Max Planck Institute for Comparative Public Law and International Law Logo Max Planck Institute for Comparative Public Law and International Law

You are here: Publications Archive Völkerrechtliche Praxis der Bundesrepublik Deutschland 1995

Völkerrechtliche Praxis der Bundesrepublik Deutschland im Jahre 1995


Inhalt | Zurück | Vor

Rainer Grote

XVII. Friedenssicherung und Kriegsrecht

5. Humanitäres Völkerrecht

    306. Im Plenum der Generalversammlung der Vereinten Nationen sprach sich der spanische Vertreter im Namen der Europäischen Union für einen wirksameren Schutz der an humanitären Einsätzen beteiligten Personen aus:

    "The European Union would like ... to reiterate its concern regarding the increasing lack of respect for the principles, spirit and rules of International Humanitarian Law. The principles of neutrality and impartiality of humanitarian assistance must find their indispensable complement in the respect, by all, of Humanitarian Law. Furthermore, the European Union would like to express its deep concern for the growing risks to the safety of all those involved in the provision of humanitarian assistance. There is a need both to improve the legal procedures that might be required to effectively provide safety and security to all those involved, including the humanitarian personnel, and to put in place, from the onset, practical protection measures when there are obvious risks for relief workers. The European Union welcomes, as a first step in this process, the adoption of the Convention on the safety and security of United Nations and Associated Personnel."774

    307. Am 1. Februar 1995 unterzeichnete die Bundesrepublik Deutschland das Übereinkommen vom 15. Dezember 1994 über die Sicherheit von Personal der Vereinten Nationen und beigeordnetem Personal.775 Das Übereinkommen stellt eine Reaktion auf die gewachsene Bedeutung von friedenserhaltenden Operationen der Vereinten Nationen und die steigende Zahl des im Einsatz für die Vereinten Nationen getöteten Personals sowie den Umstand dar, daß die bestehenden Vereinbarungen den Schutz dieses Personenkreises nur in unzureichendem Umfang gewährleisten. Es schützt nicht nur Personal der Vereinten Nationen, das vom Generalsekretär im Rahmen von Einsätzen der Vereinten Nationen angestellt oder eingesetzt wird, sondern auch beigeordnetes Personal, d.h. Personen, die von einer Regierung mit Zustimmung des zuständigen Organs der Vereinten Nationen oder von einer humanitären Organisation im Rahmen einer Vereinbarung mit dem Generalsekretär zur Verfügung gestellt bzw. eingesetzt werden (Art. 1). Die geschützten Personen dürfen nicht angegriffen oder zum Gegenstand einer Handlung gemacht werden, die sie an der Erfüllung ihres Mandats hindert (Art. 7 Abs. 1). Die Vertragsstaaten verpflichten sich, Angriffe auf das Leben oder die Freiheit des geschützten Personenkreises bzw. Drohungen mit einem solchen Angriff unter Strafe zu stellen und gerichtlich zu verfolgen (Art. 9, 10). Sie verpflichten sich überdies, zur Verhütung solcher Straftaten eng zusammenzuarbeiten (Art. 11).

    308. Auf der Überprüfungskonferenz zum VN-Waffenübereinkommen wurde am 13. Oktober 1995 in Wien das Protokoll über blindmachende Laserwaffen (Protokoll IV) zu dem Übereinkommen vom 10. Oktober 1980 über das Verbot oder die Beschränkung des Einsatzes bestimmter konventioneller Waffen, die übermäßige Leiden verursachen oder unterschiedslos wirken können776, angenommen.777 Das Protokoll verbietet den Einsatz von Laserwaffen, die eigens dazu entworfen sind, die dauerhafte Erblindung des unbewehrten Auges zu verursachen. Die Vertragsparteien verpflichten sich darüber hinaus, solche Waffen weder an Staaten noch an nichtstaatliche Einrichtungen weiterzugeben (Art. 1). Nach Art. 2 treffen sie beim Einsatz von Lasersystemen alle praktisch möglichen Vorsichtsmaßnahmen, um eine dauerhafte Erblindung des unbewehrten Auges zu vermeiden. Art. 3 stellt klar, daß die Erblindung, die als Neben- oder Begleitwirkung des rechtmäßigen militärischen Einsatzes von Lasersystemen eintritt, von dem Verbot nicht erfaßt wird.
    In ihrer Antwort auf eine Parlamentarische Anfrage wies die Bundesregierung darauf hin, daß die Frage des Anwendungsbereichs des Protokolls vom Redaktionsausschuß ausgeklammert worden sei. Damit gelte für das Blendwaffenprotokoll automatisch der Anwendungsbereich des VN-Waffenübereinkommens, der allerdings die von der Bundesregierung angestrebte Geltung in innerstaatlichen Konflikten bisher nicht erfasse.778

    309. Die Bundesregierung setzte sich darüber hinaus für eine Verschärfung des Protokolls II (Minenprotokolls)779 zum VN-Waffenübereinkommen ein. Auf der Überprüfungskonferenz zum VN-Waffenübereinkommen führte der Vertreter der Bundesrepublik hierzu aus:

    "Was Deutschland betrifft, so möchte ich folgendes hervorheben:
� Wir müssen die Anwendbarkeit des Protokolls II dahin gehend ausdehnen, daß es auch in Friedenszeiten und vor allem auch für bewaffnete Konflikte gilt, die nicht zwischenstaatlicher Natur sind.
� Wir müssen den Einsatz von Antipersonenminen einschränken, die sich nicht selbst zerstören. Fernverlegte Minen ohne Selbstzerstörungsmechanismus und Minen, die sich nicht aufspüren lassen, müssen verboten werden.
� Wir müssen die weltweite Verbreitung von Landminen stoppen, indem wir ihre Ausfuhr begrenzen.
� Humanitäre und VN-Missionen müssen besser gegen die Auswirkungen von Landminen geschützt werden. Die Bestimmungen über die Minenräumung müssen verschärft werden.
� Und schließlich brauchen wir einen Verifikationsmechanismus, um sicherzustellen, daß Protokoll II, das wir hier überprüfen werden, zukünftig eingehalten und umgesetzt wird."780
    Die Konferenz wurde am 13. Oktober ohne abschließendes Ergebnis über eine Neufassung des Minenprotokolls suspendiert und sollte im Januar 1996 fortgesetzt werden. Im Rahmen einer Parlamentarischen Anfrage nahm die Bundesregierung zum Stand der Verhandlungen Stellung:
    "Ad 1: Die Konferenz konnte sich auf eine Erweiterung des Anwendungsbereichs des Minenprotokolls auf nicht internationale Konflikte einigen: 'This Protocol shall apply to situations referred to in Article 1 of this Convention and Article 3, to the Geneva Convention of 12 August 1949. This Protocol shall not apply to situations of internal disturbances and tensions, such as riots, isolated acts of violence and other acts of similar nature, as not being armed conflicts.' Einige Länder bestanden als Ausgleich für die von ihnen als Zugeständnis aufgefaßte Geltung des Minenprotokolls auch in nicht internationalen bewaffneten Konflikten auf salvatorischen Klauseln zu Souveränität, zur Nichteinmischung und zum Status von Aufständischen.
    Ad 2: Einige Länder lehnten ein Verifikationsregime strikt ab. Selbst ein vom Vorsitzenden der Konferenz, Botschafter Molander (Schweden) erarbeiteter Vorschlag für einen Konsultationsmechanismus fand keinen Konsens.
    Ad 3: Einige Länder konnten einer Detektierbarkeitsverpflichtung auf der Basis des von uns vorgeschlagenen Mindeststandards (elektronisches Signal mit einer Feldstärke, die 8 Gramm Eisen entspricht) nur ohne Festlegung einer Frist zur Einhaltung der Verpflichtung zustimmen.
    Ad 4: Einige Länder stellten durch Ablehnung strenger, u.a. von uns vorgeschlagener Standards für Selbstzerstörungsmechanismen (30 Tage maximale Wirkzeit, zusätzlicher Sicherungsmechanismus mit 120 Tagen maximaler Wirkzeit, Zuverlässigkeit beider Mechanismen mindestens 99, 9%), die auf den vorbereiteten Genfer Expertengruppensitzungen erzielte Einigung zu Einsatzbeschränkungen für handverlegte Antipersonenminen und fernverlegte Minen grundsätzlich in Frage.
    Ad 5: Ein Verbot des Transfers solcher Minen, deren Einsatz verboten ist, wurde von allen Vertragsstaaten akzeptiert. Da einige Länder jedoch ein Verbot des Einsatzes nicht detektierbarer Minen ablehnten, ist dieser Konsens in der Substanz fast gegenstandslos. Nach jetzigem Verhandlungsstand beträfe er ausschließlich fernverlegte Antipersonenminen ohne Selbstzerstörungs- oder Selbstneutralisierungsmechanismus, wobei die technischen Standards für diese Mechanismen weiterhin umstritten sind."781
    Die Bundesregierung stellte jedoch zugleich klar, daß aus ihrer Sicht die Einigungsmöglichkeiten für einen Kompromiß über die Verschärfung des Minenprotokolls auf der nächsten Verhandlungsrunde 1996 noch nicht ausgeschöpft seien:
    "Die Bundesregierung ist optimistisch, daß sowohl bei der Detektierbarkeit als auch bei den Einsatzbeschränkungen für handverlegte Antipersonenminen und fernverlegte Minen Kompromisse möglich sind, die aus humanitärer Sicht einen Fortschritt bedeuten würden. Fest steht allerdings jetzt, daß es einen umfassenden Überprüfungsmechanismus für das Minenprotokoll nicht geben wird."782

    310. Die Bundesregierung nahm ferner im Rahmen einer Parlamentarischen Anfrage zu den Ergebnissen der Internationalen Minenräumkonferenz in Genf vom 5. bis 7. Juli 1995 Stellung. Auf der Konferenz sei einhellig die Verantwortung der betroffenen Staaten anerkannt worden, mehr als bisher aktiv bei der Bewältigung des Minenproblems mitzuwirken. Die Konferenz habe gezeigt, daß es des koordinierten Einsatzes der Völkergemeinschaft sowohl im Rahmen der VN als auch der EU bedürfe, um das Minenproblem wenigstens einzudämmen und in den am stärksten betroffenen Staaten ein Mindestmaß an Räummaßnahmen durchzuführen. Die Bundesregierung habe ihre Bereitschaft erklärt, in den Haushaltsjahren 1995 bis 1998 mit einem Ansatz von 10 Mio. DM aus dem Sonderfonds der Ausstattungshilfe internationale Minenräumaktionen sowohl bilateral als auch über das Department of Humanitarian Affairs der VN zu unterstützen. Die Konferenz habe aber auch gezeigt, daß es parallel zu den Bemühungen um eine Koordinierung und Intensivierung der internationalen Minenräummaßnahmen insbesondere auch auf eine effektive Begrenzung des Einsatzes von Landminen ankomme.783


    774 Position of Germany (Anm. 3), Plenum, 19.
    775 BT-Drs. 13/2837, 6.
    776 BGBl. 1992 II, 959.
    777 BGBl. 1997 II, 827. Der Bundestag hat dem Protokoll mit Gesetz vom 18.4.1997 zugestimmt, BGBl. 1997 II, 806.
    778 Antwort der Bundesregierung auf eine Kleine Anfrage zur Konferenz zur Überprüfung des VN-Waffenübereinkommens, BT-Drs. 13/2998, 3.
    779 BGBl. 1992 II, 968.
    780 Rede von Staatsminister Schäfer auf der Konferenz zur Überprüfung des VN-Waffenübereinkommens vom 26.9.1995, Bull. Nr. 75 vom 29.9.1995, 740.
    781 Antwort der Bundesregierung auf eine Kleine Anfrage zur Konferenz zur Überprüfung des VN-Waffenübereinkommens, BT-Drs. 13/2998, 2 f.
    782 Ibid., 4.
    783 BT-Drs. 13/2157.