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Völkerrechtliche Praxis der Bundesrepublik Deutschland im Jahre 1995


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Rainer Grote

XII. Zusammenarbeit der Staaten

4. Polizeiliche Zusammenarbeit

    169. Für die Europäische Union betonte der spanische Vertreter im 3. Ausschuß der Generalversammlung die Bedeutung einer engen internationalen Kooperation zur Bekämpfung des organisierten Verbrechens:

    "The international fight against transnational organized crime requires close cooperation among States at investigative, prosecutorial and judicial levels of law enforcement. The European Union is determined to make every effort to step up and to render more effective the already existing mechanisms of collaboration both within the Union and with all other interested States."382
    Eine besondere Bedeutung komme hierbei der Bekämpfung der Geldwäsche zu, die zunächst auf nationaler Ebene erfolgen müsse:
    "In addition to the ever closer cooperation concerning law enforcement just mentioned, the international fight against organized crime also requires concerted efforts to prevent the use of the proceeds of such crime. Action to be taken rests in the first instance at the national level. Therefore, we urge all states that have not yet done so to adopt and implement the necessary legislation to combat money laundering."383
    Der Vertreter der Europäischen Union unterstrich ferner die Notwendigkeit wirksamer Maßnahmen gegen den internationalen Drogenhandel und wies in diesem Zusammenhang auf den von der Europäischen Union auf der Tagung des Europäischen Rates in Cannes im Juni 1995 beschlossenen Aktionsplan zur Drogenbekämpfung hin:
    "The European Union, firmly convinced of the necessity for cooperation and coordinated action, adopted the European Action Plan to Combat Drugs, at the European Council held in Cannes last June. The Action Plan provides a detailed framework for a coordinated, coherent and integrated strategy on drugs cooperation.
    The Plan addresses the three key elements of an integrated response. They are the action to reduce demand, action to combat illicit trafficking and action at the international level [...] Action at international level is aimed at developing cooperation between European Union Member States and third parties, not least to control the supply of drugs."384

    170. Die Bundesregierung setzte im Berichtszeitraum ihre Bemühungen fort, durch Abschluß bilateraler Kooperationsabkommen ihre Zusammenarbeit mit anderen Staaten bei der Bekämpfung der organisierten Kriminalität zu verstärken. Zu dem Begriff der organisierten Kriminalität, der diesen Abkommen zugrunde gelegt wird, führte sie im Rahmen einer Kleinen Anfrage zu den Verhandlungen zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Sozialistischen Republik Vietnam über die gemeinsame polizeiliche Verbrechensvorbeugung und -bekämpfung385 aus, er umfasse, sofern organisierte Strukturen bei der Tatbegehung erkennbar seien, die folgenden Deliktsbereiche: Drogenhandel, Geldwäsche, Terrorismus, Schlepperkriminalität, Waffenhandel, Zuhälterei und Menschenhandel, Falschspiel und unerlaubtes Glücksspiel, Schutzgelderpressung, Herstellung und Verbreitung von Falschgeld, Eigentums- und Vermögensstraftaten, Scheck- und Kreditkartenfälschung, Straftaten gegen die Umwelt, unerlaubten Handel mit radioaktiven und nuklearen Materialien und den unerlaubten Handel mit Kulturgut.386

    171. Im Berichtszeitraum wurden Abkommen über die Zusammenarbeit bei der Bekämpfung der Organisierten Kriminalität sowie des Terrorismus und anderer Straftaten von erheblicher Bedeutung mit der Ukraine387, Lettland388 und Weißrußland389 abgeschlossen. Ein weiteres Abkommen zur Bekämpfung der Organisierten Kriminalität wurde mit Kasachstan unterzeichnet.390 Aus Anlaß der Unterzeichnung des Abkommens mit der Ukraine erklärte Bundesinnenminister Kanther zur Zielsetzung der bilateralen Zusammenarbeit:

    "Das immer stärkere Zusammenwachsen Europas stellt die Staaten vor neue Herausforderungen. Verbrecherorganisationen operieren europa-, ja weltweit, kriminelle Syndikate suchen sich ständig neue 'Märkte' und 'Handelsrouten', internationale Rauschgiftkartelle sind grenzüberschreitend tätig. Die nunmehr offenen Grenzen zu den Staaten Osteuropas begünstigen kriminelle Vorhaben zusätzlich.
    Angesichts dieser gewandelten Gefährdungslage ist die erfolgreiche Bekämpfung der grenzüberschreitenden Kriminalität sowie des organisierten Verbrechens zu einer gemeinschaftlichen Aufgabe aller europäischen Staaten geworden. Dem dient der Abschluß von Abkommen zur Bekämpfung der Organisierten Kriminalität, sogenannte OK-Abkommen."391
    Der Bundesinnenminister führte weiter aus, die Entwicklung der Kriminalitätslage habe dazu geführt, daß Deutschland in den vergangenen Jahren Verhandlungen über OK-Abkommen mit den Staaten Osteuropas und der GUS aufgenommen und dabei je nach geographischer Lage eine Einordnung in drei Ringe vorgenommen habe:
    "Mit den dem ersten Ring zugeordneten Staaten Polen, der Tschechischen Republik und der Slowakischen Republik, Ungarn und Bulgarien, sind entsprechende Regierungsabkommen bereits geschlossen. Die heutige Unterzeichnung des Abkommens mit der Ukraine stellt nach der Republik Estland den zweiten Vertragsabschluß mit einem Staat des zweiten Ringes, zu denen neben baltischen Staaten weiterhin die Republik Rußland und Weißrußland gehören, dar. Es ist das erste Abkommen mit einem Staat der GUS.
    Noch in diesem Jahr sollen die Vertragsunterzeichnungen mit Lettland, Litauen und Weißrußland folgen. Die Verhandlungen mit Rußland sollen bald zu Ende geführt und mit anderen Staaten der zentralasiatischen Republiken der GUS � sogenannter dritter Ring � , unter denen insbesondere Usbekistan, Kirgistan und Kasachstan zu nennen sind, aufgenommen werden."392

    172. Die Intensivierung der polizeilichen Zusammenarbeit im Rahmen der bilateralen Zusammenarbeitsabkommen führte auch zu einem verstärkten Einsatz polizeilicher Verbindungsbeamter in den Staaten Mittel- und Osteuropas. Auf eine Schriftliche Anfrage führte die Bundesregierung hierzu aus:

    "Zur Verbesserung der unmittelbaren polizeilichen Zusammenarbeit sind polizeiliche Verbindungsbeamte des Bundeskriminalamtes in Polen, Ungarn, der Tschechischen Republik, Bulgarien und der Russischen Föderation eingesetzt. Der Einsatz von Verbindungsbeamten in der Slowakischen Republik, Rumänien, Belarus, der Ukraine und den baltischen Staaten ist für 1996 geplant."393

    173. Im Berichtszeitraum wurden ferner Verhandlungen mit der Sozialistischen Republik Vietnam über ein Protokoll über die Zusammenarbeit bei der Verbrechensvorbeugung und -bekämpfung geführt.394 Zum Inhalt des Protokolls teilte die Bundesregierung auf eine Kleine Anfrage mit, im Rahmen der Umsetzung würden personenbezogene Daten von Anführern und Mitgliedern organisierter, insbesondere auf Einschleusung spezialisierter, vietnamesischer Banden in Deutschland sowie im Rahmen der Identitätsfeststellung von vietnamesischen Straftätern in Deutschland unter Wahrung des Datenschutzes ausgetauscht. Die Übermittlung der Informationen erfolge zwischen dem von der vietnamesischen Regierung entsandten Kontaktbeamten, der der vietnamesischen Botschaft, Außenstelle Berlin, angehören solle, und den beteiligten deutschen Stellen, vor allem dem Bundesinnenministerium und dem Bundeskriminalamt. Zur Bekämpfung der Schleuserkriminalität und der unerlaubten Einreise sei zudem eine Kooperation mit der Grenzschutzdirektion sowie den Ausländerbehörden und den Innenministerien der Länder möglich.395

    174. Durch Notenwechsel vom 24. Januar 1995/31. Januar 1996 wurde das Abkommen zwischen der Bundesrepublik Deutschland und Polen über die Zusammenarbeit bei der Bekämpfung der organisierten Kriminalität vom 6. November 1991 dahin gehend geändert, daß sich der Anwendungsbereich des Abkommens nunmehr auch auf den unerlaubten Handel mit radioaktivem und nuklearem Material erstreckt.396

    175. Auf seiner Tagung am 15. und 16. Dezember 1995 in Madrid hat der Europäische Rat eine Erklärung über den Terrorismus verabschiedet, der die Notwendigkeit einer tiefgreifenden Koordinierung zwischen den Mitgliedstaaten durch Verbesserung der Mechanismen der polizeilichen und justiziellen Zusammenarbeit zur Verhinderung und wirksamen Bekämpfung terroristischer Akte betont. Als erforderliche Maßnahmen werden die Verstärkung des Austauschs operativer Informationen über terroristische Vereinigungen, die bessere Koordinierung der Zusammenarbeit zwischen den Justizbehörden und die effektive Ausgestaltung von Auslieferungsverfahren genannt.397

    176. Die durch Verbalnotenwechsel vom 30. November/22. Dezember 1994 zwischen der Bundesregierung und der Regierung der Niederlande geschlossene Vereinbarung über den vorläufigen Status des im Namen der Bundesregierung zu Europol in Den Haag abgeordneten Personals trat am 7. Januar 1995 in Kraft.398 Danach genießen Verbindungsbeamte und andere Mitglieder des Personals, die im Namen der Bundesregierung in der Europol-Drogeneinheit in Den Haag beschäftigt werden und sich aus diesem Grund in den Niederlanden niederlassen, mit bestimmten Einschränkungen die Vorrechte und Immunitäten, die Mitgliedern des Verwaltungs- und technischen Personals der in den Niederlanden eingerichteten diplomatischen Missionen nach dem Wiener Übereinkommen von 1961 zustehen.
    Zum Übereinkommen zur Errichtung einer Europäischen Polizeibehörde (Europol-Konvention) s. unten XV.1.a., Ziff. 253.

    177. Am 24. Oktober 1995 unterzeichneten der Bundesinnenminister und der Justizminister sowie der Minister der öffentlichen Macht des Großherzogtums Luxemburg eine Vereinbarung über die polizeiliche Zusammenarbeit im Grenzgebiet zwischen der Bundesrepublik Deutschland und dem Großherzogtum Luxemburg.399 Die vereinbarte grenzpolizeiliche Zusammenarbeit soll verhindern, daß durch den Wegfall der Personenkontrollen an den Schengener Binnengrenzen Vorteile für international operierende Straftäter entstehen, und Einschränkungen, die aus der national begrenzten Strafverfolgung resultieren, ausgleichen.400 Zu diesem Zweck enthält die Vereinbarung Regelungen über den Austausch von Informationen, die für das Grenzgebiet von Bedeutung sind (Art. 3), und die Koordinierung polizeilicher Einsätze im Grenzgebiet (Art. 4). Danach besteht die Möglichkeit, bei besonderen Einsätzen mit grenzüberschreitendem Bezug zeitlich befristet Verbindungsbeamte in den Nachbarstaat zu entsenden. Die Voraussetzungen für die grenzüberschreitende Observation und die grenzüberschreitende Nacheile richten sich nach den einschlägigen Bestimmungen des Schengener Durchführungsübereinkommens (Art. 5, 6). Die zuständigen Stellen führen überdies gemeinsame grenzüberschreitende Übungen durch (Art. 9). Polizeibeamte dürfen beim Grenzübertritt die nach dem jeweiligen nationalen Recht des Staates, aus dessen Hoheitsgebiet sie kommen, zugelassenen Dienstwaffen und Zwangsmittel mitführen (Art. 10).

    178. Mit Frankreich wurde im Berichtszeitraum die Einrichtung eines vierten gemeinsamen deutsch-französischen Grenzkommissariats in Bienwald/Lauterburg neben den bereits bestehenden Kommissariaten in Neuenburg/Ottmarsheim, Kehl/Straßburg und Saarbrücken-Autobahn vereinbart. Die Aufgabe der gemischt besetzten Kommissariate besteht darin, Informationen zu sammeln und weiterzuleiten sowie bei polizeilichen Einsatzmaßnahmen in den Grenzräumen koordinierend mitzuwirken.401

    179. Ein weiteres Regierungsabkommen über die Zusammenarbeit der Polizei- und Grenzschutzbehörden in den Grenzgebieten hat die Bundesregierung am 5. April 1995 mit Polen abgeschlossen. Vereinbart wurden u.a. eine Verbesserung des Informationsaustausches und eine Intensivierung der gegenseitigen Kommunikation durch Kontakte mit Kenntnissen der Sprache des anderen Landes. Das Abkommen ist die erste Übereinkunft, die die polizeiliche Zusammenarbeit über eine Schengener Außengrenze hinweg regelt.402

    180. Ferner unterzeichnete die Bundesregierung am 27. November 1995 eine Gemeinsame Erklärung mit der Schweiz über die besondere Partnerschaft auf dem Gebiet der inneren Sicherheit. Danach soll zunächst an der gemeinsamen Grenze ein kooperatives Sicherheitssystem aufgebaut werden. Vorgesehen sind gemeinsame Lageanalysen, abgestimmte Einsatzplanungen, eine gemeinschaftliche Kontrollpraxis, gemischt besetzte Kontaktdienststellen sowie die Benennung von Beauftragten. In einem zweiten Schritt soll dann die Kooperation auf weitere Bereiche ausgedehnt werden, so daß sämtliche Sicherheitsressourcen erfaßt und in den Kooperationsverbund integriert werden.403

    181. Im Rahmen bilateraler deutsch-türkischer Gespräche über die Zusammenarbeit in Bereichen der Innenpolitik erzielten beide Seiten Einvernehmen über die Intensivierung der Anstrengungen zur Bekämpfung der von der PKK ausgehenden Straftaten, die zügige Umsetzung der Abschiebungs-Vereinbarung vom 10. März 1995404 und eine enge Zusammenarbeit im polizeilichen Ausbildungswesen. Zu den Zielen der Kooperation im Ausbildungsbereich erklärte die Bundesregierung auf eine Kleine Anfrage:

    "Eine Zusammenarbeit im polizeilichen Ausbildungswesen soll dazu beitragen, daß türkische Polizeibeamte verstärkt über rechtsstaatliches Behördenhandeln, wie beispielsweise über strafrechtliche Ermittlungsmethoden im Rechtsstaat, weitergebildet werden. Durch eine Verbesserung der Ausbildung der Polizei soll ein Beitrag zum Menschenrechtsschutz geleistet werden."405

    182. Aus Anlaß einer Kleinen Anfrage nahm die Bundesregierung ausführlich zu der Ausbildungs- und Ausstattungshilfe für Drittstaaten im Polizeiwesen Stellung.406 Die Ausstattungshilfe diene der Verbesserung der polizeilichen Arbeit in den Empfängerländern, vor allem in den Bereichen Informationstechnik, Mobilität, Kommunikation, Kriminaltechnik, Ausbildung und Verkehrstechnik. Von Materiallieferungen ausgenommen gewesen seien Waffen und Munition sowie Geräte zu deren Herstellung, ferner Geräte, die zur Ausübung unmittelbaren Zwanges geeignet oder bestimmt sind, wie z.B. Handfesseln, Schlagstöcke, Wasserwerfer, Reizstoffsprühgeräte. Die Ausbildungshilfe konzentriere sich im wesentlichen auf die Bereiche Kriminalpolizei, Rauschgiftbekämpfung und allgemeine Polizeiarbeit. Zuständig zur Durchführung der Ausbildungsmaßnahmen seien das Bundeskriminalamt, der Bundesgrenzschutz und die Landespolizeibehörden.407


    382 Position of Germany (Anm. 3), 3. Ausschuß, 15.
    383 Ibid., 16.
    384 Ibid., 19 f.
    385 Dazu sogleich unter Ziff. 173.
    386 BT-Drs. 13/2706, 3.
    387 Abkommen vom 6.2.1995, Bull. Nr. 11 vom 13.2.1995, 92.
    388 Abkommen vom 30.3.1995, Bull. Nr. 27 vom 1.4.1995, 232, und Innenpolitik Nr. II/1995, 10.
    389 Abkommen vom 4.4.1995, Innenpolitik Nr. II/1995 vom 21.4.1995, 10.
    390 Innenpolitik Nr. III/1995 vom 19.6.1995, 9.
    391 Bull. Nr. 11 vom 13.2.1995, 92.
    392 Ibid.
    393 Antwort der Bundesregierung vom 22.11.1995, BT-Drs. 13/3094, 3.
    394 Das Protokoll ist am 28.2.1996 in Kraft getreten, BGBl. 1996 II, 950.
    395 BT-Drs. 13/2706, 2 f.
    396 BGBl. 1996 II, 2613.
    397 Schlußfolgerungen des Vorsitzes, Anlage 3, Bull. Nr. 8 vom 30.1.1996, 78.
    398 BGBl. 1995 II, 215.
    399 BGBl. 1996 II, 1203. Die Vereinbarung ist am 1.6.1996 in Kraft getreten, ibid.
    400 Innenpolitik Nr. VI/1995 vom 28.12.1995, 10.
    401 Ibid., 11.
    402 Innenpolitik Nr. II/1995 vom 21.4.1995, 15.
    403 Innenpolitik Nr. VI/1995 vom 28.12.1995, 10 f.
    404 Dazu bereits oben VII.1., Ziff. 58.
    405 BT-Drs. 13/2123, 7.
    406 BT-Drs. 13/1047, mit detaillierten Zahlenangaben.
    407 Ibid., 2 f.