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Völkerrechtliche Praxis der Bundesrepublik Deutschland im Jahre 1995


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Rainer Grote

VIII. Ausländer

4. Visarecht

    81. Auf eine Kleine Anfrage erläuterte die Bundesregierung die Visavergabepraxis gegenüber Bürgerinnen und Bürgern der Staaten des ehemaligen Warschauer Paktes, mit denen kein visafreier Reiseverkehr besteht.188 Die Geschwindigkeit der Prüfung eines Visumsantrages hänge von verschiedenen Faktoren ab, zu denen die technische Ausstattung der Auslandsvertretung, landesspezifische Besonderheiten, die eine unterschiedliche Kontrolldichte erforderlich machten, und saisonale Schwankungen bei den Antragszahlen gehörten. Zu der Frage, ob in den betreffenden Staaten vor deutschen Konsulaten und Botschaften ein Handel mit Visa für die Einreise nach Deutschland stattfinde, erklärte die Bundesregierung:

    "Vor den deutschen Auslandsvertretungen wird kein Handel mit Visa betrieben.
    Der Bundesregierung sind allerdings Fälle bekannt, in denen vor deutschen Botschaften und Konsulaten echte oder auch gefälschte Besuchseinladungen von Dritten verkauft werden. Die Auslandsvertretungen können keinen unmittelbaren Einfluß ausüben, dies zu unterbinden, da sie auf dem Gebiet vor der Vertretung keine Exekutivgewalt ausüben dürfen. Es werden deshalb die Polizeibehörden dieser Staaten gebeten, geeignete Schritte zu unternehmen, um derartige Machenschaften zu unterbinden."189
    Weiter führte die Bundesregierung aus, bei einigen Vertretungen, insbesondere in der GUS, entstünden wegen des großen Andrangs mitunter Warteschlangen. Hier könne es vorkommen, daß Dritte versuchten, an Antragsteller vermeintlich günstigere Plätze in der Warteschlange zu verkaufen. Die Auslandsvertretungen würden zum einen auch in diesen Fällen die örtlichen Polizeibehörden um ein Eingreifen bitten, zum anderen werde versucht, durch Neuorganisation den Ablauf des Prüfungsverfahrens zu straffen, um die Bearbeitungszeiten zu verkürzen. Darüber hinaus erhielten die Vertretungen, die vor allem in den Sommermonaten ein außerordentlich hohes Visaaufkommen hätten, für diese Zeit personelle Verstärkung. Eine längerfristige Personalaufstockung sei aufgrund der von der Bundesregierung beschlossenen Sparmaßnahmen allerdings nicht möglich.190

    82. Im Hinblick auf die Visumserteilung für ausländische Ehepartner und -partnerinnen deutscher Staatsangehöriger stellte die Bundesregierung klar, daß für die Bearbeitung des Visumsantrags grundsätzlich die Auslandsvertretung zuständig ist, in deren konsularischem Amtsbezirk der Ausländer seinen gewöhnlichen Aufenthalt hat. Stelle die Reise zu dieser Auslandsvertretung für den Ausländer eine besondere Härte dar, könne die Bearbeitung des Antrags auch durch eine grenznahe Auslandsvertretung erfolgen, die jedoch für die Erteilung des Visums einer besonderen Ermächtigung durch die örtlich zuständige Auslandsvertretung bedürfe. Bei Anträgen von Staaten des EWR und der USA, oder wenn die Ehe während des rechtmäßigen oder geduldeten Aufenthalts des Ausländers im Bundesgebiet geschlossen werde, könne die erforderliche Aufenthaltserlaubnis im Bundesgebiet beantragt werden.191

    83. Mit einer Entschließung vom 31. Mai 1995 sprach sich der Innenausschuß des Bundestages für eine Harmonisierung der Visumspolitik in der EU gegenüber der Bundesrepublik Jugoslawien (Serbien/Montenegro) aus. Mit der von CDU/CSU, SPD und F.D.P. getragenen Entschließung unterstützten die Abgeordneten die Bemühungen der Bundesregierung, Italien dazu zu bewegen, die Visumspflicht für Angehörige der Bundesrepublik Jugoslawien alsbald einzuführen. Zur Begründung hieß es in der Entschließung, seit Dezember 1994 reisten Zuwanderer in erheblichem Umfang über Italien illegal nach Frankreich, Deutschland und die Benelux-Staaten ein. Organisierte Schlepperbanden nutzten es offenbar aus, daß Italien als einziger Vertragsstaat des Schengener Durchführungsübereinkommens keine Visumspflicht für Angehörige der BRJ eingeführt habe.192

    84. Nach der Hinrichtung des nigerianischen Regimekritikers Ken Saro-Wiwa beschlossen die Mitgliedstaaten der EU eine restriktive Visapolitik gegenüber Nigeria. Regierungsdelegationen und Mitgliedern des Militärs sowie deren Familien wurde die Einreise in die EU-Staaten verweigert. Im Bereich des Sports wurden Visa für offizielle Delegationen und Nationalmannschaften nicht mehr erteilt.193


    188 BT-Drs. 13/2585.
    189 Ibid., 4.
    190 Ibid.
    191 Antwort der Bundesregierung auf eine Kleine Anfrage, BT-Drs. 13/472, 1 f.
    192 Woche im Bundestag Nr. 11/95 vom 8.6.1995, 8.
    193 Gemeinsamer Standpunkt vom 20.11.1995 zu Nigeria, vom Rat aufgrund von Artikel J.2 des Vertrages über die Europäische Union festgelegt, ABl. Nr. L 298 vom 11.12.1995, 1; Gemeinsamer Standpunkt vom 4. Dezember 1995, ABl. Nr. L 309 vom 21.12.1995, 1.