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Völkerrechtliche Praxis der Bundesrepublik Deutschland im Jahre 1998


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Karen Raible


XVII. Friedenssicherung und Kriegsrecht

1. Abrüstung und Rüstungskontrolle

    226. Im Berichtszeitraum kam es zur Unterzeichnung zahlreicher Übereinkommen auf dem Gebiet der Abrüstung und der Rüstungskontrolle. Am 26. Januar 1998 unterzeichnete die Bundesrepublik Deutschland das Übereinkommen der Vereinten Nationen zur Bekämpfung des Bombenterrorismus. Bundesaußenminister Kinkel erklärte anläßlich der Unterzeichnung in New York:

"Deutschland hat heute als einer der ersten Staaten die bisher umfassendste internationale Terrorismuskonvention unterzeichnet. Das VN-Übereinkommen zur Bekämpfung des Bombenterrorismus, das Deutschland zusammen mit den G 8-Staaten in die Vereinten Nationen eingebracht hatte, ist ein entschlossener Schritt der Weltorganisation zur Bekämpfung des Terrorismus. Die Beratungen in den Vereinten Nationen haben in aller Deutlichkeit gezeigt, daß die internationale Staatengemeinschaft nicht bereit ist, die weltweite Gefährdung ihrer Bürger durch terroristische Verbrecher hinzunehmen."566

    Das Übereinkommen deckt ein wesentlich breiteres Spektrum von Straftatbeständen als bereits bestehende Terrorismuskonventionen ab. Während diese Reaktionen auf spezifische terroristische Gewaltverbrechen, wie z.B. Geiselnahmen, waren, erfaßt das neue Übereinkommen erstmals einen breiten Rahmen terroristischer Anschläge mit internationalem Bezug. Erfaßt werden Anschläge mit Explosivstoffen oder anderen tödlichen Mitteln, einschließlich radioaktiver, chemischer oder biologischer Materialien und Gifte. Außerdem werden die Mitgliedstaaten des Übereinkommens aufgefordert, terroristische Straftäter vor Gericht zu stellen oder sie auszuliefern.

    227. Am 9. September 1998 wurde das Übereinkommen zwischen der Regierung der Bundesrepublik Deutschland und der Regierung der Französischen Republik, der Regierung der Italienischen Republik und der Regierung des Vereinigten Königreichs Großbritannien und Nordirland zur Gründung der gemeinsamen Organisation für Rüstungskooperation (Organisation Conjointe de Coopération en Matières d'Armement) OCCAR unterzeichnet.567 Die vier Unterzeichnerstaaten des Übereinkommens, die in der quadrolateralen Rüstungsstruktur OCCAR aufgrund der administrativen Vereinbarung bereits seit dem 12. November 1996 zusammenarbeiten, verpflichten sich in dem Übereinkommen zur:

- Stärkung der Rüstungskooperation auf dem Gebiet der Verteidigungsausrüstung zwecks Herausbildung einer europäischen Sicherheits- und Verteidigungsidentität durch Effizienzerhöhung und Kostenverringerung zur Erzielung eines optimalen Kosten-/Nutzen-Verhältnisses aufgrund der Entwicklung optimierter Managementverfahren;
- Verbesserung der Wettbewerbsfähigkeit der europäischen industriellen und technologischen Rüstungsbasis;
- Orientierung der Beschaffungskriterien am Wettbewerb unter Abkehr vom "juste retour"-Prinzip.

    Ausgehend von der genannten administrativen Vereinbarung vom November 1996, werden mit dem Übereinkommen die allgemeine Organisationsstruktur und die Aufgaben der OCCAR festgelegt sowie ihre Regelungen u.a. zu Vorrechten und Immunitäten, Abstimmungsmodalitäten und Sicherheitsbestimmungen getroffen. Sitz der OCCAR ist Bonn. Nachdem im Ständigen Rat der WEU eine Zustimmung zur Etablierung von OCCAR als Hilfsorgan der WEU nicht zu erreichen war, ist es Ziel des Übereinkommens und der vier Unterzeichner-Staaten, OCCAR mit einem Rechtsstatus zu versehen.568

    228. Ebenfalls ergingen im Berichtszeitraum einige Zustimmungsgesetze zu Übereinkommen auf dem Gebiet der Abrüstung und der Rüstungskontrolle. Durch Gesetz vom 30. April 1998 wurde dem Übereinkommen über das Verbot des Einsatzes, der Lagerung, der Herstellung und der Weitergabe von Antipersonenminen und über deren Vernichtung, das von der Internationalen Diplomatischen Konferenz am 18. September 1997 in Oslo angenommen und von der Bundesrepublik Deutschland auf der Internationalen Zeichnungskonferenz am 3. Dezember 1997 in Ottawa unterzeichnet wurde, zugestimmt.569

    Am 13. Januar 1998 erklärte Bundesaußenminister Kinkel zur Billigung des Gesetzentwurfs zum Übereinkommen:

"Deutschland erfüllt bereits wichtige Voraussetzungen für die innerstaatliche Umsetzung des Verbotsübereinkommens:
1. Alle Antipersonenminen der Bundeswehr sind vernichtet. Damit ist die Bundeswehr eine der ersten Armeen weltweit, die die Vernichtung ihrer Bestände abgeschlossen hat.
2. In Deutschland gilt ein unbefristetes Exportverbot für Antipersonenminen.
3. Jeder Umgang mit Antipersonenminen unterliegt bereits jetzt der Genehmigungspflicht nach dem Kriegswaffenkontrollgesetz. Das hat dazu geführt, daß in Deutschland keine Antipersonenminen mehr produziert werden. Durch ein spezielles Ausführungsgesetz für die innerstaatliche Umsetzung der Verbotsbestimmungen des Ottawa-Übereinkommens wird der Umgang mit Antipersonenminen gesetzlich verboten und unter Strafe gestellt werden."570

    Anläßlich der am 23. Juli 1998 erfolgten gemeinsamen Hinterlegung der deutschen und französischen Ratifikationsurkunde für das Übereinkommen erklärte der Bundesaußenminister am 24. Juli 1998:

"Deutschland war einer der stärksten Befürworter eines generellen Antipersonenminenverbots. Am 3. Dezember 1997 habe ich das Übereinkommen zusammen mit den Vertretern von 120 Staaten in Ottawa unterzeichnet. Heute, nur knapp sieben Monate später, haben Deutschland und Frankreich gemeinsam ihre Ratifikationsurkunden beim Generalsekretär der Vereinten Nationen hinterlegt. Mit der gemeinsamen Hinterlegung wollen wir deutlich machen, daß der deutsch-französische Motor auch die internationalen Abrüstungsbemühungen vorantreibt. ...

Ich habe im letzten Jahr einen Antipersonenminenbeauftragten ins Auswärtige Amt berufen, der sich speziell um Fragen der Minenräumung kümmert. Ein Schwerpunkt der deutschen Bemühungen in diesem Bereich ist die Förderung von mechanischen Minenräumgeräten, mit denen Antipersonenminen schneller und gefahrloser als bisher beseitigt werden können."571

    In seiner Rede zur Eröffnung der 2. Internationalen Expertenkonferenz zum Einsatz moderner Minenräumtechnologie am 1. Juli 1998 in Karlsruhe nannte Bundesaußenminister Kinkel vier Punkte, auf die es im Kampf gegen Antipersonenminen ankomme:

"Erstens: Weltweite Geltung des Abkommens von Ottawa. Die USA, Rußland, China, alle, die noch zögern, müssen beitreten.

Zweitens: Noch mehr Aufklärung und Warnungen in allen betroffenen Ländern über die Gefahren der Minen - vor allem für Kinder.

Drittens: Bessere Versorgung und Betreuung der Opfer, damit sie ein menschenwürdiges Leben führen können.

Viertens: Mehr Geld für das Aufspüren und Räumen der Minen. Obwohl wir haushaltsmäßig mit dem Rücken zur Wand stehen, hat die Bundesregierung seit 1993 über 66 Mio. DM dazu bereitgestellt - und zusätzlich 28 % der EU-Mittel von 245 Mio. DM; 1998 kommen national weitere 20 Mio. DM und auf EU-Ebene 30 Mio. DM hinzu."572

    Er erklärte des weiteren:

"Deutschland ist bereit, als internationale Koordinierungsstelle für mechanisches Minenräumen zur Verfügung zu stehen. Wir brauchen dazu zweierlei:
Erstens: eine Zusammenstellung aller auf der Welt verfügbaren Minenräumgeräte.
Zweitens: möglichst konkrete Anforderungsprofile von den betroffenen Ländern.
Eine enge Zusammenarbeit zwischen Geber- und betroffenen Ländern ist entscheidend für den Erfolg. Entminung ist heute für viele Länder Voraussetzung für wirtschaftliche Entwicklung und die Rückkehr von Flüchtlingen. Auch deshalb müssen wir helfen. Aber nur wenn diese Länder selbst das Minenproblem aktiv angehen, wird eine schnelle Lösung erreichbar sein. Ich unterstütze daher alle nationalen Anstrengungen auf diesem Gebiet und biete deutsche Hilfe beim Aufbau von Institutionen an."573

    229. Dem Vertrag vom 24. September 1996 über das umfassende Verbot von Nuklearwaffen wurde durch Gesetz vom 9. Juli 1998 zugestimmt.574 Der Vertrag über das umfassende Verbot von Nuklearversuchen enthält ein überprüfbares Verbot aller Versuchsexplosionen von Kernwaffen und anderer nuklearer Explosionen in allen Testmedien (Erdkruste, Atmosphäre, Weltraum und Weltmeere).

    In ihrer Denkschrift zum Vertrag erinnerte die Bundesregierung am 9. März 1998 an die anläßlich der Zeichnung des Vertrages am 24. September 1996 von der Bundesrepublik Deutschland abgegebene rechtswahrende nationale Erklärung, die keinen Vertragsvorbehalt darstelle:

"Die Bundesregierung geht davon aus, daß dieser Vertrag niemals so ausgelegt oder angewandt werden darf, daß er die Erforschung und Entwicklung der kontrollierten thermonuklearen Fusion sowie deren wirtschaftliche Nutzung behindert oder unterbindet."575

    Nach Ansicht der Bundesregierung kommt dem Vertrag bei den Bemühungen der internationalen Staatengemeinschaft um nukleare Nichtverbreitung und Abrüstung wesentliche Bedeutung zu:

"Er leistet mit seinem umfassenden Verbot von Nuklearversuchen einen wesentlichen Beitrag zur nuklearen Nichtverbreitung und ist zugleich ein wichtiger Teilschritt in Richtung auf das Ziel nuklearer Abrüstung, so wie es in Art. VI des NVV und in anderen Dokumenten niedergelegt ist. Letzteres ergibt sich daraus, daß der Vertrag die Weiterentwicklung und qualitative Verbesserung von Kernwaffen einschränkt und damit - wie in der Präambel des Vertrags ausgeführt - der Entwicklung neuer Arten von Kernwaffen ein Ende setzt.

Die Bedeutung des umfassenden Testverbots liegt zum einen darin, daß es den Vertragsstaaten mit Kernwaffen die Durchführung von Nukleartests in allen Testmedien untersagt. Zum anderen verhindert der Vertrag, daß Vertragsstaaten ohne Kernwaffen mithilfe von Nukleartests einsatzfähige Kernwaffen entwickeln. Der Vertrag kann zwar den Bau einfacher Kernwaffen der ersten Generation (Fissionswaffen) nicht vollständig verhindern. ... Es ist aber davon auszugehen, daß ohne Tests der Bau entwickelter Kernwaffen und insbesondere der Übergang von einfachen Fissionssprengköpfen zu fusionsverstärkten Waffendesigns oder gar thermonuklearen Fusionswaffen der zweiten Generation nicht möglich ist. ...

Nicht zuletzt trägt der Vertrag dazu bei, daß der Kontamination der Natur, insbesondere der Testgebiete, durch die künstliche Radioaktivität der Nuklearexplosionen ein Ende gesetzt wird."576

    Ein Ausführungsgesetz zum Vertrag vom 24. September 1996 über das umfassende Verbot von Nuklearversuchen erging am 23. Juli 1998.577 In der Begründung ihres Gesetzentwurfs führte die Bundesregierung am 9. März 1998 aus, daß sich für die Bundesrepublik Deutschland aus dem Vertrag ein Gebot zur Schaffung von Eingriffsermächtigungen zur Durchführung der im Vertrag vorgesehenen Inspektionen sowie zur Erweiterung des Strafrechts im Hinblick auf Nuklearexplosionen ergebe.578

    230. Am 3. Dezember 1998 ist das revidierte Minenprotokoll in Kraft getreten. Das Minenprotokoll ist ein Zusatzprotokoll zum Waffenübereinkommen der Vereinten Nationen von 1980, das bestimmte konventionelle Waffen, die übermäßige Verletzungen verursachen oder unterschiedslos wirken können, verbietet oder ihren Einsatz beschränkt. Das revidierte Minenprotokoll bezieht sich nun auch auf innerstaatliche bewaffnete Konflikte und enthält insbesondere verschärfte Bestimmungen über Einsatz und Transfer von Antipersonenminen. Schutzmaßnahmen für die Zivilbevölkerung werden ausgebaut und verbessert. Personen, die gegen Bestimmungen des Protokolls verstoßen und dadurch Zivilisten töten oder schwer verletzen, machen sich individuell strafbar. Im Gegensatz zum Übereinkommen über das Verbot des Einsatzes, der Lagerung, der Herstellung und der Weitergabe von Antipersonenminen und über deren Vernichtung enthält das Minenprotokoll Minentypen, die vom Übereinkommen nicht erfaßt werden, und bezieht Staaten ein, die dieses Übereinkommen bisher nicht gezeichnet haben.579

    231. In ihrer Antwort auf die Kleine Anfrage der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen zum Schutz vor biologischen Waffen (II): Neue Risiken und Perspektiven, erklärte die Bundesregierung am 28. April 1998, daß sie gemeinsam mit ihren Partnern in der Europäischen Union sich nachdrücklich dafür einsetze, das Übereinkommen über das Verbot von bakteriologischen (biologischen) und von Toxinwaffen (BWÜ) durch ein Verifikationsprotokoll zu ergänzen. Sie sei der Auffassung, daß sich das angestrebte Verifikationsprotokoll zum BWÜ und effiziente, international abgestimmte Exportkontrollen ergänzen. Die Bundesregierung befürworte ferner eine Überprüfung der Exportkontrollen im Lichte der Implementierung des Verifikationsprotokolls durch die einzelnen Vertragsstaaten.

    Außerdem teilte die Bundesregierung mit, daß nach ihrer Auffassung und der ihrer wichtigsten Partnerstaaten mit B-Waffen-Anschlägen durch Terroristen derzeit nicht zu rechnen sein. Terroristische Gruppierungen mit politischer, religiöser oder ideologischer Motivation haben Massenvernichtungsmittel in Deutschland und Europa bisher nicht eingesetzt. Auch konkrete Drohungen terroristischer Gruppen oder spezifische Hinweise darauf seien bisher nicht nachweisbar. Auf die Frage, welche Vorsichtsmaßnahmen und Auflagen gegenwärtig existieren, um innerhalb Europas und dort der Bundesrepublik Deutschland den mißbräuchlichen, kommerziellen Erwerb von B-Waffen-fähigen Agenzien zu verhindern, antwortete die Bundesregierung:

"B-Waffen-fähige Agenzien unterliegen den Bestimmungen des KWKG. Es besteht in der Bundesrepublik Deutschland ein umfassendes Verbot der Entwicklung, Herstellung, des Handels und sonstiger Umgangsformen mit biologischen Waffen (�18 KWKG); dieses Verbot erstreckt sich auch auf alle Arten der Förderung solcher Aktivitäten. Ein Verstoß dagegen ist mit hohen Strafen belegt. Die Ermittlungsbehörden gehen allen Anhaltspunkten nach, die auf Verstöße gegen das Verbot des � 18 KWKG hinweisen. Es besteht eine enge Zusammenarbeit mit den zuständigen Stellen in anderen europäischen Staaten. B-Waffen-fähige Agenzien unterliegen ferner Exportkontrollen nach dem Außenwirtschaftsgesetz."580

    232. Auf die Kleine Anfrage betreffend Nuklearwaffen in Europa nahm die Bundesregierung am 28. April 1998 erneut Stellung zum Gutachten des Internationalen Gerichtshofes vom 8. Juli 1996 zur Legalität der Drohung mit oder dem Einsatz von Atomwaffen. Auf die Frage, in welchen Fällen die Bundesregierung einen Einsatz von Atomwaffen für nicht gegen die territoriale Unversehrtheit oder politische Unabhängigkeit eines Staates gerichtet halte, erwiderte die Bundesregierung:

"Der Internationale Gerichtshof (IGH) hat einstimmig festgestellt, daß Androhung oder Einsatz von Nuklearwaffen, die nicht in Einklang mit Artikel 2 Abs. 4 sowie Artikel 51 der VN-Charta erfolgen, völkerrechtswidrig sind. Der Internationale Gerichtshof hat ebenfalls festgestellt, das gegenwärtige Völkerrecht kenne kein Verbot der Androhung oder des Einsatzes von Nuklearwaffen in einem extremen Fall der Selbstverteidigung, in dem die Existenz des Staates auf dem Spiel steht. Diese Feststellungen geben auch die Auffassung der Bundesregierung wieder."581

    Im Rahmen der gleichen Kleinen Anfrage gab die Bundesregierung Auskunft über den Stand der deutsch-französischen Konsultationen über die Rolle der nuklearen Abschreckung im Kontext der europäischen Verteidigungspolitik:

"Das auf dem deutsch-französischen Gipfel am 9. Dezember 1996 verabschiedete gemeinsame Sicherheits- und Verteidigungskonzept bildet den Rahmen für die Fortentwicklung der bilateralen deutsch-französischen Beziehungen für Sicherheit und Verteidigung. Beide Länder sind entschlossen, gemeinsam die Entwicklung einer europäischen Sicherheits- und Verteidigungsidentität innerhalb einer erneuerten Allianz sowie die verteidigungspolitische Perspektive des EU-Vertrages voran zu bringen. Das umfassende Konzept stellt einen gemeinsamen Ansatz hierfür sowie für die Aufgaben der Streitkräfte dar. In diesem Zusammenhang haben beide Länder hier ihre Bereitschaft bekundet, auch einen Dialog über die Rolle der nuklearen Abschreckung im Kontext der europäischen Verteidigungspolitik zu schaffen. Dieser Dialog wird im gemeinsamen Verständnis erfolgen, daß die höchste Sicherheitsgarantie der Verbündeten durch die strategischen Nuklearstreitkräfte des Bündnisses, insbesondere der Vereinten Staaten, sichergestellt wird. Die unabhängigen Nuklearstreitkräfte des Vereinigten Königreichs und Frankreichs, die eine ihnen eigene Abschreckungsfunktion erfüllen, tragen zur globalen Abschreckung und Sicherheit der Verbündeten insgesamt bei. Ein solcher Dialog eröffnet auch neue Möglichkeiten für ein gemeinsames Verständnis, das alle Bündnispartner - einschließlich Großbritannien - einschließt."582

    233. Im Berichtszeitraum bildeten die Atomtests in Indien und Pakistan Gegenstand mehrfacher Stellungnahmen der Bundesregierung. Im Rahmen einer Großen Anfrage zu den Beziehungen zwischen Indien und der Bundesrepublik Deutschland erklärte die Bundesregierung am 5. Mai 1998, daß sie sich bemühe, in multilateralen Foren sowie im Rahmen der 1993 vereinbarten Nichtverbreitungskonsultationen zwischen Deutschland und Indien und bei sonstigen bilateralen Kontakten die indische Regierung dafür zu gewinnen, dem Vertrag über die Nichtverbreitung von Kernwaffen beizutreten und den Vertrag über das umfassende Verbot von Nuklearversuchen zu zeichnen sowie zur Übernahme von Verpflichtungen aus dem Safeguards-Verstärkungsprogramm 93 + 2 zu bewegen. Sie gab ferner an, daß anders als im nuklearen Bereich Indien im Bereich biologische und chemische Waffen in bestehende internationale Kontrollsysteme integriert sei. Indien sei Vertragsstaat des B-Waffenübereinkommens und des C-Waffenübereinkommens und arbeite mit der Bundesregierung aktiv in den Gremien beider Übereinkommen zusammen.583

    Zu der Erklärung des indischen Ministerpräsidenten Atal Birhari Vajpayee, Indien habe drei atomare Sprengsätze gezündet, erkläre Bundesaußenminister Kinkel am 11. Mai 1998:

"Ich fordere die neue indische Regierung dazu auf, zur Politik der nuklearen Zurückhaltung ihrer Vorgänger zurückzukehren und die Unterzeichnung des Atomteststop-Vertrags sobald als möglich nachzuholen."584

    Zu dem wenig später stattfindenden pakistanischen Atomtest erklärte Bundesaußenminister Kinkel am 28. Mai 1998:

"Die Bundesregierung verurteilt die heutigen pakistanischen Atomtests. Regierungen aus aller Welt haben in den vergangenen Wochen an Pakistan appelliert, Zurückhaltung zu üben. Die pakistanische Regierung hat diese Appelle mißachtet und auf die von allen Seiten verurteilten indischen Nukleartests mit gleicher Münze reagiert. Damit hat sich auch Pakistan über den Willen der Staatengemeinschaft nach einer endgültigen Einstellung aller Atomtests hinweggesetzt. Ich fordere Indien und Pakistan nachdrücklich dazu auf, jede weitere Eskalation zu vermeiden. Frieden und Stabilität in Südasien sind nur durch Dialog, nicht durch ein nukleares Wettrüsten zu erreichen."585

Zur erneuten pakistanischen nuklearen Testserie erklärte Bundesaußenminister Kinkel am 30. Mai 1998:

"Der Weltsicherheitsrat der Vereinten Nationen muß jetzt unverzüglich erneut zusammentreten und sich mit der zweiten pakistanischen Atomtestserie befassen. Der Weltsicherheitsrat ist schlechthin das Gremium, das dafür sorgen muß, daß diese irrsinnige atomare Spirale zum Stillstand kommt. Insbesondere muß der Weltsicherheitsrat dafür sorgen, daß Indien und Pakistan den beiden umfassenden Nuklearverträgen - den Atomteststop-Vertrag und den Atomwaffensperrvertrag - unverzüglich beitreten. Es darf nicht dazu kommen, daß der nukleare Wettlauf der Schwellenländer jetzt ungezügelt fortgesetzt wird. Insbesondere Indien, das durch seine Tests die Nuklearspirale in Gang gesetzt hat, muß jetzt globale Verantwortung beweisen und seinerseits auf eine Antwort auf die zweite pakistanische Testserie verzichten. Dadurch könnte die indische Regierung trotz allem, was bereits geschehen ist, Größe beweisen."586

    Auch der Bundestag übte Kritik und bezeichnete die von Indien durchgeführten Atomtests und die in Reaktion darauf von Pakistan vollzogen Nuklearversuche am 28. Mai 1998 als eine schwere Erschütterung für das internationale Regime zur Nichtweiterverbreitung von Atomwaffen. Nach Auffassung des Bundestages sind die Risiken nuklearer Weiterverbreitung nunmehr erheblich gestiegen. Indien und Pakistan haben mit diesen Tests eine weltweit akzeptierte Hemmschwelle überschritten. Die atomaren Kapazitäten Indiens und Pakistans geben keine Sicherheit, sondern tragen vielmehr zu einer Verschärfung der Spannungen bei und provozieren Instabilitäten sowie einen Rüstungswettlauf in der Region. Indien und Pakistan sollen deshalb zu einer verantwortungsvollen Politik zurückfinden und die Bundesregierung solle sich deshalb dafür einsetzen, daß beide Staaten auf weitere Versuche verzichten, umgehend dem Atomteststopabkommen beitreten sowie den Nichtverbreitungsvertrag zeichnen.587

    234. In ihrer Antwort auf die Kleine Anfrage betreffend Verhandlungen über die Lieferung von hochangereichertem Uran aus Rußland für den Forschungsreaktor München II (FRM II) gab die Bundesregierung am 7. Mai 1998 an, daß entgegen der Behauptung der Fragesteller es kein "internationales Tabu gegen neue HEU-Reaktoren" gebe. Zudem verwies sie darauf, daß alle zur Zeit vorhandenen deutschen Forschungsreaktoren in die internationalen Bemühungen um Umstellung auf niedrig angereichertes Uran eingebunden sind. Die mit dem Forschungsreaktor München II (FRM II) angestrebten wissenschaftlichen Ziele können jedoch mit niedrig angereichertem Uran nicht erreicht werden.588

    235. In der Generalversammlung der Vereinten Nationen bezog der österreichische Vertreter Sucharipa im Namen der Europäischen Union am 2. November 1998 Stellung zum Bericht der International Atomic Energy Agency und nannte die kernwaffenbezogenen Themen, die sich der internationalen Gemeinschaft im neuen Jahrtausend stellen würden:

"- One of these fields is that of international nuclear law, where attention will have to be given not only to its further development but also to the implemetation or strengthening of existing instruments, particularily in the fields of safety and liability.
- Furthermore, we have to be aware that an increasing number of nuclear powerstations worldwide approached the end of their life cycle. Consequently, questions concerning the decommissioning of such plants or the extension of their life cycle will have to be given adequate tension.
- Looking at the nuclear disarmament and non-proliferation sectors, another likely future task of the international community has already been referred to in this statement: if, as we sincerely hope, the negotiation on a fissile material cut-off are brought to a successful conclusion soon, the parties to such an agreement will be faced with a major challenge of implementing the verification provisions of this instrument in a way that makes maximum use of existing benefication know-how and is as cost-efficient as possible."589

    236. Am 7. Dezember 1998 antwortete Bundesaußenminister Fischer auf die Schriftliche Parlamentarische Anfrage, ob die Bundesregierung an der völkerrechtlichen Verurteilung der Drohung mit bzw. des Einsatzes von Atomwaffen festhalte, die ihre Vorgängerin noch vor einem Jahr abgegeben habe, wie folgt:

"Neue rechtliche Gesichtspunkte, die eine Ergänzung oder Modifizierung der Beurteilung der Drohung mit bzw. des Einsatzes von Atomwaffen erforderlich machen würden, sind seit der Antwort der Bundesregierung vom 18. November 1997 nicht eingetreten. Die neue Bundesregierung betrachtet die kontrollierte Abrüstung von atomaren, chemischen und biologischen Massenvernichtungswaffen als eine der wichtigsten Aufgaben globaler Friedenssicherung."590

    In ihrer Antwort auf die Kleine Anfrage zum Verzicht auf den Ersteinsatz von Atomwaffen und NATO-Einsätze ohne VN-Mandat machte die Bundesregierung am 28. Dezember 1998 nähere Angaben:

"Mit Blick auf potentielle Bedrohungen hat sich die Fähigkeit des Bündnisses, eine Krise mit diplomatischen und anderen Mitteln zu entschärfen oder, sollte dies notwendig werden, sich auf erfolgreiche konventionelle Verteidigung einzurichten, erheblich verbessert. Umstände, unter denen der Einsatz von Nuklearwaffen in Betracht zu ziehen wäre, sind in äußerste Ferne gerückt."591



    566 Pressearchiv des Auswärtigen Amtes (Anm. 10): http://www.auswaertiges-amt.de/6_archiv/98/p/P980126E.html.

    567 BGBl. 2000 II, 414. Das Zustimmungsgesetz erging am 6.3.2000.

    568 Vgl. die Denkschrift der Bundesregierung vom 9.12.1999, BT-Drs. 14/1709, 28 ff.

    569 BGBl. 1998 II, 778. Vgl. zum Inhalt des Übereinkommens Bank (Anm. 1), Ziff. 253.

    570 Pressearchiv des Auswärtigen Amtes (Anm. 10): http://www.auswaertiges-amt.de/6_archiv/98/p/P980113B.html.

    571 Pressearchiv des Auswärtigen Amtes (Anm. 10): http://www.auswaertiges-amt.de/6_archiv/98/p/P980724A.html.

    572 Bull. Nr. 48 vom 2.7.1998, 625.

    573 Ibid., 625 f.

    574 BGBl. 1998 II, 1210.

    575 BT-Drs. 13/10075, 113.

    576 Ibid., 113 f.

    577 BGBl. 1998 I, 1882.

    578 BT-Drs. 13/10076, 1.

    579 Pressearchiv des Auswärtigen Amtes (Anm. 10): http://www.auswaertiges-amt.de/6_archiv/98/p/P980821A.html.

    580 BT-Drs. 13/10523, 9.

    581 BT-Drs. 13/10566, 4.

    582 Ibid., 7.

    583 BT-Drs. 13/10595, 6.

    584 Pressearchiv des Auswärtigen Amtes (Anm. 10): http://www.auswaertiges-amt.de/6_archiv/98/p/P980511D.html.

    585 Pressearchiv des Auswärtigen Amtes (Anm. 10): http://www.auswaertiges-amt.de/6_archiv/98/p/P980528b.html.

    596 Pressearchiv des Auswärtigen Amtes (Anm. 10): http://www.auswaertiges-amt.de/6_archiv/98/p/P980530A.html.

    587 Blickpunkt Bundestag 1/98, 37.

    588 BT-Drs. 13/10649, 1 f.

    589 Permanent Mission of Austria to the United Nations (Anm. 14): http//www.undp.org/missions/austria/r0211983.htm.

    590 BT-Drs. 14/200, 3.

    591 BT-Drs. 14/241, 4.