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Völkerrechtliche Praxis der Bundesrepublik Deutschland im Jahre 1998


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Karen Raible


XIII. Umwelt- und Naturschutz

4. Kerntechnische Sicherheit

    147. Am 13. August 1998 beschloß der Bundestag mit Zustimmung des Bundesrates das Gesetz zu dem gemeinsamen Übereinkommen vom 5. September 1997 über die Sicherheit der Behandlung abgebrannter Brennelemente und über die Sicherheit der Behandlung radioaktiver Abfälle (Gesetz zu dem Übereinkommen über nukleare Entsorgung).295 Das Übereinkommen über nukleare Entsorgung wurde unter Schirmherrschaft der Internationalen Atomenergie-Organisation und unter maßgeblicher Beteiligung der Bundesrepublik Deutschland in den Jahren von 1995 bis 1997 verhandelt und durch eine diplomatische Konferenz in Wien am 5. September 1997 abgeschlossen. Die Bundesrepublik Deutschland unterzeichnete das Übereinkommen vom 1. Oktober 1997.

    Das Übereinkommen schafft erstmals völkerrechtlich verbindliche Verpflichtungen zur Umsetzung international anerkannter technischer Vorschriften über die Sicherheit der Behandlung abgebrannter Brennelemente und radioaktiver Abfälle in nationales Recht sowie zur Nachbesserung von Anlagen, die den Anforderungen des Übereinkommens nicht genügen. Die Art und Weise der nationalen Einhaltung des Übereinkommens wird auf der Grundlage von Berichten überprüft, die von den einzelnen Vertragsstaaten auf regelmäßig stattfindenden Tagungen vorzulegen sind.

    Die Zweiteilung des Übereinkommens in einen Regelteil für abgebrannte Brennelemente und einen Regelteil für radioaktive Abfälle ist darauf zurückzuführen, daß abgebrannte Brennelemente in manchen Staaten als Wertstoffe betrachtet und aus diesem Grund nicht als Abfälle behandelt werden. Das Übereinkommen trifft im einzelnen Regelungen für die Sicherheit der Behandlung abgebrannter Brennelemente, für die Sicherheit der Behandlung radioaktiver Abfälle und verbrauchter Quellen, für die grenzüberschreitende Verbringung dieser Stoffe und für die Ableitungen aus nuklearen Einrichtungen. Zur Behandlung abgebrannter Brennelemente, die sich in Wiederaufarbeitungsanlagen befinden, kann sich der Vertragsstaat freiwillig bereit erklären. Im wesentlichen enthält das Übereinkommen drei Verpflichtungen: die Umsetzung der technischen Vorschriften des Übereinkommens, die Berichterstattung über die Umsetzung der Vorschriften, sowie die Nachbesserung für Anlagen, die den Anforderungen des Übereinkommens nicht entsprechen. Zur Umsetzung der Verpflichtungen des Übereinkommens sind keine Änderungen des innerstaatlichen deutschen Rechts erforderlich, da sie bereits nach dem geltenden Atom- und Strahlenschutzrecht erfüllt werden können. Die Bundesregierung beabsichtigt, auch weiterhin konstruktiv bei der Anwendung und weiteren Entwicklung des Übereinkommens über nukleare Entsorgung mitzuwirken und gegebenenfalls notwendige Verbesserungsvorschläge einzubringen.296

    148. Das Bundeskabinett verabschiedete am 11. August 1998 den ersten Bericht der Bundesregierung zum Übereinkommen vom 20. September 1994 über nukleare Sicherheit, das für die Bundesrepublik Deutschland am 20. April 1997 in Kraft getreten ist.297 Der Bericht legt Rechenschaft ab über das Sicherheitsniveau der deutschen Kernkraftwerke und das System der behördlichen Überwachung. Er legt die vollständige Erfüllung der Verpflichtungen des Übereinkommens durch die Bundesrepublik Deutschland dar und wird der erstmals stattfindenden Überprüfungskonferenz des Übereinkommens vorgelegt.

    Über diesen Bericht hinaus setzt sich die Bundesregierung nach eigenen Angaben nachdrücklich für die Anwendung hoher Sicherheitsstandards auch in anderen Staaten ein. Dazu verfolge sie neben Kooperationen mit praktisch allen wichtigen Kernenergiestaaten der Welt insbesondere eine immer engere technologische Zusammenarbeit der Reaktorsicherheit mit Frankreich. Die obersten Sicherheitsbehörden beider Staaten entwickeln gemeinsam deutsch-französische Sicherheitsanforderungen an künftige Kernkraftwerke.298

    149. In Wien unterzeichnete die Bundesrepublik Deutschland am 22. September 1998 das Zusatzprotokoll zum Übereinkommen vom 5. April 1973 (Verifikationsabkommen) zwischen den Nichtkernwaffenstaaten der Europäischen Atomgemeinschaft, der Europäischen Atomgemeinschaft und der Internationalen Atomenergie-Organisation in Ausführung von Art. III Abs. 1 und 4 des Vertrages über die Nichtverbreitung von Kernwaffen.299 Das Zusatzprotokoll verfolgt das Ziel, die Kontrollbefugnisse der Internationalen Atomenergie-Organisation (IAEO), die auf dem Vertrag vom 1. Juli 1968 über die Nichtverbreitung von Kernwaffen300 und, für die europäischen Nichtkernwaffenstaaten, dem Verifikationsabkommen vom 5. April 1973301 beruhen, zu verstärken. Zu Beginn der 90er Jahre stellte sich heraus, daß im Irak, in Nordkorea und in Südafrika trotz bestehender IAEO-Kontrollabkommen heimlich Atombombenprogramme durchgeführt wurden. Der IAEO soll nun durch die verstärkten Befugnisse im Zusatzprotokoll die Möglichkeit gegeben werden, sich zu vergewissern, daß es in den Staaten, die der Kontrolle der IAEO unterliegen, kein nicht deklariertes Kernmaterial und keine nicht deklarierten Tätigkeiten gibt.

    Das Zusatzprotokoll umfaßt neben einer Präambel 18 Artikel und drei Anlagen. In ihrer Denkschrift zum Zusatzprotokoll302 führte die Bundesregierung aus, daß es einen Erfolg der deutschen Verhandlungsführung dargestellt habe, daß das Vorwort des dem Zusatzprotokoll zugrunde liegenden Modellprotokolls nicht in die endgültige Fassung übernommen wurde und das Universalitätsprinzip sich zu einem großen Teil durchgesetzt habe. Dieses Vorwort regelte die Frage, was die Kern- und Nichtkernwaffenstaaten aus dem Modellprotokoll übernehmen sollten. Die Bundesregierung habe den Standpunkt vertreten, daß auch die Kernwaffenstaaten aus Gründen der Effektivität und Effizienz des Systems, aber vor allem auch zur Vermeidung von Wettbewerbsnachteilen für die Nichtkernwaffenstaaten zumindest einen Großteil der Vorschriften übernehmen müßten. Die USA haben alle Vorschriften des Modellprotokolls übernommen, Rußland, Großbritannien, Frankreich und China haben beachtliche Teile des Modellprotokolls übernommen.

    In der Präambel des Zusatzprotokolls werden seine wesentlichen Zielsetzungen aufgeführt, insbesondere größere Effektivität und Effizienz des Safe-Guard-Systems, Vermeidung von Behinderung der friedlichen nuklearen Aktivitäten, Beachtung der geltenden Gesundheits-, Sicherheits-, Objektschutz- und sonstigen Sicherheitsvorschriften und die Rechte des einzelnen, Schutz der Geschäfts-, Technologie- und Betriebsgeheimnisse sowie andere vertrauliche Informationen und Beschränkung der Kontrollmaßnahmen auf das Erforderliche. Das Verhältnis des Zusatzprotokolls zum zugrundeliegenden Verifikationsabkommen ist in Art. 1 derart geregelt, daß die Bestimmungen des Verifikationsabkommens, soweit sie für das Zusatzprotokoll relevant und mit ihm vereinbar sind, gelten. Im Konfliktfall gehen die Regelungen des Zusatzprotokolls vor. Die beiden Eckpfeiler des neuen, verbesserten Safe-Guard-Systems sind in Art. 2 und in den Art. 4 ff. niedergelegt. Gemäß Art. 2 werden die Staaten verpflichtet, der IAEO eine Reihe von Informationen zu übermitteln, die sich nicht unmittelbar auf Kernmaterial beziehen, sondern auf Aktivitäten, die mit dem Kernkreislauf in Zusammenhang stehen. Aufgrund dieser Informationen wird erwartet, daß die IAEO die Möglichkeit bekommt, frühzeitig beurteilen zu können, ob sich ein Staat auf die friedliche Kernenergienutzung beschränkt oder ein illegales nukleares Parallelprogramm betreibt. Die Art. 4 ff. enthalten Vorschriften über den sog. erweiterten Zugang, d.h. die Regelung von Inspektionsmöglichkeiten durch IAEO-Inspektoren über die vom Verifikationsabkommen vorgesehenen Zugangsrechte hinaus. In der Anlage I sind 15 Firmentätigkeiten aufgeführt, deren Ausübung zur Informationsabgabe gemäß Art. 2, Abschnitt a, Ziff. iv sowie zur Erduldung der damit verbundenen erweiterten Inspektion verpflichtet. Die Anlage II enthält in Verzeichnis der Ausrüstungen und nicht nuklearen Materialien, deren Aus- und Einfuhr nach Art. 2 zu melden ist. In der Anlage III ist schließlich eine Reihe unterschiedlicher Probleme geregelt.

    150. Das Bundesumweltministerium äußerte sich im Berichtszeitraum zur deutsch-russischen Zusammenarbeit auf dem Gebiet des physischen Schutzes von Kernmaterial seit dem Jahre 1992. Das Bundesumweltministerium hatte am 21. Dezember 1995 mit dem Ministerium für Kernenergie der russischen Föderation und am 4. September 1997 mit der atomrechtlichen Aufsichts- und Genehmigungsbehörde der russischen Föderation Vereinbarungen über die Zusammenarbeit auf dem Gebiet des physischen Schutzes von Kernmaterial und kerntechnischen Anlagen geschlossen. Das Bundesumweltministerium nahm folgende Bewertung vor:

"Die Zusammenarbeit verlief in einem sehr kooperativen und sehr freundschaftlichen Arbeitsklima. Es konnten beide Seiten aus der bisherigen Zusammenarbeit positive Anregungen für den eigenen nationalen physischen Schutz entnehmen. Es war deutlich erkennbar, daß die Seminare, Workshops und Hospitationen sowie die Konferenz dazu beigetragen haben, die nationalen Vorschriften und die Vorgehensweisen zum physischen Schutz von Kernmaterial zu verbessern. Durch die gemeinsame Nachrüstung des physischen Schutzes des Bochvar-Instituts konnte gezeigt werden, daß trotz unterschiedlicher staatlicher Vorgaben und Randbedingungen beider Staaten ein für beide Staaten ausreichender physischer Schutz des Kernmaterials im Bochvar-Institut gegen Entwendung erreicht werden kann.

Es ist vorgesehen, die Zusammenarbeit in den nächsten Jahren weiter fortzusetzen. Neben einer weiteren kerntechnischen Anlage in der russischen Föderation soll die Arbeit an den Grundlagen des physischen Schutzes (Regeln und Richtlinien sowie deren Umsetzung) fortgesetzt werden. Darüber hinaus sind auch konkrete Fragen des physischen Schutzes in einzelnen Genehmigungsverfahren von Bedeutung."303



    295 BGBl. 1998 II, 1752.

    296 Umwelt Nr. 5/1998, 243 f.; Nr. 6/1998, 299; Nr. 7-8/1998, 396 f.; Nr. 10/1998, 492 f.

    297 Vgl. zum Inhalt des Übereinkommens Bank (Anm. 1), Ziff. 170.

    298 Umwelt Nr. 9/1998, 443 f.

    299 BGBl. 2000 II, 70. Das Zustimmungsgesetz erging am 29.1.2000.

    300 BGBl. 1974 II, 785; 1976 II, 552.

    301 BGBl. 1974 II, 794; 1980 II, 102.

    302 BT-Drs. 14/1416 vom 20.7.1999, 88 ff.

    303 Umwelt Nr. 10/1998, 491.