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12.03.2019: MPIL Momentum. Illiberale Demokratie in der Krise. Venezuela in seiner Bedeutung für Europa

Am Dienstag, den 12.03.2019 fand erneut eine Veranstaltung der Reihe MPIL Momentum in Berlin statt. Unter dem äußerst aktuellen Thema „Illiberale Demokratie in der Krise: Venezuela in seiner Bedeutung für Europa“ lud das Berliner Büro des Max-Planck-Instituts für ausländisches öffentliches Recht und Völkerrecht, unter Leitung von Alexandra Kemmerer, zu einer Podiumsdiskussion mit Armin von Bogdandy, Maryhen Jiménez Morales (Doktorandin und Lecturer am Department of Political Science and International Relations der Universität Oxford), Jochen von Bernstorff (Professur für Staatsrecht, Völkerrecht, Verfassungslehre und Menschenrechte an der Universität Tübingen) und Achilles Skordas ein.

Sie setzten sich mit den Fragen auseinander, was Machtstrukturen, Rechtfertigungsstrategien und Optionen in der Venezuelanischen Krise vor dem Hintergrund aktueller Krisen der liberalen Demokratie in Europa bedeuten und ob das Verständnis zentraler Fragen der Venezuelanischen Krise auch zum konstruktiven Umgang mit illiberalen Demokratien in Europa beitragen kann.

Armin von Bogdandy begann sein Statement mit der Betonung, dass die Veranstaltung der Einordnung und dem besseren Verständnis diene, es aber letztlich darum gehe, gerade als Wissenschaftler Stellung zu beziehen und sich zu positionieren. Gleich zu Beginn warf er die Frage auf, ob eine „Venezuela-Konstellation“ in Zukunft auch vor unserer Haustür denkbar ist. Er führte aus, dass sich das Machtregime unter Nicolás Maduro auf der Grundlage einer funktionierenden demokratischen Verfassung entwickelt hat und mit der Zeit immer autoritärer wurde. Dies nennt man illiberale Demokratie, was eine Wortschöpfung von Viktor Orbán sei. Armin von Bogdandy sieht das Problem der Exklusion als Ausgangspunkt – die Krise in Venezuela sei daher also eine Krise der Inklusion. Viele Menschen sahen sich in der sozialen und gesellschaftlichen Situation Venezuelas vernachlässigt und fühlten sich ausgeschlossen. In Venezuela sieht man nun, was die Folge ist, wenn die populistische Lösung auf das Exklusionsproblem ihrerseits in die Krise gerät ­- die heutige Krise in Venezuela sei letztlich die Krise im Umgang mit einer früheren Krise. Diese Situation verglich er mit Ungarn und Polen und verdeutlichte so, dass ein solches Szenario auch in Europa denkbar ist. Armin von Bogdandy betonte zum Schluss die Wichtigkeit einer transnationalen juristischen Einbindung. Dies sei besonders wichtig einerseits für den Widerstand, weil das Argument der Rechtswidrigkeit wichtig bleibe, und andererseits für den Übergang, um die Rechtsstaatlichkeit wiederherzustellen.

Maryhen Jiménez Morales legte die politischen Tiefenstrukturen dar und erläuterte wie es, aus ihrer Sicht, zu der Krise kam und ob es daraus einen Ausweg gebe. Früher war Venezuela eine funktionierende Demokratie, das Land mit den größten Ölreserven und ein Beispiel für ganz Lateinamerika. Heute ist es eines der korruptesten Länder der Welt, Caracas zählt zu den gefährlichsten Städten der Welt, die wirtschaftliche Leistung hat sich halbiert und viele Menschen sind geflüchtet. Sie beschreibt dies als einen schleichenden Prozess von einer Working Democracy über eine Deficient Democracy hin zu einer Autocracy. Die Oppositon versucht seit 18 Jahren einen Machtwechsel zu vollziehen, bisher jedoch nicht erfolgreich. Juan Guaidó startete einen neuen Versuch und seine Route für einen Ausweg ist klar: Das Ende der Ursurpation, eine Übergangsregierung und schließlich freie Wahlen. Letztlich kommt es nach Maryhen Jiménez Morales darauf an, dass das Militär sich auf die Seite des Volkes stellt.

Jochen von Bernstorff nahm im Folgenden eine Einordnung aus völkerrechtlicher Sicht vor. Seiner Meinung nach geht es um zwei völkerrechtliche Themenkomplexe: Das Anerkennungsrecht und die Militärintervention. Einschlägige Normen sind diesbezüglich das Interventions- und das Gewaltverbot, welche, wenn das Völkerrecht eine Verfassung hätte, deren elementaren Bestandteile wären. Jochen von Bernstorff führte zunächst aus, dass die Staatsgewalt weiterhin bei Maduro liege, da Guaidó keinerlei territoriale Gewalt habe. Allein darauf kommt es aus völkerrechtlicher Sicht jedoch an. Ob die Präsidentschaftswahlen 2018 daher unwirksam waren, und Maduro rein rechtlich gesehen gar nicht Präsident von Venezuela ist, wie dies Maryhen Jiménez Morales schildert, ist für eine völkerrechtliche Betrachtung nicht ausschlaggebend. Eine verfrühte Anerkennung von Guaidó als Präsidenten durch die europäischen Staaten stelle daher einen Verstoß gegen das Interventionsverbot der Völker dar und sei somit völkerrechtswidrig. Allein zu erörtern wäre, ob die Anerkennung Guaidós als bloßem „Interimspräsidenten“ möglicherweise unterhalb der Schwelle eines solchen Verstoßes liege. Dies lehnt Jochen von Bernstorff jedoch ab. Juristisch gibt es seiner Meinung nach keine Rechtfertigung für einen solchen Völkerrechtsverstoß. Es bleibe also die Frage, ob sich eine solcher Verstoß aus moralischen Gesichtspunkten lohne. Dabei zu berücksichtigen sei aber, dass das Interventionsverbot zum einen auch die Botschafter schütze, ein Verstoß somit auch die Opposition schwächen kann. Zum anderen führt eine frühzeitige Anerkennung auch zu einem Verlust von Einflussmöglichkeiten der anerkennenden Staaten auf die Regierung und auch auf die Opposition, da die Basis für eine Gesprächsführung mit der Anerkennung zerstört werde.

Die Spannung zwischen rechtlichen Geboten und moralischen Vorstellungen wurde auch im Rahmen der Diskussion mit dem Publikum noch einmal aufgegriffen, wobei Jochen von Bernstorff insbesondere auch auf die Frage der humanitären Intervention einging, welche ohne eine entsprechende Resolution des UN-Sicherheitsrates durch das Völkerrecht nicht zu rechtfertigen sei.

Schließlich zeigte Achilles Skordas die geopolitische und geoökonomische Dimension auf, insbesondere auch im Hinblick auf das Recht der Selbstbestimmung. Die Lage in Venezuela sei eine Frage von geopolitischen und geoökonomischen Entscheidungen des Regimes, wodurch es zu massiven Verletzungen des Rechts der wirtschaftlichen und politischen Selbstbestimmung kam. Aufgrund dieser Lage sei das Regime von Maduro aus seiner Sicht nicht mehr haltbar und habe keinen Anspruch darauf weiterhin als Regierung anerkannt zu werden.

In der sich anschließenden lebhaften Diskussion unter Einbindung des äußerst interessierten sowie qualifizierten Publikums der Berliner Wissenschaft, Politik und Presse wurde insbesondere der Vergleich zu Polen und Ungarn noch einmal hervorgehoben und dargelegt, was Europa aus der Krise in Venezuela lernen kann. Armin von Bogdandy zeigte sich schließlich aber hoffnungsvoll für Europa, da die rechtsstaatliche Demokratie ungeachtet ihrer Probleme die krisenfesteste ihrer Form sei.

 

Bericht: Barbara Bücker

Foto: Jordis Schlösser/Ostkreuz

In der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften (BBAW).

https://www.mpil.de/de/pub/aktuelles/veranstaltungen.cfm?event=calendar.Display&cat=3&iDisplayID=7&event_ID=536&date=03/12/2019

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