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Völkerrechtliche Praxis der Bundesrepublik Deutschland im Jahre 1999


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Silja Vöneky/Markus Rau


XIII. Umwelt- und Naturschutz

6. Artenschutz und biologische Vielfalt

     150. Im Februar 1999 trat die Sonder-Vertragsstaatenkonferenz zusammen, um über die Verabschiedung eines Protokolls über die Biologische Sicherheit (Biosafety-Protocol) zum Übereinkommen über die Biologische Vielfalt370 zu verhandeln. Im Ergebnis konnte das Protokoll wegen der Einwände der aus sechs Staaten bestehenden Miami-Group (USA, Kanada, Australien, Argentinien, Chile, Uruguay) nicht angenommen werden, obwohl alle anderen Staaten einem EU-Kompromißvorschlag zugestimmt hatten.371

     Die Vorarbeiten zu einem Vertragstext des Protokolls gingen auf einen Beschluß der zweiten Vertragsstaatenkonferenz zum Übereinkommen über die Biologische Vielfalt im Jahr 1995 zurück. Nach dem dort erteilten Mandat sollte das Protokoll Sicherheitsregelungen für Transport, Handhabung und Verwendung solcher gentechnisch veränderter Organismen (living modified organisms) enthalten, die nachteilige Auswirkungen auf die biologische Vielfalt und ihre nachhaltige Nutzung haben können. In erster Linie sollte sich das Protokoll auf deren grenzüberschreitende Verbringung beziehen, so daß auch der grenzüberschreitende Handel mit gentechnisch veränderten Organismen betroffen ist.

     Kernstück des Protokollentwurfs ist ein Genehmigungsverfahren für den Import (Advanced Informed Agreement), das aus einer Notifizierung des geplanten Imports, einem Prüfverfahren auf Grundlage einer auf wissenschaftlichen Grundsätzen beruhenden Risikobewertung und einer Entscheidung für oder gegen die grenzüberschreitende Verbringung besteht. Außer dem vorrangigen Schutzziel der biologischen Vielfalt soll auch die menschliche Gesundheit geschützt werden, sofern Auswirkungen von gentechnisch veränderten Organismen auf die biologische Vielfalt auch Auswirkungen auf die menschliche Gesundheit haben können.

     Bei den Verhandlungen im Rahmen der Konferenz 1999 zeigte sich jedoch, daß die unterschiedlichen Auffassungen zwischen Entwicklungsländern und Industrienationen noch nicht überbrückbar waren. Während die meisten Entwicklungsländer das Protokoll als breitgefaßtes Welt-Gentechnik-Übereinkommen betrachteten, waren die Industrienationen für einen engen, auf die grenzüberschreitende Verbringung bezogenen Regelungsbereich.

     Andere Regelungsbereiche des Protokollentwurfs, die nicht nur zwischen Entwicklungsländern und Industriestaaten, sondern auch innerhalb der jeweiligen Staatengruppen strittig waren, waren u.a. Fragen der internationalen Haftung, der Kennzeichnung gentechnisch veränderter Organismen, der nationalen Öffentlichkeitsbeteiligung und der Einbeziehung sozio-ökonomischer Erwägungen im Rahmen der Entscheidungsfindung beim AIA-Verfahren und die Frage der Einbeziehung von Folgeprodukten gentechnisch veränderter Organismen im Rahmen der Weiterverarbeitung.

     Bei den Verhandlungen des konkreten Protokolltextes waren Hauptstreitpunkte die Einbeziehung bzw. der Ausschluß von Agrarmassengütern von dem Geltungsbereich des Protokolls sowie deren Kennzeichnung und das Verhältnis des Protokolls zu den Regelungen der Welthandelsorganisation. Die großen Agrarexportländer USA, Kanada, Australien, Argentinien, Chile und Uruguay verlangten den Ausschluß dieser Agrarmassengüter mit Verwendungszweck Lebens- und Futtermittel oder Weiterverarbeitung vom Geltungsbereich des Protokolls. Außerdem forderten sie die Aufnahme einer Klausel in das Protokoll, die sicherstellen sollte, daß in Streitfällen die Regelungen der WTO Vorrang vor dem Biosafety-Protokoll haben. Gegen diese Forderungen wehrten sich insbesondere die Entwicklungsländer. Auch der von der EU unter deutscher Ratspräsidentschaft eingebrachte Kompromißvorschlag, der eine Gleichrangigkeit des Protokolls mit den WTO-Regelungen vorsah, wurde von den Staaten der Miami-Group abgelehnt.

     Rat und Kommission der EU betonten nach dem Scheitern der Verhandlungen, daß der Abschluß eines Biosafety-Protokolls weiterhin für die EU hohe Priorität habe; der Grund seien die Risiken, die mit grenzüberschreitenden Verbringungen gentechnisch veränderter Organismen für die biologische Vielfalt und damit einhergehenden Auswirkungen auf die menschliche Gesundheit verbunden sein können. Der Rat und die Kommission betonten ihre Bereitschaft, die Beratungen mit allen beteiligten Ländern und Ländergruppen fortzuführen. Die EU-Umweltminister und die Kommission riefen diejenigen Staaten, die an den Verhandlungen zum Biosafety-Protokoll teilgenommen haben, bisher aber noch nicht Vertragsparteien des Übereinkommens über die Biologische Vielfalt sind, auf, dieses Übereinkommen umgehend zu ratifizieren, um ihren Willen zum Schutz der biologischen Vielfalt unter Beweis zu stellen.372

     151. Die Vertagsstaaten des Übereinkommens über die Biologische Vielfalt373 trafen sich vom 21. bis 25. Juni 1999 zur Vorbereitung der fünften Vertragsstaatenkonferenz im Jahr 2000.374 Beraten wurde u.a. die globale Taxonomie-Initiative, die Entwicklung eines Arbeitsprogramms für aride und mediterrane Ökosysteme, das Problem der "Alien Species", neue Technologien in der Pflanzenzüchtung und das Problem der nachhaltigen Nutzung biologischer Ressourcen.

     Insbesondere die Diskussion zur Nutzung von neuen Technologien in der Pflanzenzüchtung wurde kontrovers geführt. Nichtregierungsorganisationen erhoben - von Portugal, Norwegen, vielen südamerikanischen und afrikanischen Ländern unterstützt - die Forderung nach einem Moratorium für "Genetic Use Restriction Technologies (GURT)". Andere Staaten wie Großbritannien, die USA, Kanada und Australien, und auch die Europäische Kommission widersprachen dieser Forderung. Einer unter der Führung von Deutschland eingerichteten Vermittlergruppe gelang die Einigung auf einen gemeinschaftlichen Beschluß, die Möglichkeit nationaler Moratorien grundsätzlich anzuerkennen und zu empfehlen, daß eine Freisetzung und Konventionalisierung der GURT-Produkte erst nach umfassenden Folgeabschätzungen zu erlauben seien.375

     Im Juni 1999 fand zudem das Intersectional Meeting der Vertragsparteien des Übereinkommens über die Biologische Vielfalt statt. Beraten wurden die Themenkomplexe "Arbeitsweise der Organe des Übereinkommens" und "Zugang zu genetischen Ressourcen und gerechter Vorteilsausgleich". Im Ergebnis konnten bei dieser Sonder-Vertragsstaatenkonferenz vor allem die Fragestellungen präzisiert werden, die auf der fünften Vertragsstaatenkonferenz behandelt werden mußten. Die Bundesrepublik Deutschland hatte dazu insbesondere durch die Fachbeiträge zu Fragen des Zugangs zu genetischen Ressourcen und des Vorteilsausgleichs beigetragen.376




    370 BGBl. 1993 II, 1742; vgl. dazu auch für das Jahr 1998, Raible (Anm. 1), Ziff. 154.

    371 Umwelt 4/1999, 160 ff.

    372 Umwelt 4/1999, 160 ff.; das Protokoll über die Biologische Sicherheit wurde von den Vertragsstaaten der Konvention über die Biologische Vielfalt am 29.1.2000 in Montreal/Canada angenommen. Es tritt 90 Tage, nachdem der 50. Staat das Protokoll ratifiziert hat, in Kraft. Die Bundesrepublik Deutschland hat das Protokoll am 24.5.2000 unterzeichnet, aber bisher nicht ratifiziert.

    373 Vgl. oben Anm. 370.

    374 Umwelt 9/1999, 416 f.

    375 Umwelt 9/1999, 416 f.

    376 Umwelt 9/1999, 418 f.