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Völkerrechtliche Praxis der Bundesrepublik Deutschland im Jahre 1995


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Rainer Grote

XVII. Friedenssicherung und Kriegsrecht

1. Abrüstung und Rüstungskontrolle

    287. Auf der Überprüfungs- und Verlängerungskonferenz der Parteien des Vertrages über die Nichtverbreitung von Kernwaffen im April/Mai 1995 in New York setzte sich die Bundesregierung nachhaltig für eine unbefristete Verlängerung des Atomwaffensperrvertrages ein. In einer Erklärung anläßlich des 25. Jahrestages des Inkrafttretens würdigte Bundesaußenminister Kinkel die Bedeutung des Vertragswerkes für die Wahrung des internationalen Friedens:

    "Seit einem Vierteljahrhundert hat sich der Nichtverbreitungsvertrag als wichtiger Eckpfeiler der internationalen Stabilität und Friedenssicherung bewährt. Der Vertrag stellt ein wirksames Bollwerk gegen die Weiterverbreitung von Kernwaffen dar. Zugleich bildet er die völkerrechtliche Grundlage für die einschneidenden Abrüstungserfolge der vergangenen Jahre und ist das Fundament für die internationale Zusammenarbeit bei der friedlichen Nutzung der Kernenergie. Es liegt im Interesse aller Staaten, dieses Vertragswerk dauerhaft zu erhalten und das darauf aufbauende internationale Nichtverbreitungsregime zu stärken."735
    Die Bundesrepublik bekräftigte auf der Überprüfungskonferenz ihren unbedingten Verzicht auf Kernwaffen. Zugleich wandte sie sich gegen Bestrebungen anderer Staaten, den Verzicht auf Kernwaffen von der Erfüllung der Abrüstungsverpflichtungen nach Art. VI des Sperrvertrages durch die Nuklearstaaten abhängig zu machen:
    "Nach dem Ende der Ost-West-Konfrontation ist der Atomwaffensperrvertrag unentbehrlicher denn je. In einer multipolaren Welt voller nuklear bewaffneter Akteure kann es kein Gleichgewicht des Schreckens mehr geben, nur noch unübersehbare Gefährdung. [...]
    Deutschland hat hier keine Sonderrechte zu verteidigen. Wir haben seit langem völkerrechtlich verbindlich auf alle Arten von Massenvernichtungswaffen verzichtet. Niemand wird uns verdächtigen können, wir wollten eine Zweiklassengesellschaft zementieren. Zugleich sind wir aber auch das beste Beispiel dafür, daß der Verzicht auf Kernwaffen keinerlei Nachteile bringt. Auch deshalb wird er von allen im Deutschen Bundestag vertretenen demokratischen Parteien voll unterstützt. Daß dies eine endgültige Entscheidung ist, steht völlig außer Frage.
    Unser großes jahrzehntelanges Abrüstungs-Engagement in allen Verhandlungsforen hat gezeigt: Uns geht es um die Erfüllung aller Pflichten aus diesem Vertrag � um den Verzicht auf Nuklearwaffen wie um die Abrüstungsverpflichtung in Artikel VI. Wir verstehen sehr wohl die Sorgen der Nicht-Kernwaffenstaaten und deshalb bleiben wir der Anwalt weiterer energischer Abrüstungsschritte.
    Aber wir lehnen es ab, den Fortbestand des Atomwaffensperrvertrages an Bedingungen zu knüpfen. Das hieße nur denen in die Hände spielen, die einen Vorwand zur Rechtfertigung ihrer eigenen nuklearen Ambitionen suchen. Die Dauerhaftigkeit des nuklearen Nichtverbreitungsregimes hat für uns absolute Priorität vor allen anderen Anliegen. Wir dürfen nicht aufs Spiel setzen, was zu verlieren wir uns nicht leisten können.
    Zu dem Atomwaffensperrvertrag bekennen sich inzwischen mehr Mitgliedstaaten als zu jedem anderen internationalen Übereinkommen mit Ausnahme der Charta der Vereinten Nationen. Wir haben heute eine einmalige Chance, das Verbot der Verbreitung von Kernwaffen in den kommenden Jahren zu einer universellen Norm des Völkerrechts zu machen. Dieses Ziel ist aber nur dann in Reichweite, wenn wir hier zu einer unbegrenzten und unkonditionierten Verlängerung des Vertrages kommen. Was allgemein bindendes Völkerrecht werden soll, darf nicht in 10 oder 25 Jahren erneut zur Disposition gestellt werden können. Wer jetzt einen Schritt zurückgeht, wird nie wieder so weit kommen."736
    In einer Stellungnahme für den Deutschen Bundestag begrüßte die Bundesregierung den Beschluß der Überprüfungskonferenz, den Sperrvertrag für unbestimmte Zeit zu verlängern:
    "Die Überprüfungs- und Verlängerungskonferenz der Parteien des Vertrags über die Nichtverbreitung von Kernwaffen (NVV) hat sich nach vierwöchigen intensiven Verhandlungen am 11. Mai 1995 im Konsens auf die unbefristete Verlängerung des NVV geeinigt.
    Die Bundesregierung hat damit das von ihr und den Partnern verfolgte Ziel erreicht, das auch Kern des Beschlusses des deutschen Bundestages vom 23. Juni 1993 ist. Es hat sich das von der Bundesregierung konsequent verfolgte Konzept durchgesetzt, daß nukleare Abrüstung und internationale Zusammenarbeit bei der friedlichen Nutzung der Kernenergie nur auf der dauerhaft gesicherten Grundlage des NVV möglich sind. Das Konferenzergebnis wird nicht nur die Dauerhaftigkeit des Nichtverbreitungsregimes sichern, sondern auch zu seiner Stärkung und globalen Geltung beitragen. Die von der Konferenz im Konsens angenommenen beiden Dokumente zu Struktur und Inhalt künftiger Vertragsüberprüfungen werden zugleich Auftrieb für weitere Fortschritte bei der nuklearen Abrüstung geben, vor allem für die Verhandlungen über den Umfassenden Nuklearen Teststopp und über einen Produktionsstopp für Spaltmaterial zu Waffenzwecken. [...]
    Die Bundesregierung wird im Gefolge ihrer aktiven Rolle bei der NVV-Verlängerung auch künftig sichtbar für die Stärkung des nichtverbreitungspolitischen Umfeldes eintreten."737

    288. Auf der Überprüfungskonferenz betonte der Bundesaußenminister die Bedeutung einer aktiven Rolle des Sicherheitsrates bei der Durchsetzung des Nichtverbreitungsvertrages:

    "Wir brauchen die Vereinten Nationen als Hüter der Nichtverbreitung. Der Sicherheitsrat hat auf seinem Gipfeltreffen am 31. Januar 1992 festgestellt, daß die Verbreitung von Massenvernichtungswaffen eine Bedrohung des Weltfriedens und der internationalen Sicherheit ist. Diese Erklärung weist die Richtung: Wo immer in der Welt Proliferation stattfindet, müssen die Vereinten Nationen dem entgegentreten. Ich wünsche mir eine aktive Rolle des Sicherheitsrates in dieser so wichtigen Frage."738

    289. Ferner machte sich die Bundesregierung für eine konsequente Anwendung des Kontrollinstrumentariums der Internationalen Atomenergie-Organisation stark. Hierbei befürwortete sie insbesondere die Durchsetzung des Rechts der IAEO auf Sonderinspektionen in nichtdeklarierten Anlagen:

    "Nach den Erfahrungen im Irak und in Nordkorea hat sich die Bundesregierung im Gouverneursrat der IAEO mit Nachdruck dafür eingesetzt, die Kontrollmöglichkeiten und �fähigkeiten des Sekretariats, insbesondere im Hinblick auf die Entdeckung nichtdeklarierter Anlagen, zu stärken. Die Bundesregierung ist dabei der Auffassung, daß in Verdachtsfällen, wie z.B. in Nordkorea, die bisher wenig genutzte Befugnis der IAEO zur Durchführung von Sonderinspektionen ein geeignetes und effizientes Mittel sein kann."739
    Zur Sicherstellung einer umfassenden internationalen Kontrolle über spaltbares Material setzte sich die Bundesrepublik auf der Überprüfungskonferenz auch für die Einbeziehung ziviler Nuklearanlagen der Kernwaffenstaaten in das IAEO-System ein:
    "Da alle Nichtkernwaffenstaaten im NVV vertraglich verpflichtet sind, mit der IAEO ein umfassendes Sicherungsabkommen abzuschließen, unterliegen grundsätzlich alle von ihnen deklarierten nuklearen Anlagen den IAEO-Kontrollen. Zivile Nuklearanlagen der Kernwaffenstaaten unterliegen bisher lediglich IAEO-Kontrollen, soweit diese Staaten sich auf freiwilliger Basis diesen unterworfen haben und die IAEO Inspektionen im Rahmen ihrer Kapazitäten durchführen kann. Sowohl bei Beratungen des Gouverneursrates der IAEO als auch bei der NVV-Konferenz setzte sich die Bundesregierung mit Nachdruck für die Einbeziehung ziviler Nuklearanlagen der Kernwaffenstaaten in das IAEO-Kontrollsystem ein. Im Schlußbericht des Hauptausschusses II (Überprüfung der Implementierung der Sicherungsbestimmungen des NVV) sprachen sich die Delegationen einmütig für eine breitere Anwendung von Spaltstoff-Kontrollen in solchen Anlagen aus."740

    290. In diesem Zusammenhang wiederholte die Bundesregierung ihren Vorschlag für die Schaffung eines Internationalen Plutoniumregimes:

    "Um den nuklearen Abrüstungsprozeß unumkehrbar zu machen, darf künftig kein Spaltmaterial mehr zu Waffenzwecken produziert werden; waffenfähiges Spaltmaterial aus abgerüsteten Kernwaffen darf nicht für den Bau neuer Waffen verwendet werden und nicht in die Hände von Nuklearschmugglern geraten. Hunderte von Tonnen freiwerdenden Plutoniums müssen zuverlässig kontrolliert werden."741
    Zu den Zielen des von ihr vorgeschlagenen Regimes erklärte die Bundesregierung:
    "Damit soll ein verbindliches internationales Regime geschaffen werden, das durch Transparenz und unabhängige Kontrolle vertrauensbildend wirkt und Proliferation und militärische Wiederverwendung des aus der Abrüstung stammenden waffenfähigen Materials nach Möglichkeit ausschließt. Es richtet sich an alle Staaten, unabhängig von ihrem Status innerhalb des Nichtverbreitungsregimes, und soll die Sicherungsmaßnahmen für Plutonium und hochangereichertes Uran auf ein möglichst hohes gleiches Niveau bringen. Das Ziel ist dabei eine vollständige Erfassung der Bestände weltweit."742

    291. Im Berichtszeitraum nahm die Bundesregierung erneut743 zum geplanten neuen Forschungsreaktor FRM II in Garching Stellung. Der Reaktor nutzt ein besonders fortschrittliches Reaktorkonzept mit einem kompakten Brennelement, das hochangereichertes Uran erfordert. In ihrer Antwort auf eine Kleine Anfrage führte die Bundesregierung aus, daß mit dem Reaktor eine derzeit bestehende Unterversorgung mit Neutronen in vielen Bereichen der Naturwissenschaften und Medizin korrigiert und der Forschung mit Neutronen neue Impulse gegeben werden sollen. Zur Vereinbarkeit der Verwendung hochangereicherten Urans mit den internationalen Verpflichtungen der Bundesrepublik heißt es in der Stellungnahme:

    "Die Bundesregierung hat wiederholt dargelegt, daß sie in der Nutzung von hochangereichertem Uran für den FRM-II keinen Verstoß gegen internationale Verpflichtungen zu erkennen vermag. Insbesondere steht der Bau des FRM-II in Übereinstimmung mit den Ergebnissen der INFCE-Konferenz zur Bewertung des Brennstoff-Kreislaufes unter Aspekten der Nichtverbreitung. Im übrigen wird auf die umfassenden Sicherungsmaßnahmen durch die Internationale Atomenergie-Organisation und durch EURATOM verwiesen".744

    292. Die Bundesregierung setzte sich im Berichtsjahr für einen umfassenden und überprüfbaren nuklearen Teststopp ein. In seiner Rede vor der Überprüfungskonferenz der Vertragsstaaten des Atomwaffensperrvertrages forderte Bundesaußenminister Kinkel:

    "Wir brauchen dringend einen baldigen erfolgreichen Abschluß über einen umfassenden nuklearen Teststopp. Sollte sich das Zieldatum 1995 trotz ermutigender Fortschritte nicht einhalten lassen, müssen wir gemeinsam auf den Abschluß 1996 drängen."745
    Kritisch bewertete die Bundesregierung in diesem Zusammenhang die Wiederaufnahme unterirdischer Nuklearversuche durch die französische Regierung auf dem Muroroa-Atoll. Bundeskanzler Kohl führte hierzu anläßlich der Aussprache über den Bundeshaushalt am 6. September 1995 im Deutschen Bundestag aus:
    "Der Präsident und seine Regierung sowie die große Mehrheit des � frei gewählten � französischen Parlaments halten die Testreihe im Interesse der Sicherheit der französischen Nuklearwaffen für notwendig. Sie erklären, erst auf dieser Grundlage könne Frankreich auf die Tests verzichten und zur Simulation übergehen.
    Wir sind anderer Meinung. Für mich ist wichtig, daß Präsident Chirac und seine Regierung sich in diesem Zusammenhang festgelegt haben, bei Verhandlungen über einen Teststoppvertrag so mitzuwirken, daß der Vertrag in einem Jahr abgeschlossen und unterzeichnet wird. Er hat sich gestern noch einmal bereit erklärt, unter diesem Gesichtspunkt die Zahl der Nukleartests zu reduzieren."746
    Zur Frage der Vereinbarkeit der französischen Atomtests mit dem EURATOM-Vertrag s. bereits oben XV.1., Ziff. 252.

    293. In dem Verfahren vor dem Internationalen Gerichtshof zur Erstattung eines Rechtsgutachtens auf Antrag der VN-Generalversammlung zu der Frage "Ist die Drohung mit Nuklearwaffen oder ihr Einsatz unter irgendwelchen Umständen völkerrechtlich erlaubt?" gab die Bundesregierung eine schriftliche Stellungnahme ab. Darin verneinte sie die Zuständigkeit des IGH zur Beantwortung der Gutachtenfrage. Der IGH könne nach seiner eigenen Rechtsprechung nur rechtliche Fragen überprüfen, bei der Frage nach der Zulässigkeit des Einsatzes von bzw. der Drohung mit Nuklearwaffen handele es sich jedoch nicht um eine Rechtsfrage:

    "Kernwaffen sind nicht nur Mittel der Kriegsführung wie andere Waffen. Ihr wesentlicher Zweck ist ein politischer: sie sollen dazu beitragen, jede Art von Krieg zu verhindern. Ihre Verwendung läßt sich nicht mittels der Normen des Völkerrechts richterlich bewerten, ohne daß sich eine solche Bewertung von einer richterlichen in eine politische wandelt."
    Selbst wenn der IGH jedoch zu dem Ergebnis kommen sollte, daß ihm eine rechtliche Frage zur richterlichen Klärung vorliege, könne er immer noch von dem ihm in Art. 65 IGH-Statut eingeräumten Ermessen Gebrauch machen und die Beantwortung der gestellten Frage ablehnen. Die Bundesregierung sei der Auffassung, daß "zwingende Gründe", die den Gerichtshof nach seiner Spruchpraxis dazu veranlassen könnten, eine rechtliche Frage nicht zu beantworten, hier gegeben seien. Dazu gehörten die möglichen negativen Auswirkungen einer Entscheidung in der Sache auf die internationalen Abrüstungsbemühungen:
    "Der Gerichtshof wäre gezwungen, die Grenzen seiner Funktion als 'Hauptrechtsprechungsorgan der Vereinten Nationen' (Artikel 92 der Charta) zu überschreiten. Aufgrund seiner richterlichen Funktion ist der Gerichtshof gehalten, die rechtsschöpfende, gewissermaßen 'legislative' Prärogative der Staaten zu achten.
    Die Staatengemeinschaft hat für die rechtliche Bewältigung des nuklearen Risikos einen gänzlich anderen Weg gewählt als den einer abstrakten Antwort auf die abstrakte Frage der Legalität von Kernwaffen. Die Staaten sind seit Jahrzehnten bemüht, die besonderen Risiken von Nuklearwaffen durch die Schaffung neuer internationaler Rechtsnormen einzugrenzen. In diesem Bemühen hat man den Weg des kontinuierlich fortschreitenden Aufbaus eines besonderen, nur diesem Zweck dienenden völkerrechtlichen Vertragsrechts gewählt. [...]
    Der unabdingbare Einsatz aller Kräfte auf die anstehenden, in ihrer Bedeutung kaum zu überschätzenden Aufgaben der nuklearen Abrüstung, Rüstungskontrolle und Nichtverbreitung könnte sein Momentum verlieren, wenn der Gerichtshof ein Rechtsgutachten zur abstrakten Frage der Legalität von Kernwaffen erstellte. Wie immer die Antwort des Gerichts ausfiele � sie könnte nicht folgenlos bleiben für einen sensiblen, vielschichtigen Verhandlungsprozeß, der aus guten Gründen die Frage, die dem Gerichtshof jetzt vorliegt, immer ausgeklammert hat."
    Die Bundesregierung wies ferner darauf hin, daß der Gerichtshof bei der Beantwortung der Gutachtenfrage nicht umhin käme, eine Reihe spekulativer Feststellungen zu treffen, die außerhalb seiner richterlichen Funktion lägen, und machte schließlich auf die Gefahren aufmerksam, die der Integrität des Gerichtes aus der Behandlung einer politisch geprägten Rechtsfrage, die ihrer Natur nach kontrovers bleiben müßte, erwachsen könnten.
    Eher knapp fielen hingegen die Ausführungen der Bundesregierung zur materiellen Rechtslage aus:
    "Für den Fall, daß der Gerichtshof in die substantielle Prüfung der Frage der Generalversammlung eintritt, verweist die Bundesregierung auf ihre Ausführungen in Abschnitt II ihrer Stellungnahme vom Juni 1994 auf den Antrag der Weltgesundheitsorganisation zur Frage der Rechtmäßigkeit des Einsatzes von Kernwaffen. Die dortigen Ausführungen gelten sinngemäß auch für die von der Generalversammlung zusätzlich gestellte Frage der Rechtmäßigkeit der Drohung mit Kernwaffen. Auch eine derartige 'Drohung' kann nur in Ausübung des naturgegebenen Rechts auf individuelle oder kollektive Selbstverteidigung zulässig sein."

    294. Im Rahmen der bereits zitierten747 Parlamentarischen Anfrage zum Aufbau eines Satellitensystems der WEU nahm die Bundesregierung auch zu den Möglichkeiten der Verifikation von Abrüstungsmaßnahmen durch raumgestützte Erdbeobachtung Stellung:

    "Raumgestützte Erdbeobachtung kann andere Möglichkeiten der Verifikation unterstützen und ergänzen. Mit ihrer Hilfe können große Flächen relativ kontinuierlich überwacht werden. Sie ist nicht von der Mitwirkung des Vertragspartners abhängig und bietet somit eine Rückversicherung für den Fall von Beeinträchtigungen der kooperativen Verifikation.
    Als nationales bzw. multinationales technisches Mittel im Rahmen des KSE-Vertrages (Artikel XV Abs. 1) können Erdbeobachtungssatelliten dazu eingesetzt werden, einen großräumigen Überblick über das Vertragsgebiet zu gewinnen, auf dessen Basis Vor-Ort-Inspektionen � deren Zahl ja beschränkt ist und die einen erheblichen Aufwand erfordern � ganz gezielt durchgeführt werden können. [...]
    Vertrauens- und sicherheitsbildende Maßnahmen (VSBM), zu denen der im Budapester Dokument vereinbarte umfassende Datenaustausch gehört, können in ihrer Wirksamkeit noch verstärkt werden, wenn die Möglichkeit besteht, die Einhaltung der Vereinbarungen auch mit raumgestützten Mitteln zu überprüfen.
    Auch zur Überwachung anderer Rüstungskontroll- und Nichtverbreitungsabkommen kann raumgestützte Erdbeobachtung einen Beitrag leisten. Das Vorhandensein 'nationaler technischer Mittel' hat in der Vergangenheit den Abschluß von Rüstungskontrollvereinbarungen erleichtert und zum Teil erst möglich gemacht. Bereits im SALT-I-Vertrag von 1972 wurden solche Mittel als ein Instrument der Verifikation erstmals ausdrücklich erwähnt. Im Rahmen des Nuklearen Nichtverbreitungsvertrages haben z.B. die Vereinigten Staaten die Überwachungsbehörde IAEO auch dadurch unterstützt, daß sie ihre Satellitenaufnahmen nordkoreanischer Anlagen zur Verfügung gestellt haben. Bei der schwierigen Verifikation eines umfassenden nuklearen Teststopps könnten Erdbeobachtungssatelliten etwa verwendet werden, um festzustellen, ob in einem Land Anlagen für Nukleartests eingerichtet werden."748
    In diesem Zusammenhang ging die Bundesregierung auch auf die durch den Open-Skies-Vertrag749 eröffneten Verifikationsmöglichkeiten ein:
    "Auch der Open-Skies-Vertrag soll nach seinem Inkrafttreten unter anderem dazu genutzt werden, Verifikationen nach dem KSE-Vertrag zu unterstützen. Er erlaubt jedoch nur eine begrenzte Zahl von Überflügen, die in einem bestimmten Verfahren angemeldet und durchgeführt werden müssen; eine flächendeckende Beobachtung des Vertragsgebiets ist somit nicht möglich. Dennoch behält der Vertrag über den Offenen Himmel für uns auch dann seine volle politische Bedeutung, wenn sich die Bundesrepublik Deutschland an einem System von Erdbeobachtungssatelliten beteiligt: Er hat als Ausdruck der Offenheit der Vertragsstaaten vertrauensbildende Wirkung und eröffnet allen Vertragsstaaten � gleich, ob sie über Satelliten verfügen oder nicht � bisher präzedenzlose Beobachtungsmöglichkeiten."750


    735 Erklärung vom 5.3.1995, Bull. Nr. 18 vom 10.3.1995, 151.
    736 Rede von Bundesaußenminister Kinkel vor der Konferenz zur Überprüfung und Verlängerung des Vertrages über die Nichtverbreitung von Kernwaffen am 18.4.1995 in New York, Bull. Nr. 32 vom 24.4.1995, 266.
    737 Antwort der Bundesregierung auf eine Kleine Anfrage zum Thema "Stärkung des Vertrages zur Nichtverbreitung von Kernwaffen", BT-Drs. 13/1942, 1 f.
    738 Rede vom 18.4.1995, Bull. Nr. 32 vom 24.4.1995, 266.
    739 BT-Drs. 13/1942, 3; so auch der Vorschlag von Außenminister Kinkel in seiner Rede vor der Überprüfungskonferenz, Bull. Nr. 32 vom 24.4.1995, 266.
    740 Ibid., 3 f.
    741 Rede von Bundesaußenminister Kinkel vor der Überprüfungskonferenz, Bull. Nr. 32 vom 24.4.1995, 266.
    742 BT-Drs. 13/1942, 4.
    743 S. zu diesem Punkt auch Stoll (Anm. 10), Ziff. 316.
    744 BT-Drs. 13/932, 2.
    745 Bull. Nr. 32 vom 24.4.1995, 266.
    746 Bull. Nr. 67 vom 7.9.1995, 674.
    747 Dazu oben XVI.2., Ziff. 281.
    748 BT-Drs. 13/1681, 7 f.
    749 Vertrag vom 24.3.1992 über den Offenen Himmel, BGBl. 1993 II, 2047. Zum Inhalt des Vertrages eingehend Langenfeld, VRPr. 1992, ZaöRV 54 (1994), 814-1022, Ziff. 198.
    750 BT-Drs. 13/1681, 7.