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Völkerrechtliche Praxis der Bundesrepublik Deutschland im Jahre 1998


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Karen Raible


XII. Zusammenarbeit der Staaten

1. Politische Zusammenarbeit

    104. Im Berichtszeitraum bildete die politische Zusammenarbeit der Bundesrepublik Deutschland mit Frankreich einen Schwerpunkt. Am 20. Januar 1998 erklärte Bundesaußenminister Kinkel anläßlich des bevorstehenden 35. Jahrestages der Unterzeichnung des Elysée-Vertrags zwischen Frankreich und Deutschland durch Konrad Adenauer und Charles de Gaulle am 22. Januar 1963:

"Der Elysée-Vertrag hat den Schlußpunkt für die Aussöhnung nach jahrhundertealter Rivalität gesetzt. Aus Feinden wurden Freunde, aus Gegnern Verbündete. 52 Jahre Frieden in Europa - die längste Friedensperiode in der Geschichte unseres Kontinents. Eine geschichtliche Wende, von der frühere Generationen nicht einmal zu träumen wagten.

Die in diesen 35 Jahren gewachsene Zusammenarbeit zwischen Deutschland und Frankreich ist einzigartig unter souveränen Staaten. Von Anfang an stand ein Gedanke Pate: eine Partnerschaft nicht nur zwischen Staaten und Regierungen zu knüpfen, sondern zwischen den Menschen in beiden Ländern - vor allem auch den Jugendlichen durch das deutsch-französische Jugendwerk. Das Ziel ist, daß die Menschen beiderseits der Grenze spüren, daß sie füreinander jeweils der wichtigste Partner sind, vom Verstand her wie vom Gefühl.

Dies heißt nicht, daß Deutschland und Frankreich immer einer Meinung sein müßten. General de Gaulle und Bundeskanzler Adenauer wollten von Anfang an ein lebendiges, dynamisches Verhältnis der beiden Länder: die Kräfte, die früher in den Dienst der Rivalität gestellt worden waren, sollten fortan für die Annäherung wirken. Dies nicht nur zum Nutzen von Deutschland und Frankreich, sondern auch unserer Partner, allen voran der europäischen Nachbarn. Entscheidend ist allein der ständige konstruktive Dialog, wie ihn Deutschland und Frankreich seit über 35 Jahren führen.

Für diesen Dialog schafft der Elysée-Vertrag den Rahmen: halbjährliche Gipfel der Staats- und Regierungschefs, regelmäßige Treffen der Außenminister, den Verteidigungs- und Sicherheitsrat, den Wirtschafts- und Finanzrat, den Umweltrat, den Kulturrat, die Koordinatoren für die deutsch-französische Zusammenarbeit - mit keinem anderen Land ist das Netz der Zusammenarbeit so dicht geknüpft! Dazu gehören auch die regelmäßigen deutsch-französischen Seminare der Außenminister. Dort stimmen wir unsere Positionen bis in Einzelheiten ab. Das nächste dieser Seminare wird am 2. Februar auf dem Petersberg bei Bonn stattfinden.

Der 1988 durch Zusatzprotokoll zum Elysée-Vertrag gegründete deutsch-französische Verteidigungs- und Sicherheitsrat (DFVSR) wird heute 10 Jahre alt. Mit ihm haben Deutschland und Frankreich ein einzigartiges Instrument der verteidigungs- und sicherheitspolitischen Beratung und Koordinierung geschaffen. Seine Praxistauglichkeit hat der aus der deutsch-französischen Brigade entstandene gemischte Einsatzverband in Bosnien unter Beweis gestellt: Dort sichern deutsche und französische Soldaten Seite an Seite den noch zerbrechlichen Frieden.

Deutschland und Frankreich sind der Motor der europäischen Integration. Die Erfahrung hat gezeigt: Ohne den engen deutsch-französischen Schulterschluß kommen die Dinge in Europa nicht voran. Dies entspricht oft auch den Erwartungen unserer Partner in der EU. Der Grund ist einfach: gerade weil Deutschland und Frankreich sich den Fragen oft aus ganz unterschiedlichen Blickwinkeln nähern, sind die erarbeiteten Kompromisse so ausgewogen, daß sie auch für die Partner annehmbar sind."204

    Am 30. November und 1. Dezember 1998 fanden in Potsdam die 72. deutsch-französischen Konsultationen statt. In der am 1. Dezember 1998 veröffentlichten gemeinsamen Erklärung des französischen Staatspräsidenten, des französischen Premierministers und des Bundeskanzlers wurde erneut der im Elysée-Palast unterzeichnete Vertrag mit seiner Ergänzung von 1988 gewürdigt, der sich bewährt habe und Grundlage der privilegierten Partnerschaft Deutschlands und Frankreichs bleibe. Die Außenminister beider Länder erhielten den Auftrag, über eine Vereinfachung der bestehenden Mechanismen der deutsch-französischen Zusammenarbeit nachzudenken und zu erwägen, einige von ihnen durch eine koordinierende Struktur zu ersetzen, die den Fortgang der deutsch-französischen Zusammenarbeit zu kontrollieren hätte. Zu den Zielen in der näheren Zukunft der deutsch-französischen Zusammenarbeit machten die Staats- und Regierungschefs folgende Angaben:

"Wir werden uns abstimmen, um eine gemeinsame Haltung zum Erweiterungsprozeß festzulegen. Wir werden uns für einen zügigen Fortgang der Erweiterungsverhandlungen einsetzen, sowie dafür, daß diese Verhandlungen verantwortungsbewußt und in dem Bestreben geführt werden, allen Kandidaten ohne Diskriminierung und unter Berücksichtigung ihrer jeweiligen Gegebenheiten den Beitritt zu ermöglichen. Mit Blick auf die anstehenden Erweiterungen wollen wir überdies zu gemeinsamen Positionen bei der Reform der europäischen Institutionen gelangen. Wir werden deshalb eingehende Überlegungen darüber anstellen, welchen institutionellen Rahmen das Europa von morgen benötigt. Im Zuge der Verwirklichung der gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik einschließlich der gemeinsamen europäischen Verteidigungspolitik werden wir uns auf konkrete Maßnahmen verständigen."205

    Weitere gemeinsame Positionen wollen die Bundesrepublik Deutschland und Frankreich im Hinblick auf die Bildung gemeinsamer europäischer Strukturen für gemeinsame Industrie- und Technologievorhaben, eine stärkere Koordinierung der Wirtschaftspolitik, insbesondere im Rahmen der 11 Euro-Länder, und eine Unterstützung der sozialen Dimension des europäischen Einigungswerks vertreten. Zur Förderung der finanziellen Stabilität und des Wachstums halten sie die Verstärkung der Legitimität der internationalen Institutionen, insbesondere des IWF und der Weltbank, sowie eine Verstärkung der internationalen Überwachung des Finanzsektors für notwendig.206

    105. Auf die Große Anfrage zur wirtschaftlichen Entwicklung des Ostseeraumes nannte die Bundesregierung am 18. März 1998 die Ziele, von denen sie sich im Rahmen ihrer Ostseekooperation leiten lasse:

"- Festigung der Sicherheit und Stabilität im ganzen Ostseeraum, Abbau des Ost-West-Wohlstandsgefälles, Unterstützung des Transformationsprozesses in den Reformstaaten der östlichen Ostsee, weitere Heranführung Polens und der baltischen Staaten an die Europäische Union und schließlich Stärkung der regionalen Kooperation unter Einbeziehung der Russischen Föderation als regionalem Partner von besonderem Gewicht.
- Vertiefung der Zusammenarbeit im Ostseeraum auf allen Ebenen. Die Zusammenarbeit sollte aufbauen auf der Zusammenarbeit der Wirtschaft, Verbände, Regionalkörperschaften, Gemeinden, Bildungs-, Wissenschafts- und Kulturinstitutionen (unter Beachtung der Zuständigkeit der Bundesländer) und nicht von oben vorgeschrieben werden.
- Schaffung einer ökonomisch und ökologisch nachhaltig gesunden Ostseeregion auf der Basis gleichberechtigter Zusammenarbeit. Im Rahmen von HELCOM sind alle Ostseestaaten - ungeachtet ihrer finanziellen sowie zum Teil auch fachlichen Möglichkeiten - als gleichrangige Partner anzusehen, damit die zwischen westlichen und östlichen Anrainerstaaten noch bestehenden Unterschiede überwunden werden.
- Verwirklichung der 'gemeinsamen Empfehlungen für die Raumordnung in der Küstenzone der Ostseeregion', die die Küstenregionen in die Lage versetzen wird, trotz ihrer inneren und äußeren Nutzungskonflikte zu einer wirtschaftlichen, sozialen und ökologisch nachhaltigen Raumentwicklung beizutragen (Beschluß der Raumordnungsminister auf der Stockholmer Konferenz vom Oktober 1996).
- Unterstützung der Aktivitäten der EU im Ostseeraum.
- Vermeidung von Doppelarbeit zur EU und von Aufbau überflüssiger Strukturen."207

    Auf die Frage, in welchen Gremien sie beteiligt sei, nannte die Bundesregierung den Ostseerat der Außenminister und dessen Gremien, die Helsinki-Kommission (HELCOM) und deren Gremien sowie andere Komitees und Arbeitsgruppen.208 Außerdem teilte die Bundesregierung Einzelheiten zu den Funktionen des Ostseerats, der Parlamentarischen Konferenz der Ostseeregion, der Fachministerkonferenzen, des Nordischen Rates, der Konferenz der Subregionen des Ostseeraums, der Helsinki Kommission, der Baltic Chamber of Commerce Association und der Union of the Baltic Cities. Die Aufgabe des Ostseerates liege in der politischen, wirtschaftlichen und kulturellen Stärkung der Region, vor allem durch Unterstützung der Aktivitäten auf regionaler und subregionaler Ebene. Der Ostseerat formuliere die gemeinsamen Interessen der Ostseeanrainer, identifiziere Kooperationsfelder und trage dazu bei, das destabilisierende Ost-West-Wohlstandsgefälle in der Region zu überwinden und den demokratischen und wirtschaftlichen Transformationsprozeß in den östlichen Anrainerstaaten zu fördern. Der Ostseerat biete zudem die Chance, Rußland in die regionale europäischen Zusammenarbeit einzubinden. Nirgendwo in Europa berühren sich die Europäische Union, die Beitrittsländer und Rußland so unmittelbar wie im Ostseeraum.209

    Am 20. Oktober 1998 eröffnete der Ostseerat in Stockholm das sogenannte Ostsee-Sekretariat. Das Ostsee-Sekretariat soll einerseits die Ostsee-Zusammenarbeit besser koordinieren helfen und andererseits die jeweilige Präsidentschaft im Ostseerat unterstützen. Meinungsverschiedenheiten gab es bis zuletzt über die Kompetenzen und den Sitz des Ostsee-Sekretariats. Während Schweden für eine aktivere Funktion der Einrichtung eintrat, drängte insbesondere die Bundesrepublik Deutschland darauf, nicht eine neue Institution mit eigenständigen politischen Verantwortungen entstehen zu lassen. Es solle sich um eine unbürokratische "Koordinationsstelle" handeln, die mit möglichst wenig Ressourcen auskomme.210

    106. In ihrer Antwort auf eine Große Anfrage der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen erklärte die Bundesregierung am 5. Mai 1998, daß sie den Beziehungen zu Indien seit jeher einen hohen Stellenwert einräume:

"Die politische, strategische und wirtschaftliche Bedeutung dieser großen asiatischen Regionalmacht mit fast 1Milliarde Menschen, einer seit Jahrzehnten gefestigten Demokratie, ihren großen wirtschaftlichen Entwicklungsmöglichkeiten, ihren qualifizierten menschlichen Ressourcen und technologischen Spitzenleistungen wird in den kommenden Jahren noch weiter wachsen. Indien wird damit auch für uns als Partner an Bedeutung gewinnen. Die Bundesregierung ist deshalb bestrebt, die traditionell engen und freundschaftlichen Beziehungen zu Indien auf breiter Front auszubauen."211

    In einer Zusammenfassung der bisherigen Ergebnisse der deutsch-indischen Beziehungen äußerte die Bundesregierung, daß die deutsch-indischen Beziehungen in den vergangenen Jahren eine beachtliche Dichte erreicht haben. Der intensive hochrangige Besucheraustausch sei sichtbarer Ausdruck dieser Entwicklung. Deutschland führe mit Indien einen vertrauensvollen partnerschaftlichen Dialog über Fragen der Friedenssicherung, der politischen und gesellschaftlichen Entwicklung, des freien Handels, der Erhaltung unserer natürlichen Lebensgrundlagen, der Demokratie und der Menschenrechte. Zu den weiteren positiven Entwicklungen zählen der abrüstungspolitische Dialog, den die Bundesrepublik Deutschland mit Indien eröffnet habe und der offen und in gegenseitigem Respekt geführt werde, sowie die Entfaltung der deutsch-indischen Wirtschaftsbeziehungen. Die Bundesregierung räumte aber auch ein, daß es ungeachtet dieser positiven Entwicklungen in Indien ein erhebliches Krisenpotential gebe. Indien werde deshalb weiterhin ein Schwerpunktland der entwicklungspolitischen Zusammenarbeit bleiben.

    Zur Fortentwicklung und Aktualisierung ihrer Politik gegenüber Indien habe Bundeskanzler Kohl im Jahre 1991 gemeinsam mit dem damaligen indischen Premierminister Rao die "deutsch-indische Beratungsgruppe" (DIBG) ins Leben gerufen. Die Bundesregierung führte aus, daß die DIBG ein hochrangiges Beratungsforum sei, das sich aus Vertretern der Wirtschaft, Wissenschaft, Kultur und Medien zusammensetze. Sie sei regierungsunabhängig und lege ihre Empfehlungen den jeweiligen Regierungschefs vor. Auf ihrer 6. Sitzung habe die DIBG empfohlen, daß beide Regierungen eine "Agenda 2000 für die deutsch-indischen Beziehungen" erstellen, die über das Jahr 2000 hinaus ein umfassendes Konzept über Akzente und Schwerpunkte der deutsch-indischen Kooperation in allen wesentlichen Bereichen enthalte.212

    107. Anläßlich des Staatsbanketts, gegeben von dem Präsidenten der Mongolei, Natsagiin Bagabandi, in Ulan Bator, erklärte Bundespräsident Herzog am 20. September 1998:

"Die Faszination und Verbundenheit zwischen Mongolen und Deutschen rechtfertigen es, von ganz besonderen Beziehungen zwischen unseren Ländern zu sprechen. Wir sind Freunde, die sich zwar geographisch fern, aber in den Herzen doch nahe sind. Wir werden uns bemühen, diese besonderen Beziehungen auch in Zukunft zu pflegen und auszubauen. Uns kommt dabei zugute, daß beide Länder über vergleichbare Erfahrungen aus der Vergangenheit verfügen und auf dieser Grundlage gemeinsame Strategien zur Lösung von Zukunftsaufgaben entwickeln können. Wenn ich von vergleichbaren Erfahrungen spreche, beziehe ich mich in erster Linie auf die schwierigen Reformprozesse in unseren beiden Ländern, die durch die weltpolitischen Veränderungen der letzten 10 Jahre ausgelöst wurden. Deutsche wie Mongolen haben zunächst und vor allem durch diese Veränderungen profitiert - das sollte tief im historischen Gedächtnis unserer Völker verankert werden: wir Deutschen erreichten die friedliche Wiedervereinigung unserer Nation - das mongolische Volk gewann seine volle Unabhängigkeit."213

    Nach Auffassung des Bundespräsidenten haben die Bundesrepublik Deutschland und die Mongolei parallele Erfahrungen außerdem im Hinblick auf die konsequente Hinwendung zur Marktwirtschaft und auf dem Gebiet der Außenpolitik gemacht. Die Mongolei habe sich für den auch in Europa erfolgreichen Weg des regionalen Ausgleichs, der guten Nachbarschaft und der internationalen Zusammenarbeit entschieden. Die Mongolei setze sich wie Deutschland mit großem Nachdruck für die Nichtverbreitung von nuklearen Waffen ein. Abschließend äußerte Bundespräsident Herzog, daß sich Deutschland bewußt sei, daß die Mongolen bei ihrer wirtschaftlichen Entwicklung der Unterstützung ihrer Freunde bedürfen und die Entwicklungszusammenarbeit deshalb ein vorrangiges Ziel der Politik der Bundesrepublik Deutschland sei.214



sp;     204 Pressearchiv des Auswärtigen Amtes (Anm. 1): http://www.auswaertiges-amt.de/6_archiv/98/P980120A.html.
    205 Bull. Nr. 79 vom 10.12.1989, 963 f.
    206 Ibid.
    207 BT-Drs. 13/10140, 18 f.
    208 Im einzelnen handelt es sich dabei um den Koordinierungsausschuß Ostseehäfen (Joint Group of Baltic Port Committee), die Arbeitsgruppe Seeverkehr im Ostseeraum (Working Group on Waterborn Transport), die Pariser Vereinbarung über die Hafenstaatkontrolle von 1982, die Kommission der Aufsichtsbehörden der Ostseeländer im Seelotswesen (Baltic Pilotage Authorities Commission), das Internationale Koordinierungskomitee des Telematic/Logistik-Projektes TEDEM zur Schaffung überregionaler Logistiksysteme, der Arbeitsgruppe G24 Verkehr, der Arbeitsgruppe zur Ermittlung des notwendigen und finanzierbaren Verkehrsinsfrastrukturbedarfs in den assoziierten Staaten (TINA-Transportinfrastructure Needs Assessment), den Ausschuß für transeuropäische Netze Verkehr, den Ausschuß für Gemeinschaftszuschüsse transeuropäische Netze Verkehr, den Ausschuß für Raumentwicklung der Ostseeregion und das Baltic Coordination Committee.
    209 Ibid., 19 f. Vgl. zu den Funktionen der übrigen Gremien 20 f.
    210 FAZ vom 21.10.1998.
    211 BT-Drs. 13/10595, 2.
    212 Ibid., 3 f.
    213 Bull. Nr. 67 vom 9.10.1998, 838 f.
    214 Ibid.