Max Planck Institute for Comparative Public Law and International Law Logo Max Planck Institute for Comparative Public Law and International Law

You are here: Publications Archive Völkerrechtliche Praxis der Bundesrepublik Deutschland 1995

Völkerrechtliche Praxis der Bundesrepublik Deutschland im Jahre 1995


Inhalt | Zurück | Vor

Rainer Grote

XII. Zusammenarbeit der Staaten

3. Arbeits- und sozialrechtliche Zusammenarbeit

    158. Im Rahmen einer Kleinen Anfrage nahm die Bundesregierung im Berichtszeitraum zum Stand der Ratifizierung von Übereinkommen der Internationalen Arbeitsorganisation Stellung. Von den 176 IAO-Übereinkommen habe die Bundesrepublik bislang 75 ratifiziert. Damit stehe Deutschland von den insgesamt 173 Mitgliedstaaten der IAO an 16. Stelle der Staaten mit den meisten Ratifikationen.364
    Zu den Kriterien für die Entscheidung über die Ratifizierung von IAO-Übereinkommen führte die Bundesregierung aus:

    "Die Bundesregierung ratifiziert nur diejenigen Übereinkommen, für die im nationalen Recht auch die Umsetzung garantiert werden kann. Viele IAO-Übereinkommen enthalten jedoch sehr breitgestreute und bis ins Detail ausdifferenzierte Anforderungen, die aufgrund des ebenfalls stark ausdifferenzierten nationalen Rechts vieler Industriestaaten, darunter auch Deutschland, nicht umgesetzt werden können. Oft handelt es sich nur um marginale Regelungen, an denen eine Ratifikation scheitert, auch wenn das Hauptanliegen eines Übereinkommens im nationalen Recht bereits umgesetzt ist.
    Dieses Dilemma hat in letzter Zeit auch die IAO erkannt. Derzeit befaßt sich deshalb eine Arbeitsgruppe des Verwaltungsrates der IAO mit der Frage, ob künftig nicht weniger IAO-Übereinkommen verabschiedet und statt dessen bereits bestehende Übereinkommen neugefaßt und vereinfacht werden sollten, um hierdurch eine generell höhere Ratifikationsquote durch die Mitgliedstaaten zu erzielen."365
    Darüber hinaus prüfe die Bundesregierung keineswegs immer nur die jeweils aktuellen, auf den jüngsten Internationalen Arbeitskonferenzen angenommenen Übereinkommen, sondern gerade auch immer wieder ältere und alte Übereinkommen aus den Anfangszeiten der IAO im Hinblick auf ihre Ratifizierbarkeit.366

    159. Auf der 82. Internationalen Arbeitskonferenz nahm Deutschland im Plenum zu dem geplanten Übereinkommen über Heimarbeit Stellung. Der Vertreter der Bundesregierung erklärte, daß sie mit der Definition der Heimarbeit und dem Anwendungsbereich des Übereinkommens große Schwierigkeiten hätte. Um ein Übereinkommen annehmen oder ratifizieren zu können, müßte entweder die Definition oder der Anwendungsbereich entsprechend geändert werden. In Deutschland würden neben Heimarbeitern nach dem Heimarbeitsgesetz auch echte Arbeitnehmer unter die Regelung des Übereinkommens fallen. Für sie würden einige besondere Schutzregelungen des Abkommens nicht gelten, die aber nach dem deutschen Heimarbeitsgesetz für die dort genannten Heimarbeiter gelten.367

    160. Darüber hinaus setzte sich die Bundesregierung für ein umfassendes Verbot von Kinderarbeit ein. Sie machte jedoch deutlich, daß diese Forderung ohne ein betreffendes Hilfsangebot an die betroffenen Staaten nicht realisierbar sei. Sie kündigte deshalb die Fortsetzung der finanziellen Förderung des von ihr initiierten Programms der IAO zur Abschaffung der Kinderarbeit an. Bundeskanzler Kohl erklärte hierzu in seiner Rede auf dem Weltgipfel für soziale Entwicklung in Kopenhagen:

    "Die weltweite Abschaffung von Kinderarbeit ist in diesem Zusammenhang besonders dringlich. Verbote allein, das wissen wir, nützen nichts, wenn die wirtschaftliche Not andere Einsichten erzwingt. Gemeinsam mit unseren Partnern in den Entwicklungsländern und der Internationalen Arbeitsorganisation haben wir deshalb ein Sonderprogramm zur Beseitigung von Kinderarbeit begonnen. Ich wünsche mir, daß sich möglichst viele an diesem Programm beteiligen."368

    161. Im Berichtszeitraum traten Vereinbarungen über die Beschäftigung von Arbeitnehmern bosnisch-herzegowinischer369 und mazedonischer370 Unternehmen zur Ausführung von Werkverträgen in Kraft. Die Zahl der Werkvertragsarbeitnehmer, denen auf der Grundlage dieser Vereinbarungen unabhängig von der Lage und Entwicklung des Arbeitsmarktes in der Bundesrepublik eine befristete Arbeitserlaubnis bis zur Dauer von zwei Jahren erteilt wird, wird durch die Vereinbarungen auf 990 (Bosnien-Herzegowina) bzw. 480 (Mazedonien) festgesetzt. Diese Zahlen werden bei einer Verbesserung oder Verschlechterung der Arbeitsmarktlage jeweils nach oben oder nach unten angepaßt. Die Vereinbarungen sehen vor, daß die Arbeitserlaubnis nur erteilt wird, soweit die Entlohnung der Werkvertragsarbeitnehmer dem Lohn entspricht, welchen die einschlägigen deutschen Tarifverträge für vergleichbare Tätigkeiten vorsehen.

    162. Durch Notenwechsel vom 7.März/23. Mai 1995 wurde das deutsch-ungarische Abkommen über eine vertiefte Zusammenarbeit in der Aus- und Weiterbildung von Fach- und Führungskräften der Wirtschaft verlängert.371 Das Abkommen verlängert sich danach, beginnend mit dem 1. Januar 1995, stillschweigend um jeweils ein Kalenderjahr, sofern es nicht von einer der Vertragsparteien spätestens drei Monate vor Ablauf der jeweiligen Geltungsdauer schriftlich gekündigt wird.

    163. Am 21. August 1995 unterzeichnete die Bundesregierung eine Vereinbarung mit der Regierung der Republik Estland über die Beschäftigung von Arbeitnehmern zur Erweiterung ihrer beruflichen und sprachlichen Kenntnisse (Gastarbeitnehmer-Vereinbarung), die sogleich in Kraft trat.372 Die Vereinbarung findet Anwendung auf deutsche und estnische Staatsangehörige, die über eine abgeschlossene Berufsausbildung verfügen und zur Vervollkommnung ihrer Berufs- und Sprachkenntnisse eine vorübergehende Beschäftigung als Gastarbeitnehmer ausüben wollen. Ihnen werden die erforderlichen Genehmigungen nach Maßgabe der innerstaatlichen Vorschriften über Ein- und Ausreise erteilt. Die Beschäftigungshöchstdauer � einschließlich Verlängerungsmöglichkeit � beträgt 18 Monate. Die Zahl der Gastarbeitnehmer, die auf jeder Seite zugelassen werden kann, wird auf jährlich 200 festgelegt.

    164. Die Bundesregierung unterzeichnete 1995 Zusatzabkommen zu den Abkommen über Soziale Sicherheit mit dem Staat Israel373 und den Vereinigten Staaten von Amerika374. Die Zusatzabkommen sollen die Zahlung von Fremdrenten an deutschsprachige Juden ermöglichen, die aus osteuropäischen Staaten nach Israel bzw. in die Vereinigten Staaten ausgewandert sind. Deutschsprachige Juden aus osteuropäischen Staaten sind ab 1. Juli 1990 in das Fremdrentengesetz einbezogen worden und erhalten hierdurch ihre in den osteuropäischen Herkunftsländern zurückgelegten Beitrags- und Beschäftigungszeiten in der deutschen Rentenversicherung anerkannt. Eine Rente aus diesen Zeiten (Fremdrente) wird jedoch grundsätzlich nur bei Aufenthalt in der Bundesrepublik Deutschland gezahlt. Da ein großer Teil der Personen in Israel und den USA leben, konnten sie trotz der Einbeziehung in das Fremdrentengesetz keine Fremdrente erhalten. Die Zusatzabkommen berechtigen nunmehr den vorstehend genannten Personenkreis, auf Antrag freiwillige Beiträge zur deutschen Rentenversicherung nachzuentrichten, um auf diese Weise die Zahlung der Fremdrente in ihren jetzigen Wohnsitzstaat zu ermöglichen. Voraussetzung ist, daß die Personen bis zum 30. Juni 1990 ihren gewöhnlichen Aufenthalt in Israel bzw. in den USA genommen haben. Die Leistungshöhe ist auf das Rentenniveau der neuen Bundesländer (Rentenniveau Ost) begrenzt.

    165. Die Bundesregierung schloß ferner am 10. Juli 1995 mit Italien ein Abkommen über die Erstattung von Aufwendungen für Sachleistungen der Krankenversicherung.375

    166. Am 27. Juni 1995 leitete die Bundesregierung das Ratifikationsverfahren zu der Vereinbarung vom 21. Juni 1994 zur Durchführung des Abkommens vom 5. März 1993 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Republik Chile über Rentenversicherung ein.376 Die Durchführungsvereinbarung enthält das Rentenabkommen ergänzende und die zu seiner Anwendung erforderlichen Bestimmungen, die vor allem technischer Art sind. Sie betreffen insbesondere Anzeige- und Mitteilungspflichten der Versicherungsträger beider Staaten, das Ausstellen und die Verwendung von Bescheinigungen sowie Einzelheiten bei Zahlungen in den anderen Vertragsstaat.377

    167. Die Beziehungen der Bundesrepublik Deutschland zur Republik Polen im Bereich der Sozialen Sicherheit378 und die Auswirkungen des Abkommens über Soziale Sicherheit vom 8. Dezember 1990 auf die Rentenansprüche von Aussiedlern aus Polen, die nach dem 31. Dezember 1990 ihren Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt in der Bundesrepublik genommen haben379, waren im Berichtszeitraum Gegenstand von Stellungnahmen der Bundesregierung.

    168. Der Bundestag stimmte am 13. August 1995 dem Abkommen vom 25. März 1981 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und dem Königreich Marokko über Kindergeld380 sowie dem Abkommen vom 20. September 1991 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Tunesischen Republik über Kindergeld381 zu. Die Abkommen regeln den Anspruch auf Kindergeld von in einem Vertragsstaat beschäftigten Arbeitnehmern für ihre im anderen Vertragsstaat wohnenden Kinder. Die Kindergeldsätze richten sich nach den Verhältnissen des Wohnlandes (Wohnlandprinzip), also für die in ihrem Heimatstaat wohnenden Kinder der in der Bundesrepublik beschäftigten marokkanischen und tunesischen Arbeitnehmer nach den niedrigeren marokkanischen bzw. tunesischen Kindergeldsätzen. Ein Anspruch besteht bis zur Vollendung des 16. Lebensjahres.


    364 BT-Drs. 13/2278, 1.
    365 Ibid., 7.
    366 Ibid.
    367 Bundesarbeitsblatt 9/96, 6 f.
    368 Bull. Nr. 22 vom 21.3.1995, 177.
    369 Vereinbarung vom 20.2.1995, die am selben Tag in Kraft trat, BGBl. 1995 II, 374.
    370 Vereinbarung vom 23.6.1995, in Kraft getreten am selben Tag, BGBL. 1995 II, 731.
    371 BGBl. 1995 II, 910.
    372 BGBl. 1995 II, 981.
    373 Zusatzabkommen vom 12.2.1995 zum Abkommen vom 17.12.1973 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und dem Staat Israel über Soziale Sicherheit. Der Bundestag hat dem Abkommen mit Gesetz vom 15.3.1996 zugestimmt, BGBl. 1996 II, 298. Das Abkommen ist am 1.6.1996 in Kraft getreten, BGBl. 1996 II, 1033.
    374 Zweites Zusatzabkommen vom 6.3.1995 zum Abkommen vom 7.1.1976 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und den Vereinigten Staaten von Amerika über Soziale Sicherheit und zu der Zweiten Zusatzvereinbarung vom 6.3.1995 zur Vereinbarung vom 21.6.1978 zur Durchführung des Abkommens. Das Zustimmungsgesetz ist am 15.3.1996 ergangen, BGBl. 1996 II, 301. Das Abkommen ist am 1.5.1996 in Kraft getreten, BGBl. 1996 II, 968.
    375 BGBl. 1996 II, 348; das Abkommen ist durch Verordnung des Bundesministers für Arbeit und Sozialordnung vom 21.3.1996 in Kraft gesetzt worden, BGBl. 1996 II, 347.
    376 BT-Drs. 13/1810.
    377 Das Zustimmungsgesetz ist am 15.12.1993 ergangen, BGBl. 1995 II, 1042. Die Vereinbarung ist am 24.4.1996 in Kraft getreten, BGBl. 1996 II, 952.
    378 BT-Drs. 13/1164, 6 f.
    379 BT-Drs. 13/683.
    380 BGBl. 1995 II, 634. Das Abkommen ist am 1.8.1996 in Kraft getreten, BGBl. 1996 II, 1455.
    381 BGBl. 1995 II, 641. Das Abkommen ist ebenfalls am 1.8.1996 in Kraft getreten, BGBl. 1996 II, 2522.