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Völkerrechtliche Praxis der Bundesrepublik Deutschland im Jahre 1999


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Silja Vöneky/Markus Rau


V. See- und Flußrecht

1. Seerecht

     14. Am 17. September 1999 erging das Zustimmungsgesetz zu dem Abkommen vom 17. Oktober 1997 zwischen der Regierung der Bundesrepublik Deutschland und der Regierung der Tunesischen Republik über die Seeschiffahrt.33 Ziel des Abkommens ist, zur Entwicklung der Wirtschafts- und Handelsbeziehungen der beiden Länder beizutragen und ihre Schiffahrtsbeziehungen und die technische Zusammenarbeit zu entwickeln. Das Abkommen beruht auf den Prinzipien der Gleichheit und Gegenseitigkeit, der Freiheit des Verkehrs und der Nichtdiskriminierung. Es gewährt Inländergleichbehandlung für die Benutzung der Häfen. Es regelt außerdem Beistandspflichten für Vorfälle auf See, die Pflichten zur Hilfe, Beratung und Information über alle Angelegenheiten der Schiffahrt und die Einrichtung eines "Gemischten Technischen Schiffahrtsausschusses" zur Durchführung des Abkommens. Die Aufgaben des Ausschusses sind insbesondere die Erörterung von Angelegenheiten gemeinsamen Interesses bezüglich der Handelsmarine und der Handelshäfen, Erarbeitung von Empfehlungen an die Vertragsparteien zur Lösung von Problemen, die sich aus der Auslegung und Anwendung des Abkommens ergeben können und die Erarbeitung von Empfehlungen an die beiden Vertragsparteien im Bereich der Handelsschiffahrt.

     15. Am 27. Oktober 1999 trat das Abkommen vom 24. April 1995 zwischen der Regierung der Bundesrepublik Deutschland und der Regierung der Demokratischen Volksrepublik Algerien über die Seeschiffahrtsbeziehungen in Kraft.34 Das Abkommen beruht auf den Prinzipien der Freiheit des Verkehrs, der Nichtdiskriminierung des Schiffahrtsunternehmens und es gewährt Inländergleichbehandlung für die Benutzung der Häfen. Ebenfalls niedergelegt sind Beistandspflichten in den Hoheitsgewässern der jeweils anderen Vertragspartei bei einem Schiffbruch oder einer Havarie. Auch hier wird ein gemischter Schiffahrtsausschuß gebildet, der Fragen von gemeinsamem Interesse behandelt.

     16. Das Abkommen vom 28. Oktober 1996 zwischen der Regierung der Bundesrepublik Deutschland und der Regierung der Republik Indonesien über die Seeschiffahrt trat am 27. Juli 1999 in Kraft.35

     17. Am 27. Dezember 1999 wurde der Gesetzentwurf der Bundesregierung zu dem Ausführungsgesetz zu dem Protokoll von 1996 zur Änderung des Übereinkommens von 1976 über die Beschränkung der Haftung für Seeforderungen vorgelegt. Gegenstand des Gesetzentwurfes ist die Anhebung der Haftungshöchstbeträge für kleinere Schiffe und für Lotsen auf der Grundlage des Protokolls zum Haftungsbeschränkungsübereinkommen von 1976.36

     18. Die Bundesregierung äußerte sich auf eine Große Anfrage der CDU/CSU-Fraktion zum Problem der Schaffung einer deutschen Küstenwache am 22. Dezember 1999.37

     Nach Ansicht der Fragesteller hatte die Havarie des Frachters "Pallas" im Oktober 1998 die Schutzbedürftigkeit und ökologische Gefährdung der deutschen Küste erneut verdeutlicht. Zwar bestehe seit 1994 eine Küstenwache, doch der Durchbruch zu einer einheitlichen nationalen Organisationsstruktur, die alle relevanten Kompetenzen im Krisenfall zusammenführt, sei bisher nicht erfolgt. Kompetenzüberlappungen bestünden zwischen den Bundesbehörden - dem Bundesministerium für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen, dem Bundesministerium des Innern, dem Bundesministerium für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten, dem Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit, dem Bundesministerium der Verteidigung - auf der einen Seite und den Landespolizeien, Innen- und Umweltministerien sowie Staatskanzleien der fünf norddeutschen Küstenländer, den Leitungsstrukturen des Wasser- und Schiffahrtsamtes, der Wasser- und Schiffahrtsverwaltung, der Fischereiaufsicht, des Zolls sowie des Bundesgrenzschutzes - auf der anderen Seite.

     Die Bundesregierung stellte dazu zunächst grundsätzlich fest, daß sie auf dem Gebiet der Bekämpfung von Meeresverschmutzungen in der Ausschließlichen Wirtschaftszone handele, die außerhalb der Hoheitsgewässer liege, während für die Hoheitsgewässer (12 sm-Zone) der Bund und die Küstenländer, teils in abgeleiteter, teils in originärer eigener Zuständigkeit, entsprechende Vorsorgemaßnahmen ergriffen hätten. Der Bund und die Küstenländer ließen sich dabei nach Risikoabschätzungen vom Vorsorgeprinzip leiten und setzten auf die Synergieeffekte der Bündelung von personellen und Sachmitteln. Zu diesem Zweck sei am 27. April 1995 eine Vereinbarung über die Bekämpfung von Meeresverschmutzung abgeschlossen worden, die ein früheres Verwaltungsabkommen von 1995 abgelöst habe.38

     Mit der Bildung des Koordinierungsverbundes "Küstenwache" am 1. Juli 1994 sei eine neue Form der Zusammenarbeit der mit Überwachung und Vollzug auf See beauftragten Behörden des Bundes eingeleitet worden.39

     Mit Kabinettsbeschluß vom 19. März 1997 wurde der Fortführung des Koordinierungsverbundes mit dem Schwerpunkt der weiteren Intensivierung der Zusammenarbeit mit den Überwachungs- und Vollzugsbehörden der Küstenländer zugestimmt:40

     "Schwerpunkt bei der Gewährleistung der maritimen Sicherheit ist das Vorsorgeprinzip, das heißt vor allem weitgehende Vermeidung von Unfällen. Dazu gehören Maßnahmen:
     zur Erhöhung der technischen Schiffssicherheit (...), zur Schiffs- und Reedereibetriebsführung sowie der Verkehrsordnung (...), der Verkehrsregelung (...), einer effektiven Überwachung der Einhaltung internationaler und nationaler Vorschriften (...).
     Weitere Maßnahmen der Vorsorge sind:
    Katastrophen- und Alarmpläne der Wasser- und Schiffahrtsverwaltung, Bund-Länder-Vereinbarungen zur Bekämpfung von Meeresverschmutzungen, Vorhaltung von Notschleppkapazitäten,
    Sicherung des verkehrsbezogenen Feuerschutzes, internationale Zusammenarbeit im Rahmen des Bonn-Übereinkommens sowie der zweiseitigen Alarm- und Einsatzpläne mit Dänemark und den Niederlanden (Denger-Plan, Nethger-Plan) und des Helsinki-Übereinkommens. (...)
     Bei der Bekämpfung von Meeresverschmutzungen arbeiten Bund und Küstenländer auf der Grundlage der Vereinbarung vom 27. April 1995 eng zusammen. (...)
     Kommen bei der Bekämpfung von Unfällen in der gemeinsamen Einsatzleitgruppe einvernehmliche Entscheidungen nicht zustande, entscheidet die Stimme des Partners, der von den Auswirkungen am stärksten betroffen ist."41

     Das Bundesministerium für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen zog in einem Bericht vom 8. März 1999 erste Schlußfolgerungen nach der Havarie des Frachters. Die dort genannten kurzfristig umzusetzenden Maßnahmen seien entweder bereits realisiert - wie die Überarbeitung der Alarmpläne, die Definition von Entscheidungskriterien für den Notschleppeinsatz, die Bestimmung der Vor-Ort-Einsatzleitung und die Ausrüstung der Schiffe "Neuwerk" und "Mellum" mit hochfesten Schlepptrossen - oder ihre Realisierung sei eingeleitet - wie die vertragliche Bindung zusätzlicher allwettertauglicher Hubschrauber, die Bereitstellung zusätzlicher Mannschaften für Notschleppeinsätze, die Vorhaltung zusätzlicher Notschleppkapazität und das Zusammenwirken der für den Katastropheneinsatz zuständigen Stellen der Länder.42

     Im Hinblick auf die Ölbekämpfungsstrategie des Bundes und der Küstenländer führte die Bundesregierung aus, daß diese darauf ausgelegt sei, Ölverschmutzungen möglichst nicht in das Wattenmeer gelangen zu lassen und im Küstenvorfeld zu bekämpfen, und bei nicht zu verhindernden großflächigen Verschmutzungen des Wattenmeeres besonders sensitive Gebiete zu "verteidigen", damit sie später der Renaturierung der geschädigten Gebiete dienen könnten.43

     Für den Fall einer Havarie gewährleistet das von der Bundesregierung entwickelte Konzept der Vorhaltung von Notschleppkapazität die Möglichkeit, havarierten Schiffen im ersten Zugriff Hilfe zu leisten, bis kommerzielle Bergungsunternehmen vor Ort seien. Die permanente Vorhaltung hochseetauglicher Notschleppkapazitäten sei Bestandteil des Vorsorgekonzeptes der Bundesregierung.44

     Nach der Erfahrung im Koordinierungsverbund "Küstenwache" habe sich die Einrichtung der zwei Küstenwachzentren in Cuxhaven und Neustadt bewährt. Insbesondere wegen der ausgeprägten geographischen Trennung der beiden Einsatzgebiete Nordsee und Ostsee gäbe es aus heutiger Sicht keine zwingenden Gründe für eine Zusammenlegung.45

     Im Hinblick auf die internationale Zusammenarbeit zum Schutz der deutschen und europäischen Küste antwortete die Bundesregierung:

     "Möglichkeiten der weiteren Verbesserung der partnerschaftlichen Zusammenarbeit zwischen Deutschland und den anderen Ostsee- und Nordseeanrainerstaaten werden auf folgenden Gebieten geprüft:
     Überwachung und Vollzug
     Durch Intensivierung bilateraler Kontakte mit den mit Küstenwachaufgaben betrauten Behörden der Nachbarstaaten und regelmäßigen Erfahrungsaustausch soll die unmittelbare Zusammenarbeit vor Ort effizienter gestaltet werden.
     Vorsorge und Bekämpfungsmaßnahmen gegen Unfallfolgen
     Zur besseren Verfügbarkeit von Notschleppkapazität ist vorgesehen, den bereits in den Vorjahren in den Rahmen der ETOW-Gruppe (Ad-hoc-Arbeitsgruppe 'Notschleppen' im Rahmen des Bonn-Übereinkommens) angestrebten gegenseitigen Austausch von Kapazitäten voranzutreiben. Entsprechende Verhandlungen mit den Niederlanden stehen kurz vor dem Abschluß. Es werden Maßnahmen eingeleitet, um die internationalen Alarm- und Meldewege im Bereich der Unfallbekämpfung verstärkt auf ihre Funktionsfähigkeit zu prüfen und die Handhabung zu trainieren.
     Kriminalitätsbekämpfung
     Die bereits in der Ostsee im Rahmen der Baltic-Task-Force praktizierte grenzpolizeiliche Zusammenarbeit kann als Vorbild für ein ähnliches im Bereich der Nordsee angestrebtes System dienen. Hinsichtlich der Schmuggelbekämpfung bestehen bereits zwischen den Niederlanden, Großbritannien und Nordirland Memorandums of Understanding (MOU) mit Deutschland. Mit diesen MOU wird die Kontaktaufnahme der Ansprechpartner der beteiligten Länder erleichtert."46

     19. Zu Fragen des Seerechts, des Seerechtsübereinkommens der Vereinten Nationen und der Bekämpfung der Piraterie äußerte sich die Vertreterin Finnlands Lehto im Namen der Europäischen Union bei der 54. Sitzung der Generalversammlung der Vereinten Nationen am 22. November 1999. Sie stellte fest:

     "To be meaningful, a process dealing with the vast area and the various uses of the oceans and seas by definition needs to be open-ended and transparent. It is of great importance to the European Union that the process ensures opportunities to the civil society, representing various major interest groups in sustainable development and ocean affairs to give inputs, and thereby enrich our future deliberations. (...)
     Obviously, any consideration of ocean uses shall be conducted within the legal framework of the UN Convention on the Law of the Sea. It is today as important as it was at the adoption of the Convention to recognize that all aspects of oceans and seas are closely interrelated and need to be considered as a whole. This is also in line with the objectives of sustainable development as described in Agenda 21 which constitutes the other parent framework for this informal consultative process. (...)
     Once again, we also note with concern that, notwithstanding article 310 of the Convention, a number of States have made declarations that appear to exclude or modify the legal effect of certain provisions of the Convention. As the Convention clearly states in article 309 that reservations may not be made, such declarations cannot have any legal effect. Similarly unacceptable is national legislation not in compliance with the Convention. The European Union is particularly concerned about unilateral measures that disturb the jurisdictional balance and claim authority in maritime space where no such authority exists in law. We want to underline that the Convention was adopted as a package, and respect for its integrity as a whole must be maintained and safeguarded. (...)
     The European Union welcomes the work of the International Maritime Organization over the last year to tackle the serious problem of piracy and armed robbery against ships. This has helped to raise awareness and offer practical guidance on how to deal with incidents of piracy and armed robbery. However, the European Union remains concerned about the number of attacks against ships and the increased use of violence in such attacks. We believe that regional cooperation is essential if the action by coastal states is to be effective."47

     Die finnische Vertreterin betonte außerdem:

     "All states, in particular coastal states in effected regions, are urged to take measures to prevent and combat piracy and armed robbery at sea, to investigate such incidents and to bring the alleged perpetrators to justice. Appreciation and support is expressed for the ongoing work of the international maritime organization in this area and States are called upon to implement the IMO guidelines on piracy and to cooperate with the IMO to combat piracy and armed robbery against ships."48



    33 BGBl. 1999 II, 862.

    34 BGBl. 1999 II, 970.

    35 BGBl. 1999 II, 1004; vgl. dazu bereits Raible (Anm. 1), Ziff. 15.

    36 BR-Drs. 718/99; das Gesetz trat am 1.7.2000 in Kraft, vgl. Gesetz vom 27.6.2000, BGBl. 2000 I, 938.

    37 BT-Drs. 14/2430.

    38 Ibid., 2.

    39 Ibid., 2.

    40 Ibid., 2.

    41 Ibid., 4, 6.

    42 Ibid., 6 f.

    43 Ibid., 8.

    44 Ibid., 9.

    45 Ibid., 13.

    46 Ibid., 19 f.

    47 Permanent Mission of Finland to the United Nations (Anm. 3): http://www.un.int./finland/euspeechOceans.cfm.

    48 Permanent Mission of Finland to the United Nations (Anm. 3): http://www.un.int./finland/euspeechIntroductionL.31.cfm.