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Völkerrechtliche Praxis der Bundesrepublik Deutschland im Jahre 1998


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Karen Raible


XVIII. Kriegs-, Besatzungs- und Teilungsfolgen

    250. Zu seinen Gesprächen mit dem Vizepräsidenten der Jewish Claims Conference, Rabbi Singer, und den darin erfolgten Vereinbarungen gab der Chef des Bundeskanzleramtes Bohl folgende Erklärung ab:

"Die Jewish Claims Conference wird einen Fonds gründen, aus dem jüdische NS-Verfolgte in Osteuropa unterstützt werden, die notleidend sind und bislang keine Entschädigung erhalten haben. Die Bundesregierung wird zu diesem Fonds einen Finanzbeitrag von 200 Millionen D-Mark, verteilt auf 4 Jahre, beginnend 1999 leisten. Die Modalitäten der Leistungen werden durch den Fonds selbst festgestellt werden. Dieser Fonds wird dieselben Kriterien anwenden, die für den Artikel-2-Fonds gelten.

Die Bundesregierung begrüßt es, das die Jewish Claims Conference Bemühungen einleitet, um dem besonderen Verfolgungsschicksal der jüdischen NS-Opfer in Osteuropa mit einem Bündel von Maßnahmen gerecht zu werden. Sie hat ihre Bereitschaft erklärt, dies mit dem genannten Beitrag, der noch die Zustimmung des Haushaltsgesetzgebers finden muß, angemessen zu unterstützen.

Davon unbeschadet wird die Bundesregierung auf der Grundlage ihrer bisherigen Rechtsposition ihre Politik der Entschädigungsleistungen für NS-Opfer in Osteuropa konsequent fortführen. Auch in den mittel- und osteuropäischen Ländern, in denen bisher keine Stiftungen für Entschädigungsleistungen an NS-Opfer eingerichtet sind, wird in Kürze mit der Auszahlung entsprechender Leistungen begonnen werden können. Insgesamt hat die Bundesregierung damit allein seit 1991 fast 1,8 Milliarden D-Mark für Entschädigungsleistungen an NS-Opfer in Osteuropa aufgewandt. Dies macht deutlich, daß die Bundesrepublik Deutschland ihrer historischen Verantwortung auch über 50 Jahre nach Kriegsende gerecht wird."633

    251. Dem Abkommen vom 31. Oktober 1996 zur Änderung des Abkommens vom 8. April 1960 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und dem Königreich der Niederlande über niederländische Kriegsgräber in der Bundesrepublik Deutschland (Kriegsgräberabkommen) wurde durch Gesetz von 19. Mai 1998 zugestimmt.634 Das Änderungsabkommen dehnt den Geltungsbereich des deutsch-niederländischen Kriegsgräberabkommens, das ausdrücklich nur die Fürsorge für bestimmte niederländische Kriegsgräberstätten im Bereich der damaligen Bundesrepublik Deutschland regelt, auf die neuen Bundesländer aus. Außerdem wurde die jährliche Zahl der Besuchsfahrten zu niederländischen Kriegsgräbern in Deutschland, zu deren Übernahme sich der Bund im Abkommen vom 8. April 1960 verpflichtet hat, bis einschließlich 1999 festgelegt.635

    252. Am 4. März 1998 legte die Bundesregierung auf eine Schriftliche Parlamentarische Anfrage dar, wie viele Werke der sogenannten Beutekunst, die von dem NS-Staat im In- und Ausland konfisziert wurden, sich heute noch in deutschem Besitz befinden, und wie viele Werke der sogenannten Beutekunst sich im Besitz der Nachfolgestaaten der ehemaligen Sowjetunion befinden:

"Bereits kurz nach Kriegsende begannen die Alliierten mit der Zusammenführung und Rückführung kriegsbedingt aus Drittstaaten nach Deutschland verbrachte Kulturgüter. Amerikanischen Quellen zufolge wurde im Zeitraum 2. März 1946 bis 30. April 1949 von der US-Militärregierung 1.362.506 Kulturgüter an 14 Länder restituiert, allein an die Sowjetunion 273.645 Kulturgüter. Weitere Restitutionen sind von dem 1945 innerhalb des Geschäftsbereiches des Bundesministeriums der Finanzen errichteten Bundesamt für Äußere Restitution durchgeführt worden.

Deshalb dürften sich heute in Deutschland in öffentlichem Besitz kaum noch Kulturgüter befinden, die der Rückführung unterliegen. In wie weit es im privaten Bereich trotz erfolgter Suchappelle noch Besitz an solchen Kulturgütern gibt, ist naturgemäß nur schwer zu beurteilen und entzieht sich im Einzelnen der Kenntnis der Bundesregierung.

Der Umfang der in die seinerzeitige Sowjetunion kriegsbedingt verbrachten deutschen Kulturgüter kann nur geschätzt werden. Nach Schätzungen von Experten ist davon auszugehen, daß sich in den Nachfolgestaaten der Sowjetunion, insbesondere in Rußland, noch über eine Million kriegsbedingt verbrachter Kulturgüter aus deutschen Museen und Sammlungen, einschließlich ca. 200.000 Kunst- und Kulturschätze von besonderer musealer Bedeutung befinden. In Rußland werden zudem ca. 4,6 Millionen Bücher und rund 3 Regalkilometer Archivgut (darunter nach russischer Auskunft 174.000 Archivarieneinheiten im ehemaligen Sonderarchiv in Moskau) aus Deutschland vermutet. Genauere Zahlen über kriegsbedingt verbrachte deutsche Kulturgüter in den anderen Nachfolgestaaten der Sowjetunion sind derzeit nicht verfügbar."636

    253. Auf eine Kleine Anfrage ging die Bundesregierung am 26. März 1998 auf die innerstaatliche Zuständigkeit zum Erhalt und zur Pflege sowjetischer Denkmäler und Kriegsgräber auf dem Territorium der Bundesrepublik Deutschland ein:

"Entsprechend der innerstaatlichen Kompetenzverteilung des Grundgesetzes ist Denkmalpflege Sache der Länder. Der deutsch-sowjetische Nachbarschaftsvertrag vom 9. November 1990 hat an dieser Zuständigkeit nichts geändert. Vereinbarungen zwischen Bund und Ländern über die Denkmalpflege bei sowjetischen Gedenkstätten gibt es deshalb nicht."637

    Ferner schilderte die Bundesregierung die Zusammenarbeit deutscher und russischer Dienststellen:

"Das Auswärtige Amt steht in Angelegenheiten des Erhalts und der Pflege sowjetischer Denkmäler und Kriegsgräber in ständigem und engem Kontakt mit der Botschaft der russischen Föderation in Bonn und deren Außenstelle in Berlin. Unabhängig davon ist darauf hinzuweisen, daß der Volksbund Deutsche Kriegsgräberfürsorge e.V. vielfältige Kontakte zu russischen Dienststellen hat. Sie sind von einem positiven und kooperativen Geist geprägt."638

    254. Am 24. August 1998 nahm die Bundesregierung zum Bericht der Unabhängigen Kommission zur Überprüfung des Vermögens der Parteien und Massenorganisationen der DDR über das Vermögen der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands (SED), jetzt: Partei des Demokratischen Sozialismus (PDS), des Freien Deutschen Gewerkschaftsbundes (FDGB) sowie der sonstigen politischen Organisationen Stellung.639 Sie stellte zunächst fest, daß nach den Teilabschlußberichten der UKPV aus dem Jahre 1996 über das Vermögen der Christlich Demokratischen Union Deutschlands, der Demokratischen Bauernpartei, der Liberal-Demokratischen Partei Deutschlands und der National-Demokratischen Partei640 sowie der Freien Deutschen Jugend641 die Berichtspflicht der UKPV gemäß den Maßgaben des Einigungsvertrags mit dem jetzt vorgelegten Bericht erfüllt sei. Die Bundesregierung betonte jedoch, daß mit der Vorlage dieser Berichte die Aufgabe der UKPV, deren Tätigkeit gesetzlich unbefristet sei, nicht beendet sei. Die UKPV müsse auch in Zukunft Ermittlungen führen, insbesondere im Ausland zum Vermögen der SED/PDS, erhebliche Vermögenswerte in schwierigen gerichtlichen Verfahren im In- und Ausland sichern, vor allem im Streit um die Firma Novum, die Verwertung des festgestellten und gesicherten Vermögens und die Verwendung für die gesetzlich festgelegten Zwecke begleiten sowie die im Bundestag über die Bundesregierung Nachtragsberichte über die entsprechenden Ergebnisse vorlegen. Aus diesem Grunde sollten die UKPV und ihr Sekretariat gegenwärtig noch nicht aufgelöst werden. In diesem Zusammenhang erklärte die Bundesregierung:

"Nur durch den Fortbestand der Kommission einschließlich ihres Sekretariats kann sichergestellt werden, daß das gesetzliche Ziel - Sicherung der Chancengleichheit der Parteien in der Bundesrepublik Deutschland und Verwendung des seinerzeit materiell-rechtsstaatswidrig erworbenen Vermögens für gemeinnützige Zwecke im Beitrittsgebiet - nicht doch mit Hilfe bisher möglicherweise noch nicht entdeckter Vermögensbestandteile der früheren Parteien und Massenorganisationen der DDR unterlaufen wird."642

    255. Am 5. Juni 1998 beschloß der Bundestag das Gesetz über die Errichtung einer Stiftung zur Aufarbeitung der SED-Diktatur.643 Nach � 1 erhält die Stiftung die Rechtsform einer rechtsfähigen Stiftung des öffentlichen Rechts. Im übrigen enthält das Gesetz Bestimmungen über den Stiftungszweck, das Stiftungsvermögen sowie die Organe der Stiftung und deren Aufgaben. Nach � 2 Abs. 1 ist es vor allem Zweck der Stiftung, Beiträge zur umfassenden Aufarbeitung von Ursachen, Geschichte und Folgen der Diktatur in der sowjetischen Besatzungszone in Deutschland und in der DDR zu leisten. Nach � 5 sind die Organe der Stiftung der Stiftungsrat und der Vorstand.

    256. Am 25. August 1998 beschloß der Bundestag mit Zustimmung des Bundesrates das Gesetz zur Aufhebung nationalsozialistischer Unrechtsurteile in der Strafrechtspflege und von Sterilisationsentscheidungen der ehemaligen Erbgesundheitsgerichte.644 Der Gesetzentwurf wurde am 4. Februar 1998 von der SPD-Fraktion eingebracht645 und im Bundestag zusammen mit zwei anderen Gesetzesentwürfen der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen646 bzw. der Fraktionen der CDU/CSU und der FDP647 beraten.

    In der Begründung zum Gesetzentwurf der SPD-Fraktion zur Aufhebung nationalsozialistischer Unrechtsurteile in der Strafrechtspflege648 wurde beklagt, daß mehr als 50 Jahre nach dem Ende des 2. Weltkrieges immer noch strafrechtliche Urteile bestehen, die eindeutig auf NS-Unrecht basieren. Ein Grund für die Unklarheit über die Gültigkeit einzelner Urteile liege darin, daß die Aufhebung von NS-Unrechtsurteilen in der Nachkriegszeit von den einzelnen Ländern selbständig und z.T. unterschiedlich geregelt worden sei. In den fünf neuen Ländern fehlen zudem klare rechtliche Grundlagen. Zur Klärung der Rechtslage bedürfe es deshalb einer bundesgesetzlichen Regelung, die die Unrechtsurteile aufhebe, die bislang von den Wiedergutmachungsgesetzen der Nachkriegszeit noch nicht erfaßt seien. Vor dem Hintergrund der Tatsache, daß ein großer Teil der Akten durch Kriegseinwirkungen zerstört bzw. von den Gerichten im Hinblick auf den Niedergang des Dritten Reiches selbst vernichtet worden seien, ziele der Entwurf auf eine möglichst weitgehende Aufhebung von NS-Unrechtsurteilen durch Gesetz ab, die eine Einzelfallüberprüfung ausschließe. Bedarf für eine einheitliche bundesrechtliche Regelung ergebe sich außerdem in den Fällen, in denen deutsche Gerichte in den Besatzungsgebieten Recht bzw. Unrecht gesprochen haben. Das sogenannte "Zuständigkeitsergänzungsgesetz" vom 7. August 1952649 enthalte eine Lücke für die vielen Gerichtsurteile, die in den von Deutschen besetzten Gebieten gegen andere Staatsangehörige z.B. polnische oder belgische, ergangen seien.

    � 1 des Gesetzes zur Aufhebung nationalsozialistischer Unrechtsurteile in der Strafrechtspflege (NS-AufhG) lautet:

"Durch dieses Gesetz werden verurteilende strafgerichtliche Entscheidungen, die unter Verstoß gegen elementare Gedanken der Gerechtigkeit nach dem 30. Januar 1933 zur Durchsetzung oder Aufrechterhaltung des nationalsozialistischen Unrechtsregimes aus politischen, militärischen, rassischen, religiösen oder weltanschaulichen Gründen ergangen sind, aufgehoben. Die den Entscheidungen zugrundeliegenden Verfahren werden eingestellt."

    In der Begründung zum Gesetzentwurf der SPD-Fraktion zur Aufhebung von Sterilisationsentscheidungen der ehemaligen Erbgesundheitsgerichte650 wurde zunächst der Wandel in der Bewertung des Erbgesundheitsgesetzes vom 14. Juli 1933651 als typisch nationalsozialistisches Gesetz geschildert, das legislatives Unrecht enthalte und zur Wiedergutmachung verpflichte. Der Gesetzentwurf diene der Umsetzung der am 31. März 1995 beschlossenen Zustimmung des Bundestages zu der Beschlußempfehlung des Petitionsausschusses, ein gesetzliches Verfahren zur Aufhebung von Entscheidungen der ehemaligen Erbgesundheitsgerichte zu schaffen.652

    � 1 Abs. 1 des Gesetzes zur Aufhebung von Sterilisationsentscheidungen der ehemaligen Erbgesundheitsgerichte lautet:

"Die eine Unfruchtbarmachung anordnenden und noch rechtskräftigen Beschlüsse, die von den Gerichten aufgrund des Gesetzes zur Verhütung erbkranken Nachwuchses vom 14. Juli 1993 (Reichsgesetzblatt I S. 529), zuletzt geändert durch Gesetz vom 4. Februar 1936 (Reichsgesetzblatt I S. 119), erlassen worden sind, werden aufgehoben."

    In der Begründung zum Gesetzentwurf erklärte die SPD-Fraktion zudem, daß sie mit der Aufhebung der Gerichtsentscheidungen durch Gesetzesbeschluß einen anderen Lösungsweg als vom Petitionsauschuß des Bundestages vorgeschlagen, beschreite:

"Eine antragsbedingte Aufhebung in einem gerichtlichen Verfahren wäre nur angezeigt, wenn erst nach Einzelfallprüfung die für die Aufhebung entscheidenden Gesichtspunkte festgestellt werden könnten. Dies ist nicht der Fall. Insbesondere ist eine Differenzierung zwischen Anordnungsbeschlüssen der Erbgesundheitsgerichte, die gegen den oder mit dem Willen des Betroffenen ergangen sind, abzulehnen. Bei Berücksichtigung des Gesamtzusammenhangs tragen alle Anordnungsbeschlüsse Zwangscharakter. Der Entwurf spricht sich daher für die Aufhebung aller auf der Grundlage des Erbgesundheitsgesetzes ergangenen Sterilisationsentscheidungen durch Gesetz aus."653



    633 Bull. Nr. 6 vom 26.1.1998, 74.

    634 BGBl. 1998 II, 970.

    635 BT-Drs. 13/7991 vom 18.6.1997, 1; WIB 2/98, 63.

    636 BT-Drs. 13/10121, 2 f.

    637 BT-Drs. 13/10232, 4.

    638 Ibid., 6.

    639 BT-Drs. 13/11353.

    640 BT-Drs. 13/5376 vom 1.8.1996.

    641 BT-Drs. 13/5377 vom 1.8.1996.

    642 Ibid.

    643 BGBl. 1998 I, 1226.

    644 BGBl. 1998 I, 2501.

    645 BT-Drs. 13/9774.

    646 BT-Drs. 13/9747 vom 3.2.1998.

    647 BT-Drs. 13/10013 vom 3.3.1998.

    648 BT-Drs. 13/9774, 6 f.

    649 BGBl. 1952 I, 407.

    650 BT-Drs. 13/9774, 7 ff.

    651 RGBl. 1933 I, 529.

    652 BT-Drs. 13/818.

    653 BT-Drs. 13/9774, 9.