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Völkerrechtliche Praxis der Bundesrepublik Deutschland im Jahre 1995


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Rainer Grote

XI. Rechtshilfe und Auslieferung

2. Auslieferung

    139. Im Zusammenhang mit den Beratungen über das Jugoslawien-Strafgerichtshof-Gesetz wurde auch die Notwendigkeit einer Änderung des Auslieferungsverbots für deutsche Staatsangehörige in Art. 16 Abs. 2 GG erörtert, um die Überstellung deutscher Staatsangehöriger an den Gerichtshof zu ermöglichen. In der bereits zitierten Begründung des Gesetzentwurfs der Bundesregierung wird zu diesem Punkt ausgeführt:

    "Aus dem Statut [...] ergibt sich zwingend, daß alle jene im Auslieferungsverkehr üblichen Ablehnungsgründe aus rechtlichen oder praktischen Gründen auszuscheiden haben. In wiederholten öffentlichen Verlautbarungen haben Organe der Vereinten Nationen und des Gerichtshofes die � mittlerweile auch in der Wissenschaft vorherrschende � Auffassung bekräftigt, daß gegenüber der Pflicht zur Überstellung von Personen die Ausnahmeregelungen und Ablehnungsgründe der nationalen Auslieferungsrechte nicht geltend gemacht werden können.
    Insbesondere kann an der Pflicht, ggf. auch eigene Staatsangehörige an den Gerichtshof zu überstellen, angesichts der Entstehungsgeschichte der Resolution und des Wortlauts des Statuts kein Zweifel bestehen. Daher bedarf es eines verfassungsändernden Gesetzes, das Überstellungen Deutscher an den Gerichtshof von dem sich aus Artikel 16 Abs. 2 GG ergebenden Verbot ausnimmt."311
    Diese Auffassung wird auch im Bericht des Bundestagsrechtsausschusses zu dem Gesetzentwurf der Bundesregierung geteilt:
    "Die Fraktionen betonten nachdrücklich, daß der vorgelegte Gesetzentwurf nicht zu einer vollen Umsetzung der sich aus der Resolution und dem Statut ergebenden Verpflichtungen führt. Vielmehr steht Artikel 16 Abs. 2 GG, der es untersagt, Deutsche an das Ausland auszuliefern, auch einer Überstellung Deutscher an den Internationalen Gerichtshof entgegen. Der Ausschuß hat deshalb einen entsprechenden Vorschlag der Fraktion der F.D.P. ausführlich erörtert, ob in § 3 des Entwurfs eine Klarstellung etwa mit dem Satz 'Artikel 16 Absatz 2 GG bleibt unberührt' aufgenommen werden solle. Davon wurde jedoch einvernehmlich Abstand genommen, weil diese zum Beispiel gegenüber anderen Staaten an sich wünschenswerte Klarstellung zum einen eine Selbstverständlichkeit enthält, zum anderen aber auch dahin verstanden werden könnte, daß auch in Zukunft eine Änderung des Artikels 16 Abs. 2 GG nicht in Frage kommen könne. Es ist vielmehr in der Diskussion klargestellt worden, daß alle Seiten sich der Diskussion über eine Änderung von Artikel 16 Abs. 2 GG zur Ermöglichung der Auslieferung auch deutscher Staatsangehöriger nicht entziehen wollen, dabei aber das Recht des internationalen Strafgerichtshofes und andere für Grundgesetzänderung und Auslieferung wichtige Fragen gründlich erörtern wollen."312
    In seiner Stellungnahme zum Gesetzentwurf vom 12. Januar 1995 hat der Bundesrat die Bundesregierung aufgefordert, "unverzüglich" einen Gesetzentwurf zur Änderung des Grundgesetzes vorzulegen, um auch hinsichtlich der Auslieferung Deutscher an den Internationalen Strafgerichtshof die völkerrechtlichen Verpflichtungen Deutschlands erfüllen zu können.313 Unter Hinweis auf den noch bestehenden Beratungsbedarf hat die Bundesregierung jedoch im Berichtszeitraum von der Vorlage eines entsprechenden Gesetzentwurfs Abstand genommen.314

    140. Die Bundesrepublik Deutschland hat am 8. Juni 1995 die Ratifikationsurkunde zu dem Abkommen zwischen den Mitgliedstaaten der Europäischen Gemeinschaften über die Vereinfachung und Modernisierung der Verfahren zur Übermittlung von Auslieferungsersuchen hinterlegt.315 Seit diesem Tag wird das Abkommen im Verhältnis zu Spanien, Luxemburg und den Niederlanden vorläufig angewandt.316 Das Abkommen verpflichtet die Vertragsparteien, eine zentrale Behörde zur Übermittlung und Entgegennahme von Auslieferungsersuchen und aller sonstigen offiziellen Korrespondenz im Zusammenhang mit Auslieferungsersuchen zu benennen.

    141. Darüber hinaus war im Berichtszeitraum das Auslieferungsverfahren gegen den spanischen Staatsangehörigen und mutmaßlichen ETA-Aktivisten Ramos Vega Gegenstand einer Parlamentarischen Anfrage an die Bundesregierung. Ramos Vega war im Januar 1995 in Berlin festgenommen worden und befand sich seit dem 6. Februar 1995 aufgrund eines vom Kammergericht Berlin im Hinblick auf das spanische Auslieferungsersuchen erlassenen Haftbefehls in Auslieferungshaft. Zu der Frage, welche Auswirkungen eine dem Auslieferungskandidaten bei der Überstellung an den ersuchenden Staat möglicherweise drohende Folter auf das Auslieferungsverfahren habe, erklärte die Bundesregierung:

    "Konkret drohende Folter steht einer Auslieferung entgegen. Dies zu beurteilen ist Sache des mit dem Fall befaßten Gerichts; im übrigen gibt die Bundesregierung keine Stellungnahme zu schwebenden Gerichtsverfahren ab."317


    311 BT-Drs. 13/57, 8.
    312 BT-Drs. 13/716, 5.
    313 BT-Drs. 13/207.
    314 Gegenäußerung der Bundesregierung zur Stellungnahme des Bundesrates, ibid.
    315 BGBl. 1995 II, 969.
    316 Ibid.
    317 BT-Drs. 13/2970, 6.