85. Der Bundestag stimmte am 24. Juli 1995 dem Protokoll Nr. 11 vom 11. Mai 1994 zur Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten zu194. An die Stelle der bislang mit der Prüfung von Menschenrechtsbeschwerden nach der Konvention befaßten Europäischen Kommission für Menschenrechte, des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte und des Ministerkomitees des Europarates, soweit es nach Artikel 32 der jetzigen Konvention über Individualbeschwerden entscheidet, tritt ein neuer ständiger Gerichtshof für Menschenrechte als einziges Kontrollorgan. Dadurch soll das Verfahren vereinfacht und beschleunigt werden. Zugleich werden die gerichtsförmigen Elemente der Prüfung verstärkt. Das vertrauliche Verfahren vor der Kommission, das mit einer nur gutachtlichen Stellungnahme endet, entfällt. Das Ministerkomitee, ein politisches Organ, ist nicht mehr für die Entscheidung über Menschenrechtsbeschwerden, sondern nur noch für die Kontrolle der Einhaltung der vom Gerichtshof erlassenen Urteile zuständig.
Die Notwendigkeit für die Ratifikation der Konvention und ihr rasches Inkrafttreten wurde von der Bundesregierung mit der zunehmenden Belastung der Konventionsorgane begründet:
"Die starke Belastung der Konventionsorgane hat dazu geführt, daß die Verfahren lange dauern. Gegenwärtig dauert es durchschnittlich über fünf Jahre, bis eine zulässige Individualbeschwerde abschließend vom Gerichtshof oder dem Ministerkomitee entschieden wird. Die Kommission und der Gerichtshof sind damit selbst nicht mehr imstande, den Anforderungen des Artikels 6 Abs. 1 der Konvention zu genügen und eine Entscheidung binnen angemessener Frist zu treffen. [...] Dabei ist zu berücksichtigen, daß die Verfahren aufgrund der Europäischen Menschenrechtskonvention erst nach Erschöpfung des innerstaatlichen Rechtszugs zulässig sind. Es vergehen aber nicht selten viele Jahre, bis die innerstaatlichen Gerichte � in Deutschland ist auch die Anrufung des Bundesverfassungsgerichts Voraussetzung für die Zulässigkeit � über den Fall entschieden haben. So kommt es, daß die der Menschenrechtsbeschwerde zugrundeliegenden Ereignisse nicht selten lange Jahre zurückliegen."195 |
"Kommissare und Richter sind nur zu einem Teil ihrer Arbeitskraft in Straßburg tätig und im übrigen auch hauptberuflich in ihren Herkunftsstaaten verankert. Das hat zur Folge, daß die Verfahren über die Individualbeschwerden auch in sachlicher Hinsicht weitgehend durch das Sekretariat der Kommission und die Kanzlei des Gerichtshofes vorbereitet werden müssen. Ein ständiger Gerichtshof kann demgegenüber auf eine Weise arbeiten, wie das von obersten nationalen Gerichten bekannt ist, insbesondere von dem Bundesverfassungsgericht."196 |
"Für das Verständnis wesentlich ist, daß es lange Zeit nicht möglich war, eine Entscheidung für das eine oder andere Reformmodell herbeizuführen. Im wesentlichen sind zwei Modelle diskutiert worden. Das eine war der Vorschlag der sog. Fusion von Kommission und Gerichtshof zu einem ständigen Gerichtshof für Menschenrechte als einzige Kontrollinstanz. Der andere Vorschlag ging dahin, die Kommission in ein Gericht erster Instanz umzuwandeln, das über Individualbeschwerden durch Urteil entscheidet. In Fällen besonderer Bedeutung sollte dann ein Rechtsmittel zum Gerichtshof gegeben sein. [...] Im Frühjahr 1993 gelang es endlich, auf der Basis eines Kompromißvorschlags zu einer Einigung unter den Mitgliedstaaten zu kommen. Der Kompromiß besteht darin, daß zwar ein ständiger Gerichtshof als einziges Kontrollorgan eingerichtet, in besonders schwerwiegenden Fällen aber eine erneute Verhandlung innerhalb dieses Gerichtshofs ermöglicht werden sollte."198 |
"Auf diese Weise wird den Parteien die Möglichkeit gegeben, auf einem Urteil zu bestehen und nach Urteilserlaß eine erneute Verhandlung vor der Großen Kammer zu beantragen. Diese Möglichkeit, die Kern des dem Entwurf zugrundeliegenden Kompromisses ist, sollte nicht durch eine Abgabe der Kammer zu einem sehr frühen Stadium, also vor einer eigentlichen Verhandlung vor der Kammer, ausgehöhlt werden."199 |
86. Die Bundesregierung leitete am 28. September 1995 den Entwurf eines Vertragsgesetzes zu den Protokollen Nr. 1 und Nr. 2 vom 4. November 1993 zum Europäischen Übereinkommen zur Verhütung von Folter den gesetzgebenden Körperschaften zu.200 Das Protokoll Nr. 1 soll es Staaten, die noch nicht Mitglied des Europarates sind, ermöglichen, dem Übereinkommen beizutreten. Bislang kann der Europäische Ausschuß zur Verhütung von Folter nur in den Mitgliedstaaten des Europarates tätig werden, die das Europäische Übereinkommen gegen Folter ratifiziert haben. Künftig kann das Ministerkomitee des Europarates jeden Nichtmitgliedstaat des Europarates einladen, dem Übereinkommen beizutreten (Art. 3). Ferner sieht das Protokoll die Möglichkeit vor, für einen Nichtmitgliedstaat des Europarates ein Mitglied in den Ausschuß zur Verhütung von Folter zu wählen. Das Parlament des betreffenden Nichtmitgliedstaats schlägt auf Einladung des Büros der Beratenden Versammlung drei Kandidaten vor, darunter mindestens zwei Staatsangehörige. Das Ministerkomitee nimmt die Wahl nach Konsultation der betreffenden Vertragspartei vor (Art. 1). Das Protokoll Nr. 2 bietet Mitgliedern des Ausschusses zur Verhütung von Folter die Möglichkeit, im Interesse der Kontinuität der Arbeit zweimal wiedergewählt zu werden. Zudem soll gewährleistet werden, daß die Mitglieder des Ausschusses jeweils zur Hälfte alle zwei Jahre gewählt werden. Zu diesem Zweck gibt Art. 1 des Protokolls dem Ministerkomitee die Möglichkeit, vor jeder späteren Wahl zu beschließen, daß die Amtszeit eines oder mehrerer der zu wählenden Mitglieder nicht vier Jahre betragen soll, wobei sie weder länger als sechs noch kürzer als zwei Jahre sein darf.
87. Am 28. Juni 1995 brachte die Bundesregierung einen Gesetzentwurf zu der Resolution vom 15. Januar 1992 zur Änderung des Internationalen Übereinkommens vom 7. März 1966 zur Beseitigung jeder Form der Rassendiskriminierung und zu der Resolution vom 8. September 1992 zur Änderung des Übereinkommens vom 10. Dezember 1984 gegen Folter und andere grausame, unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Strafe ein.201 Bei den meisten Ausschüssen der Vereinten Nationen, die aufgrund von internationalen Übereinkünften errichtet worden sind, werden die Auslagen des Ausschusses und der Ausschußmitglieder aus den Mitteln der Vereinten Nationen getragen. Das Übereinkommen zur Beseitigung jeder Form der Rassendiskriminierung und die Anti-Folter-Konvention sahen demgegenüber bislang vor, daß die Kosten, die den Ausschußmitgliedern in Wahrnehmung ihrer Funktionen entstehen, von den Vertragsstaaten getragen werden. Die von den Vertragsstaatenkonferenzen angenommenen Resolutionen zur Änderung dieser Abkommen regeln diese Frage nunmehr dahin gehend, daß der Generalsekretär der Vereinten Nationen dem Ausschuß das Personal und die Einrichtungen zur Verfügung stellt, die dieser zur wirksamen Durchführung der ihm nach dem Übereinkommen obliegenden Aufgaben benötigt, und die Ausschußmitglieder ihre Bezüge künftig mit Genehmigung der Generalversammlung aus Mitteln der Vereinten Nationen erhalten. Das Gesetz stimmt diesen Resolutionen zu. Zu der getroffenen Regelung wird in der Denkschrift zum Vertragsgesetz ausgeführt:
"Dies macht den Ausschuß unabhängig von den Zuwendungen der Vertragsstaaten und ermöglicht deshalb eine gleichmäßige Arbeit. Die Einheitlichkeit der Finanzierung hat auch symbolischen Charakter: Die Staatengemeinschaft der Vereinten Nationen dokumentiert auf diese Weise, daß das menschenrechtliche Anliegen eines Übereinkommens die gesamte Staatengemeinschaft angeht. Sie bekräftigt dadurch den universalen Charakter der Menschenrechte."202 |
88. Im Berichtszeitraum setzte sich die Bundesregierung in den Vereinten Nationen dafür ein, daß die Arbeiten an einem Zusatzprotokoll zum Übereinkommen gegen Folter und andere grausame, unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Strafe vom 10. Dezember 1984 fortgesetzt werden. Im Mittelpunkt stand dabei das Bestreben, ergänzend zu den materiellen Bestimmungen des Übereinkommens ein Verfahren für einen Unterausschuß zu schaffen, der durch Besuche von Orten, in denen Menschen die Freiheit entzogen ist, präventiven Schutz vor Folter gewährleisten soll. Zentraler Gegenstand der Verhandlungen waren dabei die Rechte, mit denen der Unterausschuß ausgestattet werden soll.203
89. In ihrem 3. Menschenrechtsbericht an den Deutschen Bundestag äußerte die Bundesregierung Skepsis gegenüber Bestrebungen, eine Individualbeschwerdemöglichkeit bei der Verletzung von Rechten aus dem Internationalen Pakt über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte zu schaffen:
"Im Rahmen des Internationalen Pakts über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte (Sozialpakt), insbesondere im Sozialpaktausschuß, ist die Diskussion noch nicht abgeschlossen, ob es ratsam ist, neben der Prüfung von Staatenberichten eine Individualbeschwerdemöglichkeit einzuräumen. Nach Ansicht der Bundesregierung und einer Reihe weiterer Staaten bestehen folgende Bedenken: Ein grundsätzliches Problem besteht darin, daß im Gegensatz zum Zivilpakt mit seinen Abwehrrechten gegen staatliche Maßnahmen der Sozialpakt Rechte auf positive Förderung durch den Staat enthält. In diesem Zusammenhang stellt sich deshalb insbesondere die Frage der Justitiabilität."204 |