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Völkerrechtliche Praxis der Bundesrepublik Deutschland im Jahre 1999


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Silja Vöneky/Markus Rau


XIII. Umwelt- und Naturschutz

3. Luftreinhaltung und Klimaschutz

     143. Im Juni 1999 fand in Bonn die zehnte Tagung der Nebenorgane der Klimarahmenkonvention345 für Wissenschaftliche und Technische Beratung (SBSTA) sowie für die Durchführung der Konvention (SBI) statt.346

     Die EU unterstrich unter der deutschen Präsidentschaft - wie seit Beginn des Prozesses - ihre Rolle als Vorreiter und hatte durch Kontakte mit Drittstaaten sowie durch Gespräche mit den deutschen und europäischen Nichtregierungsorganisationen und Vertretern der Wirtschaft aus der EU für konkrete Fortschritte geworben. Dabei gelang es, erste Fortschritte bei der Umsetzung des Aktionsplans von Buenos Aires zu erzielen.

     Deutschland brachte im Namen der EU und der assoziierten Staaten den am 17. Mai 1999 in der EU verabschiedeten Vorschlag zur Festlegung einer konkreten, quantitativen Obergrenze für die Nutzung der Kyoto-Mechanismen ein. Die Kyoto-Mechanismen schließen Emissionshandel und die gemeinsame Umsetzung von Klimaschutzprojekten zwischen Industrieländern (Joint Implementation) sowie zwischen Industrie- und Entwicklungsländern im Rahmen des Mechanismus für umweltverträgliche Entwicklung (Clean Development Mechanism) ein. Ziel des Vorschlages war es, daß die in Kyoto beschlossenen Emissionsreduzierungen mindestens zur Hälfte in den Industriestaaten erbracht werden. Nur wenn die Industriestaaten ihre Verantwortung ernst nähmen und ihre Emissionstrends umkehrten, bestünde mittel- und langfristig auch eine Chance, Entwicklungsländer zur Begrenzung bzw. Reduzierung ihrer Emission zu bewegen. Der Vorschlag enthielt dabei nicht nur eine Begrenzung des Emissionshandels für die Käufer, sondern auch eine Obergrenze für die Verkäufer. Er wurde von der sogenannten Umbrella-Gruppe (Australien, Island, Japan, Canada, Neuseeland, Norwegen, Rußland, Ukraine und den USA) abgelehnt.347

     Im Hinblick auf das Problem des Technologietransfers erklärte sich die EU bereit, den bei der vierten Vertragsstaatenkonferenz eingeleiteten sogenannten Konsultationsprozeß zu unterstützen.348

     In bezug zu den Activities Implemented Jointly (AIJ) erörterten die Nebenorgane, ob und gegebenenfalls wann die Pilotphase beendet werden sollte. Ein endgültiger Beschluß wurde jedoch nicht gefaßt.349

     Nach den Nationalberichten der Annex 1-Staaten zeigte sich für das Jahr 1996 bei der Mehrzahl der Staaten ein Anstieg der Treibhausgasemissionen gegenüber 1995. Viele der genannten Staaten werden daher im Jahr 2000 über dem Emissionsniveau des Basisjahres 1990 liegen. Ab dem Jahr 2003 sollen die Treibhausgasinventare aller Annex 1-Länder individuell überprüft werden.350

     Vom 25. Oktober bis 5. November 1999 fand die fünfte Vertragsstaatenkonferenz der Klimarahmenkonvention statt.351 Ergebnisse wurden dort im Hinblick auf die Weiterentwicklung der Verhandlungstexte zu den Kyoto-Mechanismen und zu einem System der Erfüllungskontrolle erzielt.

     Zentrale Verhandlungspunkte auf der Vertragsstaatenkonferenz waren: (1) die weitere Ausarbeitung der Kyoto-Mechanismen; (2) das System der Erfüllungskontrolle; (3) der Technologietransfer und (4) die Erstellung von Nationalberichten.

     Die große Mehrheit der Vertragsparteien erklärte ausdrücklich, daß auf der sechsten Vertragsstaatenkonferenz die zur Ratifizierung des Kyoto-Protokolls notwendigen Entscheidungen fallen müßten. Deutschland und EU unterstrichen bei der Konferenz wiederum ihre Vorreiterrolle im internationalen Klimaprozeß. Sie setzten sich insbesondere für stringente Regeln für die Kyoto-Mechanismen und das System der Erfüllungskontrolle ein.

     In der Eröffnungsrede stellte Bundeskanzler Schröder fest, daß die von den Industriestaaten übernommen Verpflichtung, bis zum Jahr 2000 die Kohlendioxydemissionen auf den Stand von 1990 zurückzuführen von vielen großen Ländern verfehlt werde. Die jüngsten Naturkatastrophen seien wahrscheinlich Anzeichen einer Klimaänderung und müßten ernst genommen werden. Das hieße auch, daß sich niemand unter Hinweis auf verbleibende Unsicherheiten der Wissenschaft herausreden dürfe. Die Weltöffentlichkeit erwarte mit Recht, daß die Dinge, die in langwierigen und schwierigen Klimaverhandlungen vereinbart wurden, auch tatsächlich angepackt werden. Das Kyoto-Protokoll müsse spätestens im Jahr 2002 in Kraft getreten sein. Der Bundeskanzler bekannte sich im übrigen klar zum von der Bundesregierung eingegangenen Reduktionsziel der CO2-Emmission (- 25 % gegenüber 1990 bis 2005) sowie der im Rahmen der EU-Lastenteilung eingegangenen Verpflichtung für alle Kyoto-Gase (- 21 % gegenüber 1990 bis 2008/2012). Er betonte auch die Notwendigkeit von Obergrenzen für die Nutzung der Kyoto-Mechanismen. Die Anstrengungen im eigenen Land müßten das entscheidende Mittel für die Umsetzung der Reduktionsverpflichtung der Industriestaaten sein. Der Handel mit Emissionsrechten oder gemeinsame Projekte von Industrie- und Entwicklungsländern könnten die nationalen Klimaschutzmaßnahmen der Industrieländer sinnvoll ergänzen, sie dürften sie aber nicht ersetzen.352

     Bundesumweltminister Trittin unterstützte in seiner Rede bei der Vertragsstaatenkonferenz die Aussagen des Bundeskanzlers und bemerkte zusätzlich, daß die Schlupflöcher im Kyoto-Protokoll geschlossen werden müßten. Er stellte fest:

     "Wir müssen vorankommen, damit das Kyoto-Protokoll spätestens 2002 in Kraft tritt. 2002, d.h. zehn Jahre nach der Rio-Konferenz, wird es darum gehen, Bilanz zu ziehen. Wir dürfen es nicht zulassen, daß das Ergebnis hinsichtlich der größten globalen Herausforderung negativ ausfällt.
     Als wichtigstes Zeichen von Glaubwürdigkeit müssen Industriestaaten bereits jetzt alles tun was in ihrer Macht steht, um den Ausstoß von Treibhausgasen zu verringern. Wir müssen unsere Art des Produzierens und Konsumierens im eigenen Land verändern! Wir brauchen eine Effizienz-Revolution! Damit es dazu kommt, müssen wir die Anwendung der Kyoto-Mechanismen beschränken - sowohl für den "Käufer" als auch für den "Verkäufer" von Emmissionsrechten; d.h. wir brauchen eine konkrete, quantifizierte Obergrenze. Die EU hat hierzu bereits einen Vorschlag unterbreitet.
     Bei der Ausgestaltung des Protokolls müssen wir sichergehen, daß wir mögliche Schlupflöcher schließen. Schlupflöcher könnten das gesamte Kyoto-Protokoll so entwerten, daß der Ausstoß von Treibhausgasen in die Atmosphäre durch Annex B-Staaten bis zum Jahr 2012 nicht abnimmt, sondern ansteigt, und dies trotz Einhaltung des Kyoto-Protokolls.
     Vorhaben im Rahmen der Mechanismen müssen für die Umwelt effektiv nachhaltig und zukunftsorientiert sein. Aus diesem Grund lehnt es Deutschland ab, daß die Kernenergie als Projekt im Rahmen des CDM (Clean Development Mechanism) und der JI (Joint Implementation) in Frage kommt. Wir halten an Deutschlands Ausstieg aus der Kernenergie fest. Wir betrachten die Nutzung der Atomkraft nicht als Beitrag zur Klimavorsorge.
     Weitere politische Maßnahmen sind im Bereich des internationalen Flugverkehrs notwendig. Ohne weitere Maßnahmen wird der voraussichtliche Anstieg von Emmissionen in diesem Bereich etwa die Hälfte der nach dem Kyoto-Protokoll zu erreichende Reduktion zunichte machen.
     Klimaveränderungen wirken sich weltweit aus! Deshalb müssen wir auch weltweit reagieren! In diesem Zusammenhang sind der Aufbau von Kapazitäten und der Transfer von Technologie von essentieller Bedeutung. Die Entwicklungsländer müssen Kapazitäten aufbauen, Institutionen stärken und Zugang zu klimaschonenden Technologien haben um ihren wachsenden Anforderungen gerecht zu werden. Maßnahmen im Kampf gegen Klimaänderungen bieten beträchtliche Möglichkeiten, sowohl in Entwicklungsländern als auch in Industriestaaten. Es ist ein Zeichen der Glaubwürdigkeit, wenn Industrieländer ihren Verpflichtungen in bezug auf den Finanzierungsmechanismus des Übereinkommens nachkommen. Ich rufe alle Geberländer dazu auf, die Finanzmittel dafür zur Verfügung zu stellen, daß die Arbeit der globalen Umweltfazilität (GEF) gewährleistet werden kann.
     Bislang haben lediglich vier Industriestaaten ihre Treibhausgasemissionen im Vergleich zu 1990 reduziert - trotz ihrer internationalen Verpflichtungen. Deutschland ist eines dieser Länder. Deutschland ist bereit, im eigenen Land das umzusetzen, wozu wir uns auf nationaler, europäischer und internationaler Ebene verpflichtet haben. Bundeskanzler Gerhard Schröder bestätigte diese Verpflichtung in seiner Eröffnungsansprache ganz ausdrücklich. Durch ein Bündel von über 150 Maßnahmen haben wir bereits eine Verringerung von 13,2 % erreicht. Dabei gibt es keine Patentlösung: Traditionell sind Ordnungsrecht, wirtschaftliche Instrumente, Selbstverpflichtungen und flankierende Maßnahmen wie Aus- und Fortbildung ergänzen und unterstützen sich gegenseitig. (...)
     Klimaschutzmaßnahmen sind nicht nur ein umweltpolitisches Erfordernis, sondern bieten auch Möglichkeiten der Effizienzerhöhung und der Erzielung von Kostenvorteilen. Durch sie können bestehende Arbeitsplätze gesichert und neue Stellen geschaffen werden. Diejenigen, die den Klimaschutz verzögern, werden den Zugang zu einem der wichtigsten Märkte des nächsten Jahrtausends verlieren. Wir wollen diese Chance nicht verpassen."353

     Die Initiative von Bundeskanzler Schröder, das Kyoto-Protokoll bis zum Jahr 2002 in Kraft zu setzen, fand breite Unterstützung. In einer förmlichen Entscheidung der Vertragsstaatenkonferenz wurde festgelegt, daß das Kyoto-Protokoll so früh wie möglich in Kraft treten müsse. Die große Mehrheit der Delegationen unterstützten ausdrücklich das Zieldatum 2002.354

     Im Ergebnis konnte im Hinblick auf die Ausarbeitung der Kyoto-Mechanismen ein neuer Text verabschiedet werden, der die Grundlage für weitere Verhandlungsschritte bildet. Um die Diskussion nicht zu blockieren, wurde die Frage nach einer Obergrenze für die Nutzung der Kyoto-Mechanismen ausgeklammert.

     Die besondere Bedeutung des Clean Development Mechanism (CDM) für eine nachhaltige Entwicklung wurde betont. Deutschland sprach sich wie auch Belgien, Österreich, Dänemark, Schweden, Irland und viele Entwicklungsländer in diesem Zusammenhang gegen nukleare Projekte im Rahmen des CDM aus.355 Beim von der EU vorgeschlagenen zweistufigen Prüf- und Zertifizierungsverfahren von CDM-Projekten, der Ausgestaltung der JI-Regeln parallel zum CDM und beim Registrierverfahren zur Buchführung beim Emissionshandel konnten erste Konsenslinien mit Entwicklungsländern und mit der sogenannten Umbrella-Gruppe gefunden werden.

     Ein Dissens bestand dagegen bei der Einbeziehung von Senken in den CDM. Die EU wendete sich gegen deren Einbeziehung, da durch methodologische Unsicherheiten bei der Anrechnung große Schlupflöcher entstehen könnten. In den Verhandlungen über die Anrechnung von Wäldern und Böden als Treibhausgas-Senken konnte die EU ihr wichtigstes Verhandlungsziel, die Vorlage nationaler Daten, gegen den Widerstand anderer Industrieländer durchsetzen. In den Schlußfolgerungen wurden die Industrieländern daher erstmals aufgefordert, in den kommenden Monaten nationale Daten zur Berechnung und Bewertung der Emission und Senkenfunktion für die Aufforstung, Wiederaufforstung und Entwaldung vorzulegen. Außerdem wurden die Industrieländer aufgefordert, nationale Daten zu ihren Vorschlägen vorzulegen, welche zusätzlichen Aktivitäten zur Erhöhung des Kohlenstoffgehalts in Wäldern und landwirtschaftlichen Böden auf ihre Verpflichtung zur Reduzierung bzw. Begrenzung von Emissionen angerechnet werden könnten. Durch die Vorlage der nationalen Daten soll sichergestellt werden, daß die Auswirkungen dieser Anrechnung, die nach dem Kyoto-Protokoll möglich ist, offengelegt werden, bevor die Vertragsparteien ihre Entscheidung darüber treffen, welche zusätzlichen Treibhausgas-Senken angerechnet werden sollen.

     Im Hinblick auf das System der Erfüllungskontrolle verabschiedete die Vertragsstaatenkonferenz eine Entschließung zum weiteren Vorgehen, wonach das System der Erfüllungskontrolle bei der sechsten Vertragsstaatenkonferenz verabschiedet werden solle. Bei den Diskussionen zeichnete sich ein breiter Konsens ab, daß ein effizientes System der Erfüllungskontrolle sowohl unterstützende Maßnahmen als auch Sanktionen vorsehen müsse.

     Zum Finanzmechanismus (Globale Umwelt Fazilität - GEF) wurden auf der Konferenz keine gesonderten Verhandlungen geführt. Das Ziel der EU, keine neuen Aufgaben und Richtlinien für die GEF auf dieser Vertragsstaatenkonferenz zu formulieren, konnte erreicht werden. Die EU sah das Grundproblem in der Abstimmung der Aktivitäten zwischen den bestehenden Institutionen und befürchtete die Schaffung neuer, paralleler Institutionen.356

     Die Forderung der OPEC von "Kompensationen" für wirtschaftliche Nachteile als Folge von Klimaschutzmaßnahmen wurde von den Industrieländern abgelehnt.

     Die Verhandlungen über Emissionen des internationalen Flug- und Schiffsverkehrs brachten gegenüber der letzten Sitzung der Nebenorgane und der vierten Vertragsstaatenkonferenz nur geringe Fortschritte. Die EU-Forderung nach einem starken Appell an ICAO und IMO zur Erstellung eines Emissionsminderungsplans bis 2001 bzw. 2005 konnte nicht durchgesetzt werden.

     Im Zusammenhang mit Industriegasen trat die EU für die Erarbeitung von "besten Praktiken" bei der Vermeidung oder Begrenzung der HFKW/FKW-Emission ein. Dem widersprachen die USA, Kanada und Australien, die nicht wollten, daß diese Gase, die im "Korb" der sechs Gase des Kyoto-Protokolls enthalten sind, eine besondere Behandlung erfahren.357

     144. Am 12. November 1999 wurde bekannt gemacht, daß die am 17. September 1997 beschlossene Änderung des Montrealer Protokolls über Stoffe, die zum Abbau der Ozonschicht führen, am 10. November 1999 in Kraft getreten ist.358




    345 Zum Rahmenübereinkommen der Vereinten Nationen über Klimaänderungen, vgl. BGBl. 1993 II, 1784.

    346 Umwelt 7-8/1999, 353. Zum Klimaprotokoll von Kyoto vgl. Raible (Anm.1), Ziff. 144.

    347 Ibid., 353.

    348 Ibid., 353.

    349 Ibid., 353.

    350 Ibid., 354.

    351 Vgl. Umwelt 12/1999, 587 ff.

    352 Ibid., 587 f.

    353 Umwelt 12/1999, 593 f.; vgl. auch ibid., 588.

    354 Ibid., 588.

    355 Ibid., 589.

    356 Ibid. 590.

    357 Ibid., 591.

    358 BGBl. 2000 II, 13; zu den Änderungen vgl. BGBl. 1998 II, 2690; vgl. im übrigen Raible (Anm. 1), Ziff. 146.