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Völkerrechtliche Praxis der Bundesrepublik Deutschland im Jahre 1995


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Rainer Grote

XII. Zusammenarbeit der Staaten

5. Entwicklungs- und Finanzhilfe


    183. Der Bundesminister für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung Spranger präzisierte anläßlich eines Vortrags über entwicklungspolitische Strategien zur Armutsbekämpfung in Südasien Ziele und Kriterien der Entwicklungszusammenarbeit:
    "Ziel der deutschen Entwicklungspolitik ist die Verbesserung der wirtschaftlichen und sozialen Lage der Menschen in den Entwicklungsländern, vorrangig der armen Bevölkerungsschichten. Unsere Schwerpunktbereiche sind die Armutsbekämpfung, der Umwelt- und Ressourcenschutz und die Bildung. Die Kriterien, nach denen wir Art und Umfang der deutschen Entwicklungszusammenarbeit bestimmen, sind
    � Schutz der Menschenrechte,
    � Beteiligung der Bevölkerung,
    � Rechtsstaatlichkeit und Rechtssicherheit,
    � eine soziale, marktorientierte Wirtschaftsordnung und
    � die Entwicklungsorientierung der Partnerregierungen."408
    In ihrer Antwort auf eine Kleine Anfrage zur Vergabe von Mitteln der Entwicklungszusammenarbeit an Indonesien stellte die Bundesregierung klar, daß die Verfehlung eines der fünf genannten Kriterien für sich allein noch nicht zwangsläufig zu negativen Auswirkungen auf die Entwicklungskooperation führe:
    "Menschenrechte sind eines von fünf Kriterien, die in ihrer Gesamtheit Art und Umfang der entwicklungspolitischen Zusammenarbeit bestimmen. Somit führen Defizite bei einem Kriterium nicht zwangsläufig zur Einstellung oder Reduzierung der Zusammenarbeit. Im Falle Indonesiens ist insbesondere die marktfreundliche und sozialverträgliche Wirtschaftsordnung sowie die Entwicklungsorientierung staatlichen Handelns, die u.a. eine Reduzierung der Armutsrate von 60% im Jahre 1970 auf derzeit ca. 14% der Bevölkerung bewirkte, besonders positiv zu bewerten."409

    184. Im Hinblick auf die Kooperation der Bundesrepublik mit lateinamerikanischen Staaten bei der Durchführung von Rechtsreformen hob der Bundesminister für Entwicklung und wirtschaftliche Zusammenarbeit die Bedeutung der entwicklungspolitischen Zusammenarbeit im Rechtswesen hervor:

    "Die aktuelle entwicklungspolitische Konzeption der Bundesregierung beruht auf der Einsicht, daß wesentliche interne Rahmenbedingungen in unseren Partnerländern geschaffen werden müssen, um ihre Entwicklung voranzubringen. [...] Da diese Rahmenbedingungen in den Partnerländern nicht automatisch vorausgesetzt werden können, sie andererseits aber entscheidend für das Gelingen anderer Entwicklungsvorhaben sind, unterstützt die deutsche Entwicklungszusammenarbeit unmittelbar Verbesserungen im Bereich von Menschenrechten und Rechtsstaatlichkeit. [...] Wesentlich für die Frage, ob die entwicklungspolitische Förderung eines Rechtshilfeprojektes sinnvoll ist, sind politischer Wille und Bereitschaft der Partnerregierung, Reformen auch umzusetzen, Gesetze anzuwenden und die Rechtspraxis zu verbessern. Perfektionierungen einer Rechtsordnung nützen dort wenig, wo Anwendungsbereitschaft oder -fähigkeit fehlen."410

    185. Die Bundesregierung bekannte sich auf dem Weltgipfel für soziale Entwicklung im März 1995 in Kopenhagen zu dem Ziel, 0,7 Prozent des Bruttosozialprodukts für die öffentliche Entwicklungszusammenarbeit zur Verfügung zu stellen. Auf eine Kleine Anfrage führte sie hierzu aus:

    "Die von der UNCTAD schon in den 60er Jahren beschlossene Verpflichtung, 0,7 Prozent des Bruttosozialprodukts für die öffentliche Entwicklungszusammenarbeit zur Verfügung zu stellen, sah kein bestimmtes Zeitziel vor. Sie wurde zuletzt in der Schlußerklärung des Weltsozialgipfels in Kopenhagen bestätigt (Teil 1, Commitment 9, Buchstabe l). Die Bundesregierung hat dieses Ziel anerkannt und bekennt sich wie bislang zu dessen Gültigkeit."411
    Die Bundesregierung führte weiter aus, die Anerkennung erfolge ohne konkretes Zeitziel. Dies stehe auch im Einklang mit der Schlußerklärung des Weltsozialgipfels, die besage, daß die Unterzeichnerstaaten bemüht sind, das 0,7-Prozent-Ziel "so früh wie möglich" zu erreichen. Bei der Definition der danach zu leistenden Entwicklungshilfe orientiere sie sich an den Vorgaben des Ausschusses für Entwicklungshilfe der OECD. Danach fielen unter die öffentliche Entwicklungshilfe alle Zuschüsse oder Darlehen an die Entwicklungsländer, die vom öffentlichen Sektor vergeben werden, in erster Linie der Förderung der wirtschaftlichen Entwicklung und der Erhöhung des Lebensstandards dienen und mit vergünstigten Bedingungen ausgestattet sind bzw. im Falle eines Darlehens ein Zuschußelement von mindestens 25 Prozent aufweisen.412

    186. In ihrer Bewertung des von der Internationalen Konferenz für Bevölkerung und Entwicklung (ICPD) im September 1994 in Kairo beschlossenen Aktionsprogramms betonte die Bundesregierung den Grundsatz der Freiwilligkeit bei Maßnahmen der Entwicklungszusammenarbeit in den Bereichen Bevölkerungspolitik und Familienplanung:

    "Das BMZ-Förderkonzept zur Entwicklungszusammenarbeit im Bevölkerungsbereich entspricht dem integrierten Ansatz des Aktionsprogramms: Die Verbesserung der wirtschaftlichen und sozialen Lage der Bevölkerung mit besonderer Betonung der Bereiche Gesundheit, Bildung und Frauenförderung werden als wichtiger Ansatzpunkt angesehen. [...]
    Als wichtigster Grundsatz gilt, daß bei allen Maßnahmen die Freiwilligkeit gewahrt wird. Die Achtung vor der Würde des Menschen schließt auch ein, daß Abtreibung nicht als eine Methode der Familienplanung betrachtet wird.
    Diesen Ansatz bringt die Bundesregierung sowohl in ihrer direkten Zusammenarbeit mit den Entwicklungsländern als auch in ihrer Kooperation mit internationalen Organisationen und Gremien zur Geltung."413

    187. Ausführlich nahm die Bundesregierung im Berichtszeitraum zu der Rolle der internationalen Finanzinstitutionen in der multilateralen finanz- und entwicklungspolitischen Zusammenarbeit Stellung. Dabei setzte sie sich für eine klare Aufgabenverteilung zwischen IWF, Weltbank und WTO einerseits und den mit Wirtschafts- und Entwicklungsfragen befaßten Organisationen der Vereinten Nationen wie UNCTAD und UNIDO andererseits ein:

    "Die Aufgabenteilung zwischen den Organisationen ist durch ihre Mandate beschrieben. In der Anpassung an sich ändernde weltwirtschaftliche Rahmenbedingungen sind Überschneidungen und Doppelarbeit zu vermeiden. Armutsbekämpfung und nachhaltige Entwicklung erfordern Koordinierung und Zusammenarbeit, um eine kohärente Politik der multilateralen Organisationen sicherzustellen und die jeweiligen komparativen Vorteile auszunutzen. Soweit sich hier Überschneidungen zu VN-Organisationen ergeben, wird sich die Bundesregierung dafür einsetzen, diese Überschneidungen abzubauen, um so die Gesamteffizienz des Systems zu steigern."414

    188. Zum Problem der Verschuldung der Entwicklungsländer bei multilateralen Institutionen führte die Bundesregierung in der bereits erwähnten Stellungnahme aus:

    "Die umfangreichen Studien von IWF und Weltbank belegen, daß die Verschuldung gegenüber den internationalen Finanzinstitutionen kein globales Problem darstellt, sondern auf Einzelfälle beschränkt ist. Die Bundesregierung teilt die Auffassung dieser Institutionen, daß die Länder mit hoher multilateraler Verschuldung bei flexibler Anwendung des bestehenden Instrumentariums adäquat und ausreichend unterstützt werden können. Voraussetzung hierfür ist, daß die ärmsten und hochverschuldeten Länder in Zukunft von allen bilateralen und multilateralen Gebern im wesentlichen konzessionäre Finanzmittel erhalten, die Länder ihre Reformen durchhalten und sich ihre Exporteinnahmen befriedigend entwickeln."415

    189. Im Berichtsjahr wurden von der Bundesrepublik Deutschland erneut zahlreiche bilaterale Abkommen über Finanz- und Kapitalhilfe und finanzielle Zusammenarbeit abgeschlossen.416

    190. Ohne Erfolg blieb im Berichtszeitraum eine Initiative der SPD-Bundestagsfraktion, die Grundlagen der entwicklungspolitischen Zusammenarbeit in einem Gesetz zu regeln.417

    191. Im Berichtszeitraum wurde die staatliche Entwicklungszusammenarbeit der Bundesrepublik Deutschland mit Haiti418 nach der Rückkehr von Präsident Aristide wiederaufgenommen. Dagegen wurde die entwicklungspolitische Kooperation mit Nigeria nach der Hinrichtung des nigerianischen Menschenrechtlers Saro-Wiwa im November 1995 ausgesetzt.419


    408 Bull. Nr. 20 vom 15.3.1995, 165.
    409 BT-Drs. 13/2722, 2.
    410 Rede zur Eröffnung des Entwicklungspolitischen Forums der Deutschen Stiftung für internationale Entwicklung zum Thema "Rechtsstaatlichkeit, Rechtssicherheit und Justizreform in Lateinamerika" am 28.11.1995 in Berlin, Bull. Nr. 100 vom 4.12.1995, 982.
    411 BT-Drs. 13/1573, 2.
    412 Ibid., 2 f.
    413 BT-Drs. 13/2520, 39.
    414 BT-Drs. 13/1528, 6.
    415 Ibid., 6 f.
    416 Vgl. im einzelnen BGBl. 1997 II, Fundstellennachweis B, 632 ff.
    417 Entwurf eines Gesetzes zur Entwicklungspolitik der Bundesrepublik Deutschland des Abgeordneten Hauchler u.a. sowie der Fraktion der SPD, BT-Drs. 13/2223.
    418 Antwort der Bundesregierung auf eine Schriftliche Anfrage vom 11.10.1995, BT-Drs. 13/2709, 2.
    419 Woche im Bundestag 8/96 vom 2.5.1996, 45.