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Völkerrechtliche Praxis der Bundesrepublik Deutschland im Jahre 1999


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Silja Vöneky/Markus Rau


XV. Europäische Union und Europäische Gemeinschaften

1. Verträge

     174. Vertrag von Amsterdam

     Am 1. Mai 1999 trat für die 15 Mitgliedstaaten der Europäischen Union der Vertrag von Amsterdam vom 2. Oktober 1997 in Kraft.464 Der Deutsche Bundestag hatte dem Vertrag zuvor durch Vertragsgesetz vom 8. April 1998 zugestimmt, die Ratifikationsurkunde war von der Bundesrepublik am 7. Mai 1998 bei der italienischen Regierung hinterlegt worden.465

     Bundeskanzler Schröder erklärte anläßlich dieses Ereignisses, der Amsterdamer Vertrag sei Beleg für den Willen des geeinten Europa, die vor ihm liegenden Herausforderungen anzupacken. Der Vertrag eröffne dort neue Handlungsmöglichkeiten, wo sie am dringendsten benötigt würden: beim Kampf gegen die Arbeitslosigkeit und in der Außen- und Sicherheitspolitik. Entscheidende Fortschritte bringe er ferner in der gemeinsamen Justiz- und Innenpolitik. Schröder führte aus, die EU sei längst mehr als ein Zusammenschluß der Mitgliedstaaten und ihrer Regierungen. Der Amsterdamer Vertrag honoriere, daß die Union unterwegs sei zu einem Europa der Bürgerinnen und Bürger. Hierzu gehöre ein verbesserter Grundrechtsschutz auf EU-Ebene ebenso wie eine deutliche Stärkung der Mitwirkungsrechte des Europäischen Parlaments.466

     175. Deutsche EU-Ratspräsidentschaft

     Die Bundesrepublik übernahm am 1. Januar 1999 die Präsidentschaft im Rat der Europäischen Union. Bundesaußenminister Fischer erläuterte am 12. Januar 1999 vor dem Europäischen Parlament die Schwerpunkte der deutschen Ratspräsidentschaft. Er nannte dabei vier Ziele:

     Erstens wolle die Bundesrepublik die Verhandlungen über die Agenda 2000 bis zum Europäischen Rat am 24. und 25. März in Berlin erfolgreich abschließen. Der deutsche Vorsitz werde dabei darauf achten, daß keine Lösung auf Kosten der schwächsten EU-Partner zustande komme, sondern daß auf dem Europäischen Rat eine gleichgewichtige Lösung erreicht werde. Es gelte, so schnell wie möglich die Substanzfragen anzupacken. Bei der Strukturpolitik plädierte Fischer dabei für eine Konzentration auf die strukturschwächsten und förderungsbedürftigsten Regionen. Die Förderung müsse einfacher, dezentraler, ökologischer und beschäftigungswirksamer werden. Bei der Verteilung der Lasten hätten sich Ungerechtigkeiten eingeschlichen, die korrigiert werden müßten. Dieses Anliegen, das Deutschland mit anderen Mitgliedstaaten teile, werde von der Kommission und inzwischen auch von vielen Partnern als legitim anerkannt. Die Erweiterung der Union ebenso wie die nächste WTO-Verhandlungsrunde machten eine grundlegende Reform der Gemeinsamen Agrarpolitik und eine Senkung der Agrarausgaben erforderlich. Die europäische Landwirtschaft müsse wettbewerbsfähiger und umweltverträglicher werden, gleichzeitig müßten die Interessen der Landwirte gesichert werden.467

     Die Bundesrepublik, so erklärte Fischer weiter, strebe - zweitens - deutliche Fortschritte hin zu einer wirksamen Beschäftigungspolitik an. Der Kampf gegen die Arbeitslosigkeit sei die drängendste Sorge der Menschen in Europa. Deshalb wolle die Bundesrepublik beim Europäischen Rat in Köln einen europäischen Beschäftigungspakt verabschieden. Der Pakt solle Ausdruck einer aktiven Arbeitsmarktpolitik werden, die mehr als bisher auf Prävention setze, namentlich auf den Abbau der Jugend- und Langzeitarbeitslosigkeit sowie der Diskriminierung von Frauen auf dem Arbeitsmarkt.468

     Drittens müsse die Erweiterung der EU schnellstmöglich vorangebracht werden. Die Union dürfe nach dem Ende des Kalten Krieges nicht auf Westeuropa beschränkt bleiben. Es liege im Wesen der europäischen Integrationsidee, daß sie gesamteuropäisch angelegt sei. Darüber hinaus ließen auch die geopolitischen Realitäten keine ernsthafte Alternative zu. Fischer betonte in diesem Zusammenhang, daß für den Erweiterungsprozeß sowohl eine strategische Vision als auch praktischer Realismus erforderlich seien. Wenn nach dem absehbaren Verhandlungsfortschritt und unter der Voraussetzung eines erfolgreichen Abschlusses der Agenda 2000 gegen Ende 1999 oder während des Jahres 2000 Licht am Ende des Verhandlungstunnels zu sehen sei, dann werde die Benennung eines konkreten Abschlußdatums durchaus sinnvoll, wenn nicht gar zwingend werden, um die Verhandlungen zügig zum Abschluß führen zu können.469

     Viertens erklärte der Bundesaußenminister, daß die Bundesrepublik während ihrer Ratspräsidentschaft die außenpolitische Handlungsfähigkeit der EU zu stärken trachte. Nur eine Union, die außenpolitisch handlungsfähig sei, könne den Frieden in Europa sichern und ihr wachsendes Gewicht auf der Weltbühne zur Geltung bringen. In der multipolaren Welt des 21. Jahrhunderts müsse die EU zum eigenständigen, politisch handlungsfähigen Subjekt werden. In der gegenwärtigen Phase gehe es in der Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik um ein Maximum an gemeinsamem Handeln und um eine möglichst intensive Anwendung der neuen Instrumente. Wichtig sei, daß Felder gesamteuropäischen Interesses besser als bisher identifiziert würden. Dies sei auch erforderlich, um in der Öffentlichkeit das Bewußtsein europäischer Gemeinsamkeit in der Außen- und Sicherheitspolitik zu schärfen.470

     In seiner Rede äußerte sich Fischer auch zu den anstehenden institutionellen Reformen in der EU:

     "Der nächste Bauabschnitt nach Abschluß der Agenda 2000 wird die Lösung der institutionellen Reformen der EU sein. Mit Blick auf die Erweiterung ist diese Reform zwingend, um einen institutionellen Infarkt der EU zu vermeiden. Wenn eine Europäische Union von 21 und mehr Mitgliedern handlungsfähig bleiben soll, müssen die entsprechenden Reformen verwirklicht werden. Die entscheidende Frage für die Handlungsfähigkeit einer erweiterten Union ist die Bereitschaft, Mehrheitsentscheidungen in möglichst vielen Bereichen zu akzeptieren. Die neue Bundesregierung setzt sich dafür ein, längerfristig das Einstimmigkeitserfordernis in der EU auf Fragen von grundsätzlicher Bedeutung wie Vertragsänderungen zu beschränken."471

     Schließlich nannte Fischer vier zentrale Politikbereiche, in denen die EU nach Ansicht der Bundesrepublik gestärkt werden müsse, um sie zu einem starken und durchsetzungsfähigen politischen Subjekt zu machen:

     Erstens brauche Europa mehr Demokratie. Die Entscheidungsprozesse in der Union müßten transparenter und für die Menschen nachvollziehbarer werden. Der Bürger müsse endlich erkennen können, wer was und mit welcher Legitimation in Brüssel beschließe. Um die Rechte der Bürger zu stärken, schlage die Bundesrepublik die langfristige Ausarbeitung einer europäischen Grundrechtecharta vor. Hierzu wolle Deutschland während seiner Präsidentschaft eine Initiative ergreifen. An der Erarbeitung einer Grundrechtecharta solle das Europäische Parlament, das mit seinem Verfassungsentwurf von 1994 wichtige Vorarbeit geleistet habe, aber auch die nationalen Parlamente und möglichst viele gesellschaftliche Gruppen beteiligt werden.472

     Zweitens müsse die Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik an den europäischen Werten des Friedens und der Menschenrechte ausgerichtet und zu einem effizienten Krisenmanagement in der Lage sein. Die Menschenrechte, so erläuterte Fischer, hätten im Zeitalter der Globalisierung eine über das Humanitäre hinausgehende, politische und wirtschaftliche Bedeutung, wie die Asienkrise deutlich gezeigt habe. Die Entwicklung freier Märkte sei nur dann von Dauer, wenn sie in eine umfassendere Freiheitskultur eingebettet sei, beruhend auf den Menschenrechten, Gewaltenteilung, Verfassungsstaat, demokratischen Parteien, freien Gewerkschaften, einer unabhängigen Presse und einer kritischen Öffentlichkeit. Die deutsche Präsidentschaft werde sich daher für eine Stärkung des Menschenrechtsprofils der EU einsetzen.473

     Drittens gehöre zur Verwirklichung einer Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik auch eine Europäische Sicherheits- und Verteidigungsidentität. Zwar werde die kollektive Verteidigung weiterhin Aufgabe der NATO bleiben. Doch müsse die EU die Fähigkeit auch für ein eigenes militärisches Krisenmanagement entwickeln, wann immer aus Sicht der EU/WEU ein Handlungsbedarf bestehe und die nordamerikanischen Partner sich nicht beteiligen wollten. Die Schaffung einer Europäischen Sicherheits- und Verteidigungsidentität könne - nach dem Binnenmarkt und der Wirtschafts- und Währungsunion - von großer Wichtigkeit für die weitere Vertiefung der EU werden. Die Bundesrepublik werde sich in ihrer Doppelpräsidentschaft in EU und WEU mit Nachdruck darum bemühen, die neue Dynamik zu nutzen.474

     Viertens wolle die Bundesrepublik das Ziel eines Raumes der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts, das der Amsterdamer Vertrag im Bereich Justiz und Inneres vorgebe, schrittweise verwirklichen. Während der deutschen Präsidentschaft solle über die Lastenteilung in der Asylpolitik ebenso gesprochen werden wie über einen humanen Umgang mit Massenfluchtbewegungen. Eine Schlüsselfrage für die Handlungsfähigkeit Europas und für die Akzeptanz bei den Menschen sei eine wirksamere Bekämpfung der international organisierten Kriminalität. Dafür müßten die grenzüberschreitende Zusammenarbeit der Polizei weiter intensiviert und die operativen Fähigkeiten von Europol gestärkt werden.475

     Die Ziele der deutschen EU-Ratspräsidentschaft auf dem Gebiet der Asyl- und Einwanderungspolitik waren Gegenstand einer Kleinen Anfrage einzelner Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU. In ihrer Antwort vom 12. April 1999 äußerte sich die Bundesregierung zu ihrer Bereitschaft, die Ratspräsidentschaft Deutschlands zur Verbesserung der Rahmenbedingungen für die grenzübergreifende polizeiliche Zusammenarbeit bei der Kriminalitätsbekämpfung und der Gefahrenabwehr zu nutzen, wie folgt:

     "Die Bundesregierung hat die Präsidentschaft in einer entscheidenden Phase der Vertiefung der Zusammenarbeit auf dem Gebiet Justiz und Inneres übernommen. Wesentliche Eckpunkte der deutschen Aktivitäten im Bereich der polizeilichen Zusammenarbeit waren und sind dabei die Verbesserung des institutionellen Rahmens für die in der intergouvernementalen Zusammenarbeit verbleibenden Bereiche, die Integration des Schengen-Besitzstandes und die Berücksichtigung des Erweiterungsprozesses. Dabei stehen folgende konkrete Vorhaben im Vordergrund: die Herstellung der Arbeitsfähigkeit von Europol, der weitere Aufbau auf der Grundlage des Europol-Übereinkommens und die Prüfung von zusätzlichen Befugnissen auf der Grundlage des Amsterdamer Vertrages; die weitere Umsetzung des Aktionsplanes aus dem Jahr 1997 zur Bekämpfung der Organisierten Kriminalität, die Bekämpfung von Hochtechnologie- und Datenkriminalität sowie von Fälschungen in Zusammenhang mit bargeldlosen Zahlungsmitteln und der Einführung des Euro; die Verbesserung der praktischen Zusammenarbeit der Polizeien in der EU und die Initiierung gemeinsamer Aktionen zur Verbrechensverhütung und -bekämpfung, z.B. in Form von Routen-Projekten."476

     Weiterhin erklärte sie, daß sie sich für eine Verbesserung der polizeilichen Zusammenarbeit der Schengener Vertragsstaaten bei der Aufklärung und Verhütung von Straftaten wie auch für die Fortentwicklung der im Schengener Durchführungsübereinkommen enthaltenen Rechtsgrundlagen der Polizeikooperation einsetze. Zur Fortentwicklung der rechtlichen Grundlagen des Schengener Durchführungsübereinkommens im Bereich der polizeilichen Zusammenarbeit bereite die Bundesregierung derzeit eine Initiative vor, die im wesentlichen auf die spontane Informationsübermittlung bei der Strafverfolgung, die Verbesserung der grenzüberschreitenden Observations- und Nacheilemöglichkeiten und des Einsatzes Verdeckter Ermittler sowie auf die Klarstellung der rechtlichen Rahmenbedingungen für grenzüberschreitende polizeiliche Nothilfeaktionen abziele.477

     Auf dem Gebiet der Asyl- und Flüchtlingspolitik sei Ziel der Bundesregierung eine gerechte innereuropäische Lastenverteilung hinsichtlich der Aufnahme von Asylbewerbern und Flüchtlingen. Eine gerechtere Verteilung der mit der Aufnahme von Asylbewerbern verbundenen Belastungen könne durch eine effizientere Anwendung des Dubliner Übereinkommens, insbesondere durch die zügige Implementierung von EURODAC, und eine effektivere Kontrolle der Außengrenzen der EU erreicht werden. Die Bundesregierung verfolge diese Ziele aktiv während der deutschen EU-Ratspräsidentschaft.478

     Schließlich äußerte sich die Bundesregierung zur Verhinderung des Entstehens von Flüchtlingsströmen als wesentliches Ziel einer gemeinsamen europäischen Flüchtlingspolitik:

     "Die Bundesregierung ist der Auffassung, daß die Bekämpfung von Fluchtursachen und Hilfsmaßnahmen in der jeweiligen Krisenregion wesentliche Bestandteile einer europäischen Flüchtlingspolitik sind. Im Hinblick auf Bürgerkriegsflüchtlinge sollten Schutzmaßnahmen in erster Linie in der jeweiligen Herkunftsregion erfolgen. Wenn dort kein wirksamer Schutz möglich ist, kann eine vorübergehende Aufnahme in die EU in Betracht kommen. Ein solcher vorübergehender Schutz sollte nach Auffassung der Bundesregierung unauflöslich mit der Notwendigkeit einer ausgewogenen Verteilung der hiermit einhergehenden Belastungen verbunden werden. Der Amsterdamer Vertrag bietet die notwendige Rechtsgrundlage für eine solche Lastenverteilung. In den Verhandlungen der EU-Mitgliedstaaten konnte jedoch bislang noch kein Konsens über diesen Punkt erzielt werden. Daher hat die deutsche EU-Ratspräsidentschaft auf der Tagung der Justiz- und Innenminister im Februar 1999 eine neue Initiative zur Ausgestaltung des Solidarausgleichs vorgelegt, welche der Diskussion unter den Mitgliedstaaten über dieses kontrovers behandelte Thema neue Impulse gegeben hat."479

     Eine Bilanz des deutschen Ratsvorsitzes zog Bundesaußenminister Fischer am 21. Juli 1999 vor dem Europäischen Parlament in Straßburg. Fischer betonte dabei zunächst, daß die außen- und sicherheitspolitische Handlungsfähigkeit der EU während der deutschen Präsidentschaft gewachsen sei. Insbesondere mit ihrem Beitrag zur friedlichen Beendigung des Kosovo-Konflikts sei der Zivilmacht EU ein wesentlicher Schritt in Richtung einer gemeinsamen Außenpolitik gelungen. Anders als 1991/1992 habe sie diesmal auf dem Balkan eine gemeinsame Haltung eingenommen, und zwar weil die europäischen Staaten endlich eingesehen hätten, daß es dort nicht allein um eine moralische Verpflichtung oder um die Zukunft einer europäischen Randregion gehe, sondern um ihre eigene Sicherheit. Die Bereitschaft, einer Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik endlich Gestalt zu geben, sei konkreter geworden. Vor diesem Hintergrund sei es gelungen, gegenüber China, dem Nahen Osten, der Menschenrechtspolitik und in vielen anderen außenpolitisch schwierigen Fragen eine geschlossene Haltung einzunehmen und schließlich in Köln eine Reihe von wichtigen Beschlüssen zu treffen, wie die Verabschiedung der ersten Gemeinsamen Strategie zu Rußland und eines Fahrplans zur Schaffung einer Europäischen Sicherheits- und Verteidigungspolitik. Die Bedeutung der EU als internationaler Akteur sei ferner auch mit den vielen interregionalen Konferenzen, dem Lateinamerika-Gipfel in Rio, der Stuttgarter Mittelmeerkonferenz, ASEM in Berlin und vielen anderen Treffen deutlich geworden.480

     Zur Agenda 2000 erklärte der Bundesaußenminister:

     "Mit den Berliner Beschlüssen zur Agenda 2000 hat die EU ihre Handlungsfähigkeit für die nächsten Jahre gesichert. (...) In der Agenda 2000 bündelte sich ein in der Integrationsgeschichte beispielloses Paket von Reformansätzen und massiven nationalen Interessen. Daß es gelang, diese zu einem großen Kompromiß zusammenzuführen, war möglich, weil wichtige Mitgliedstaaten, nicht zuletzt Deutschland, darauf verzichteten, nationale Maximalpositionen auf Biegen und Brechen durchzusetzen und stattdessen der Weiterentwicklung Europas Vorrang einräumten. Sicher, die Bundesregierung hätte sich in manchen Bereichen weitere Fortschritte gewünscht, etwa bei der Agrarpolitik (...), aber der Kompromiß ist doch insgesamt eine sehr gute Basis, um die Union ins 21. Jahrhundert zu führen."481

     Auch die Beitrittsverhandlungen, so fuhr Fischer fort, seien während der deutschen Ratspräsidentschaft gut vorangekommen. Mit dem Kölner Beschluß über eine neue Regierungskonferenz zu institutionellen Fragen sei zudem die Tür aufgestoßen worden, um bald die zweite große Hürde für die Erweiterung zu überwinden. Das historische Projekt der Erweiterung habe somit erheblich an Tempo und Qualität gewonnen.482

     Fortschritte wollte Fischer ferner auf dem Gebiet der Demokratisierung der EU beobachten:

     "In der Auseinandersetzung, die zum Rücktritt der Kommission führte, hat das Europäische Parlament die verantwortungsvolle Rolle gespielt, die die Menschen in Europa von ihm erwarten. Ich sehe hierin den Beginn eines Prozesses, der zu einer stärkeren Demokratisierung der Union führen wird. Mit der Benennung von Romano Prodi zum neuen Kommissionspräsidenten haben die EU-Staaten sehr schnell auf den Rücktritt der Kommission reagiert. (...) Mit dem Verhaltenskodex hat die neue Kommission bereits ein erstes wichtiges Signal gesetzt, um das Vertrauen der Bürger zurückzugewinnen (...)."483

     Schließlich würdigte der Außenminister besonders den auf dem Kölner Gipfel beschlossenen Beschäftigungspakt der EU:

     "Mit dem in Köln beschlossenen Beschäftigungspakt wird das Ziel verfolgt, nationale Anstrengungen zur Schaffung von Mehrbeschäftigung auf europäischer Ebene zu begleiten und zu unterstützen. Der Pakt verbessert die Bedingungen für eine aktive Beschäftigungspolitik im nationalen wie im europäischen Rahmen. Der in Köln vereinbarte makroökonomische Dialog mit Beteiligung der Sozialpartner und der EZB wird dazu einen wichtigen Beitrag leisten."484

     Der Staatsminister im Auswärtigen Amt Vollmer nahm am 8. Juni 1999 vor dem Deutschen Bundestag ebenfalls zu den Ergebnissen der deutschen EU-Ratspräsidentschaft Stellung. Dabei äußerte er die Auffassung, daß die Bundesregierung die doppelte Aufgabe der Herstellung der Erweiterungsfähigkeit der EU und der Stärkung ihrer politischen Handlungsfähigkeit gelöst habe. Gleichzeitig habe Europa in den vergangenen Monaten unter schwierigsten Rahmenbedingungen nachgewiesen, daß es in der Lage sei, geschlossen zu handeln und Gestaltungskraft zu beweisen.485

     176. Osterweiterung der Europäischen Union

     Die Osterweiterung der Europäischen Union war im Berichtszeitraum Thema einer Kleinen Anfrage im Deutschen Bundestag. In ihrer Antwort vom 17. August 1999 erklärte die Bundesregierung:

     "Mit der EU-Osterweiterung wird im europäischen Integrationsprozeß ein weiterer Schritt getan, der maßgeblich zur Sicherung der politischen und wirtschaftlichen Stabilität in den Transformationsländern Ostmitteleuropas und zur Schaffung neuer Integrationsgewinne in ganz Europa beiträgt. Verbunden damit ist aber auch ein großer wirtschafts- und regionalpolitischer Anpassungsbedarf, da hier Länder mit unterschiedlichem Entwicklungsniveau in einen gemeinsamen Wirtschaftsraum integriert werden.
     Zu den wirtschaftlichen Auswirkungen der EU-Osterweiterung auf die Mitgliedstaaten und deren Regionen an der bisherigen EU-Außengrenze insbesondere gibt es bislang kaum wissenschaftliche Erkenntnisse. (...) Gleichwohl geht die Bundesregierung davon aus, daß die wirtschaftlichen Chancen der EU-Osterweiterung für Deutschland insgesamt wegen seiner zentralen Lage in Europa und der zu den Beitrittsländern komplementären Wirtschaftsstruktur überwiegen werden."486

     Zur Bewältigung der aus der Grenzlage resultierenden besonderen Entwicklungsprobleme der Grenzregionen auf beiden Seiten der EU-Außengrenze machte die Bundesregierung folgende Ausführungen:

     "Die Vorbereitung der Grenzregionen auf die Einbeziehung der mittel- und osteuropäischen Staaten in den Binnenmarkt ist in erster Linie eine regionalpolitische Aufgabe. Für Regionalpolitik sind in der Bundesrepublik Deutschland gemäß Art. 30 bzw. 28 GG primär die Länder und die kommunalen Gebietskörperschaften zuständig. Entsprechend dem Subsidiaritätsprinzip sollen sie regionale Strukturprobleme so weit wie möglich aus eigener Kraft lösen. (...)
     Mit der Gemeinschaftsaufgabe 'Verbesserung der regionalen Wirtschaftsstruktur' gemäß Art. 91a GG verfügen Bund und Länder über ein bewährtes Instrument, um die Regionen bei der Bewältigung ihrer Strukturprobleme zu unterstützen. (...) Nach dem einstimmigen Beschluß des Bund-Länder-Planungsausschusses der Gemeinschaftsaufgabe vom 25. März 1999 sollen die unmittelbar an die osteuropäischen Staaten angrenzenden Gebiete in Gänze zum GA-Fördergebiet gehören. (...)
     Bei besonders gravierenden regionalen Strukturproblemen, die die Kraft einzelner Mitgliedstaaten zu überfordern drohen oder die eine europäische Dimension aufweisen, kommt ergänzend auch der Einsatz von EU-Mitteln in Frage.
     Besondere Erwähnung verdienen in diesem Zusammenhang die Gemeinschaftsinitiative für die grenzüberschreitende Zusammenarbeit INTERREG II A und das Phare-Programm für die grenzüberschreitende Zusammenarbeit (Phare/Cross Border Cooperation). Beide Programme helfen den Grenzregionen auf beiden Seiten der EU-Außengrenze bei der Bewältigung der aus der Grenzlage resultierenden besonderen Entwicklungsprobleme durch Förderung der grenzüberschreitenden Zusammenarbeit in allen sozioökonomisch relevanten Bereichen. Sie stellen mithin auch eine wichtige Hilfe der EU zur Vorbereitung der Regionen an der EU-Außengrenze auf die Osterweiterung dar."487

     Die Bundesregierung teilte in diesem Zusammenhang mit, daß im Rahmen der EU-Gemeinschaftsinitiative für die grenzüberschreitende Zusammenarbeit INTERREG II A den deutschen Grenzregionen zu Polen und der Tschechischen Republik in der laufenden Förderperiode 1994-1999 insgesamt rund 300 Millionen Euro zur Verfügung stünden. Nach den Beschlüssen des Europäischen Rates von Berlin werde INTERREG als wichtigste Gemeinschaftsinitiative mit einem deutschen Anteil am Mittelvolumen von mindestens 765 Millionen Euro für die kommende Förderperiode 2000 bis 2006 fortgeführt.488

     Ihre Kommunikationsstrategie zur Vorbereitung der Menschen und der Unternehmen auf die EU-Osterweiterung in den Grenzregionen umriß die Bundesregierung wie folgt:

     "An den EU-internen Gesprächen über die EU-Erweiterung nehmen zwei Ländervertreter teil. Hierdurch sind die Bundesländer in die Verhandlungen eingebunden. Die Bundesregierung unterrichtet die Verbände, insbesondere den Bundesverband der Deutschen Industrie und den Deutschen Industrie- und Handelstag, in Form von Informationsveranstaltungen über den Stand der Beitrittsverhandlungen und führt mit den Verbänden einen Dialog über Forderungen der Beitrittsländer nach zeitlich begrenzten Ausnahmen von der Übernahme des Acquis Communautaire in einzelnen Bereichen. Die Verbände geben die Informationen in Form von Rundschreiben auch an die Betroffenen in den Grenzregionen weiter. Durch die deutsch-polnischen und deutsch-tschechischen Euroregionen verfügen die Grenzregionen zudem über spezifische Einrichtungen, die sich der entsprechenden Informationsvermittlung und Interessenartikulation aller gesellschaftlich relevanten Gruppen und Institutionen besonders annehmen."489

     Die EU-Osterweiterung war auch Gegenstand des Europäischen Rates in Helsinki vom 10. und 11. Dezember 1999. In seiner Regierungserklärung zu den Ergebnissen des Rates erklärte Bundeskanzler Schröder diesbezüglich am 16. Dezember 1999 vor dem Deutschen Bundestag:

     "Der Europäische Rat in Helsinki hat beschlossen, im Februar 2000 mit Bulgarien, Lettland, Litauen, Malta, Rumänien und der Slowakei Verhandlungen über den Beitritt zur Europäischen Union aufzunehmen. Dabei werden diese Länder in den schon laufenden Verhandlungsprozeß mit Ungarn, Polen, Tschechien, Slowenien, Estland und Zypern einbezogen. Weiter hat der Europäische Rat festgestellt, daß im weiteren Verlauf des Beitrittsprozesses jeder Kandidat für sich genommen beurteilt wird. Kein Bewerberland hat - dies ist zu unterstreichen - einen Freifahrtschein zur Mitgliedschaft. Alle müssen sich den gleichen, sehr strengen Maßstäben für die Aufnahme in die Europäische Union unterwerfen. Diejenigen Kandidatenländer werden als erste das Ziel erreichen, die nachweisen, daß sie imstande sind, das europäische Regelwerk - wirtschaftlich, politisch und rechtlich - in nationales Recht umzusetzen und - das ist wichtig - es auch anzuwenden. Im Verlauf der Verhandlungen, nicht vorher, wird sich darüber notwendigerweise eine Differenzierung im Kandidatenfeld ergeben.
     Die Differenzierung nach der Reformleistung der Kandidatenländer ist gewollt und ist der Nachweis dafür, daß es der Europäischen Union mit ihrer Ausrichtung des Beitrittsprozesses an objektiven und nachvollziehbaren Kriterien ernst ist. Niemand kann den Kandidaten die Anstrengungen abnehmen, die erbracht werden müssen, um der Mitgliedschaft in einem gemeinsamen Binnenmarkt wirklich standzuhalten. (...) Zum 1. Januar 2003 soll die Union aufnahmebereit sein für neue Mitglieder. Auf diese Zusage sollen sich die Beitrittsländer verlassen können. Zugleich müssen wir sicherstellen, daß gerade in einer erweiterten Europäischen Union die vertiefte Zusammenarbeit jener Mitgliedstaaten, die schneller voranschreiten wollen, leichter möglich ist."490

     Zum Beschluß des Europäischen Rates von Helsinki, der Türkei den Status eines Beitrittskandidaten zur EU zu verleihen, äußerte sich Schröder wie folgt:

     "In Helsinki haben wir alle Aspekte der türkischen Kandidatur für eine Mitgliedschaft sorgfältig gegeneinander abgewogen. Es galt darüber hinaus sowohl für die Türkei als auch für Griechenland befriedigende Absprachen zur Zypernproblematik und zur Problematik der Ägäis zu erreichen. (...) Nach Helsinki kommt es für die Türkei nun darauf an, am eingeschlagenen Reformkurs unbeirrt festzuhalten. Ministerpräsident Ecevit hat angekündigt, erste - übrigens notwendige - Schritte, wie die Abschaffung der Todesstrafe, einzuleiten. Das begrüße ich ausdrücklich. Ich denke, ich tue das in unser aller Namen.
     Vor der Türkei liegt - das muß man fairerweise sagen - ein langer, auch ein beschwerlicher Weg, auf dem wir das Land unterstützen wollen. Der politische Dialog der Europäischen Union mit Ankara wird intensiviert. An diesem Dialog wollen wir auch die gesellschaftlichen Gruppen in der Türkei beteiligen. Es wird, wie für die übrigen Kandidaten, eine Beitrittspartnerschaft begründet werden. Die Türkei wird Gelegenheit erhalten, sich an Programmen und Einrichtungen der Gemeinschaft zu beteiligen. Mit diesen Möglichkeiten und der Verleihung des Kandidatenstatus ist aber kein Automatismus für eine spätere Mitgliedschaft der Türkei in der Europäischen Union verbunden. Über die Aufnahme von Beitrittsverhandlungen wird erst und nur dann zu reden sein, wenn das Land die politischen Kriterien für eine Mitgliedschaft - Demokratie, Achtung der Menschenrechte, Rechtsstaatlichkeit, Minderheitenschutz - samt und sonders erfüllt und den Anforderungen des Art. 6 des EU-Vertrages genügt. Auf diesem Felde kann und wird es keinerlei Abstriche geben. Die Türkei hat ein Anrecht auf die gleichen Startchancen wie jeder andere Beitrittskandidat. Eine Zurückweisung der Türkei in Helsinki hätte erneut zu einer schweren Krise im Verhältnis zu Ankara geführt, an der gerade wir Deutschen keinerlei Interesse haben können. Die Europäische Union hätte sich völlig unglaubwürdig gemacht. Unsere 14 Partner in der Europäischen Union und mit ihnen die Bundesregierung, sowie eine klare Mehrheit in diesem Land, begreifen die Europäische Union eben nicht als Club des christlichen Abendlandes, sondern als eine Wertegemeinschaft, die auf der Achtung des Rechts, der Demokratie, der Toleranz, der Humanität und der Solidarität gründet. Eine Türkei, die sich zu diesen Grundsätzen nicht nur bekennt, sondern sie auch real anwendet, wird als Mitglied der Europäischen Union willkommen sein. Einen Ausschluß von der Mitgliedschaft aus religiösen Gründen gibt es nicht."491

     In der Aussprache des Deutschen Bundestages zu der Regierungserklärung von Bundeskanzler Schröder widersprach der CDU/CSU Fraktionsvorsitzende Schäuble dem Bundeskanzler. Die Türkei, so Schäuble, gehöre zur einen Hälfte zu Europa, zur anderen nicht. Zu prüfen sei deshalb, ob ein Europa, das die Türkei einschließe, wirklich das Europa sei, das die Menschen meinten. Der Diskussion hierüber könne man sich nicht verweigern, auch wenn es unstrittig sei, daß die Türkei so eng wie irgend möglich an den Westen zu binden und die Entwicklung dort in diese Richtung zu beeinflussen sei. Bundesaußenminister Fischer erinnerte demgegenüber daran, daß bereits 1963 das Assoziationsabkommen mit der Türkei geschlossen worden sei und Anwerbungsbüros in Ankara und Istanbul eröffnet worden seien. Daraufhin seien nicht nur Arbeitskräfte, sondern Menschen ins Land gekommen. Von dieser Verantwortung könne man sich nicht einfach verabschieden. Zudem unterscheide sich der Beschluß von Helsinki nicht allzu sehr von der Position, zu der die EU bereits 1997 in Luxemburg mit Blick auf das Beitrittsgesuch Ankaras gelangt sei.492

     Um die Einbeziehung der Türkei in den EU-Erweiterungsprozeß ging es auch in einer Kleinen Anfrage der Abgeordneten Jelpke und der Fraktion der PDS. In ihrer Antwort vom 26. Juli 1999 bekräftigte die Bundesregierung zunächst, daß sich die Bedingungen für eine Aufnahme in den Erweiterungsprozeß aus Art. 49 in Verbindung mit Art. 6 des EU-Vertrages in der Fassung des Amsterdamer Vertrages vom 2. Oktober 1997 ergäben. Danach sei Voraussetzung für einen Antrag auf EU-Mitgliedschaft, daß ein Staat die Grundsätze der Freiheit, der Demokratie, der Achtung der Menschenrechte und der Grundfreiheiten sowie der Rechtsstaatlichkeit achte. Im Vorfeld des Europäischen Rates in Köln am 3. und 4. Juni 1999 habe es Ende Mai einen Briefwechsel zwischen dem türkischen Ministerpräsidenten Ecevit und Bundeskanzler Schröder gegeben, dem deutsch-türkische Staatssekretärgespräche vorausgegangen seien. In seinem Schreiben habe der türkische Ministerpräsident die vom Europäischen Rat in Kopenhagen 1993 formulierten Beitrittskriterien und die sich aus Art. 49 in Verbindung mit Art. 6 EU-Vertrag ergebenden Verpflichtungen als verbindlich für die Türkei anerkannt. Er habe außerdem die Entschlossenheit der Türkei bekräftigt, die erforderlichen demokratischen Reformen durchzuführen. In bezug auf den Kurdenkonflikt erklärte die Bundesregierung, daß eine Lösung des Konfliktes, dessen Problematik durch die Kopenhagener Kriterien erfaßt werde, vor allem auch im Hinblick auf diese Kriterien für den Beitritt erforderlich sei.493

     Auf die Frage, ob die Bundesregierung der Auffassung sei, daß eine Aufnahme der Türkei in den EU-Erweiterungsprozeß aufgrund der anhaltenden Situation der Menschenrechtsverletzungen und dem Krieg in Kurdistan in der gegenwärtigen Lage zu rechtfertigen sei, teilte die Bundesregierung sodann mit:

     "Durch Einbeziehung in den Erweiterungsprozeß würde ein Anreiz für die Türkei geschaffen, verstärkte Anstrengungen zur Erfüllung der politischen Kopenhagener Kriterien zu unternehmen, die Voraussetzung für die Aufnahme von Beitrittsverhandlungen ist. Die Türkei hat zugesichert, daß sie die hierfür erforderlichen Reformen einleiten wird und bereit ist, Gespräche über einen 'Fahrplan' für diese Reformen zu führen."494

     Zu Forderungen nach einem "Veto" gegen den EU-Beitritt Polens und der Tschechischen Republik nahm die Bundesregierung im Rahmen einer weiteren Kleinen Anfrage Stellung. Die Bundesregierung erklärte, daß sie zwar an der Auffassung festhalte, daß die Vertreibung von Deutschen nach dem Zweiten Weltkrieg völkerrechtswidrig war. Sie halte aber - wie ihre Vorgängerregierung - nichts davon, das Verhältnis zu den Nachbarn im Osten und künftigen Partnern in der EU mit aus der Vergangenheit herrührenden Fragen zu belasten. Im übrigen teile die Bundesregierung nicht die Position, bei einer Aufnahme Polens und der Tschechischen Republik in die EU ohne Erfüllung der Forderungen des Bundesverbandes der Vertriebenen (BdV) drohe ein "Import von schwersten Menschenrechtsdelikten".495

     Auf der Konferenz der Europaausschüsse der nationalen Parlamente und des Europäischen Parlamentes (Conférence des Organes Spécialisés en Affaires Communautaires - COSAC), die am 31. Mai und 1. Juni 1999 im Berliner Reichstagsgebäude zusammenkam, erklärten die deutschen Konferenzvorsitzenden, der Abgeordnete Pflüger für den Bundestag und der Staatssekretär Stächele für den Bundesrat, im Hinblick auf die anstehenden institutionellen Reformen im Zuge des Erweiterungsprozesses der Europäischen Union, daß ein Großteil der Mitgliedstaaten auch künftig wünsche, mindestens einen Vertreter in die Kommission zu entsenden. Bei der Stimmengewichtung im Rat müsse zwischen den Interessen der großen und dem Schutz der kleinen Mitgliedstaaten abgewogen werden. Das Europäische Parlament und die nationalen Parlamente sollten stärker als in der Vergangenheit am Reformprozeß beteiligt werden.496

     Der deutsche Europaparlamentarier Brok schlug vor, den Rat der EU künftig in einen Legislativ- und einen Exekutivrat aufzuteilen. Brok begründete seinen Vorschlag mit der seines Erachtens nach mangelnden Effizienz und völligen Überfrachtung des Rates. Während der neue Exekutivrat künftig die Befugnisse des jetzigen Allgemeinen Rates übernehmen sollte, könnten alle abschließenden gesetzgeberischen Arbeiten von dem zu gründenden Legislativrat wahrgenommen werden. Brok plädierte zudem dafür, eine straff strukturierte und somit handlungs- und arbeitsfähige Europäische Kommission zu gewährleisten. Da eine ausschließliche Reduzierung der Zahl der Kommissare am Widerstand solcher Länder scheitern würde, die dann in der Kommission nicht mehr vertreten wären, regte der Europaparlamentarier an, über andere Wege nachzudenken. Vorstellbar sei etwa die Aufteilung in Senior- und Juniorkommissare, wobei letzteren die Rolle von Parlamentarischen Staatssekretären ohne eigenen Geschäftsbereich, aber mit Stimmrecht zukommen könnte.497

     177. Währungsunion

     Am 1. Januar 1999 begann die dritte Stufe der Verwirklichung der Europäischen Wirtschafts- und Währungsunion mit elf Mitgliedstaaten (d.h. ohne Dänemark, Griechenland, Großbritannien und Schweden). Gemäß Art. 123 Abs. 4 S. 1 EG-Vertrag wurden die Währungsparitäten der teilnehmenden Währungen und die Umrechnungskurse für die Ersetzung der nationalen Währung durch die gemeinsame Währung unwiderruflich fixiert. Zugleich entstand die eigenständige Gemeinschaftswährung Euro. Anläßlich dieses Ereignisses äußerte sich Bundesaußenminister Fischer vor dem Europäischen Parlament wie folgt:

     "Mit dem 1. Januar 1999 und der Einführung des Euro, der gemeinsamen Währung, durch elf Mitgliedstaaten, hat Europa einen historischen, ja vielleicht sogar revolutionären Schritt getan, der dem europäischen Integrationswerk eine neue Qualität verleihen wird. Zum ersten Mal in der Geschichte des europäischen Integrationsprozesses, in der fast wunderbar zu nennenden Antwort der Völker Europas auf Jahrhunderte eines prekären Gleichgewichts der Mächte auf diesem Kontinent, von gewaltsamen Hegemoniebestrebungen und furchtbaren Kriegen, wurde aus dem Kernbereich nationalstaatlicher Souveränität jetzt ein wesentlicher Teil - die Währungssouveränität - auf eine europäische Institution übertragen. Dieser Akt schafft in der Tat eine neue politische Qualität. Währung, Sicherheit und Verfassung, das sind die drei wesentlichen Souveränitäten der modernen Nationalstaaten, und mit der Einführung des Euro wurde ein erster Schritt zu ihrer Vergemeinschaftung in der EU getan. Man wird wohl erst mit einigem zeitlichen Abstand die ganze Bedeutung dieses Schrittes für Europa und die internationale Politik begreifen können.
     Die Einführung eines gemeinsamen Geldes ist nicht in erster Linie ein ökonomischer, sondern vor allem ein souveräner und demnach eminent politischer Akt. Mit der Vergemeinschaftung des Geldes hat sich Europa auch für einen eigenständigen Weg in die Zukunft und, in enger Verbindung mit unseren transatlantischen Partnern, für eine eigenständige Rolle in der Welt von morgen entschieden. Freilich hat bis heute die EU nur teilweise den Charakter eines politischen Subjekts, und demnach wird aus der Vergemeinschaftung der Währung gegenüber den noch fehlenden politischen und demokratischen Gemeinschaftsstrukturen ein Spannungsfeld entstehen, dessen Dynamik den gegenwärtigen Status Quo bereits in naher Zukunft erschüttern wird. Meines Erachtens werden jene Beobachter recht behalten, die anläßlich der Einführung des Euro darauf hinwiesen, daß die gemeinsame Währung sowohl große Chancen als auch mindestens ebenso große Risiken für die EU enthielte, und zwar je nachdem, wie sich die Mitgliedstaaten zu dem weiteren politischen Vergemeinschaftungsprozeß verhalten würden."498

     178. Errichtung der Europäischen Zentralbank

     Mit Bekanntmachung vom 12. Januar 1999 wurde verkündet, daß die Bestimmungen des Abkommens vom 18. September 1998 zwischen der Regierung der Bundesrepublik Deutschland und der Europäischen Zentralbank über den Sitz der Europäischen Zentralbank mit Ausnahme der Art. 4, 6 und 14 Abs. 3 nach seinem Art. 22 Abs. 2 mit Wirkung vom 9. Dezember 1998 vorläufig angewendet werden.499 Am 4. März 1999 trat das Abkommen nach seinem Art. 22 Abs. 2 endgültig in Kraft.500




    464 BGBl. 1999 II, 296. Vgl. zum Amsterdamer Vertrag ausführlich Röben (Anm. 57), Ziff. 196.

    465 Vgl. hierzu Raible (Anm. 1), Ziff. 180.

    466 Bull. Nr. 25 vom 4.5.1999, 244.

    467 Bull. Nr. 2 vom 14.1.1999, 10.

    468 Ibid.

    469 Ibid.

    470 Ibid., 10 f.

    471 Ibid., 11.

    472 Ibid., 11 f.

    473 Ibid., 12.

    474 Ibid.

    475 Ibid.

    476 BT-Drs. 14/751, 1 f.

    477 Ibid., 2.

    478 Ibid., 3.

    479 Ibid., 3 f.

    480 Bull. Nr. 45 vom 22.7.1999, 479.

    481 Ibid.

    482 Ibid.

    483 Ibid.

    484 Ibid., 480.

    485 Pressearchiv des Auswärtigen Amtes (Anm. 24): http://www.auswaertiges-amt.de/www.de/infoservice/presse/index_html.

    486 BT-Drs. 14/1489, 2.

    487 Ibid., 3.

    488 Ibid., 4.

    489 Ibid., 5.

    490 Bull. Nr. 88 vom 20.12.1999, 833 f.

    491 Ibid., 834 f.

    492 Blickpunkt Bundestag 12/99, 17.

    493 BT-Drs. 14/1455, 1 f.

    494 Ibid., 2.

    495 BT-Drs. 14/2159, 2 f.

    496 Blickpunkt Bundestag 6/99, 23.

    497 Ibid.

    498 Pressearchiv des Auswärtigen Amtes (Anm. 24): http://www.auswaertiges-amt.de/www.de/infoservice/presse/index_html.

    499 BGBl. 1999 II, 81.

    500 BGBl. 1999 II, 367. Zu dem Abkommen ausführlich Raible (Anm. 1), Ziff. 187.