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Völkerrechtliche Praxis der Bundesrepublik Deutschland im Jahre 1999


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Silja Vöneky/Markus Rau


XV. Europäische Union und Europäische Gemeinschaften

3. Sonstige Einzelfragen

     188. Agenda 2000

     Zum Stand der Agenda 2000587 nach dem Rücktritt der Europäischen Kommission äußerte sich Bundesaußenminister Fischer in der 27. Sitzung des Deutschen Bundestages am 18. März 1999. Fischer nannte drei zentrale Anliegen der Bundesregierung im Rahmen der Reformen der finanziell wichtigsten Aufgabenbereiche der Europäischen Union:

     "Erstens: Es geht um eine Reform der Agrarpolitik und eine Senkung der Agrarausgaben, die durch die Erweiterung und die bevorstehende WTO-Runde - wir hoffen, ab 2002 - unausweichlich geworden sind. Die gemeinsame Agrarpolitik muß durch die Reform auf mehr Wettbewerbsfähigkeit und Umweltverträglichkeit ausgerichtet werden. Für uns ist insbesondere wichtig, daß die Interessen der deutschen Bauern in Ost und West gewahrt bleiben. Das ist beim Kompromiß des Agrarrats vom 11. März der Fall. (...)
     Zweitens: In der Strukturpolitik geht es um eine Effizienzsteigerung und um eine Konzentration auf die strukturschwächsten und förderungsbedürftigsten Regionen, und zwar mit höheren Mitteln auch für die deutschen Ziel-1-Regionen - das sind die neuen Bundesländer -, und es geht um eine ausreichende Flexibilität der Mitgliedstaaten bei der Auswahl der Ziel-2-Gebiete - das sind bei uns die alten Bundesländer. Außerdem brauchen wir angemessene nationale Spielräume für eine eigenständige Regionalpolitik in den Mitgliedstaaten.
     Drittens: Es geht um eine faire Lastenverteilung in der Europäischen Union. Es ist für die Bundesregierung ein wesentliches Ziel, die Ungerechtigkeiten bezüglich des deutschen Nettosaldos zu korrigieren. Es kann nicht so bleiben, daß ein einziger Staat 60 % des Nettotransfers in der EU bestreitet. Das erkennen auch unsere Partner an, und das wird ebenso im Eigenmittelbericht der EU-Kommission anerkannt. Aber wir müssen hier mit Realismus und Augenmaß vorgehen. Deutschland wird nach einer erfolgreichen Reform auch weiterhin größter Nettozahler bleiben. Entscheidend ist, daß wir eine gerechtere Lastenverteilung erreichen, was angesichts der notwendigen Zustimmung unserer Partner alles andere als einfach sein wird."588

     Fischer äußerte abschließend die Auffassung, daß eine umfassende Lösung der Agenda 2000 die bedeutendste Finanzreform der Europäischen Union seit ihrer Gründung sein würde. Zugleich würde damit ein wesentliches noch bestehendes Hindernis für die baldige Aufnahme der Beitrittskandidaten beseitigt.589

     189. Die Bundesregierung legte am 24. Februar 2000 einen Bericht über ihre Bemühungen zur Stärkung der gesetzgeberischen Befugnisse des Europäischen Parlaments im Jahre 1999 vor. Darin führte sie zunächst aus, daß innerhalb des Rates Konsens darüber erzielt worden sei, auf der Grundlage der Entschließung des Europäischen Parlamentes zum einheitlichen Wahlverfahren vom 15. Juli 1998 eine Revision des Direktwahlrechts durchzuführen. Dissens bestehe noch darüber, inwieweit bei der Regelung über die Inkompatibilität von nationalem Mandat und Mitgliedschaft im Europäischen Parlament die Ausnahmeregelung für Irland und Großbritannien durch eine zeitliche Befristung bzw. durch eine Revisionsklausel abgemildert werden könnten. Die Bundesrepublik setze sich mit Nachdruck dafür ein, daß mehr als 40 Jahre nach Abschluß der Römischen Verträge der bereits dort verankerte Auftrag zur Schaffung eines einheitlichen Wahlverfahrens (in der Variante gemeinsamer Grundsätze) bei Europawahlen erfüllt werde. Die unter finnischer Präsidentschaft auf der Grundlage der Entschließung des Europäischen Parlaments erarbeitete Neufassung des Direktwahlakts sei hierfür eine geeignete Grundlage.590

     Hinsichtlich der Festlegung eines Abgeordnetenstatuts teilte die Bundesregierung mit, daß das Europäische Parlament am 3. Dezember 1998 einen diesbezüglichen Entwurf vorgelegt habe. Die Kommission habe dazu am 9. März 1999 Stellung genommen. Die Diskussionen unter deutscher Präsidentschaft im Rat hätten am 26. April 1999 zu einer einstimmig beschlossenen Stellungnahme geführt, deren Inhalt das Europäische Parlament allerdings abgelehnt habe. Deutschland unterstütze den Ratsvorsitz in dem Bemühen, in Verhandlungen mit dem Europäischen Parlament eine Annäherung der Haltung der beiden Institutionen herbeizuführen.591

     Bezüglich des Komitologieverfahrens berichtete die Bundesregierung, daß an die Stelle des Komitologiebeschlusses von 1987 der Komitologiebeschluß vom 28. Juni 1999 getreten sei. Der neue Beschluß lege verbindlich die umfassenden Informations- und Mitwirkungsrechte des Europäischen Parlamentes fest, die bisher aufgrund des vom Vertrag von Maastricht eingeführten Verfahrens der Mitentscheidung in einem sog. modus vivendi geregelt gewesen seien. Der neue Beschluß sorge für eine stärkere Einbeziehung des Europäischen Parlaments in diejenigen Fälle, in denen der Basisrechtsakt, mit dem der Kommission Durchführungsbefugnisse übertragen würden, nach dem Verfahren der Mitentscheidung angenommen worden sei, und für eine verbesserte Unterrichtung des Europäischen Parlaments.592

     190. Das Vorhaben der EU, eine erweiterte Betrugsbekämpfungseinrichtung (Office de Lutte Anti-Fraude - OLAF) zu schaffen, ist am 21. April 1999 im Europaausschuß des Deutschen Bundestages auf ein geteiltes Echo gestoßen. Während Vertreter von SPD und CDU/CSU das vorgesehene breite Aufgabenspektrum begrüßten, bezeichneten Abgeordnete der FDP es als den falschen Ansatz, eine Betrugsbekämpfungsstelle einzurichten, die nicht unabhängig von der Europäischen Kommission agieren könne.593




    587 Siehe dazu bereits oben Ziff. 175.

    588 Bull. Nr. 12 vom 23.3.1999, 129.

    589 Ibid., 131.

    590 BT-Drs. 14/2835, 1.

    591 Ibid., 1 f.

    592 Ibid., 2.

    593 Blickpunkt Bundestag 4/99, 22.