbritannien richten werde, sofern die Voraussetzungen dafür vorliegen. Voraussetzung sei ein deutsches Ermittlungsverfahren gegen Pinochet, auf dessen Grundlage von einem Gericht ein Haftbefehl erlassen wurde. Ferner müsse das jeweilige Bundesland im Benehmen mit der Bundesregierung die Stellung eines Auslieferungsersuchens beschließen. Diese Voraussetzungen liegen bislang nicht vor. Abschließend ging die Bundesregierung auf den nach dem Vorsitzenden der chilenischen Wahrheitskommission benannten "Rettig-Bericht" ein und erklärte, daß sie keine Aussagen zur deutschen Staatsangehörigkeit der dort genannten Personen geben könne, da in der Bundesrepublik Deutschland keine zentralen Melde-, Paß- oder Personalausweisregister geführt werden. Auf die Frage, ob sie etwas unternommen habe, um das Schicksal möglicher im Rettig-Bericht aufgeführter deutscher Staatsbürger oder Deutschstämmiger aufzuklären, entgegnete die Bundesregierung, daß eine Aufklärung der während der Militärdiktatur begangenen Menschenrechtsverletzungen dadurch erheblich erschwert und oft unmöglich gemacht werde, daß die Militärregierung bereits 1978 ein Amnestiegesetz für alle bis zu diesem Zeitpunkt begangenen Verbrechen der Militärs erlassen habe.203



    198 BGBl. 1998 II, 2229.
    199 BT-Drs. 13/10157, 10 f.
    200 BGBl. 1998 II, 2253.
    201 BT-Drs. 13/10427.
    202 BT-Drs. 14/35, 5 f.
    203 BT-Drs. 14/201.