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Völkerrechtliche Praxis der Bundesrepublik Deutschland im Jahre 1999


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Silja Vöneky/Markus Rau


VII. Personalhoheit und Staatsangehörigkeit

1. Staatsangehörigkeit

     27. Am 15. Juli 1999 beschloß der Bundestag mit Zustimmung des Bundesrates das Gesetz zur Reform des Staatsangehörigkeitsrechts.69 Dadurch wurde das Reichs- und Staatsangehörigkeitsgesetz, zuletzt geändert durch Art. 2 des Gesetzes vom 16. Dezember 1997,70 geändert. Durch die Verleihung der deutschen Staatsangehörigkeit bzw. durch den erleichterten Erwerb soll eine bessere Integration der dauerhaft in Deutschland lebenden Ausländer und ihrer hier geborenen Kinder erreicht werden.71 Der Bundesrat hatte dem Gesetz am 21. Mai 1999 zugestimmt.72 Am 1. Januar 2000 trat die Mehrzahl der Änderungen in Kraft.73 Kern der Änderungen ist die Verleihung der deutschen Staatsangehörigkeit an in Deutschland geborene Kinder ausländischer Eltern. Nach § 4 Abs. 3 S. 1 des neuen Staatsangehörigkeitengesetzes (StAngG) erwirbt ein Kind ausländischer Eltern durch die Geburt im Inland die deutsche Staatsangehörigkeit,

     "wenn ein Elternteil (1.) seit acht Jahren rechtmäßig seinen gewöhnlichen Aufenthalt im Inland hat und (2.) eine Aufenthaltsberechtigung oder seit drei Jahren eine unbefristete Aufenthaltserlaubnis besitzt".

     Die Verleihung der Staatsangehörigkeit in diesem Fall knüpft damit vorrangig an die Geburt im Inland an (ius soli-Grundsatz). Es wird, da der Erwerb ausländischer Staatsangehörigkeiten nach dem ius sanguinis-Prinzip möglich bleibt, jedoch eine mehrfache Staatsangehörigkeit dieser in Deutschland geborenen Kinder ausländischer Eltern in Kauf genommen.

     Mit Vollendung des 18. Lebensjahres, d.h. mit Erreichen der Volljährigkeit, und nach einem entsprechenden Hinweis durch die zuständige Behörde, hat ein auf diese Weise zum Mehrstaatler gewordener zu erklären, "ob er die deutsche oder die ausländische Staatsangehörigkeit behalten will".74 Bei dieser sogenannten Optionslösung sieht das geänderte Gesetz drei Alternativen vor: Erklärt der Gefragte, daß er die ausländische Staatsangehörigkeit behalten wolle, so verliert er die deutsche Staatsangehörigkeit mit dem Zugang der Erklärung bei der zuständigen Behörde (§ 29 Abs. 2 S. 1 StAngG); das gilt auch, wenn keine Erklärung bis zur Vollendung des 23. Lebensjahres abgegeben wird (§ 29 Abs. 2 S. 2 StAngG); erklärt der Befragte dagegen, daß er die deutsche Staatsangehörigkeit behalten wolle, so ist er verpflichtet, die Aufgabe oder den Verlust der ausländischen Staatsangehörigkeit nachzuweisen (§ 29 Abs. 3 S. 1 StAngG). Wird dieser Nachweis nicht bis zur Vollendung des 23. Lebensjahres erbracht, so geht grundsätzlich die deutsche Staatsangehörigkeit verloren (§ 29 Abs. 3 S. 2 StAngG). Anderes gilt ausnahmsweise nur, wenn der Betroffene eine Beibehaltungsgenehmigung erhalten oder beantragt hat, was aber vor der Vollendung des 21. Lebensjahres geschehen muß (§ 29 Abs. 3 S. 2 u. 3 StAngG). Innerhalb einer Frist von zwei Jahren muß daher nach dem Gesetz die Staatsangehörigkeitsbehörde über die Beibehaltungsgenehmigung entscheiden. Ein Verlust der deutschen Staatsangehörigkeit tritt allerdings erst dann ein, wenn der Antrag auf Erteilung der Beibehaltungsgenehmigung bestandskräftig abgelehnt wird (§ 29 Abs. 3 S. 4 StAngG).

     Diese Änderungen des Staatsangehörigkeitsgesetzes gingen mit Änderungen des Ausländergesetzes einher. Nach dem Ausländergesetz verkürzt sich die Frist für Anspruchseinbürgerungen von 15 auf acht Jahre (§ 85 Abs. 1 S. 1 AuslG). Erweitert werden außerdem die Tatbestände, in denen eine Mehrstaatigkeit hinzunehmen ist (§ 87 Abs. 1-4 AuslG). Auch nach der Neuregelung bleibt die Mehrstaatigkeit aber der Ausnahmefall (§ 85 Abs. 1 S. 1-4 AuslG).

     Weitere Änderungen des neuen Staatsangehörigkeitsrechts waren, daß ein Ausländer, der sich nicht im Inland niedergelassen hat, dennoch unter den üblichen Voraussetzungen eingebürgert werden kann, wenn Bindungen an Deutschland bestehen, die eine Einbürgerung rechtfertigen (§ 14 i.V.m. §§ 8, 9 StAngG). Neu eingefügt wurde zudem, daß die deutsche Staatsangehörigkeit verloren geht, durch den Eintritt in die Streitkräfte oder einen vergleichbaren bewaffneten Verband eines ausländischen Staates, außer wenn der Betreffende aufgrund eines zwischenstaatlichen Vertrages dazu berechtigt ist (§ 17 Nr. 5, § 28 StAngG).

     Ergänzt wurde auch die Regelung des Verlusts der deutschen Staatsangehörigkeit bei dem Erwerb einer ausländischen Staatsangehörigkeit (§ 25 StAngG). Schon nach dem alten Staatsangehörigkeitsgesetz war die Regel, daß ein deutscher seine Staatsangehörigkeit mit dem Erwerb einer ausländischen Staatsangehörigkeit verliert, aber derjenige die deutsche Staatsangehörigkeit nicht verliert, der vor dem Erwerbe der ausländischen Staatsangehörigkeit auf seinen Antrag die schriftliche Genehmigung der zuständigen Behörde seines Heimatstaates zur Beibehaltung seiner Staatsangehörigkeit erhalten hat. Eingefügt wurde mit der Gesetzesänderung jedoch die Regelung, daß bei der Entscheidung über einen Antrag nach S. 1 die öffentlichen und privaten Belange abzuwägen sind und bei einem Antragsteller, der seinen gewöhnlichen Aufenthalt im Ausland hat, insbesondere zu berücksichtigen ist, ob er fortbestehende Bindungen an Deutschland glaubhaft machen kann (§ 25 Abs. 2 S. 3 u. 4 StAngG).

     Während das geänderte Staatsangehörigkeitenrecht - wie schon der Gesetzentwurf von Abgeordneten aus den Fraktionen der SPD, Bündnis 90/Die Grünen und FDP vom 12. März 199975 - die ergänzende Einführung des ius soli und das sogenannte Optionsmodell vorsieht, basierte der CDU/CSU-Entwurf zur Neuregelung des Staatsangehörigkeitsrechts vom 16. März 199976 auf dem Modell einer Einbürgerungszusicherung. Diese Einbürgerungszusicherung sollte für im Bundesgebiet geborene ausländische Kinder, deren Eltern vor Vollendung des siebten Lebensjahres ihren rechtmäßigen Aufenthalt im Bundesgebiet genommen haben, bei Geburt des Kindes eine unbefristete Aufenthaltserlaubnis oder Aufenthaltsberechtigung besitzen und in den zehn der Geburt unmittelbar vorausgegangenen Jahren rechtmäßig ihren gewöhnlichen Aufenthalt im Bundesgebiet gehabt haben, gelten. Der Erwerb der Staatsangehörigkeit aufgrund dieser Zusicherung ihres Erwerbs sollte dann eintreten, wenn der Zusicherungsbegünstigte aus der ausländischen Staatsangehörigkeit ausscheidet, frühestens jedoch mit Vollendung des 18. Lebensjahres. Die Einbürgerungszusicherung sollte mit Vollendung des 21. Lebensjahres sowie unter weiteren Voraussetzungen, etwa im Fall der Ausweisung, erlöschen. Dieses Modell des Erwerbs der Staatsangehörigkeit aufgrund der Einbürgerungszusicherung hätte nicht den ius soli-Grundsatz eingeführt.

     Ein Verstoß gegen völkerrechtliche Grundsätze nach dem neuen Staatsangehörigkeitengesetz kann jedoch nicht angenommen werden, da eine allgemeine Regel des Völkerrechts, die die Entstehung von Mehrstaatigkeit bei der Verleihung der Staatsangehörigkeit und der Einbürgerung von Ausländern und ihren Familienangehörigen verbietet, nicht besteht.77 Auch ein Verstoß gegen verfassungsrechtliche Vorgaben in Verbindung mit dem ius sanguinis-Prinzip als zentralen Anknüpfungspunkt des Staatsangehörigkeitsrechts liegt nicht vor. Zwar muß nach den verfassungsrechtlichen Vorgaben, wer von einem deutschen Elternteil abstammt, sofern der Bezug zu Deutschland nicht evidentermaßen verlorengegangen ist, auch Deutscher werden.78 Damit ist jedoch nicht ausgeschlossen, daß dieses Prinzip durch ius soli- Elemente ergänzt werden darf.79




    69 BGBl. 1999 I, 1618.

    70 BGBl. 1997 I, 2942.

    71 Plen-Prot. 14/40, 3415 ff.; BT-Drs. 14/533.

    72 BR-Drs. 296/99.

    73 Art. 5 Nr. 3 Gesetz zur Reform des Staatsangehörigkeitsrechts.

    74 § 29 Abs. 1 StAngG.

    75 BT-Drs. 14/533.

    76 BT-Drs. 14/535.

    77 Vgl. nur BVerfGE 37, 217 (218).

    78 Ibid., 248 f.

    79 Ibid., 249.